In seiner programmatischen Einleitung Weltwissen vor Kolumbus (S. 1–6) führt Justus Cobet ins gleichnamige Thema des vorliegenden Bandes ein. Inhaltlich liegt der Fokus, da sich die Reihe Periplus ja vornehmlich der aussereuropäischen Geschichte widmet, immer wieder auf den Grenzen bzw. den Gebieten jenseits Europas; es wird jedoch völlig zu Recht betont, dass es sich – abgesehen von den Muslimen – stets um eine europäische Sichtweise handelt. Zeitlich spannt sich der Bogen von den griechischen Anfängen, über die römische Zeit und das europäische Mittelalter, bis hin zur Schwelle der Neuzeit. Die Aufsatzsammlung scheint diesem chronologischen Ordnungsprinzip zu folgen.
Im ersten Aufsatz mit dem Titel Die Horizonte der antiken Oikumene: eine Vorgeschichte zu Kolumbus (S. 7–34) gibt der Herausgeber eine knappe Übersicht über das antike Weltwissen von den Anfängen bei Homer bis in die Spätantike. Der Erzählstrang ist hierbei ein doppelter: zunächst werden die chorographischen (länderkundlich beschreibenden) Quellen präsentiert, danach folgen die geographischen (mathematisch berechnenden). Eingestreut sind immer wieder ethnographische Informationen, wobei der Schwerpunkt bewusst auf dem östlichen Asien liegt, denn dieses Gebiet dient als Anknüpfungspunkt für den abschliessenden Absatz über die Entdeckung der Neuen Welt durch Kolumbus und seine Nachfolger.
Sehr informativ ist der Beitrag von Eckart Olshausen Der Periplus zwischen Seehandbuch und Literatur (S. 35–57). Auf eine allgemeine Einleitung folgen eine Übersicht von gut zwanzig in einem Periplus zu erwartenden geographischen oder nautischen Elementen sowie eine Auflistung von ebenso vielen Kriterien, die bei einem Arbeitsvorhaben zur Entwicklung des literarischen Genres Periplus zu berücksichtigen wären. Eine grosse Hilfe für die zukünftige Forschung wird zweifellos der in fünf chronologisch angeordnete Gruppen eingeteilte Katalog der insgesamt 47 überlieferten Periploi darstellen, der zudem die wichtigsten bibliographischen Informationen für jedes Lemma enthält.
In bewährter Manier fasst Johannes Engels Strabons Weltbild, seine Horizonte und die Ränder der Oikumene (S. 58–75) zusammen. Anhand einer Untersuchung von Strabons geographischem Horizont zeigt der Autor zunächst, dass der grösste Teil von Strabons Weltbeschreibung nicht auf Autopsie beruht, sondern angelesen ist, was in starkem Kontrast zur teilweise dünkelhaften Geringschätzung seiner Quellen steht. Der zweite Teil des Aufsatzes befasst sich dann mit Strabons Bild der Oikumene bzw. seiner Ränder und Randvölker, das im Wesentlichen durch das Alexanderreich und das römische Imperium beeinflusst ist.
Der Beitrag von Klaus Geus „wie man beim Fehlen einer Kartenvorlage nur anhand des Textes eine Weltkarte sehr leicht herstellen kann“: Die Darstellung der Oikumene bei Klaudios Ptolemaios (S. 76–91) gibt anhand von ausgewählten Textbeispielen einen fundierten Einblick in die Methoden zur Konstruktion der ptolemäischen Karten. Er vermittelt zwar für den Experten insgesamt wenig neue Erkenntnisse, ist aber – wie der Autor in der Einleitung selbst anmerkt, aber nicht näher ausführt – gegenüber früheren Beiträgen „in zwei wesentlichen Punkten“ aktualisiert worden.
Völlig neue Aufschlüsse bietet hingegen der Aufsatz von Michael Rathmann Die Tabula Peutingeriana und die antike Kartographie (S. 92–120). Mit einer fundierten Darstellung der Wurzeln der antiken Kartographie in den ionischen Schulen des 6. Jahrhunderts vor Christus und ihrer weiteren Entwicklung wird erklärt, welches die Grundlagen der beiden Disziplinen Chorographie und Geographie sind, die sich spätestens im Hellenismus ausbilden. Während bislang für die Geographie eine kleine Anzahl von antiken (Welt-)Karten mehr oder weniger gut belegt war, ist ein solcher Beleg mit dem Artemidor-Papyrus erst kürzlich aufgetaucht. Das Neue an Rathmanns Aufsatz ist nun, dass er anhand eines Vergleichs des Papyrus mit der Tabula Peutingeriana erstmals auch inhaltliche Parallelen ziehen und für letztere eine bis in den Hellenismus zurückreichende „Urform“ ableiten kann.
Die folgenden Beiträge behandeln das mittelalterliche Wissen von der Welt: Der allgemein verständliche Text von Michael Oberweis Die mittelalterlichen T-O-Karten (S. 121–134) gibt zunächst einen schönen Überblick über die am weitesten verbreitete, durch Isidor von Sevilla vermittelte T-O-Karte. Das O steht für den vom Ozean umflossenen Erdkreis (orbis), mit eingeschriebenem T (Mittelmeer, Tanaïs, Nil), das die drei alten Kontinente voneinander trennt. Dass jedoch die bereits in der Antike etablierte Kugelgestalt der Erde trotz der scheinbaren Scheibenform der T-O-Karte während des ganzen Mittelalters bekannt war, und wie das T-O-Modell im Spätmittelalter allmählich verdrängt wird, zeigt der zweite Teil des Beitrags.
Um die Inhalte der T-O-Karten geht es im Aufsatz von Brigitte Englisch Alia pictura, in qua erat imago terrae in modum orbis comprehensa. Topographische „Realität“ und geographisches Wissen in den Mappae mundi des frühen und hohen Mittelalters (S. 135–165). Sie vertritt zu Recht die Ansicht, dass das abstrakte Grundschema sowohl in T-O-Karten wie auch in Zonenkarten bereits seit dem 8. Jahrhundert mit topographischen Informationen von antiken Autoren oder aus der Bibel angereichert wird; dies zeigt die Autorin an einigen Beispielen, zum Teil leider ohne Abbildungen Ab dem 11. Jahrhundert ist dann ein Bestreben erkennbar, sich vom starren Grundgerüst der Schemakarten zu lösen und vermehrt eigene topographische Elemente des eigenen Lebensraumes einzubringen. Die logische Weiterentwicklung führt dann zu den ab dem 13. Jahrhundert auftretenden Pilger- und Regionalkarten.
Ans „Arsch der Welt“ ( culo mundi) – so in der Einleitung S. 166 erwähnt – führt uns Thorsten Fischers Beitrag Europa und der ferne Norden. Wahrnehmungen und Vorstellungen im frühen und hohen Mittelalter (S. 166–182). Ausgehend von der bis ins 12. Jh. allgemein negativen Konnotation des Nordens untersucht der Autor zunächst die Quellen in der Vita Ansgari und in der Kirchengeschichte des Adam von Bremen, und geht dann auf die hochmittelalterliche Reisetätigkeit vornehmlich der isländischen Rompilger ein. Im Folgenden wird eine Reihe von interessanten isländischen Quellen, allen voran Snorri Sturluson, untersucht, die aber in den bekannten Mappae mundi keinen Niederschlag fanden.
Im Folgenden wird der Fokus auf die arabische Welt gelegt. Hannes Möhring befasst sich in seinem umfangreichen Aufsatz mit dem Interesse und Desinteresse mittelalterlicher Muslime an Land und Leuten in Europa (S. 183–230). Nach seinen Ausführungen ist das muslimische Desinteresse und die damit verbundene Geringschätzung der „Franken“, wie die Europäer verallgemeinernd bezeichnet wurden, in erster Linie durch kulturelle und religiöse Faktoren bedingt. Ein Gefühl der Überlegenheit, das durch die Barbarei der Kreuzzüge und dem weitgehenden Fehlen eigener Interessen bedingt war, hinderte die Muslime daran, zu erkennen, dass sie von den Europäern im Spätmittelalter kulturell, wirtschaftlich und technisch überholt wurden. Vor diesem Hintergrund zeichnet der Autor im Folgenden ein durch zahlreiche muslimische Quellen reich dokumentiertes und anschauliches Bild von Konstantinopel und Rom sowie, in den letzten beiden Abschnitten, von dem „Papst als Kalif der Christen“ (S. 209–220) und den „Franken der Kreuzzüge“ (S. 220–230).
Der kurze Beitrag von Detlev Quintern Die Weltkarte der Ma’am ūn-Geographen (S. 231–235) betont zu Recht deren Bedeutung für die arabische Kartographie. Allerdings verkennen seine, offenbar von der auf die arabische Wissenschaft fokussierte Sichtweise Fuat Sezgins beeinflussten Thesen entscheidende historische Fakten, wie zum Beispiel die zentrale Bedeutung der ptolemäischen Karten für die frühen arabischen Geographen.
Zum Abschluss des eigentlichen Thementeils des vorliegenden Bandes führt Felicitas Schmieder Nachdenken auf der Karte. Mappae Mundi als Spiegel spätmittelalterlichen Weltwissens (S. 236–257) in gewisser Weise den Beitrag von Brigitte Englisch fort. Sie beschreibt das Aufbrechen der festgefügten christlichen Weltbilder, die sich als Folge der Reiseberichte aus dem Fernen Osten im 12. und 13. Jahrhundert ergeben. Aufgrund dieser Schilderungen werden die Texte der Kirchenväter zunehmend in Frage gestellt; umgekehrt setzt mit dem Aufkommen des Humanismus ab dem 14. Jahrhundert eine Rückbesinnung auf die antiken Texte ein. Im Spannungsfeld dieser beiden Gegenpole stehen die Autoren der spätmittelalterlichen Mappae mundi, die das ihnen zur Verfügung stehende Material, beispielsweise Informationen von Portolankarten oder, durch arabische Karten vermittelt, aus der damals in Europa noch nicht bekannten ptolemäischen Geographie in ihre Karten einbauten. Diese prinzipielle Offenheit gegenüber Neuem ermöglichte erst die Entwicklung der modernen Kartographie, die auf den Karten mit dem endgültigen Aufbrechen der klassischen Oikumene in der zweiten Hälfte des 15. Jahrhunderts einsetzt.
Der unter der Rubrik Blick in die Forschung erschienene Beitrag von Hennig Melber (S. 258–267) befasst sich mit dem bislang offenbar nur unzureichend geklärten Absturz einer Maschine in der Nacht vom 17. zum 18. September 1961 über dem Kongo, bei dem der damalige UNO Generalsekretär Dag Hammarskjöld und weitere 15 Mitreisende ums Leben kamen. Der Autor bespricht zunächst einige neuere, anlässlich des 50. Jahrestages der Ereignisse erschienene Publikationen und kommt aufgrund des darin präsentierten Quellenmaterials, zum unausgesprochenen Schluss, dass die Ungereimtheiten bezüglich des Absturzes zumindest nicht kleiner geworden sind.
Es folgt ein umfangreicher Teil mit insgesamt 23 Buchrezensionen (S. 268–323), die hier nicht im Einzelnen angeführt werden können. Die meisten Publikationen handeln von kolonialgeschichtlichen Themen des 19. und 20. Jahrhunderts, mit einem Schwerpunkt in Afrika, aber auch mit Beiträgen zu Südamerika, Asien und Australien. Die verschiedenen rezensierten Bücher sind thematisch weit von den in diesem Band versammelten Beiträgen entfernt; wenn man sich aber die Titel und Inhalte der früher erschienenen Bände der Reihe Periplus ansieht, wird die thematische Auswahl der Rezensionen verständlich.
Eine kurze Liste mit Anschriften der Autoren (S. 324–326) sowie eine Vorschau (S. 327) auf den von Reinhardt Wendt herausgegebenen 24. Band der Reihe Periplus, mit dem Titel Der pazifische Ozean und die Europäer. Ambitionen, Erfahrungen, Transfers, rundet das alles in allem sehr informative und lesenswerte Buch ab.