Gegenstand der Untersuchung ist eine Erzählung, die sich nur im dritten Evangelium findet: Während bei Markus und Matthäus beide „Räuber“ an der Seite des gekreuzigten Jesus diesen ebenfalls verspotten, nimmt bei Lukas der eine „Verbrecher“ Jesus in Schutz, erklärt seine Unschuld und bittet ihn, seiner zu gedenken, wenn er in sein Reich kommt, was Jesus mit der Verheißung beantwortet: „Amen, ich sage dir, heute wirst du mit mir im Paradies sein“.
Dieser Text wird im ersten Teil zunächst als Ausdruck der spezifischen lukanischen Theologie gedeutet, wobei allerdings nicht alles in gleicher Weise einleuchtet. So geht der Autor zu eindimensional von einem „Roman-sympathizing sentiment of Luke-Acts“ aus, dass er auch ohne Beachtung anderer lukanischer Texte für die Erwähnung des Paradieses verantwortlich macht, durch das die potentiell aufrührerische frühchristlich-apokalyptische Eschatologie ersetzt werden solle. Auch manche literarkritische Voraussetzung – etwa dass das vom Ende des 2. Jahrhunderts stammende Petrusevangelium eine ältere mündliche Vorstufe zu der behandelten Perikope biete – ist fraglich. Aber darauf soll jetzt nicht näher eingegangen werden: Der Schwerpunkt der Monographie liegt in dem, was der Untertitel andeutet: in der sorgfältig recherchierten und ausgelegten Rezeptionsgeschichte dieser Perikope in der alten Kirche (bis ca. 450 n.Chr.).
Dabei wird im zweiten Unterabschnitt zunächst dargelegt, ab wann man von einer Rezeption der Perikope sprechen kann, und die einschlägigen Zeugen werden diskutiert. Festen Boden betritt man nach Bilby erst ab dem Ende des 2. Jahrhunderts mit Tatian, Tertullian, Hippolyt und Origenes.
Ein zweiter Hauptteil widmet sich der Frage, wie mit den Widersprüchen (controversies) in der biblischen Überlieferung umgegangen wurde. Hier werden die verschiedenen Lösungsvorschläge dargestellt, mit denen man die Evangelien trotz der offenkundigen Spannung zwischen ihren Berichten zu harmonisieren suchte (etwa dass die synoptischen Seitenreferenten Markus und Matthäus trotz des Plurals nur einen lästernden Räuber meinten, dass der andere Räuber zunächst mitlästerte und sich dann aufgrund der kosmischen Zeichen bekehrt hat etc.). Hier deutet sich schon an, was die ganze Darstellung bestimmt, dass diese Auslegungen alles andere als naiv sind, dass sie vielmehr innerhalb ihres Denkens sehr originelle und komplexe Antworten geben.
Ein weiteres Kapitel widmet sich den Dissonanzen in den eschatologischen Vorstellungen: Wie passen die Auferstehung nach drei Tagen und das kommende Reich Gottes zur Vorstellung eines Paradieses, in das man direkt nach dem Tod eingeht? Hier wie schon zuvor gibt Origenes die wichtigsten Interpretationsrichtungen vor, indem er etwa die Auferstehung als einen Prozess deutet, dessen erste Stufe das Paradies ist, Deutungen, an denen sich auch die Gegner des großen Alexandriners wie Eustathius abarbeiten müssen.
Der letzte und mit Abstand längste Hauptteil ist mit „Themes“ überschrieben. Er zeigt, welche Deutungen mit dem reuigen Verbrecher verbunden werden. Die erste, die wieder auf Origenes zurückgeht, sieht in ihm die Christen repräsentiert, eine Deutung, der dann Ephrem in seinen Hymnen besonders intensiv Ausdruck verlieh. Origenes und Chrysostomos schlagen eine Brücke zur paulinischen Theologie und sehen in ihm sogar einen allein durch Glauben Gerechtfertigten. Das kann noch polemisch ausgeweitet werden, indem der andere weiterhin lästernde ‚Schächer‘ mit Gegnern (besonders den Juden) identifiziert wird, während der Verbrecher zur Rechten Jesu, der dessen wahre Würde bekennt, sich als Glaubender erweist, ja nachgerade zu einem von Gott selbst belehrten Philosophen, zum „Lehrer am Kreuz“ (Chrysostomos) wird. Als solcher kann er dann sogar den Jüngern Jesu entgegengesetzt werden, welche (allen voran Petrus) ihren Meister verleugnet haben. Eine Variante dieser Deutung sieht im Verbrecher das Vorbild des Konvertiten.
Wieder in eine andere Richtung weist die Deutung der Episode bei Augustin in seiner Auseinandersetzung mit den Donatisten, bei der es auch um die Frage ging, inwieweit die Taufe unerlässliche Bedingung für das Heil ist – was beim Schächer ja gerade nicht der Fall zu sein scheint. Es gibt dafür eine Reihe von Lösungsversuchen: Er habe stattdessen eine Bluttaufe empfangen (was wiederum zu eigenen Problemen führt, wie ausführlich gezeigt wird, da auch ‚Ketzer‘ das Martyrium erleiden), er habe ersatzweise durch das Wasser aus Jesu Wunde (wie es die Johannespassion darstellt) die Taufe empfangen, ja es wird sogar die Möglichkeit einer vorherigen Wassertaufe diskutiert.
Wieder eine andere Deutungslinie konzentriert sich auf den reuigen Sünder, der in eine Linie mit anderen solchen, wie der Sünderin in Lk 7 oder dem Oberzöllner Zachäus in Lk 19, gestellt wird. Auch hier ist wiederum Origenes der erste, welcher den Schächer als Modell für Buße und Umkehr empfiehlt, mit dem sich dann (v.a. in der syrischen Tradition) die Beter identifizieren können. Ein Sonderproblem, das zu langen und intensiven Debatten geführt hat, ist in diesem Zusammenhang die „last-minute conversion“ und der entsprechende friedliche Tod (besonders wenn die Umkehr nicht mehr durch Taten bestätigt wird). Aufgrund seiner Reue kann der Verbrecher dann sogar in Verbindung mit Gen 3 zum Antitypus Adams werden: Wurde der erste Mensch aus dem Paradies vertrieben, so kann der umkehrende Verbrecher wieder zurückkehren. Ephrem ist der erste, der in ihm dann sogar den zweiten Adam sieht, der nun von Christus, dem wahren Lebensbaum, zu seinem Heil isst (bzw. wenn Christus der zweite Adam ist, dann ist er der ‚zweite zweite Adam‘). So oder so wird er zu einer zentralen Gestalt der Heilsgeschichte, der sogar die Schlüssel des Paradieses übergeben werden können. Das kann sogar in Übereinstimmung mit seiner früheren Beschäftigung gesehen werden: Der Einzug in das Paradies ist dann der letzte Raub des Räubers, der allerdings – im Gegensatz zu der geraubten Frucht Adams – durch den Glauben geschieht.
Stärker christologisch orientiert ist die Interpretation, die in der Kreuzigungsszene einen Versuch Satans sieht, Jesus durch die Gesellschaft der Verbrecher zu diskreditieren. Diesen Versuch durchkreuzt Jesus durch die Bekehrung des Verbrechers, so dass nun schon am Kreuz seine überlegene Macht sichtbar wird. Indem er am Kreuz dem Satan einen Anhänger raubt, erweist er sich als Sieger.
Zuletzt wird noch gezeigt, wie der Text in der Spätzeit v.a. im Osten in die Lektionare eindrang, aber auch im Westen bei Karfreitags- oder Osterpredigten präsent war. Das wiederum führte zu einer ausgedehnten Legendenbildung, die bisweilen auch den anderen Räuber mit einschloss.
Es ist das unzweifelhafte Verdienst dieser Studie, anhand der Rezeptionsgeschichte eines einzigen Textes gezeigt zu haben, welche Vielfalt und auch theologische Originalität die patristische Exegese auszeichnet. Auch für den modernen Interpreten ist es immer wieder faszinierend, welche Facetten einem Text abgewonnen werden können und wie dies seine eigene Ratio hat.