Das zu besprechende Buch stellt die auf bereits veröffentlichten[1] wissenschaftlichen Vorarbeiten basierende theologische Dissertation Brian Gronewollers dar. Darin untersucht Gronewoller, auf welche Art und Weise rhetorische Konzepte bzw. Elemente der rhetorischen Methodik Einfluss auf Augustins theologisches Denken genommen haben. Dieser Ansatz ist kein originell neuer, da bereits Arbeiten zur rhetorischen Beeinflussung augustinischer Theologie vorhanden sind[2]. Tatsächlich neu ist Gronewollers Konzept einer ‚rhetorischen Ökonomie‘ (r. Ö.), ein Begriff der erklärungsbedürftig ist und von Gronewoller im ersten Kapitel des Buches vorgestellt wird.
Mit r. Ö. bezeichnet der Autor das Konzept, Texte so zu gestalten, dass eine textimmanent logische Abfolge und ein innerer Zusammenhang der einzelnen Bestandteile erfolgt. Da Rhetorik im Kern immer die Überzeugung des jeweiligen Gegenübers zum Ziel hat, ist es für den Redner notwendig textimmanent und adressatenbezogen passgenaue Texte zu produzieren – eine Forderung die seit jeher Grundlage rhetorischer Arbeit und Ausbildung ist. Der Begriff Ökonomie (oeconomia) wird dabei bereits von Quintilian verwendet und bezeichnet die Erstellung eines passgenauen Textes hinsichtlich des argumentativen Arrangements im Gegensatz zur Erstellung eines passgenauen Textes hinsichtlich seiner sprachlichen Ausgestaltung, die von Quintilian als Redeschmuck (decor) bezeichnet wird. Gronewoller Grundlage für diese Festlegung und Akzentuierung des Begriffes oeconomia sind die Studien von Eden (K. Eden, Hermeneutics and the Rhetorical Tradition: Chapters in the Ancient Legacy an Its Humanist Reception, New Haven 1997) und Cameron (M. Cameron, Christ Meets Me Everywhere: Augustine’s Early Figurative Exegesis. New York 2012) sowie Quintilian selbst (Inst. 7.10.11-12). Leider wird nur in einer Fußnote auf diese Studien verwiesen und auch der Originaltext Quintilians nur der Stelle nach genannt. Für eine auch philologisch vollständig überzeugende terminologische Grundsteinlegung wäre in diesem Zusammenhang m. E. eine Analyse und Interpretation des Originaltextes sowie eine ausführlichere Darstellung der damit zusammenhängenden Forschungsmeinungen sinnvoll und nachgerade notwendig gewesen. Nicht zuletzt, da Quintilian den Begriff oeconomia auch an weiteren Stellen verwendet (Inst. 1,8,9; 1,8,17; 3,3,9)
Die Kernthese von Gronewollers Arbeit ist darauf aufbauend, dass Augustinus das Konzept der r. Ö., in seine Theologie übernimmt und dass dieses Konzept einen Einfluss auf Augustins theologisches Denken ausgeübt hat. Gronewoller stellt selbst richtigerweise dar, dass die Kenntnis von Quintilians rhetorischen Werken durch Augustinus philologisch nicht klar nachgewiesen werden kann (S. 16)[3], sodass auch Augustins Kenntnis des von Quintilian verwendeten Begriffes der oeconomia unbeweisbar bleibt. Fakt ist jedoch, dass Augustin als Rhetoriklehrer mit den Kerngegenständen rhetorischer Grundlagenschriften unabhängig von deren Überlieferungstradition über andere Autoren bestens vertraut war. Beispielsweise verwendet auch Sulpicius Victor, der Autor eines rhetorischen Schulbuches aus dem vierten Jahrhundert und damit ein Zeitgenosse Augustins diesen Begriff[4] Somit mag es legitim sein, dass Gronewoller durch den Begriff der r. Ö. die inhaltlich kohärente Machart eines Textes bezeichnet und richtigerweise nachweist, dass dieses Konzept erheblichen Einfluss auch auf Augustins theologisches Denken genommen hat.
Dementsprechend ist auch die Gliederung der Studie gestaltet, die nach der Klärung des Begriffes der r. Ö. und des aktuellen Forschungsstandes dieses Konzept zunächst an zwei Stellen eines Textes aus der Zeit von Augustins Konversion (De moribus ecclesiae catholicae et de moribus Manichaeorum) untersucht. Gronewoller führt darin bereits bestehende Forschungsergebnisse von Michael Cameron fort und kann zeigen, dass Augustinus schon in frühen Jahren das Konzept der r. Ö. verwendet, um die sinn- und planvolle innere Ordnung von Altem und Neuem Testament gegen manichäische Positionen zu verteidigen. Zudem zeigt er in diesem Zusammenhang an verschiedenen ausgewählten Textpassagen, darunter Texte aus Augustins Briefen, Contra Faustum Manichaeum, Enarrationes in Psalmos, Sermones und De libero arbitrio, Quaestiones evangeliorum, dass Augustinus auch als Theologe die Denk- und Arbeitsweise seiner Tätigkeit als Rhetor nicht abgelegt hat. In den von Gronewoller ausgewählten und besprochenen Textstellen wird dies daran deutlich, dass sich Augustin die Schöpfung als Buch und göttliches Handeln als Rede vorstellt. Wie der Autor eines Buches die einzelnen Kapitel passend zu einem geschlossenen Ganzen fügt und der Rhetor Wörter und Silben zu einer geschliffenen Rede zusammenstellt, so ordnet auch Gott in seinem Handeln Schöpfung und Geschichte zu einem vollendeten Gesamtbild. (S.55-60)
Im Anschluss an diese Grundsteinlegung folgt der zwei Drittel des Buches umfassende wissenschaftliche Kern der Studie, die das Konzept der r. Ö. in Augustins Theologie von Schöpfung, Geschichte und Theodizee zum Thema hat. Hinsichtlich der Schöpfungstheologie gestaltet sich die Verwendung von r. Ö. dadurch, dass Augustin die Göttlichkeit aller Lebewesen und Gottes planvolle Vorsehung in allen Bereichen des Lebens herausstellt. Gronewoller zeigt an Textstellen aus De Genesi contra Manichaeos, dass Augustinus seine Argumentation wieder durch rhetorische Denkmuster gestaltet, wenn er beispielsweise den manichäischen Vorwurf, nicht alle Elemente der Schöpfung seien als gut zu bezeichnen, unter Verwendung rhetorischer Darstellungsformen entkräftet. So beispielsweise durch die Metapher vom menschlichen Körper, der nur in der Gesamtheit seiner Glieder Schönheit besitzt, das einzelne Körperteil an sich, oder aber ein Körper ohne die Gesamtheit seiner Glieder als unvollständig und entstellt angesehen wird. Ein weiteres in diesem Zusammenhang von Augustin bemühtes Denkmuster ist wieder die Rede, die ihren Wert auch erst durch ihre Gesamtheit und nicht durch den Laut einzelner Silben erlangt. Diese ausgeglichene und von Gott bewusst gestaltete innere Ordnung der Schöpfung zeigt Augustin auch in De ordine, worin er, wie Gronewoller zeigen kann, r. Ö. durch die Thematisierung antithetischer Strukturen in der Schöpfung als argumentatives Konzept zur Darstellung bringt.
Im Folgekapitel untersucht Gronewoller den Einsatz von r. Ö. hinsichtlich Augustins Geschichtstheologie und kommt durch die Auswertung von Texten aus verschiedenen Lebensphasen Augustins zu dem Ergebnis, dass das Konzept der r. Ö. über seine gesamte Schaffenszeit für seine geschichtstheologischen Vorstellungen virulent war. Gronewoller zeigt dabei sechs Aspekte auf, in denen Augustins rhetorisches Denken nachweislich Einfluss auf theologische Sichtweisen genommen hat: bei der logischen Darstellung der göttlichen Vorsehung, bei der Begründung, warum der Mensch die Ordnung des geschichtlichen Ablaufs nicht wahrnehmen kann, bei der Demonstration der Schönheit und Göttlichkeit weltlicher Dinge, bei der Erklärung, wie Gott den Menschen in den historischen Gang der Welt einordnet, bei der Rechtfertigung der verschiedenen Formen der Verehrung im Alten und Neuen Testament und schließlich bei der Erklärung, wie Gott den nachweislich bösen Menschen in den Ablauf der Geschichte integriert.
Den Abschluss der Arbeit bildet die Untersuchung der Verwendung von r. Ö. in Augustins Theodizee. Es wird deutlich, dass Augustinus durch die Verwendung dieses Konzeptes zeigen kann, dass die göttliche Vorsehung sich über alle Dinge erstreckt auch über die Sünde, deren Urheber Gott ja gerade nicht ist. Die r. Ö. fungiert dabei als ein logischer Unterbau, durch den er den freien Willen als Quelle des Bösen darstellen kann, der aber dennoch der göttlichen Vorsehung unterworfen bleibt.
Gronewoller schafft es in seiner logisch aufgebauten, durchdachten und klar verständlichen Untersuchung den Blick der Forschung auf Augustins rhetorisches Denken in theologischen Zusammenhängen zu erweitern und zu schärfen. Durch die neue Begrifflichkeit „r. Ö.“ besteht dabei die Möglichkeit außerhalb von bedeutungsähnlichen Begriffen wie beispielsweise dem des aptum mit einem unbesetzten und damit trennscharfen Terminus zu arbeiten und diese Konzeption auch hinsichtlich weiterer Aspekte zu untersuchen, wie Gronewoller selbst in Aussicht stellt (S. 134).
Gronewoller bietet alle besprochenen Texte in einer gut verständlichen und selbst erstellten englischen Übersetzung an, was einem breiten internationalen Publikum die Rezeption seiner Thesen erleichtert. Für die theologische und vor allem philologische Forschungsgemeinde wäre die Angabe des lateinischen Textes in Fußnoten jedoch sinnvoll gewesen, um Gronewollers Argumentation immer auch im Original nachvollziehen zu können. Durch drei verschiedene Appendices bietet Gronewollers Buch am Ende eine kompakte Übersicht über alle verwendeten Werke mit lateinischem Originaltitel und entsprechender Abkürzung. Dies ist sinnvoll da im Text selbst die Werktitel ausschließlich in englischer Sprache angegeben werden. Die Bibliographie entspricht voll und ganz dem wissenschaftlichen Standard, vier Indizes (Bibelstellen, Augustinstellen, Stellen weiterer antiker Autoren, Namens- und Sachregister) ermöglichen eine unkomplizierte und schnelle Orientierung im Werk. Erfreulich ist, dass Gronewoller über die anglophone Forschungsliteratur auch deutsche, französische und italienische Studien berücksichtigt hat.
Resümierend bleibt festzuhalten, dass Gronewoller durch die durchdachten und gründlichen Untersuchungen von verschiedenen Texten Augustins eine bündige Fortsetzung und Ausweitung verbürgter Forschungsergebnisse gelungen ist. Ob sich die Begrifflichkeit der r. Ö. in der Forschung durchsetzen wird, wird die Zukunft zeigen.
Notes
[1] „Rhetorical Concept of Oeconomia into His Scriptural Hermeneutic,” AugStud 47, 1 (2016); „Augustine’s Utilization of Rhetorical Economy in His Early Theology of Creation (On Genesis against the Manichaeans 1.21.32),” VC 74, no. 3 (2020).
[2] darunter z.B. R. Dodaro, Christ and the Just Society in the Thought of Augustine, Cambridge 2004; Paul R. Kolbet, Augustine and the Cure of Souls: Revising a Classical Ideal, Notre Dame 2010; Lutz Mechlinsky, Der modus proferendi in Augustins sermones ad populum, Paderborn 2004), C. Tornau, Zwischen Rhetorik und Philosophie: Augustins Argumentationstechnik in “De civitate Dei” und ihr bildungsgeschichtlicher Hintergrund, Untersuchungen zur antiken Literatur und Geschichte, Berlin 2006, P. Günzel, Christologie im Kontext. Zur rhetorischen Struktur christologischer Texte bei Augustinus von Hippo, Würzburg 2019.
[3] Tatsächlich wird Quinitlian von Augustinus nie direkt zitiert. Lediglich ein indirektes Zitat in ep. 118.22 macht Augustins Kenntnis von Quintilians institutio oratoria überhaupt erst nachweisbar.
[4] Sulpicius Victor 14.