BMCR 2011.03.03

Antonio Beccadelli. The Hermaphrodite. The I Tatti Renaissance Library 42

, Antonio Beccadelli. The Hermaphrodite. The I Tatti Renaissance Library 42. Cambridge, MA/London: Harvard University Press, 2010. xlv, 299. ISBN 9780674047570. $29.95.

In einer lateinisch-englischen Ausgabe legt Holt Parker den Hermaphroditus des Antonio Beccadelli (1394 – 1471) vor, eine aus zwei Büchern distichischer Gedichte bestehende Sammlung, welche um 1425 bekannt und vielfach handschriftlich überliefert wurde. Das insbesondere wegen seiner homoerotischen Obszönitäten oft als skandalös empfundene Werk übte eine polarisierende Wirkung im literarischen Umfeld Beccadellis in der frühen italienischen Renaissance aus und zog eine Reihe weiterer teils invektiver, teils apologetischer Schriften sowohl seitens seines Verfassers als auch seitens anderer Literaten nach sich.

In diese Zusammenhänge bietet die Introduction Parkers (vii – xlv) eine gediegene Einleitung. Sie beginnt mit dem vernichtenden Urteils Ludwig von Pastors in seiner „Geschichte der Päpste“ über den Hermaphroditus (vii), ordnet den sich selbst als Panormita (Mann aus Palermo) bezeichnenden Verfasser in die verschiedenen Generationen früher Renaissance Autoren ein (viii) und blickt kurz auf die kontroversen brieflichen Kommentare von Zeitgenossen über das Werk (ix).

Mit der eigenen Erklärung des Dichters für die Einteilung in zwei Bücher (Herm. I 42: ein Buch für den penis, das andere für den cunnus), die sich anhand der Disposition des Werkes sachlich nicht ganz nachvollziehen lässt, tut sich Parker wie wohl jeder Leser des Hermaphroditus schwer (xxii). Nicht besonders günstig ist Parkers Urteil über die poetischen Qualitäten seines Dichters: Er hebt die ausschließliche Beschränkung auf das elegische Distichon als Versmaß als Beleg für den metrisch beschränkten Horizont Beccadellis hervor (xxvi), der sich also nicht von der catullischen und martialischen Polymetrie inspirieren ließ. Als zusätzliches Argument könnte man hier auf den recht hilflosen Umgang Beccadellis mit einem aus jambischen Dimetern bestehenden, mit Plato in Verbindung gebrachten und bei Gellius bzw. Macrobius überlieferten Kussgedicht in seinem Brief an Poggio (116) verweisen: Beccadelli zitiert das Gedicht – welches Poggio in seiner Antwort, p. 136, gar einer Komödie Platos zuschreibt – in mehrfach unmetrischer Form; die Vermutung Parkers (244 Anm. 183), dieses Zitat stamme eher aus Gellius als aus Macrobius, lässt sich übrigens durch einen Bindefehler zur Gellius Überlieferung im drittletzten Vers ( foret vulg.: moneret Becc. : moveret Gellius : fieret Macrobius) zur Gewissheit erheben.

Auch über den Witz Beccadellis urteilt Parker ungünstig (xxvii), macht aber die wichtige Einschränkung, dass solche künstlerischen Negativurteile ihre Gültigkeit vor allem im Vergleich zu Autoren der späteren Renaissance gewinnen (xxvii f.); Paulus Cortesius in seinem Dialog De hominibus doctis (1490) lobte andererseits die metrische Verskunst Beccadellis vor dem Hintergrund seiner noch von rhythmischen Formen beeinflussten Zeitgenossen (196).

Abschließend (xxviii f.) charakterisiert Parker die philologischen Hilfsmittel: besonders die kritische Ausgabe von Donatella Coppini (Florenz 1990), deren Text sich Parker weitgehend anschließt, und die forschungsgeschichtlich bedeutende kommentierte Edition von Friedrich Karl Forberg (Coburg 1824).

Die weiteren Teile des Buchs enthalten die lateinisch englische Ausgabe der beiden Bücher des Hermaphroditus einschließlich einiger Begleittexte (1 – 127), eine reichhaltige Appendix mit „Associated letters and poems“ (128 – 203), wenige Noten zum Text (204 – 206), umfängliche Anmerkungen zur Übersetzung (207 – 262), schließlich Bibliographie (263 – 279) und Index (281 – 299).

Geistesgeschichtlich am interessantesten unter den Begleittexten zum Hermaphroditus ist sicherlich der Briefwechsel Beccadellis mit Poggio. Poggio (130 – 138) stimmt der von Beccadelli immer wieder beschworenen catullischen Lehre, das Werk eines Dichters besage nichts über sein persönliches Leben (carm. 16), ausdrücklich zu, weist aber Beccadellis Versuch, alle möglichen klassischen Autoren, die sich irgendwann einmal einer leichteren Muse hingegeben haben sollen, als Kronzeugen für seine obszöne Dichtungen zu vereinnahmen, ebenso nachdrücklich zurück.

Als einziger Kritikpunkt ist eine Reihe von sprachlichen Ungenauigkeiten bzw. Fehlern im Text bzw. (öfter) in der Übersetzung zu nennen:

I 9, 5 qui cruscula solus/ Quaeque velit, solus basia quaeque velit „he’s the only one who has whatever thighs he want, who has whatever kisses he wants“. Die Supplierung von habet ist unzulässig; velit ist transitiv in dem Sinne “verlangen nach” gebraucht, vgl. v. 21 (s.u.).

17 f. Vix tibi quae natum sacro de fonte levavit,/ Vix sacra vixque soror, vix tua tuta parens. In der Übersetzung fehlt das zweite Glied der Aufzählung ( sacra).

21 f. Tu tibi vis igitur tota quid mingit in urbe,/ Ille sibi tota quicquid in urbe cacat. Will man dem Dichter nicht unterstellen, den Unterschied zwischen quid und quod nicht gekannt zu haben, wird man in V. 21 quid in quod verbessern müssen; der Influenzfehler ist angesichts von quicquid in V. 20 und 22 nicht überraschend.

I 10 Überschrift: maledicum „Lästerer“, nicht „cursed“ (das hieße maledictum), was durch den Inhalt des Gedichtes vollauf bestätigt wird.

I 15, 22 et pepulit mentula tenta deam „and his swollen cock drove the goddess away“. pepulit eher “traf” als “vertrieb” (der sachliche Zusammenhang ermöglicht beides). Es gibt keinen besseren Kommentar als das gegen den Hermaphroditus gerichtete Gedicht des Porcellio Pandoni (180, v. 23 s.) nunc ille vel illa/ Materia ad (Metrik?) inguen, dive Priape, tuum.

I 38, 11 f. At via declivis fieri planissima possit,/ Sentiat et gressus semper amica tuos “May the road leading down become as smooth as possible, and may your girlfriend always hear your footsteps”. Falls das gemeint wäre, würde man zu Anfang des Pentameters Audiat statt Sentiat erwarten. Wahrscheinlich ist via weiter Subjekt und amica als Prädikativum zu via zu verstehen.

13 f. Etsi dulce canas, possit vox ipsa videri/ Dulcior. Da die neuen Wünsche stets mit einem “und” eingeleitet werden, wird man Et si statt Etsi schreiben (so Forberg); ebenso wohl auch in I 26, 3.

I 39, 1 f. Est qui me coram meque et mea carmina laudet/ Et me clam laniet, meque meosque sales “There’s a man who publicly praises me and my songs,/ And savages me privately, both me and my wit”. Übersetzung wie Interpunktion ignorieren, daß im Hexameter wie im Pentameter das jeweils erste me als Akkusativ oder Ablativ zu coram bzw. zu clam gehört. Der Gegensatz ist nicht „öffentlich – privat“ sondern „in meiner Gegenwart – in meiner Abwesenheit“. Dementsprechend ist auch das Komma hinter laniet zu streichen.

II 1, 3 f. Malles, posthabitis iam iam lusuve iocove,/ Clausissem forti strenua bella pede „Now that games or jokes have been put aside, you would prefer …“. Der Dichter hat de facto zu Beginn des zweiten Buchs des Hermaphroditus seine Spielereien eben noch nicht ad acta gelegt (vgl. 19 ludicra condo); der Ablativus absolutus, den Parker durch Kommata absetzt, gehört in Wirklichkeit zum Wunsch des Adressaten.

II 7, 4 ad usque ist als ein Wort ( adusque) zu schreiben.

II 9, 14 Sic sit versiculis gratia multa meis. Die Übersetzung „let that be the great grace of my verse“ (das hieße lateinisch Haec sit etc.) verkennt die Beteuerung: „sowahr meinen Verslein vielfache Gunst zuteilwerden möge“.

II 17, 13 Quem sacri vates voluere, est fama perennis „For him for whom the sacred poets have wanted it, there is eternal fame”. fama steht hier persönlich von demjenigen, der Gegenstand des Ruhms ist (vgl. OLD s.v. 7 c).

16 amicitias … pias nicht „your good friendships“, sondern „meine treuen Freunde”.

II 18, 6 Nescio quin speres nicht “I do not doubt that you should hope”, sondern “ich weiß nicht, warum Du nicht guter Hoffnung bist”.

II 21, 20 poenas has dabit ipse suas. Die Übersetzung „he will pay his own penalty” lässt has beiseite.

II 24, 1 Balbe, scias calidi quae sit sententia Lupi “Balbo, learn the opinion of clever Lupi”. calidi kann schon aus metrischen Gründen nicht für callidi stehen und bedeutet “lüstern” (OLD s.v. 9 a), was zum Fortgang des Gedichtes mindestens ebenso gut passt.

II 25, 13 Parcite moratam, superi, laesisse puellam „Gods above, cease to hurt the girl who is having a hard delivery“. Parker bezieht, wie auch aus 234 Anm. 100 hervorgeht, moratam auf eine verzögerte Niederkunft. Dies ist jedoch metrisch unmöglich, da die erste Silbe von morari „aufhalten“ kurz ist. Man wird hier moratam … puellam als „das wohlgesittete Mädchen“ verstehen müssen, vgl. OLD s.v. moratus 2.

23 quoniam dea sit tibi promptior. Setzt Parkers Übersetzung “so that the goddess might be even quicker” eine – nirgends verzeichnete – Konjektur quo iam statt quoniam voraus?

25 f. Nec dubito quin …/ Exsolvet … Ist nicht das klassischer Grammatik entsprechende Exsolvat (Variante gemäß Coppini) zu erwägen?

II 36, 9 Rodo nihil, rodit sed nostras inedia vires. Aus metrischen Gründen ist die bei Coppini verzeichnete Variante Rodo nihil, rodit nostras sed i. v. zu erwägen.

Zu den „assoziierten“ Texten:

ii, p. 136 cuius (sc. Catonis) legitur saepe mero caluisse virtus; Parker 248 Anm. 10 verweist auf Stellen aus Seneca, aber Poggio zitiert Hor. carm. III 21, 11 f. und ersetzt das auf eine mündliche Tradition verweisende narratur charakteristischerweise durch legitur.

vi, p. 152, v. 36: Nach in sacris ist starke Interpunktion zu setzen.

v. 41: Der Konjunktiv cernat in der Übersetzung nicht berücksichtigt.

v. 47 Collum quaeque suum meretrix supponat „Let each of his whores set up her own monument“. Es geht um die Beteiligung der Huren an Beccadellis Begräbnis, “jede soll ihren Hals unter (die Leichentrage) legen“.

p. 154, v. 62 futuator Druckfehler für fututor.

v. 71 Tolle ergo inferias nicht „Celebrate his funeral“, sondern (an Beccadelli selbst gerichtet) „da nimm also Deine Leichenfeier“.

xi, p. 166, v. 3: Es (Parker : Nec Handschrift N) quoque tam pulchro teneroque in corpore praestans;/ Quod rarum est, virtus mensque pudica manet. Besser schreibt man am Anfang Est und lässt die Periode bis virtus durchlaufen. Dann ergibt sich eine exakte Entsprechung zu v. 1 Est tibi forma decens, und die ersten beiden Distichen beginnen mit Est, die letzten beiden mit Sic.

xiii, p. 168, v. 15 Mox sese ad segetes pascuaque et arma recepit. Metrik? Mox sese ad segetes et pascua et arma recepit ?

xiv, p. 170, v. 1 Qui sine labe meam maculasti carmine vitam „You, who never made a mistake, have defiled my life with a poem“. sine labe gehört adnominal zu meam … vitam.

p. 172, v. 28 Hinc subit Stygias alter et alter aquas. Metrisch wie inhaltlich ist subi[i]t erfordert.

p. 174, v. 49 s. Si licet obscenos vexarim carmine mores,/ Non tamen obscena vita putanda mea est. Das syntaktisch überschüssige Si ist in ein die Folgerung aus der gesamten Argumentation ziehendes Si zu korrigieren ( Si wohl Influenzfehler aus v. 45).

xv, p. 176, v. 20 Sentinam excolui als Selbstaussage in dem fiktiven Grabepigramm nicht „I produced bilge water“, sondern konkreter „ich verherrlichte Abschaum“.

v. 21 s. Das Distichon ist syntaktisch eher mit dem Vorigen als mit dem Folgenden zu verbinden.

v. 25 Et Venerem in sanctam vocem vectare protervam nicht „And carry forth perverted Venus into holy song“, sondern „Und gegen die geheiligte Form der Liebe (die Ehe) meine freche Stimme zu erheben“.

v. 27 Quoque fides dictis sceleratis altior esset nicht „And to have my lyre sink deeper than mere infamous language“, sondern „Und damit man meinen abscheulichen Worten um so tieferen Glauben schenke“.

xvi, p. 178 v. 7 s. non haec sine numine divum/ Eveniunt (vgl. Verg. Aen. II 777 f.) als Parenthese zu schreiben.

p. 180, v. 27 s. Die fiktive Verteidigung des Beccadelli scheint sich auf dieses Distichon zu beschränken, mit v. 29 dürfte die höhnische Erwiderung darauf beginnen. Entsprechend ist zu interpungieren.

p. 184, v. 73 s. In diesem Schlussdistichon wird kaum der Adressat plötzlich gewechselt (Parker 258 Anm. 112), vielmehr richtet es sich ironisch weiter an Beccadelli, der seine göttliche Strafe durch sein eloquium und seine gravitas bestätigen soll.

xix, p. 188, v. 1 tingisque capillum „touch the boy’s long hear”. Übersetzt Parker tangisque ?

xx, p. 188, v. 9: nequam ist als Anrede an Beccadelli zu interpungieren.

xxi, p. 190, v. 11 s. Illum (sc. librum) pampinea limatum pumice fronde/ Deque suis hederis Euchius involuit „Polished with a vine leaf for pumice …“. Natürlich gehört nur pumice zu politum (gemäß Cat. carm. 1, 2), pampinea … fronde dagegen zu involuit, und die Präposition De steht ἀπὸ κοινοῦ.

p. 192, v. 15 Sacra Panhormigenae facimus dum carmina vati „As we perform the rites of the poet born at Palermo“. Parker übersetzt Sacra … facimus, ohne carmina zu berücksichtigen.

v. 38 Atque amor ardentes subderet usque faces “And love put out his burning torches utterly”. subdere … faces bezeichnet das exakte Gegenteil, das Nachschieben von Feuersglut.

v. 39: das Futur flectetur wird durch “have affected” nicht wiedergegeben.

xxiii, p. 196 in aliquo igitur numero fuit nicht „among this number was“, sondern „in einigem Range stand“ (vgl. OLD s.v. numerus 11 b).

p. 198 profitetetur Druckfehler statt profiteretur und reddisse statt reddidisse.