Bei der vorliegenden Untersuchung handelt es sich um eine Dissertation, die an der Philipps-Universität Marburg bei Heide Froning entstand und im Jahr 2006 eingereicht wurde. Die Idee zu diesem Thema beruhte auf dem Umstand, dass alle bekannten Fundorte der Oinochoen des Formtypus VII – sowohl der attischen als auch der italischen – auf etruskischem Siedlungsgebiet liegen. Eine genaue Analyse der Umstände, die die Produktion dieser Gefässform während des 5. und 4. Jhs. v. Chr. bedingten, sollte Klarheit in das Phänomen von „Produktion und Rezeption im Spannungsfeld zwischen Attika und Etrurien“, so der Untertitel, bringen.
Am Beginn der Analyse in Kapitel I steht, nach einem Abriss der Forschungsgeschichte, eine Formbestimmung des Gefässtypus der Oinochoe Typus VII,1 wobei in Absetzung zu anderen Kannenformen, vor allem der sog. Plumpen Kanne, eine Typologie festgeschrieben wird (Terminologie: S. 31 Abb. 2). Unterschieden werden im Verlauf der Produktionszeit vier verschiedene Untertypen (S. 35 Abb. 4), die sich entweder durch ihre Bauchform (VII-1: eiförmig; VII-2: zum Boden hin eingezogen) oder aber durch das Vorhandensein von Henkelarmen (A: mit; B: ohne Henkelarme) definieren. Den Schluss des Kapitels bildet erfreulicherweise eine Beschreibung des Herstellungsvorganges hauptsächlich der 40 attischen Oinochoen dieses Formtyps, die Grundlage und Ausgangspunkt der Untersuchung bilden.
In Kapitel II kommt die Autorin auf Basis einer Stilanalyse, bei der das handwerkliche Entstehungsmilieu, also die Verbindungen der einzelnen Vasenmaler untereinander rekonstruiert werden, zu einer Chronologie für die attischen Kannen, die von 470 bis ca. 400 v. Chr. reicht (Werkstatt- und Malerzusammenhänge: S. 76-78 Tabelle A-C). Dabei lässt sich auch bezüglich der Bildkomposition eine progressive Entwicklung feststellen, die von der Verteilung zweier Figuren auf dem Hauptbild zu Beginn der Entwicklung über die Einbeziehung der Halszone in den figürlichen Dekor bis hin zu mehrfigurigen Darstellungen über einem ornamentierten Band (Mäander, Eierstab) reicht.
Die Formentwicklung ist Inhalt des III. Kapitels, auf deren relativchronologischer Basis erst in einem zweiten Schritt die Verbindung mit der Stilabfolge erfolgt. Eine besondere Rolle spielt dabei die Entwicklung hin zur Form der Oinochoe VII. Während die Oinochoe X als Vorgänger für die Oinochoe VII ausgeschlossen werden konnte, erwies sich die sog. Plumpe Kanne, eine etruskische Form (in Impasto oder Bronze ausgeführt), als Anregung für die Entwicklung des Formtypus VII, auch wenn die Richtung der Einflussnahme nicht bis ins Letzte geklärt werden konnte.
In Kapitel IV steht die Rezeption dieses attischen Gefässtypus in Etrurien im Vordergrund, wobei auf Basis der genauen Fundstellen in den Gräbern ihre Funktion im neuen kulturellen Umfeld diskutiert wird. Die Fundorte bieten darüber hinaus die Möglichkeit, Veränderungen der Handelswege und Handelsmechanismen im Verlauf der 1. Hälfte des 5. Jhs. v. Chr. zu beobachten, wobei für die Autorin die Verlagerung der Fundstellen von der Tyrrhenischen (Etruria propria und Etruria campana) hin zur Adriatischen Küste (Etruria padana) ein Ausdruck sich wandelnder Handelsinteressen Athens bezüglich bestimmter Waren (Bernstein, Weizen etc.) ist. Ausserdem konnte nachgewiesen werden, dass die bereits von Donati2 aufgestellte These, die Oinochoen Typus VII seien in Attika ganz gezielt für den Export hergestellt worden, tatsächlich zutrifft. Damit steht sie in einer Reihe unter anderem mit den sog. Nikosthenischen Amphoren und den Kyathoi,3 die aus demselben Grund in Attika im letzten Drittel des 6. Jhs. v. Chr. hergestellt und nach Etrurien exportiert wurden. Die jüngeren Produkte aus der Etruria Padana treten dabei oft paarweise auf. Diese Paare waren jeweils durch ihre Thematik verbunden und – da sie meist auch noch durch ein und denselben Vasenmaler bemalt worden waren – ist auch noch davon auszugehen, dass sie bereits als Paar konzipiert wurden. Ein Verstorbener brauchte aber das Kannenpaar nicht für sich alleine, sondern auf Basis der Grabkammermalerei ist bezüglich der etruskischen Jenseitsvorstellungen davon auszugehen, dass der Verstorbene von seinen Ahnen im Jenseits in Empfang genommen wird. Ein Oinochoenpaar aus einem Grab bei Vulci stammt dabei sicher aus dem Besitz und der Verwendung einer Frau (Ravuntu, S. 124-125) .
Die Rezeption der Bildthemen in Etrurien erfolgte durchaus differenziert, wobei die Autorin versucht, den attischen Themen etruskische Interpretationen gegenüberzustellen. Dabei stellte sich heraus, dass bestimmte Motive direkt verstanden wurden, da einige Mythen offenbar in Etrurien ausreichend bekannt waren (etwa Odysseus und Kirke oder die Amazonen), allerdings mit einem deutlich geringeren Spektrum: die Amazonen in Verbindung mit den Helden Theseus oder Achilleus spielten kaum eine Rolle, im Gegensatz zu Amazonen mit Herakles oder vor Troja. Die Autorin geht davon aus, dass die Amazonen der Lebenswelt der etruskischen Frauen, die eine aktivere Rolle im gesellschaftlichen Leben einnahmen, näher standen. Da keine Kannen mit ausschliesslich etruskischen mythischen Themen erkannt werden konnten, ist es äusserst unwahrscheinlich, dass es sich bei diesen Produkten um Auftragswerke gehandelt haben könnte. Die Thematiken wurden also in den attischen Werkstätten für ihren Zielort bzw. für die etruskische Kundschaft ausgewählt. Viele der Bildthemen lassen dabei den Schluss zu, dass diese Oinochoai faktisch von Frauen verwendet wurden, was auch durch die Fundkontexte gestützt wird.
Kapitel V nimmt nun die italischen Produktionen der Oinochoe VII ins Blickfeld, also die etruskischen (11 Stück) und faliskischen (13 Stück) Gefässe dieser Form, die im letzten Viertel des 5. und im Verlaufe des 4. Jhs. v. Chr. entstanden sind. Nicht nur formal, sondern vor allem in der Motivwahl stehen die etruskischen Kannen mit aufgemaltem Dekor in direkter Abhängigkeit zu den attischen Vorbildern, etwa durch die Eule auf dem Hals. Obwohl auch in attischer Formabhängigkeit stehend, ist bei den faliskischen Stücken, deren Anzahl wohl aufgrund der Übernahme einer neuen Funktion stark anstieg, indigener Einfluss in Bezug auf die Wahl der Ornamente und deren besonders enge Anordnung erkennbar.
In Kapitel VI wird – nach einer Diskussion der Maler, Werkstätten und ihrer Verbindungen untereinander – die Funktion der spätetruskischen und spätfaliskischen Kannen untersucht. Anhand der Fundkontexte ergab sich eine Erweiterung, da die italischen Kannen VII nicht nur im sepulkralen Kontext (hier sowohl in Frauen- als auch in Männergräbern), sondern auch im Alltag (Funde in Häusern: Roselle, Artena) und bei religiösen Handlungen, sowohl während des Opfers als auch zur Weihung (Funde in Heiligtümern: Pyrgi, Veji, Artena, Segni) verwendet wurden. Eine besondere Verbindung zur Frauenwelt ist also nicht mehr festzustellen, das Verwendungsspektrum hat sich massgeblich erweitert, und auch die Grösse der Gefässe spielte eine wichtige Rolle, wie an den unterschiedlichen Formaten, darunter auch Miniaturgefässen, abzulesen ist.
Am Ende der Zusammenfassung widmet sich die Autorin noch dem Vergleich der Oinochoe VII mit anderen attischen Vasen, die auch speziell für den Export produziert worden sind, allen voran die Oinochoe Form VI („mit Bauchknick“), die in den auf etruskischem Boden befindlichen Museen in verschiedenen Ausführungen anzutreffen sind.4 Leider wurden die Analysen zur Oinochoe Typus VI nur in Ausnahmenfällen publiziert (S. 232-233).
Ergänzt wird das Werk durch Kataloge, und zwar den der attischen Oinochoen des Typus VII (S. 237-257: Kat. A.1-A.40), den der frühitalischen Kannen dieses Typus (S. 259-263: I etruskisch aufgemalt, Kat. E.a.1-E.a.11; S. 263-269: II frühfaliskisch, Kat. FF.1-FF.13), sowie eine Liste ausgewählter spätetruskischer und spätfaliskischer Oinochoen des Typus VII-2 (S. 271-285), die stilistisch nach Vasenmalern bzw. Gruppen geordnet sind. Abgeschlossen wird die Untersuchung durch listenartige Übersichten der genannten Kataloggruppen, mit einer englischen und einer italienischen Zusammenfassung, einem alphabetischen Museumsverzeichnis sowie 12 Tafeln mit Zeichnungen und 55 Tafeln mit Abbildungen.
Obwohl Chr. Reusser in seiner Habilitationsschrift die Kannenform VII nicht berücksichtigte (S. 17 Anm. 5), stimmen die hier erzielten Ergebnisse in hohem Masse mit den elf Thesen5 überein, die Reusser bezüglich einer neuen Denkweise für eine Deutung der auf etruskischem Boden gefundenen attischen Vasen aufstellte. Puritani kann das Vorkommen und demnach auch den Gebrauch attischer Keramik in Etrurien auch in Häusern und Heiligtümern (These 1) bestätigen, die keineswegs von Anfang an für den Gebrauch im Grab bestimmt waren (These 2). Attische Vasen finden sich in Etrurien auch in kleineren Siedlungen und Gehöften (These 3), sie wurden also von breiten Bevölkerungsschichten, nicht nur der Elite, benutzt (These 4). Daraus wird geschlossen, dass sie in Etrurien weder als Kunstwerke noch als Luxusware betrachtet wurden (These 5). Nachgewiesen hat die Autorin auch, dass die attischen zusammen mit einheimischen Gefässen Ensembles bilden konnten (These 6). Nicht nur ihre Form war entscheidend, da sie eine Funktion im Alltag erfüllen sollten (These 7), sondern auch ihre Bilder waren bedeutsam, wurden verstanden oder aber mit eigenen Vorstellungen verbunden (These 8). Attische und etruskische Gefässe hatten bei bestimmten Anlässen eine präzise Funktion zu erfüllen, nicht nur bei Bestattungen (These 10). Durch die zu besprechende Untersuchung konnte auch bestätigt werden, dass der wichtigste Anlass für die Verwendung attischer Gefässe das Symposion darstellte (These 11), und zwar in privatem, öffentlichem, religiösem oder sepulkralem Rahmen. Einzig angezweifelt werden kann die 9. These: Sie besagt, dass die zeichnerische Qualität oder aber Verbindung mit einem einzelnen Handwerker für die Etrusker keine Rolle spielte. Wie Puritani aber in Kapitel IV nachweisen konnte, stammen von den paarweise ins Grab gelegten Kannen auffällig viele Paare von einem Vasenmaler. So lässt sich festhalten, dass die von Reusser sieben Jahre zuvor vorgelegten Thesen für die Gesamtheit der attischen Vasen, die auf etruskischem Siedlungsgebiet gefunden wurden, einer Überprüfung durch die Detailuntersuchung der Kanne Typus VII in überwiegendem Masse standgehalten haben.
Bei der vorliegenden Untersuchung ist – neben der sehr geringen Anzahl von Tippfehlern—eine sehr systematische Vorgehensweise (Vorwort S. 18) zu begrüssen, die zudem einen didaktischen Effekt besitzt. Auf Grund der zu bewundernden Tatsache, dass die Autorin diese Dissertation nicht in ihrer Muttersprache verfasst hat, fallen Redundanzen bei der ansonsten klaren Ausdrucksweise kaum ins Gewicht. Als Desiderat allerdings muss das Fehlen von Verzeichnissen bzw. Indices angesprochen werden, da die hier vorhandenen Kataloge, Tabellen oder auch das Museumsverzeichnis nicht genügen, um sich schnell im Buch zurechtzufinden. Ein Stich- oder Schlagwortverzeichnis, in deren Lemmata sich etwa die Ornamentik, die Themen der figürlichen Bemalung oder auch die einzelnen Vasenmaler wieder gefunden hätten, hätte die Praktikabilität des Werkes deutlich erhöht. Die grösstenteils von der Autorin selbst angefertigten Zeichnungen und die erfreulich grosse Zahl an Photographien auf den Tafeln veranschaulichen den Text und seine Argumentationsweise.
Dieses Buch zeigt auf eindrucksvolle Weise die Vernetzung des griechischen Mutterlandes mit dem etruskischen Kulturbereich am Beispiel einer von der Anzahl her eng begrenzten bemalten Keramikgefässgattung. Überzeugend ist bei diesem Werk, dass methodisch sauber gearbeitet wurde und daher den auf diesem Wege erzielten Resultaten nicht nur vertraut, sondern auch auf ihnen aufgebaut werden kann. Hoffentlich dient diese Untersuchung dazu, den bislang vernachlässigten Aspekt der „Akkulturation“ auch an weiteren Gefässformen durchzudeklinieren, z. B. an dem oben genannten Kannentyp VI oder an der Oinochoe Typus IX, von der ebenfalls sowohl in Attika als auch in Etrurien hergestellte keramische und metallene Exemplare bekannt sind.
Notes
1. Die Numerierung der Oinochoen geht auf J. D. Beazley zurück: J. D. Beazley, Attic Red-Figured Vases in American Museums (Cambridge, Mass. 1918) 201; J. D. Beazley, Attic Black-Figure Vase-Painters (Oxford 1956) XI-XII. Verweis auf die Abbildung: G. M. A. Richter – J. J. Milne, Shapes and Names of Athenian Vases (New York 1935) Abb. 132.
2. L. Donati, „Dalla Plumpe- alla Schnabelkanne nella produzione ceramica etrusca,“ in: G. Maetzke (Hrsg.), La civiltà di Chiusi e del suo territorio, Atti del XVII convegno di Studi Etruschi ed Italici, Chianciano Terme 1989 (Firenze 1993) 239-263.
3. V. Tosto, The Black-Figure Pottery Signed ΝΙΚΟΣΘΕΝΕΣΕΠΟΙΕΣΕΝ (Amsterdam 1999) 17-92 (Amphorae). 94-102 (Kyathoi).
4. Die Rezensentin sah in diesen Museen auch eine keramische Version mit gelbem Überzug, die im allgemeinen als der Versuch einer Kopie eines Gefässes aus Gold gedeutet wird.
5. Chr. Reusser, Vasen für Etrurien. Verbreitung und Funktionen attischer Keramik im Etrurien des 6. und 5. Jahrhunderts v. Chr. Bd. 1 (Zürich 2002) 204-206.