BMCR 2020.09.37

The ruler’s house: contesting power and privacy in Julio-Claudian Rome

, The ruler's house: contesting power and privacy in Julio-Claudian Rome. Baltimore: Johns Hopkins University Press, 2019. x, 241 p.. ISBN 9781421432892. $54.95.

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Harriet Fertik widmet sich in ihrer Studie mit der Wahrnehmung und Reflexion von Herrschaftsauffassungen einer zentralen Frage des politischen Denkens, die nicht zuletzt im Zuge der Institutionalisierung von Alleinherrschaft im antiken Rom aufkam. Konsequenterweise konzentriert sie daher ihre Untersuchung auf die Zeit der julisch-claudischen Dynastie, in der sich die domus Augusta als gleichermaßen öffentlicher Raum von kollektivem Interesse wie auch private Sphäre von ebenso großer Relevanz für die res publica sukzessive und experimentell entwickelte. Fertik kann nicht zuletzt aufgrund dieses Zuschnitts auf vielfältige Vorarbeiten aus verschiedenen Bereichen der Altertumswissenschaften zurückgreifen.[1] Ihren Zugang kennzeichnet im Vergleich zur bisherigen Forschung allerdings ein klarer Fokus auf Fragen der Öffentlichkeit und Privatheit des princeps und vor allem auf das Haus sowohl im architektonischen als auch im strukturellen Sinne, das sozusagen als unmittelbare Verkörperung der kaiserlichen persona und regelrecht Ausdrucksseite der Herrschaftsrepräsentation verstanden werden könne. Zudem berücksichtigt Fertik nicht allein literarische Quellen, sondern auch archäologische Zeugnisse, um auf diesem Wege das Haus grundsätzlich als Raum zu konstruieren, in dem Machtstrukturen verhandelt und in Frage gestellt werden konnten. Im Zentrum der Publikation steht die Problematik, inwiefern sich in Diskursen über Herrschaftskonzeptionen sowie die Sichtbarkeit und Zugänglichkeit des Kaisers Herrschaftsstrukturen spiegeln und ob diese durch die Elitenangehörigen unter Umständen auch subtil hinterfragt oder aber bestätigt zu werden vermochten. Hervorzuheben ist an dieser Stelle, dass dieser Zugriff den Anspruch erhebt, die diskursive Reaktion auf die kaiserliche Herrschaftsrepräsentation in den Blick zu nehmen. Die Verfasserin setzt sich dabei das Ziel, „to investigate different Roman responses to the ruler’s private life, and most importantly to explain why his privacy […] matters” (S. 9).

Fertik gliedert ihre Monographie neben einer Einleitung und einem Schluss in sechs Kapitel. In der Einleitung werden die Methodik, Zielsetzung und Thematik vorgestellt. Im Schluss schlägt die Verfasserin eine Brücke von der Thematik der Privatheit und Öffentlichkeit sowie der Rolle des Staates in Rom hinein ins 21. Jahrhundert. Im ersten Abschnitt zu Lucans Bellum civile konstatiert Fertik, in der Situation des Bürgerkriegs der Spätphase der römischen Republik seien zunehmend familiäre Bindungsstrukturen in den Reihen der Soldaten durch eine loyale Bindung an Feldherren, wie Caesar, Cato oder Pompeius, ersetzt worden. Dies sei dadurch gelungen, dass gerade diese Kommandanten es verstanden, bei ihren Truppenangehörigen eine Identifikationsbereitschaft zu erzeugen, die jener gegenüber der eigenen Familie entsprach, jedoch den Vorteil einer universellen Familienkonzeption für das Gesamtkollektiv hatte, in die sich jeder einzelne Römer eingliedern konnte. Zudem seien die betreffenden Kommandeure dazu in der Lage gewesen, aus dieser Loyalität politische Autorität zu generieren.[2] Gleichwohl ist dieses Phänomen nicht als ein Spezifikum zu betrachten, das genuin der Bürgerkriegszeit zuzurechnen oder aber ausschließlich mit Entwicklungstendenzen zu einer Alleinherrschaft in Verbindung zu bringen ist. Auch schon bei Marius lässt sich dies feststellen, und Loyalitäten gegenüber dem eigenen Kommandanten sind vielleicht als eine metahistorische Struktur des römischen Heereswesens zu bewerten, unabhängig davon, ob diese Bindungen nun auf civilitas, Zwang oder der Einforderung von Gehorsam beruhten. Zu betonen ist ferner, dass Bindungsstrukturen zwischen einem Feldherrn und seinen Soldaten anders als familiäre Verbindungen nur temporär waren.

Die kaiserliche familia steht im folgenden Kapitel im Zentrum der Betrachtung. Fertik stellt heraus, dass die kaiserliche Auffassung, welche weiblichen Mitglieder zur domus Augusta gehörten, sowie die Vorstellung weiter Bevölkerungskreise, beispielsweise im Provinzialgebiet, erheblich divergieren konnten.[3] Dies belegt sie in erster Linie für Augustus und Nero anhand von Statuenstiftungen in verschiedenen Regionen des Reiches zugunsten von Frauen der kaiserlichen Familie, die in der Repräsentation des princeps bereits in Ungnade oder aber der damnatio memoriae verfallen waren. Auf diesem Wege sei die unmittelbar kaiserliche Auffassung und Autorität in dieser Frage in gewisser Weise hinterfragt oder aber zumindest flexibel gehandhabt worden. Eine vergleichbare Schwierigkeit für den Herrscher, die Autorität innerhalb der eigenen Familie zu profilieren, begegne zudem immer wieder in literarischen Quellen, wie den Annalen des Tacitus. Auf dieser Grundlage leitet Fertik eine generelle potentielle Fragilität der kaiserlichen Machtstellung ab.

Im dritten Kapitel konzentriert sich Fertik auf das kaiserliche Haus im architektonischen Sinne und die Sichtbarkeit des princeps innerhalb seines Palasts, die regelrecht zeichenhaften Charakter besessen habe. Überzeugend argumentiert Fertik dafür, dass sich gerade bei der kaiserlichen Residenz die Relevanz der vermeintlich privaten Lebenswelt eines princepsfür die Decodierung seiner spezifischen Herrschaftsauffassung und seiner Positionierung gegenüber unterschiedlichen Rezipientengruppen der Öffentlichkeit zeige. Gleichzeitig sei der Kaiser aber für seine Inszenierung in diesem Bereich stets auf ein Publikum angewiesen gewesen.[4] Allerdings dürfte Fertiks Differenzierung zwischen einer Lebenswelt der Villa außerhalb Roms auf der einen Seite, die Sicherheit und Schutz verhieß, und einem Lebensbereich innerhalb der Stadt auf der anderen Seite zu strikt sein (vgl. S. 2, 70f., 80). Wie sie für Nero und Trajan immanent bekennt (vgl. S. 74), gingen beide Sphären vielmehr fließend ineinander über. Außerdem war ein vollständiger Rückzug aus Rom den Senatoren, so sie ein bestimmtes Alter noch nicht überschritten hatten, überhaupt nicht gestattet und hätte somit eher den Verdacht des princeps erregt.[5] Wäre vor dem Hintergrund, auf diesem Wege die eigene Sicherheit effektiv wahren zu können, ein solcher Rückzug für weite Kreise der Senatorenschaft attraktiv gewesen (vgl. S. 2, 80), hätte dieses Phänomen, so ist zu erwarten, einen Niederschlag in den Quellen finden müssen. Für das senatorische Selbstverständnis war jedoch auch im Prinzipat politische Partizipation elementar. Es fand kein totaler Paradigmenwechsel statt – das aber suggeriert Fertik (vgl. S. 2, 155).

An Senecas De clementia sowie in dessen beiden Tragödien Thyestes und Agamemnon entwickelt Fertik die Auffassung des Erziehers Neros von der Sichtbarkeit des Herrschers. In diesem Abschnitt, dem vierten Kapitel der Studie, wird besonders deutlich, dass es gerade die Elitenangehörigen waren, die mit ihrer Orientierung am Herrscher dessen herausgehobene Rolle im Vergleich zur Senatsaristokratie bestätigten, dabei aber zugleich auch ihre eigene untergeordnete Position in gewisser Weise auf Dauer zementierten: „the act of viewing is key to their experience of subjection just as visibility is key to the ruler’s experience of power“ (S. 95). Somit zeigt sich in Übereinstimmung mit den Ergebnissen des vorherigen Abschnitts der Untersuchung die Notwendigkeit für den Herrscher, seine gewissermaßen exzeptionelle Position im Gefüge der römischen Gesellschaft permanent vor einem Publikum zu inszenieren, auf dessen Wahrnehmung er zu diesem Zweck angewiesen war. Gerade dadurch war diese Rolle aber auch in einem gewissen Grade angreifbar. Eine nähere Bestimmung des Ausmaßes eines derartigen Möglichkeitsraumes durch Fertik über die Verifizierung seiner bloßen Existenz hinaus wäre jedoch wünschenswert, wenngleich heuristisch herausfordernd gewesen. Wie weitgehend konnte also auf diesem Wege das Herrschaftsprofil eines bestimmten princeps erschüttert werden? Welche Konsequenzen hat dies für das Verständnis von Macht und Herrschaft, aber auch von Hierarchien insgesamt in den Kreisen der römischen Elite? Hier hätten sich sicherlich auch interessante Ansatzpunkte zu einer intensiven Auseinandersetzung mit dem von Egon Flaig geprägten Akzeptanzsystem geboten.[6]

Im fünften Kapitel richtet Fertik die Aufmerksamkeit auf die Multifunktionalität von Räumen sowie die Sichtbarkeit von deren Dekoration in pompejanischen Häusern. Sie ergründet die unterschiedlichen Grade von Zugänglichkeit für Besucher und das darauf basierende Wissen über das Privatleben des Hausbesitzers, der hier als Herrscher im Kleinen erscheint. Zugleich manifestiere sich anhand dieses Kriteriums die unmittelbare Vertrautheit und Nähe einer Beziehung. Die Lebenswelt der domus steht ebenfalls im sechsten Kapitel im Zentrum, in welchem Fertik Petrons Satyricon und Senecas De ira im Hinblick darauf betrachtet, inwiefern sich die Gemeinschaft beim Gastmahl und die Tatsache, dass alle Teilnehmer dabei über dieselben körperlichen Bedürfnisse verfügten, auf die Konstruktion von Herrschaftsverhältnissen auswirke und wie sich hierbei die Auffassung von Gleichrangigkeit oder Differenz zwischen den Akteuren spiegele. Die Gleichheit der Körper sowie deren grundlegender Funktionen eigne sich dabei sowohl zur Nivellierung wie auch zur Demonstration von Machtrelationen. Zugleich wird an diesem Beispiel der Konstruktionscharakter sämtlicher gesellschaftlicher Hierarchien besonders deutlich.

Ungeachtet einiger Monita liefert Fertik insgesamt eine anregende Studie, die die Orientierung des Lesers durch Kapitelzusammenfassungen erleichtert. Zugleich werden dadurch die Ergebnisse miteinander verknüpft und aufeinander bezogen. Die Autorin akzentuiert nicht nur symbolhafte Elemente von Herrschaftsbeziehungen und deren vielfältige inszenatorischen Komponenten, sondern präsentiert auch ein Bild enger wechselseitiger Abhängigkeit von Herrschern und Beherrschten sowie darin ruhender Kontingenzen für Herrschaftsverhältnisse, das es in der Tat verdient hätte, innerhalb der Altertumswissenschaften Beachtung zu finden.

Notes

[1] Zur domus Augusta und der Entwicklung des kaiserlichen Hofes vgl. z. B. Andrew Wallace-Hadrill, “The Imperial Court” in The Cambridge Ancient History, Bd. 10: The Augustan Empire, 43 BC to AD 69, Cambridge 1996, S. 283–308; Aloys Winterling, Aula Caesaris. Studien zur Institutionalisierung des römischen Kaiserhofes in der Zeit von Augustus bis Commodus (31 v. Chr. – 192 n. Chr.), München 1999; Beth Severy, Augustus and the Family at the Birth of the Roman Empire, New York 2003; Jeremy Paterson, “Friends in High Places. The Creation of the Court of the Roman Emperor” in Antony J. Spawforth (Hg.), The Court and Court Society in Ancient Monarchies, Cambridge 2007, S. 121–156; Andrew Wallace-Hadrill, “The Roman Imperial Court. Seen and Unseen in Performance of Power” in Jeroen Frans u.a. (Hgg.), Royal Courts in Dynastic States and Empires. A Global Perspective, Leiden 2011, S. 91–102; Geoffrey Sumi, “Ceremony and the Emergence of Court Society in the Augustan Principate” in American Journal of Philology 132, 2011, S. 81–102; für Fragen der Sichtbarkeit und Privatheit vgl. Kristina Milnor, Gender, Domesticity, and the Age of Augustus. Inventing Private Life, Oxford u.a. 2005.

[2] Zur Relevanz familiärer Strukturen im Werke Lucans und deren Unterbrechung durch Bürgerkriegszeiten vgl. Matthew Roller, Constructing Autocracy. Aristocrats and Emperors in Julio-Claudian Rome, Princeton (N.J.) 2001, S. 44f.; für die Caesar-Figur Lucans als einen Prototyp des Alleinherrschers vgl. ders., 2001, S. 37f.

[3] Vgl. zu diesem Themenfeld bereits Olivier Hekster, Emperors and Ancestors. Roman Rulers and the Constraint of Tradition, Oxford 2015.

[4] Zur Theatralik als die Interaktion in der Kaiserzeit prägendes Charakteristikum vgl. Shadi Bartsch, Actors in the Audience. Theatricality and Doublespeak from Nero to Hadrian, Cambridge (Mass.) u.a. 1994.

[5] Zur Frage der aristokratischen wie kaiserlichen Absenz von Rom vgl. grundsätzlich Astrid Habenstein: Abwesenheit von Rom. Aristokratische Interaktion in der späten römischen Republik und frühen Kaiserzeit, Heidelberg 2015. Diese Studie wird im Übrigen von Fertik nicht herangezogen.

[6] Egon Flaig, Den Kaiser herausfordern. Die Usurpation im Römischen Reich, 2. aktual. u. erw. Aufl. Frankfurt a. M. / New York 2019 (Historische Studien 7), S. 39–74.