Einzelstudien, die sich der Antikenrezeption widmen, untersuchen in der Regel entweder ein bestimmtes Medium wie einen Film, ein Buch oder ein Brettspiel in Bezug auf die Gesamtheit der dort gegebenen Bezüge zur antiken Welt, oder sie betrachten die Entwicklung der Rezeption einer konkreten Person, eines Wesens der Mythologie, einer Institution etc. im Rahmen eines bestimmten Zeitraums in ausgewählten Mediengattungen. Für das letztgenannte Vorgehen hat sich Ruby Blondell entschieden, die im vorliegenden Buch ihren Fokus auf die Darstellung der Helena in US-amerikanischen Film- und Fernsehproduktionen legt.[1] Das im Titel aufgeführte Wort „Hollywood“ ist dabei nicht geographisch gemeint, sondern sinnbildlich für die gesamte US-amerikanische Unterhaltungsindustrie zu verstehen.[2]
Im Vorwort äußert die Autorin zunächst einige grundlegende Gedanken über das Verhältnis zwischen Populärkultur und Antike, die letztlich auf die konkrete Thematik des Buchs hinauslaufen. Dabei ist von vorneherein ersichtlich, dass Blondell der Populärkultur[3] eine enorme Bedeutung für die bis heute anhaltende Präsenz der Antike bzw. konkret der griechischen Mythologie beimisst. So sagt sie dann auch in Bezug auf die im Zentrum der Untersuchung stehende Helena, dass sie zu den besonders bekannten Figuren der Antike zählt, ihr heutiges Bild allerdings auch stark von nachantiken Traditionen geprägt ist. In diesem Kontext sind sicherlich nicht zuletzt die vielzitierten und auf Helena bezogenen Worte des englischen Dichters Christopher Marlowe (1564-1593) zu nennen – „the face that launched a thousand ships“ –, die in dem hier zu besprechenden Buch immer wieder zur Sprache kommen.
Es folgen methodische Überlegungen, auf denen eine Vorstellung des weiteren Vorgehens der Untersuchung aufbaut. Hier ist festzuhalten, dass Blondell ihren Untersuchungsgegenstand auf Produktionen beschränkt, in denen Helena von Troja namentlich als solche bezeichnet wird, womit beispielsweise Filme und Serien ausgeklammert werden, in denen sich die Darstellung weiblicher Charaktere lediglich an Helena orientiert. Auf Basis der verbliebenen Werke setzt sich die Autorin zum Ziel, zu untersuchen, wie Helena zu unterschiedlichen Zeiten in der Populärkultur als Frau von übermenschlicher und durchaus auch bedrohlicher Schönheit wahrgenommen wird, wodurch das Buch neben seinem Fokus auf der Rezeption griechischer Mythologie auch einen Beitrag zur Geschichte der Schönheit leisten soll, der entsprechende Fallbeispiele von 1926 bis 2004 thematisiert.
Auf diese einführenden Überlegungen folgen drei größere Sinneinheiten, deren erste sich dem frühen Hollywood widmet und die wiederum in zwei Kapitel unterteilt ist. Unter dem Motto „Olympus Moves to Hollywood“ betrachtet Blondell in Kapitel 1 zunächst die Bedeutung weiblicher Schönheit in Bezug auf den männlichen wie auch weiblichen Blick jener Zeit (male & female gaze), bevor sie Bezüge zwischen griechischen Statuen und den Stars des frühen Films erläutert sowie die Bedeutung Helenas (und Aphrodites) für die damalige Schönheitsindustrie und die allgemeine Wahrnehmung von Schönheit vorstellt. In diesem Rahmen kommt wiederholt die Tendenz Hollywoods zur Sprache, Figuren aus dem Kontext der griechischen Antike mit einem nordeuropäischen Äußeren zu versehen (s.u.),[4] wobei in Bezug auf Helena oft auch eine Präsentation als „Vamp“ oder „femme fatale“ festzustellen ist.
Ein weiteres Thema dieses Kapitels kreist um die Schwierigkeit, die von Zeus gezeugte und aus einem Ei geschlüpfte Helena einem modernen Film- und Fernsehpublikum zu präsentieren. Denn während der aus heutiger Sicht problematische Umstand, dass Helena in der griechischen Mythologie für Paris ihre Tochter Hermione verlässt, leicht aus dem Drehbuch gestrichen werden kann, machen ihre überirdische Schönheit und der damit verbundene Status als schönste Frau der Welt die Wahl einer Schauspielerin für diese Rolle aus vielerlei Gründen zu einer durchaus anspruchsvollen Herausforderung (s.u.).
Wenn die Leserschafft des Buches an dieser Stelle den Eindruck gewonnen hat, dass der Fokus des ersten Kapitels lediglich partiell auf dem frühen Hollywood liegt, weil vieles des Gesagten sich ebenso auf spätere Zeiten bezieht,[5] wird dies von der Autorin am Ende des Kapitels bestätigt, wenn sie ihren bisherigen Äußerungen einleitenden Charakter zuweist und diverse Fragestellungen für die folgenden Kapitel formuliert.
Gleich im Anschluss geht es dann in Kapitel 2 in das Jahr 1927, in dem mit der heute nur noch fragmentarisch erhaltenen Komödie „The Private Life of Helen of Troy“ der erste Spielfilm erschien, der sich auf den Charakter Helena konzentrierte. Blondell stellt die lose auf dem gleichnamigen Roman (1925) basierende Handlung des Films, die Produktionsgeschichte, seine blonde Hauptdarstellerin María Corda sowie Werbekampagnen und das Medienecho vor, wobei die ungarische Schauspielerin auch in den Kontext anderer weiblicher Stars dieser Zeit und die US-amerikanische Flapper-Kultur eingeordnet wird.
Die zweite Sinneinheit des Buches wendet sich zwei Spielfilmen zu, die anders als „The Private Life of Helen of Troy“ den Mythos nicht komödiantisch und dementsprechend überzogen aufgreifen, sondern klassischen Monumentalfilmen mit antiker Thematik entsprechen. Den Anfang macht „Helen of Troy“ (1954), bei dem Blondell wie bei der Vorstellung des ersten Films ausführlich auf die Produktionsgeschichte, das Casting, die Filmhandlung, das Marketing sowie Rezensionen etc. eingeht, wobei immer wieder Einordnungen in die historischen Rahmenbedingungen der 1950er Jahre erfolgen. Bemerkenswert erscheint an dieser Verfilmung, dass sie die Geschichte aus einer weiblichen Perspektive zu erzählen versucht, dabei aber laut der Autorin an einer zu braven Darstellung der Titelheldin krankt, zumal auch die mit einer blonden Perücke versehene italienische Hauptdarstellerin Rossana Podestà aus mancherlei Hinsicht nicht die Erwartungen erfüllt, die ein Publikum an eine Helena von Troja richtet.
Nachdem Blondell mit den bisher vorgestellten Fallbeispielen Repräsentanten der beiden ersten großen Wellen des Antikfilms untersucht hat, kommen wir in Kapitel 4 mit Wolfgang Petersens „Troy“ (2004) zu einem Vertreter der durch „Gladiator“ (2000) ausgelösten dritten Welle. Auch hier geht die Autorin nach dem Schema der bisherigen Besprechungen vor, wobei sich „Troy“ insofern von den bisherigen Beispielen unterscheidet, als er Männer und Krieg ins Zentrum der Aufmerksamkeit rückt, weshalb die ohnehin schon relativ passiv gestaltete Helena nicht sonderlich prominent in Erscheinung tritt. Auch hier harmonierte die Besetzung der Helena – in diesem Fall durch das blonde Model Diane Kruger aus Deutschland – nicht mit den Erwartungen eines signifikanten Teils des Publikums an eine übernatürliche Schönheit aus der griechischen Mythologie, was Blondell u.a. darauf zurückführt, dass „Troy“ im Rahmen seines Bemühens, den mythischen Stoff als reales historisches Ereignis darzustellen, eben auch Helena als schöne, keineswegs aber als mythisch überhöhte Frau präsentiert.[6]
Mit der dritten und letzten Sinneinheit des Buchs begeben wir uns schließlich von der Kinoleinwand zum heimischen Fernsehbildschirm, wobei Kapitel 5 zunächst zwei TV-Serien in den Fokus rückt, die in den Bereich der Phantastik (Horror, Fantasy & Science Fiction) fallen, der auf das Fernsehen bezogen von Blondell als „telefantasy“ bezeichnet wird und sich genrebedingt wesentlich mehr Freiheiten und Spielereien mit historischen oder mythologischen Vorlagen erlauben kann als ein Monumentalfilm. Stellvertretend für weitere Serien, die in diesen Kontext einzuordnen sind und Helena thematisieren, stellt Blondell im Folgenden eine Folge aus der ursprünglichen Star Trek-Serie und daran anschließend eine Episode aus „Xena: Warrior Princess“ näher vor, da beide ein sehr eigenes Bild der Helena von Troja aufweisen.
Die Star Trek-Folge „Elaan of Troyius“ (1968) weicht insofern von den eingangs festgelegten Rahmenbedingungen für die ausgewählten Untersuchungsgegenstände ab, als der von der Französin France Nuyen verkörperte Charakter nicht Helena, sondern Elaan heißt. Blondell thematisiert diese Abweichung von ihrem methodischen Ansatz zwar nicht explizit, doch merkt sie an, dass im ursprünglichen Skript der Folge von einer Helen die Rede war, deren Name bewusst abgeändert wurde, um exotischer zu wirken und sich besser in eine Science-Fiction-Erzählung zu fügen (S. 181). Zu den Besonderheiten dieser Helena-Version, bei der es sich um eine außerirdische Amtsträgerin vom Planeten Elas (Hellas) handelt, die um des Friedens willen den König des mit Elas verfeindeten Planten Troyius heiraten soll, zählt, dass sie nicht wie so oft als blonde Nordeuropäerin, sondern als asiatisch anmutende Frau mit dunkeln Haaren und französischem Akzent dargestellt wird. Hinzu kommt, dass ihre optische Präsentation in einigen Szenen deutlich an Kleopatra angelehnt ist.
Während es sich bei Elaan um eine von Helena inspirierte Figur aus einem Science-Fiction-Szenario handelt, präsentiert uns die Xena-Folge „Beware Greeks Bearing Gifts“ (1996) eine Fantasy-Variante der Helena, die wir aus der griechischen Mythologie kennen. Die Folge stellt nicht nur eine bewusste feministische Neuinterpretation der althergebrachten Erzählung dar, sondern inszeniert ähnlich wie „Elaan of Troyius“ mit Schauspielerin Galyn Görg eine Helena, deren optisches Erscheinungsbild nicht den üblichen Vorstellungen von einer blonden Spartanerin entspricht, sondern undefinierbar wirkt.[7]
Das abschließende 6. Kapitel behandelt mit „Helen of Troy“ (2003) eine zweiteilige TV-Miniserie, mit der wir unser wieder von der „telefantasy“ weg in Richtung klassischerer Darstellungsformen begeben. „Helen of Troy“ sticht aus der Menge ähnlicher in der antike angesiedelter Produktionen durch den seltenen Umstand hervor, dass das Drehbuch von Ronni Kern und somit von einer weiblichen Autorin stammt. Kern hatte sich bereits zuvor mit ungewöhnlichen und auf Frauen zentrierten Perspektiven hervorgetan und übernahm diese Herangehensweise auch für den hier relevanten Film, was sich u.a. daran zeigt, dass sie viel Wert auf die zwischenmenschlichen Beziehungen der Charaktere legt. Hinsichtlich der Besetzung fiel die Wahl diesmal auf Sienna Guillory aus England, die in ihrer Rolle als – wiederum blonde – Helena eine von sexueller Gewalt geprägte coming-of-age-Entwicklung von einem naiv-unschuldigen Kind zu einer Frau erlebt.
Im Anschluss an die Untersuchung endet das Buch mit einem Literaturverzeichnis (S. 267-307), einem Abbildungsverzeichnis sowie einem ausführlichen Index.
Wie oben bereits angemerkt, ist es etwas überraschend, dass einige grundlegende Überlegungen sowie diverse Fragestellungen für die weitere Untersuchung in das erste Kapitel integriert sind, das sich eigentlich vom Aufbau des Buchs her betrachtet konkreter auf das frühe Hollywood konzentrieren müsste. Ebenso ungewöhnlich erscheint das Fehlen eines Fazits oder eines abschließenden Kapitels, das die zentralen Ergebnisse der Studie etc. präsentiert. So entsteht gelegentlich der Eindruck, dass das Buch teilweise eher einer von persönlichen Interessen geprägten Sammlung von Einzelbetrachtungen zu einem gemeinsamen Oberthema entspricht als einer Monografie im klassischen Sinne.[8]
Im letzten Kapitel ist außerdem auffällig, dass die Besprechung von IMDB-Rezensionen des Films „Helen of Troy“ vielleicht etwas zu detailliert ausfällt (S. 251-265), obwohl der Ansatz, neben professionellen Filmbesprechungen auch Blogartikel und IMDB-Bewertungen in die wissenschaftliche Auswertung einzubeziehen, grundsätzlich sicherlich zu begrüßen ist. Auch lässt sich darüber streiten, ob die für sich genommen sehr ergiebige Besprechung der Star-Trek-Folge „Elaan of Troyius“ in das Konzept der Untersuchung passt, da Elaan zwar natürlich ganz offensichtlich durch Helena inspiriert wurde, aber anders als bei den anderen im Buch besprochenen Beispielen eben nicht die Helena der Antike darstellen soll.
Diesen kleineren Kritikpunkten steht gegenüber, dass Blondell in den vorgestellten Kapiteln auf sehr anregende und aufschlussreiche Weise auf ein bemerkenswert vielfältiges Spektrum an Aspekten der Darstellung und Rezeption der Helena eingeht. Dies spiegelt sich nicht zuletzt auch in einem sehr guten Anmerkungsapparat wider, der zu sämtlichen angesprochenen Themen weiterführende Literatur bietet. Dementsprechend umfangreich fällt auch das Literaturverzeichnis aus, das neben englischsprachiger Publikationen immerhin auch einige deutsche Texte beinhaltet und in der Regel dem aktuellen Stand der Forschung entspricht.[9] Angereichert werden die Vorstellungen der besprochenen Filme und Serien mit zahlreichen Abbildungen, die – größtenteils schwarzweiß aber teilweise auch in bunt – aufgrund der mit Aussehen und optischer Darstellung verbundenen Thematik des Buches einen klaren Mehrwert schaffen, zumal die Qualität des Werkes (Produktion, Fehlerquote etc.) auch insgesamt betrachtet hochwertig ausfällt. Schließlich sei in diesem Kontext angemerkt, dass der Preis erfreulicherweise auch einem interessierten Publikum jenseits der Fachwelt die Anschaffung des Buchs ermöglicht, was leider alles andere als selbstverständlich ist.
Insgesamt betrachtet handelt es sich dementsprechend um eine durchaus gelungene Untersuchung der Darstellung Helenas in US-amerikanischen Kino- und Fernsehproduktionen sowie der sich daraus ergebenden öffentlichen Wahrnehmung der schönsten Frau der griechischen Mythologie, die den Forschungsstand um spannende Aspekte ergänzt und dabei auch einem nicht-wissenschaftlichem Publikum verständlich bleibt.
Notes
[1] Aufgrund internationaler Co-Produktionen ist es nicht immer einfach, einen Film oder eine Serie einem konkreten Land zuzuordnen. So wurde die im vorliegenden Buch thematisierte Serie „Xena: Warrior Princess“ (1995-2001) in Neuseeland gedreht und weist auch zum Teil einen neuseeländischen Cast auf. Gleichzeitig stehen hinter der Serie aber u.a. die US-Amerikaner Sam Raimi (The Evil Dead) und Robert Tappert, weshalb es sich durchaus (auch) um eine US-Produktion handelt. Blondell ist sich dieser Problematik bewusst und versteht in ihrer Untersuchung daher alle Filme oder Serien als „US-amerikanisch“, die in erster Linie für den US-Markt produziert wurden. Vgl. S. x.
[2] S. x. Vgl. hierzu Anm. 1.
[3] Blondell verwendet den Begriff „Populärkultur“ in einem allgemeineren Sinne im Kontrast zur sogenannten „Hochkultur“, wobei für sie auch die intendierte Reichweite und kommerzielle Erwartungen eine Rolle spielen. Für eine nähere Auseinandersetzung mit dem Begriff verweist sie auf die entsprechende Forschungsliteratur. Vgl. S. x.
[4] Diese Tendenz Hollywoods führt Blondell wiederum auf „the racist philhellenic alchemy that transformed ancient Greeks into the progenitors of northern European beauty (and thus of “Western” beauty as such)” (S. xvi) zurück.
[5] Dies zeigt sich nicht zuletzt auch an mehreren Bezügen zu Wolfgang Petersens „Troy“ aus dem Jahr 2004 in diesem Kapitel.
[6] Bei diesem Kapitel handelt es sich nach Aussage der Autorin (S. 131 Anm. 1) um eine stark überarbeitete und erweiterte Version eines Texts, den sie bereits an anderer Stelle publiziert hat: Third Cheerleader from the Left: From Homer’s Helen to Helen of Troy, in: Classical Reception Studies 1 (2009), S. 4-22 (nachgedruckt in Konstantinos P. Nikoloutsos (Hg.): Ancient Greek Women in Film, Oxford 2013, S. 51-72).
[7] „The role was played by Galyn Görg, a multiracial American actor and dancer whose background includes African American, Native American, Irish, and German, and who reads as racially indeterminate.“ (S. 211)
[8] Vgl. hierzu Anm. 6.
[9] Aufgrund der Besprechung der Star-Trek-Folge „Elaan of Troyius“ erscheint es überraschend, dass mit Otta Wenskus: Umwege in die Vergangenheit. Star Trek und die griechisch-römische Antike, Innsbruck 2009 eine umfassende Monografie zur der Antikenrezeption in Star Trek im Literaturverzeichnis fehlt.