BMCR 2013.02.55

Pseudo-Democrito. Scritti alchemici: con il commentario di Sinesio. Edizione critica del testo greco, traduzione e commento. Textes et Travaux de Chrysopoeia, 12

, Pseudo-Democrito. Scritti alchemici: con il commentario di Sinesio. Edizione critica del testo greco, traduzione e commento. Textes et Travaux de Chrysopoeia, 12. Paris; Milano: S.É.H.A.; Archè​, 2011. xvi, 524. ISBN 9788872523193. €45.00 (pb).

Die unter dem Namen des Demokritos verfassten und heute nur in Exzerpten erhaltenen Schriften zur Herstellung von Purpur, Gold, Silber und Edelsteinen gehören zu den ältesten alchimistischen Werken der antiken Literatur und sind nicht nur in Europa, sondern, wie syrische und arabische Testimonien belegen, auch im Orient rezipiert worden. Die vier Traktate sind Ende des 19. Jh. zum ersten Mal in der verdienstvollen Ausgabe von Berthelot und Ruelle1 herausgegeben worden. Seither hat zwar die Erforschung der pseudo-demokritischen Schriften wichtige Fortschritte gemacht, doch fehlte bisher eine neue kritische Edition. Diese Lücke hat jetzt das ausgezeichnete Buch von Martelli gefüllt. Neben der neuen Edition der Texte zeichnet sich der Band durch eine umfangreiche Einleitung und einen sehr ausführlichen Kommentar aus.

Der erste Teil der Einleitung (S. 1-60) enthält eine detaillierte Beschreibung der Codices, in denen Pseudo-Demokrits Schriften überliefert sind. Diese sind: M = Marcianus gr. 299 (10.-11. Jh.), B = Parisinus gr. 2325 (13. Jh.), C = Parisinus gr. 2275 (15. Jh.), A = Parisinus gr. 2327 (15. Jh.), L = Laurentianus gr. 86,16 (15. Jh.), V = Vaticanus gr. 1174 (14.-15. Jh.). Hinzu kommen ein in Cambridge und zwei in London aufbewahrte syrische Manuskripte sowie zwei moderne lateinische Übersetzungen. Martelli legt auf Grund des Vergleichs anderer Sektionen dieser Handschriften – etwa der Listen der alchimistischen Zeichen – überzeugend dar, dass die jüngeren Pariser Codices nicht einfach Abschriften von M sind. So enthält der Codex B zum Teil bessere Lesarten als M, die schwerlich das Resultat von Korrekturen eines scriba doctus sein können, sondern vielmehr vermuten lassen, dass dieser Codex nicht von M, sondern von einer älteren Vorlage von M abgeschrieben und durch den Vergleich mit anderen byzantinischen alchimistischen Anthologien kontaminiert worden ist (S. 31: “appare difficile pensare che i numerosi casi evidenziati in cui il Parigino si discosta dal Marciano siano semplicemente il frutto di interventi congetturali da parte del copista“). Ebenso weisen die übrigen Codices wie A Kontaminationen mit anderen Quellen auf und sind deshalb mehr als nur das Ergebnis der Kollation von M und B, zumal A einige in diesen Handschriften fehlende Sektionen enthält, die offensichtlich aus anderen Quellen stammen (S. 39-43). Unsicher sind dagegen die Verhältnisse für L und V. Martellis Bemerkung bezüglich V (S. 54), dass erst eine präzise und umfassende Analyse aller Codices und nicht nur einzelner Ausschnitte genauere Auskunft über die Genese der einzelnen Handschriften und über ihre Beziehung zu den anderen Zeugen geben kann, gilt selbstverständlich für das gesamte alchimistische Schrifttum. Wohl aus diesem Grund hat Martelli auf das Entwerfen eines stemma codicum verzichtet. Sehr fruchtbar erweist sich das Hinzuziehen der syrischen Versionen, welche wahrscheinlich im 6. Jh. übersetzt worden sind und somit einen griechischen Text als Grundlage haben, der älter als die mittelalterlichen Handschriften ist. Zwar ist auch die syrische Version von Berthelot und Duval größtenteils bereits 18932 herausgegeben worden, doch auch in dieser Hinsicht muss, wie Martelli S. 59 richtig bemerkt, über seine Untersuchung hinaus noch viel Grundlagenarbeit geleistet werden. Insbesondere müssten die Zitate aus dem pseudo-demokritischen Werk in anderen syrischen Texten kollationiert werden. Dasselbe gilt für die von Martelli nur am Rande im Kommentar berücksichtigte arabische alchimistische Tradition (etwa im Corpus des Jâbir bin Hayyân), die einer gründlichen Aufarbeitung noch harrt.

Im zweiten Teil der Einleitung (S. 61-124) gibt Martelli unter Berücksichtigung der gesamten Tradition einen analytischen [rather: „systematischen“?] Überblick über die alchimistischen Werke des Pseudo-Demokrit, welche die Färbung von Stoffen (Purpur) und vor allem die Herstellung [?] von Metallen (Gold, Silber, Edelsteine) beschreiben, sowie über das Exzerpt aus der Moysis Chymica und den Kommentar des Synesios, wobei die bisher nur teilweise erforschte indirekte Tradition (Zitate) natürlich nur punktuell berücksichtigt werden konnte (S. 66 “l’intero Corpus alchemicum è una miniera inesauribile di citazioni tratte dal nostro autore, il cui studio permetterebbe di recuperare preziose informazioni sulla sua produzione. Un tale sforzo, tuttavia, supererebbe gli intenti del presente lavoro“). Beim vorliegenden pseudo-demokritischen Werk handelt es sich um eine Epitome, die aus verschiedenen Traktaten bestand und in einem zweiten Schritt in die Form, wie sie in den Handschriften überliefert ist, gebracht worden ist. Auf Grund verschiedener Parallelen und Indizien (wie das Vorkommen eines Κλαυδιανόν genannten Stoffes, vgl. S. 91f.) datiert Martelli das ursprüngliche Werk wohl mit Recht in die Mitte des 1. Jh. n.Chr. Damit ist auch klar, dass es nicht von Bolos von Mende, der im 2. Jh. v.Chr. wohl in Ägypten lebte, verfasst worden sein kann. Indessen ist die Figur des Bolos für das Nachleben von Demokrits Lehre sehr aufschlussreich, zumal bei ihm die Lehre des Abderiten mit orientalischer Weisheit assoziiert wird. Martelli schließt sich den Forschern an, die schon im Werk des Demokritos ansatzweise ein Interesse für Fragestellungen der Alchimie zu erkennen glauben (S. 113-114): “Da ciò che rimane di Bolo sembra emergere l’associazione tra Democrito e la figura del φιλόσοφος φυσικός, impegnato nella ricerca e nell’applicazione di quelle virtù nascoste della φύσις che regolano i rapporti e le interazioni tra le sostanze vegetali, animali e minerali: l’applicazione di tali leggi alla medicina, alle pratiche tintòrie o alla manipolazione metallica accomuna un ampio bacino di opere che, in età tardo-ellenistica ed imperiale, accentuano la fama di Democrito come profondo conoscitore di varie ‘scienze’ e delle loro applicazioni“). Insofern bildete also der Name des Demokritos, der zum Archegeten dieser Wissenschaften gemacht wurde, die passende Autorität sowohl für Bolos’ Sympathie-Lehre als auch für den kaiserzeitlichen Verfasser dieser alchimistischen Traktate. Was Synesios betrifft, so legt Martelli auf Grund der Testimonien glaubhaft dar, dass der Alchemist nicht mit Synesios von Kyrene, der später in Alexandrien tätig war, identifiziert werden kann.

Im dritten Teil der Einleitung (S. 125-172) gibt Martelli einen umfassenden Überblick über die Entwicklung der Alchimie. Dabei versucht er, eine Verbindung Pseudo-Demokrits zu Ägypten glaubhaft zu machen, wo seit der Zeit der Pharaonen umfassende Kenntnisse über die Metallurgie vorhanden waren, und meint – etwa gegen Fowden, der den fiktionalen Charakter solcher Legenden betont3 – hinter den narrativen Mustern, die auch für den Hermetismus typisch sind (man denke z.B. an die Offenbarung des Hermes Trismegistos), und sogar in der legendären Figur des persischen Magiers Ostanes, der Demokrits Lehrer gewesen sein soll, einen historischen Kern ausmachen zu können. Da jedoch alle Quellen, die über Ostanes sprechen, aus der Kaiserzeit und der Spätantike stammen (dass der Magier in Xerxes’ Gefolge gewesen sei, wird erst von Plinius NH 30,8 berichtet, während Herodot nichts darüber sagt), kann man annehmen, dass diese fiktionalen Geschichten wohl erst in dieser Zeit entstanden sind, wobei es allerdings unmöglich ist, die Entstehungszeit dieser Legenden genauer zu bestimmen.

In der Einleitung vermisst man indessen einen Abschnitt über die sprachlichen und grammatikalischen Besonderheiten in Pseudo-Demokrits Schriften, die, wie die Edition zeigt, ziemlich stark von der Standardsprache abweichen. Ebensowenig wird der Versuch unternommen, den (ursprünglichen) literarischen Charakter dieser Werke zu beschreiben, die an manchen Stellen durchaus noch Spuren rhetorischer Ausarbeitung aufweisen (man beachte etwa im Text S. 204 die π-gehäufte Alliteration (l. 220-222), die an dieser Stelle zusammen mit einigen rhetorischen Fragen der Argumentation besonderen Nachdruck verleiht).

Es folgen die Edition und die Übersetzung der vier Traktate (S. 180-255). Martelli gelingt es dabei an vielen Stellen vor allem dank der konsequenten Berücksichtigung der syrischen Versionen, den Text von Berthelot und Ruelle zu verbessern: Etwa S. 188, l. 70 γενομένην statt γέαν / γαίαν der Codices (gut im Kommentar S. 294-295 besprochen); S. 200, l. 189 χρῖσον wie V gegen die anderen Codices; S. 214, l. 74-75 ἡ ἀσώματος statt ἀπὸ σώματος (mit der überzeugenden Diskussion im Kommentar S. 366-367) und ebenso S. 236, l. 41 dank der lateinischen Übersetzung von Pizzimento der Zusatz von (einleuchtend im Kommentar S. 404-405 erklärt). Die folgenden Kritikpunkte sind vor allem als Anregung für die weitere Auseinandersetzung mit diesen Texten gedacht: S. 184, l. 46 ist die von Martelli gewählte Lesart von B περιὼν τῷ βίῳ, “quando era in vita“ mit dem pleonastischen dativus limitationis τῷ βίῳ, der ursprünglich eine explikative Randglosse gewesen sein könnte, m.E. schwer zu verteidigen. Besser scheint die Lesart τοῦτο der Codices MV zu sein; wenn man in den Text eingreifen will, ist eine Lösung wie περιιόντι τῷ βίῳ “im Laufe seines Lebens“ zu erwägen. Anstelle der cruces desperationis könnte man S. 186, l. 58 nach Ὁ δὲ οὔτ’ ἄν τις auch eine längere lacuna annehmen, etwa mit einem saut du même au même nach οὔτ’ (im Kommentar S. 289-290 nicht erwogen). Ebenso könnte S. 212, l. 62 der Satz λευκότατος ὁ χαλκός ursprünglich eine marginale Glosse gewesen sein. Merkwürdig ist schließlich S. 224, l. 11 die Reihenfolge der Wörter σὺν καὶ πᾶσι mit καὶ zwischen Präposition und Substantiv (man würde καὶ σὺν πᾶσι, allenfalls σύν τε πᾶσι erwarten). Im Kommentar fehlt die Begründung für diese ungewöhnliche Wortstellung. Die Übersetzung ist grundsätzlich korrekt, manchmal wird der griechische Text allerdings ziemlich frei wiedergegeben: S. 199 ist διὰ τὸ ἐν ἀγνοίᾳ τῆς ὕλης ὑπάρχειν αὐτούς “poiché non conoscono la materia“ statt z.B. “a causa della loro permanenza nell’ignoranza ( vel non conoscenza) della materia“ etwas schwach; S. 229 ist für Καὶ τοιούτων χρεία ἐστίν; statt “Sono necessarie tali sostanze?“ die Übersetzung “Si fa uso di tali sostanze?“ wohl besser (vgl. S. 237, wo χρεία mit “utilizzo“ wiedergegeben wird). Ob es sich S. 241 bei κίτριον statt um “limone“ nicht eher um den “cedro“ ( citrus medica) handelt, wäre zu erwägen und im Kommentar zu diskutieren, zumal die Zitrone erst später bekannt wurde.4

Es folgt der ausführliche Kommentar der Exzerpte (S. 257-464), in dem Martelli nicht nur die sprachlichen und textkritischen Probleme bespricht, sondern unter Zuhilfenahme der gesamten einschlägigen antiken und modernen Literatur versucht, die einzelnen Stoffe, die für alchimistische Prozesse gebraucht wurden, zu identifizieren und die beschriebenen Verfahren zu erklären. Die Ergebnisse dieser akribischen Arbeit stellen nicht nur einen gewaltigen Fortschritt für das Verständnis dieses Werks dar, sondern bilden die Grundlage für jede weitere Beschäftigung mit der antiken alchimistischen Literatur.

Ein Literaturverzeichnis, Indices der verschiedenen Stoffe, Namen und zitierten Stellen sowie das Inhaltsverzeichnis schließen den Band ab (S. 464-523).

Insgesamt hat Martelli mit seinem Buch, das sich durch die Sorgfalt der Edition5 und durch den reichen und ausführlichen Kommentar auszeichnet, ein Standardwerk vorgelegt, das gewiss über die Fachgrenzen der Klassischen Philologie hinaus für alle, die sich mit der antiken und der mittelalterlichen Alchimie beschäftigen, von großem Nutzen sein wird.

Notes

1. M. Berthelot / C. E. Ruelle, Collection des anciens alchimistes grecs, II, Paris 1888.

2. M. Berthelot / R. Duval, La chimie au Moyen Âge. 2. L’alchimie syriaque, Paris 1893.

3. G. Fowden, The Egyptian Hermes: a Historical Approach to the Late Pagan Mind, Cambridge 1986.

4. Vgl. Chr. Hünemörder, “Citrus”, in: Brill’s New Pauly

1.volume? year? page?]]. Antiquity volumes edited by: Hubert Cancik and, Helmuth Schneider, Brill Online, Reference.

5. Bedauerlich sind die vielen Akzentfehler: So etwa S. 39 απὸ statt ἀπὸ; S. 40 ἥγουν statt ἤγουν; S. 85 ἠ statt ἡ; S. 97 Anm. 127 und 129: ἤ statt ἢ; ibid. Anm. 128 Ὀπλομαχινόν statt Ὁπλομαχικόν; S. 144 ἐμβαλε statt ἔμβαλε; S. 150 ὃτι statt ὅτι; S. 190, l. 80 ἤ statt ἢ; S. 198, l. 172 φευκτόν statt φευκτὸν; S. 226, l. 25 ουδὲ statt οὐδὲ; S. 242, l. 223 ἄν statt ἂν; S. 246, l. 277 ἱκανάς statt ἱκανὰς; S. 393 οὔτω statt οὕτω; S. 412 μεταλλεύομενα statt μεταλλευόμενα; S. 413 μεταλλευόντα statt μεταλλεύοντα; S. 414 ἀρχαίοι und δεχόμενην statt ἀρχαῖοι und δεχομένην; S. 455 οἴνου statt ὄνου. Hinzu kommen wenige Druckfehler: S. 16, Anm. 50 Shluß statt Schluß; S. 39 atrimenti statt altrimenti; S. 81 ripota statt riporta; S. 108 Anm. 199 do statt so; S. 188, l. 67 im Apparat: tractato statt tractatu; S. 206 ad l. 1 im Apparat ist die lateinische Übersetzung des syrischen Textes unklar. Sind vis und pertinent anstelle von vim und perninent gemeint? Bei diesen Monenda handelt es sich jedoch überwiegend um Kleinigkeiten, die weder die Bedeutung noch die Substanz der Arbeit insgesamt schmälern. ​