Dieser Band ist in mehrfacher Hinsicht ein waschechtes Produkt akademischer Tradition und Praxis des deutschen Sprachraums. Er führt sich zurück auf das erfolgreiche Lehrbuch Werkzeug des Historikers aus der Feder des Archivars und Mediävisten Ahasver von Brandt, das erstmals 1958 beim Kohlhammer-Verlag in Stuttgart publiziert wurde und seither mehrmals neu aufgelegt worden ist. Der Titel lehnt sich unverkennbar an diesen Bestseller an, wurde aber – so die Erklärung im gemeinsamen Vorwort des Verlags und der Herausgeber – in eine “gendergerechte” Form überführt. Im Gegensatz zu von Brandt, der einen Schwerpunkt auf die Bedürfnisse der Mediävistik legte, erscheinen die Werkzeuge der Historiker:innen nunmehr in vier Einzelbänden: Antike, Mittelalter, Neuzeit und Zeitgeschichte. Sie nehmen alle die Quellengrundlagen und die spezifischen Methoden der jeweiligen Epochendisziplin in den Blick und verstehen sich als Einführungen, adressiert vornehmlich an Studierende, denen damit “erste Schritte zum eigenen Forschen” gewiesen werden sollen (S. 8 f.). Die Werkzeuge, wie ich den Band im Folgenden nenne, bieten aber auch erfahrenen Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern nützliche Überblicke und Einstiegsmöglichkeiten in Arbeitsgebiete, die vielleicht jenseits des eigenen Tellerrands liegen.
Die gebündelte Darstellung der traditionell als Hilfs- oder Grundwissenschaften bezeichneten (Sub-)Disziplinen scheint ebenfalls ein Phänomen deutscher akademischer Tradition zu sein. Hierzulande bekommen Studierende der Alten Geschichte Derartiges z.B. in klassischen Proseminar-Begleitbüchern geboten.[1] Auch das online und kostenlos verfügbare Tutorium Augustanum von Andreas Hartmann (in den Werkzeugen leider nicht genannt) enthält einen solchen Überblick und glänzt vor allem dadurch, dass es zahlreiche althistorische Internetressourcen in ihrem jeweiligen Nutzen qualifiziert. Da in den letzten Jahren mehrere Lehrbücher zur althistorischen Quellenarbeit bzw. zu den Hilfswissenschaften erschienen sind, haben Lehrende und Studierende momentan eine geradezu luxuriöse Auswahl beim Erstellen ihrer Lektürelisten.[2] An dem Begriff der “Hilfswissenschaften” reibt man sich dabei gerne, weil er einen bloß auxiliaren Stellenwert suggeriert (vgl. S. 11–15 der Einleitung). Stattdessen ist zunehmend von “Grundwissenschaften” die Rede, worunter im ersten Teil der Werkzeuge die quellenbezogenen Disziplinen verstanden werden: Klassische Philologie, Epigraphik, Papyrologie, Numismatik und Klassische Archäologie. Ein im englischsprachigen Raum dafür geläufiges Pendant ist der von Michael Crawford herausgegebene Band Sources for Ancient History (Cambridge 1983), in Frankreich das Buch Sources et méthodes en histoire ancienne von Jean-Nicolas Corvisier (Paris 1997). Beiden fehlt allerdings eine Einführung in die Papyrologie und in der praktischen Lehre werden sie offenbar kaum verwendet.
Im zweiten Teil der Werkzeuge werden einige “benachbarte Disziplinen” vorgestellt: Chronologie, Prosopographie, antike Rechtsgeschichte und historische Geographie. Man kann über diese Unterteilung trefflich streiten und braucht den Begriff der Hilfswissenschaften auch nicht gleich zu verwerfen, denn letztlich kommt es auf die Perspektive an: Für die Klassische Philologie oder die Klassische Archäologie kann etwa auch die Alte Geschichte eine erkenntniserweiternde bzw. erkenntnissichernde und insofern ‘helfende’ Disziplin sein. Manche dieser Hilfswissenschaften sind als akademische Fächer mit entsprechenden Studiengängen etabliert, andere wiederum als spezifische Arbeitsfelder mit eigener Methodik in die Althistorie integriert. Auch an diesem Faktum hätte man die – freilich stets künstlich bleibende – Unterteilung festmachen können. Oder man verzichtet ganz darauf. Denn auf Vollständigkeit legen es die Werkzeuge nicht an: So hätten beispielsweise die Mykenologie, die Archäologie der römischen Provinzen oder die Onomastik gut und gerne eigene Kapitel bekommen können. Erfrischend ungewöhnlich ist hier immerhin die Eingliederung der antiken Rechtsgeschichte.
In seiner Einleitung begründet der Herausgeber Patrick Reinard die Klassifikation der Hilfswissenschaften und die Struktur der Einzelbeiträge, er diskutiert den althistorischen Quellenbegriff, die wesentlichen Elemente der Quellenkritik sowie Zeit und Raum der Alten Geschichte. Vermisst habe ich einen Hinweis auf die Rezeptionsgeschichte, bei der sich die strikte Trennung von Quellen auf der einen und Forschungsliteratur auf der anderen Seite relativiert.
Die Einzelbeiträge wurden von verschiedenen Autoren und einer Autorin verfasst, darunter viele, die auf ihrem Gebiet mit eigenen Forschungen ausgewiesen sind. Die Kapitel folgen einer offenbar im Vorfeld festgelegten gemeinsamen Struktur, setzen aber vielfach individuelle Schwerpunkte. Einen gewichtigen Bestandteil machen in fast allen Kapiteln die Forschungsgeschichte und der Forschungsstand aus. Selbstverständlich geht es im Weiteren stets um Gegenstand und Methode der jeweiligen Hilfswissenschaft; besonders nützlich werden der Leserschaft die Hinweise auf Literatur, digitale Hilfsmittel und wichtige Institutionen sein. Schief wirkt freilich die Einsortierung all dessen unter der einen Überschrift “Literatur”.
Im Kapitel zu den literarischen Quellen erläutert Lennart Gilhaus detailliert und kundig die Genese einer kritischen Edition auf Basis der Handschriftenüberlieferung und die damit verbundenen Probleme einer historischen Auswertung. Der Anschaulichkeit hätte eine Abbildung aus einer mittelalterlichen Handschrift nicht geschadet. Auch wird leider kein konkretes Quellenbeispiel analysiert. Im Abschnitt zu Fragmenten und Scholien fehlt ein Hinweis auf den inzwischen unumgänglichen (lizenzpflichtigen) Jacoby Online. Studierenden dürfte ferner unklar bleiben, dass die Siglen für die Handschriften nicht aus der Luft gegriffen sind, sondern in der Regel die Aufbewahrungsorte anzeigen (z.B. V für Codex Vaticanus). Angebracht gewesen wären in diesem Kapitel definitiv ein paar Worte zu den fachüblichen Kürzeln für antike Autoren und Werktitel und – im Sinne eines Werkzeugs – der Hinweis, wo man die Auflösungen dafür findet, zumal solche Kürzel später im Buch noch reichlich vorkommen. Diskutabel sind die Aussagen, dass Latein nach Ende des weströmischen Reiches zu “einer reinen Literatur- und Gelehrtensprache” geworden sei (S. 46) und dass Livius den Endpunkt der römischen Annalistik markiere (S. 51).
Im Kapitel über die Epigraphik (S. 59–81) führt Krešimir Matijević an zahlreichen gut gewählten Beispielen vor, wie Inschriften unter Verwendung der diakritischen Zeichen des Leidener Klammersystems transkribiert werden, was in einen wissenschaftlichen Kommentar gehört und welche Indizien aus dem Text oder dessen Kontext zu einer Datierung verhelfen können. Schade ist lediglich, dass die auf dem Bucheinband in Farbe gezeigte tessera nummularia nicht ausführlicher besprochen wird.
Patrick Sänger legt im Kapitel über die Papyrologie den Schwerpunkt dagegen auf das Werden, das Selbstverständnis und den aktuellen Stand der Disziplin. Für Studierende dürfte sein Plädoyer etwas zu theoretisch ausfallen, zumal den Methoden der Papyrologie nur zwei Seiten vorbehalten sind und sich dieser kurze Abschnitt vornehmlich der Paläographie zuwendet. Eine inhaltliche Besprechung ausgewählter Beispiele hätte dem Kapitel etwas mehr Fleisch auf die Rippen gegeben. Wenn man bei der Lektüre nicht gerade vor dem Computer sitzt, ist ferner ungünstig, dass Sänger für die Beispiele zum Schriftvergleich auf Fotos im Internet verweist, wohingegen er auf die im Buch selbst abgebildeten Papyri (S. 102 f.) nicht genauer eingeht. Auch die in der Papyrologie inzwischen zentralen digitalen Hilfsmittel erfahren im Text keine eigene Würdigung. Es sei hier wenigstens ergänzt, dass die im Internet verfügbare Checklist of Editions für den Alltagsgebrauch auch deswegen so wichtig ist, weil sie die zum Zitieren der Papyri und Ostraka verbindlichen Abkürzungen für Editionswerke auflistet.
Definitiv Lust auf mehr macht der Beitrag von Peter Franz Mittag über die antike Numismatik. Den Schwerpunkt legt er auf die Methoden der Disziplin und auf eine interpretierende Münzgeschichte, die zahlreiche Einsichten in die Erträge der neueren Forschung bereithält, was man in derart komprimierter Form kaum anderswo vorfinden dürfte. Vermisst habe ich nur einen expliziten Hinweis auf Dietmar Kienasts Römische Kaisertabelle (6. Aufl. Darmstadt 2017) – unentbehrlich bei der Datierung römischer Münzen anhand der Kaisertitulatur. Auch der Beitrag zur Klassischen Archäologie von Achim Lichtenberger besticht durch Prägnanz und Anschaulichkeit.
Im Anschluss führt Michael Zerjadtke in die antike Chronologie ein. Bedauerlich ist, dass Forschungsgeschichte und Forschungsstand in diesem Kapitel nicht thematisiert werden. Dabei hat sich die Chronologie neuerlich von einer Datenwissenschaft emanzipiert und verstärkt die Zeit selbst als soziale und kulturelle Größe in den Blick genommen. In dem Kapitel werden wichtige Begriffe erklärt und kurze Einführungen in die vielfältigen chronologischen Systeme der Antike geboten. Die Darstellung ist allerdings in mehreren Punkten korrekturbedürftig, von denen ich hier nur ein paar wichtige herausgreifen kann. So ist die Feststellung auf S. 153, der ägyptische und der babylonische Kalender hätten viele Gemeinsamkeiten gehabt, kaum nachvollziehbar, wenn tatsächlich lauter Unterschiede aufgeführt werden. Bei dem Quellenbeispiel zur Olympiadenrechnung muss es 50., nicht 40. Olympiade heißen (S. 156). Ungünstig gewählt ist das Beispiel zum attischen Prytanienkalender (S. 158), weil es keine Tagesdatierung enthält, die ja gerade die Diskrepanz mit dem Festkalender deutlich machen würde. Die fortlaufende Ärenrechnung bildete im Hellenismus zunächst eine Besonderheit allein bei den Seleukiden, die anderen Königreiche zählten nach Herrscherjahren (S. 159). In der Frühzeit des römischen Kalenders wurden die Monate nicht beim “erste[n] Tageslicht” (S. 166), sondern bei Neulicht, d.h. der erneuten Sichtung der schmalen Mondsichel, ausgerufen; von den Lunationen hatte sich der römische Monatslauf im Übrigen schon lange vor Caesars Reform gelöst. Die Aussage auf S. 171, dass sich schon im 2. Jahrhundert der Beginn der römischen Planetenwoche auf den dies Solis verschoben hätte, deckt sich nicht mit dem gezeigten Trierer Steckkalender aus dem 3. Jahrhundert, wo Saturn die erste Position einnimmt. Im Zusammenhang mit Augustus sollte man nach heutigem Kenntnisstand nicht mehr von einer Sonnenuhr auf dem Marsfeld, sondern von einem Meridian sprechen (S. 173). Digitale Hilfsmittel führt Zerjadtke leider gar keine auf. Dabei hat die Chronologie hier reichlich anzubieten, angefangen bei der digitalen Sammlung antiker Sonnenuhren bis hin zum Date Converter for Ancient Egypt.
Das Kapitel von Werner Eck zur Prosopographie bietet im Gegenzug viel Forschungsgeschichte, aber nur gut eine Seite zur Methodik, wo noch die Onomastik kurz gestreift wird. Die auf S. 183 erwähnte Publikation von Akten eines Kongresses in Rom findet keine Entsprechung in der Literaturliste.[3] Der Beitrag bleibt insgesamt recht theoretisch und eignet sich kaum als Werkzeug im intendierten Sinne. Als Quellenbeispiel und Illustration hätte sich leicht eine römische Cursus-Inschrift einbetten lassen.
Die antike Rechtsgeschichte wird selten in vergleichbaren Einführungswerken thematisiert, hat hier aber definitiv ihren Platz. Kaja Harter-Uibopuu stellt die Forschungsgeschichte dar und zeigt schön die unterschiedlichen, sich im Idealfall gegenseitig befruchtenden Herangehensweisen von Rechtswissenschaft und Althistorie auf. Zahlreiche Quellenbeispiele werden zur Veranschaulichung herangezogen und explizit die literarischen, epigraphischen und papyrologischen Zeugnisse thematisiert. Auf S. 207, wo es um römische Militärdiplome geht, hätte sich eine Abbildung gut gemacht. Ergänzen möchte man, dass auch archäologische und ikonographische Quellen bestimmte Aspekte antiker Rechtskultur erschließen. Irritierend ist die Aussage auf S. 203, dass erst Kaiser Justinian I. eine umfassende Sammlung geltenden Rechts initiiert habe, konnte dieser doch mit dem Codex Theodosianus auf eine ebenfalls kaiserlich beauftragte Kompilation zurückgreifen, die ihrerseits für die Rechtssetzungen der Germanenreiche im Westen prägend war. Für die Quellenangaben aus Koerner 1993 fehlt die entsprechende Auflösung im Literaturverzeichnis.[4]
Das letzte Kapitel aus der Feder von Michael Rathmann widmet sich der Historischen Geographie. Lehrreich sind besonders die abschließend diskutierten Beispiele für Erkenntnisgewinne aus geographischen und naturräumlichen Gesichtspunkten zu Schlüsselereignissen wie den Perserkriegen, der Schlacht bei Actium und der abgebrochenen Eroberung Germaniens. Vermisst habe ich Bemerkungen zur Topographie, zur Wegeforschung und zur antiken Landvermessung. Aber mir ist klar, dass solche Überblicke nicht auf alle denkbaren Aspekte eingehen können und zwangsläufig selektiv bleiben.
Der Band wird durch ein Sach- und ein Personenregister abgerundet. Die Qualität der Abbildungen ist hervorragend, ihre Anzahl aber überschaubar. Fast höher ist die Zahl der Tippfehler und Wortleichen. Die Stärken des Bandes sehe ich besonders in den kompakten Ausführungen zur jeweiligen Disziplinengenese, in den praxisorientierten Kapiteln zur Epigraphik, Numismatik und Archäologie sowie in der beispielgebenden Eingliederung der antiken Rechtsgeschichte. Auch wenn im Bereich der digitalen Ressourcen Potenzial verschenkt wurde, handelt es sich um ein nützliches Lehrbuch, in dem sich die besprochenen Disziplinen expandierend, innovativ und orientiert an den Fragen und Technologien der Gegenwart präsentieren.
Notes
[1] U.a. Rosmarie Günther, Einführung in das Studium der Alten Geschichte (3. Aufl. Paderborn 2009); Hartmut Blum / Reinhard Wolters, Alte Geschichte studieren (3. Aufl. München 2021).
[2] Antje Kuhle / Martin Lindner, Alte Geschichte. Quellen – Methoden – Studium, mit zwei Kapiteln von Dorit Engster (Göttingen 2020); Astrid Möller, Historische Quellen interpretieren: Quellen der Antike (Paderborn 2020); Maria Rhode / Ernst Wawra (Hrsg.), Quellenanalyse. Ein epochenübergreifendes Handbuch für das Geschichtsstudium (Paderborn 2020).
[3] Gemeint ist vermutlich Maria Letizia Caldelli / Gian Luca Gregori (Hrsg.), Epigrafía e ordine senatorio, 30 anni dopo, 2 Bde. (Rom 2014).
[4] Gemeint ist Reinhard Koerner / Klaus Hallof, Inschriftliche Gesetzestexte der frühen griechischen Polis (Köln 1993).