BMCR 2025.07.33

Les Métamorphoses d’Apulée à travers les lieux et les âges. Réceptions, réécritures, héritages

, Les Métamorphoses d’Apulée à travers les lieux et les âges. Réceptions, réécritures, héritages. Rencontres, 644. Littérature générale et comparée, 41. Paris: Classiques Garnier, 2024. Pp. 314. ISBN 9782406174219.

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Das Buch vereint die zwölf Beiträge eines vom Herausgeber organisierten Kolloquiums, das im März 2023 an der Università di Corsica Pasquale Paoli stattgefunden hat. Die Liste der Beiträge findet sich am Ende der Rezension. Joseph Dalbera stellt eine Einleitung voran, die auch der nicht altertumswissenschaftlich informierte  Leser nachvollziehen kann.  Er verweist auf die schwer greifbare Gattung des antiken Romans und auf die Gattungsdiskurse in der antiken Literatur generell. Wesentliche Themen der sich anschließenden Einzelbeiträge werden schon hier angesprochen: die grundsätzliche Schwierigkeit, Rezeption überhaupt nachzuweisen; die Rolle, die in dieser Hinsicht der afrikanische Kontext, sowohl sprachlich als auch historisch, spielt; schließlich die daraus folgende Diversität der Themen und Zugriffe. Eine grundsätzliche Diskussion, was unter Rezeption zu verstehen ist, findet nicht statt. Das ist nicht unbedingt ein Fehler; denn auf dieser breiten Basis ist es möglich, ein weites Spektrum an Beobachtungen vorzustellen.

Gleich der erste Beitrag ist dafür ein Beispiel, denn der Herausgeber selbst erläutert darin, wie grammatische Phänomene die Erzählweise von Texten prägen. Dafür wählt er als Beispiel insbesondere den Ablativus absolutus. Die Database ‚Hyperbase‘ ist die Grundlage für eine Analyse, aus der folgt, dass Apuleius’ Sprache eine Vorliebe für den Ablativus absolutus anstelle von Nebensätzen aufweist, die in historischen Texten, namentlich bei Caesar, Qu. Curtius und Livius, signifikant beobachtbar ist. Im Unterschied zum Roman des Petron bedient sich Apuleius dieses in der Geschichtsschreibung ausgeprägten Mittels im Dienste einer sorgfältigen Erzählung, gerade auch im Verweis auf Gesprochenes. Direkte Rede wird auf diese Weise zwanglos in die Erzählhandlung eingebunden, ebenso wie Gesten und körperliche Zustände.

In einem allgemein gehaltenen Aufsatz führt Étienne Wolff den Leser in Person und Werk des Apuleius ein. Er vermittelt einen kompakten Überblick über das Œuvre, seine Überlieferung und Rezeption, ausgehend von von Petrarca und Boccaccio bis zur Druckgeschichte und zu den Übersetzungen ins Italienische, Spanische und Englische. Sodann kommt Wolff, ausgehend von der Stildebatte im Humanismus, auf die verschiedenen Aneignungen in der literarischen Tradition zu sprechen. Das Schicksal des elften Buches, in dem Apuleius als Magier wahrgenommen wird, unterscheidet sich von dem der Ehebrechergeschichten im neunten Buch oder dem der Geschichte von Amor und Psyche. Wolff wendet sich strikt gegen eine Instrumentalisierung des Romans in der algerischen Literaturgeschichtsschreibung  und macht darauf aufmerksam, wie es die Rekonstruktion von Apuleius’ Werk und Biographie beeinflusst, wenn er unter dem Stichwort der africitas vereinnahmt wird.

Emmanuel Plantade ordnet die eingelegte Erzählung von Amor und Psyche in die Forschungsgeschichte zur Folklore und zur oralen Märchentadition ein. Dass ähnliche Geschichten vom Märchentyp 425 nach der Klassifikation von Aarne, Thompson und Uther vor allem im südlichen Mittelmeerraum vorkommen, lasse vermuten,  dass der Stoff zuerst im antiken Nordafrika aufgekommen sei. Hierzu resümiert Plantade als Beleg auch Versionen von kabylischen Erzählungen. Er benennt zudem einige weitere gemeinsame Bestandteile des Stoffes, wie die Vogelgestalt des Gatten und die Probe der Körnerlese.

Der Deutungsgeschichte der ‚fabula‘ vom Mittelalter bis ins 17. Jahrhundert und ihrer Wertung in der Querelle, namentlich durch Pierre-Daniel Huet (1669), geht Françoise Graziani nach. Sie merkt an, dass der Synkretismus mythographischer Texte der Spätantike noch zu wenig untersucht sei und fordert eine „archéologie de la science poétique“. Wie diese aussehen könnte, stellt sie in einem Überblick über die allegorischen Deutungen der Metamorphosen von Martianus Capella, Fulgentius bis zu Boccaccios Genealogie dar. Apuleius’ Erzählung werde nicht nur als Allegorese der platonischen Seele gedeutet, sondern mit kosmologischen Überlegungen verknüpft. Zurückkehrend zu Huet stellt die Autorin fest, dass in der Wertung die Gattung ‚Roman‘ gerade in ihrer Registermischung nobilitiert und als Argument für die ‚anciens‘  und gegen die ‚modernes‘  in Anspruch genommen wird. Warum Graziani in ihrer reich dokumentierten Arbeit die Quellen ausschließlich in Übersetzung zitiert, bleibt mir unklar.

Igor Candido untersucht Petrarcas Verhältnis zu Apuleius, insbesondere unter dem Gesichtspunkt von dessen Äußerungen über die imitatio (ep. fam. 22,2). Das „doppelte Gesetz“ der imitatio beschäftigt Petrarca, wie Notizen bezeugen, und bestimmt sein Verhältnis zu Apuleius. Der Vat. Lat. 2193 befindet sich spätestens seit 1348 in seinem Besitz. Petrarca sucht an den antiken Roman durch allegorische Deutung anzuknüpfen, wie Candido belegen kann. Aber auch der Einfluss von Apuleius’ philosophischen Arbeiten macht sich bemerkbar – sowohl in drei kleinen philosophischen Schriften wie auch in Notizen zum Vat. Lat. Petrarca ordnet Apuleius nicht als direktes Vorbild und Modell ein, wie Cicero und Vergil, die die humanistische Textproduktion direkt beeinflussen, sondern als Material, das eklektisch benutzt wird. Diese Unterschiedung wird im Humanismus bestehen bleiben.

Michel Rizo behandelt das Thema der Magie, wie durch Apuleius vermittelt, im Goldenen Jahrhundert in Spanien. Den Ausgangspunkt bildet der Konflikt zwischen göttlicher Schöpfung und Metamorphose, die nicht vereinbar sind. So ist es kein Wunder, dass Apuleius, obwohl früh ins Spanische übersetzt, auf den Index kommt – zunächst seine Werke in den Einzelsprachen, dann auch die lateinischen Fassungen. Cortegana, sein Übersetzer (ab 1513), ist zugleich ein einflussreicher Kirchenmann, der eine allegorische Lesart und Verweise auf Laktanz, Hieronymus und Augustinus zur Verteidigung des Apuleius anführt. Nicht nur die Diskussion über ‚natürliche Magie‘ und die Transformation der Materie, sondern über Hexenglauben und -praktiken generell zeichnet Rizo nach. Von besonderer Bedeutung ist neben zahlreichen anderen Quellen Cervantes’ Geschichte vom Hund (Coloquio de los perros) von 1613. Apuleius’ Text gerät bei diesen Auseinandersetzungen eher in den Hintergrund, obwohl seine Anklage und Verteidigung zur inquisitorischen Praxis der Zeit in ironischen Bezug gesetzt wird.

Ebenfalls auf Cervantes, vor allem auf dessen Don Quijote, legt Marina Mestre Zaragozá den Schwerpunkt. Sie zeigt Parallelen im Hinblick auf Struktur, Erzählweise und eingelegte Abenteuer auf, bezeichnet aber das Verhältnis der Texte eher als Echo denn als Einfluss. Indessen sei das Motiv der Metamorphose Zeugnis für einen direkten Bezug. Während bei Apuleius die menschlichen Züge des in einen Esel verwandelten Lucius immer erhalten bleiben und nur deshalb die Metamorphose zur Läuterung führen kann, behandelt Cervantes das Motiv auf drei Niveaus. Deren erstes sei die freiwillige Verwandlung in einen Ritter, das zweite das der Halluzinationen, die durch die Überhöhung der ‚platten‘ Realität den Weg zur moralischen Vervollkommnung öffnen, während das dritte Niveau ausschließlich durch die Fiktionalisierung der Romanfiguren erreicht werde. Lucius der Esel sei mit Dulcinea und der ‚realen‘ Bäuerin der Romanhandlung parallel zu setzen, als Metaphern der menschlichen Existenz. Zaragozá deutet die Verwandlung bei Cervantes als Werk der Phantasie und zugleich als Grundbedingung der menschlichen Existenz, die notwendig den Tod als Ziel hat.

Nicolas Correard geht dem ‚neo-apuleischen‘ Roman von 1550 bis 1750 nach. Er schickt voraus, dass in dieser Zeit Apuleius europaweit in hohem Maße als stilistisches und inhaltliches Vorbild dient und dass man daher hybride Formen der Nachahmung antreffe. Ausgehend von López de Cortegana (1543) verfolgt Correard zunächst die spanische Tradition, nicht ohne dabei auf den stets erkennbaren Einfluss Cervantes’ hinzuweisen. Mit großer Belesenheit zeichnet Correard die italienische, französische und englische Tradition nach und fragt, welche strukturellen Elemente übernommen wurden. Neben einzelnen Episoden ist vor allem die Topik der Metamorphose in ihren Abwandlungen interessant: Gibt es eine Rückverwandlung? Ist die Rolle des Verwandelten mehr oder weniger aktiv? Die Texte nutzen die satirischen Elemente für autobiographische und zeithistorische Bezüge. In der Maske der Verwandlung kann Kritik an Politik und Kirche geäußert werden. Sittenkritik ist fast überall offenkundig. Obszönität und erotische Komponenten spielen eine Rolle, und zunehmend wird die Metamorphose zur bloßen Option; die moralischen Züge werden weniger, und parodistische Züge treten hervor.

Die drei Beiträge, in denen Cervantes ausführlich behandelt wird, scheinen kaum etwas voneinander zu wissen, was bedauerlich ist.

Véronique Gély greift erneut das Thema der Querelle auf. Während die Encyclopédie sich dem Deutungsmuster anschließt, die eingelegte Erzählung sei als Quelle von und als Modell für Feengeschichten anzusehen, steht dem die These gegenüber, dass mündliche Tradition hinter der Ausformung des Stoffes durch Apuleius stehe. Hier wäre eine Auseinandersetzung mit dem Beitrag von E. Plantade zur Folkloreforschung angebracht (und umgekehrt), der über eine bloße Fußnote hinausgeht. Gély stellt Perrault (1694) als Vertreter der ‚modernes‘ Lafontaine (1669) als dem der ‚anciens‘ gegenüber. Die ‚modernes‘ nehmen für sich in Anspruch, dass die neuen Märchen moralisch wertvoller seien. Von den Gebrüdern Grimm (Einleitung der 2. Aufl. von 1819) und ihre Bedeutung für die Etablierung der vergleichenden Märchenforschung über Ludwig Friedländers Sittengeschichte (1862-1871) bis hin zu Detlev Fehlings Gegenrede von 1977 zeichnet Gély die literarische und interpretatorische Historie nach. Während die Gattungsbegriffe noch fluide sind (fable, conte und nouvelle existieren nebeneinander), etabliert sich das Märchen als ausgesprochen schriftliche Gattung. Zwar werden Motive modernisiert und an die gesellschaftlichen Kontexte angepasst; aber dass die Vorgängerversionen, einschließlich Apuleius, als Inspirationsquelle dienen, ist ein Beleg für die Schriftlichkeit der Tradition.

Carole Boidin geht auf die nordafrikanische Auseinandersetzung mit dem kolonialen Erbe ein. Die Latinität und die Beschäftigung mit den Spuren der römischen Antike unter dem Stichwort der Altertumswissenschaft dient seit dem Ende des 18. Jahrhunderts als Rechtfertigung politischer Aktivität in Afrika, vor allem Frankreichs, und als Verankerung in gemeinsamer Tradition. Das 19. Jahrhundert greift somit die Frage der africitas wieder auf: Wie afrikanisch ist der Madaurenser Apuleius? Wiederum wird also die Frage nach einem indigenen Substrat aufgeworfen, aber weniger gestützt durch den folkloristischen Ursprung als durch die Gestalt des Apuleius als Magier. Sowohl die kolonialen Bewohner wie auch Touristen erhalten so ein literarisches Angebot. In den 1920er Jahren entsteht dort eine französischsprachige Literatur, durchaus auch im Rückgriff auf Cervantes. Dafür ist Raoul Stéphan (1922) ein Beispiel. Apuleius wird ins algerische, in ein exotisches Milieu versetzt.

Aurélien Le Gallou beschäftigt sich in seinem Beitrag mit dem Film L’Asino d’oro von Sergio Spina (1970). Die italienisch-algerische Korpoduktion war wenig erfolgreich. Nachdem Le Gallou grundsätzliche Fragen geklärt hat, so etwa, dass eine Verfilmung im Vergleich mit dem durchschnittlichen Lesetempo mit etwa einem Viertel der Zeit auskommen muss, stellt er in einer Tabelle die Filmsequenzen den Kapiteln des Romans gegenüber. Ein entscheidendes filmisches Mittel ist die Rückblende, die die Handlung mit biographischen Informationen aus Apuleius’ Apologie verknüpft. Das Personal der Handlung ist zwar weitgehend übernommen, aber die Erzählung wird durch das Verschmelzen von Personen vereinfacht. Die Übernahmen stammen aus den ersten drei sowie aus den Büchern 9 bis 11. Die burlesk-erotische Aufmachung erinnert an Fellinis Satyricon von 1969 – ein Genre, das als „Decamerotico“ bezeichnet wird. Die einzelnen Sequenzen sind im Charakter von Sketches aneinander gefügt. Es erscheint auch lateinischer Text, der im Film wie ein transparenter Vorhang eingeblendet wird.

Im letzten Beitrag des Bandes stellt Jenna El Hilali die Zeitschrift Apulée vor, die seit 2016 jahrweise erscheint und das Ziel hat, unter jeweils einem Oberthema die „Literatur der ganzen Welt“ anzusprechen, de facto aber die Literatur rund um das Mittelmeer. Der Name soll Vielstimmigkeit und multikulturelle Offenheit anzeigenZum Zeugnis führt El Hilali u.a. drei Titelbilder an, die auf verschiedene künstlerische Kontexte anspielen.

Der Band wird beschlossen von einer gegliederten Bibliographie, mehreren Indices, einer Liste der genannten Manuskripte (jedoch ohne Angabe der aufbewahrenden Bibliothek), mythischer und fiktionaler Namen, Sachen, Ortsnamen und Filme. Knappe Inhaltsangaben der Beiträge stehen am Schluss.

Ich habe die Aufsätze deshalb einzeln und etwas detaillierter vorgestellt, weil sich im Band außer dem aus dem Titel („à travers les lieux et les âges“) entnehmbaren kein weiterer Zusammenhang erkennen lässt. Auch die Querbezüge werden allenfalls in Fußnoten mit Seitenzahlen benannt; eine Auseinandersetzung bei unterschiedlichen Auffassungen, so zum Beispiel der zentralen Frage der maghrebinischen Tradition oder der africitas des Apuleius, findet nicht statt. Das ist schade, denn viele Beiträge erweisen die Belesenheit ihrer Verfasser und ihr Engagement. Allerdings sind die meisten Aufsätze auch für sich alleine lesbar, denn Informationen (z.B. die uns bekannten biographischen Bemerkungen aus Apuleius’ Apologie) werden jeweils wiederholt. Das Buch ist ansprechend gestaltet, wenn auch die Qualität der wenigen Abbildungen zu wünschen übrig lässt. Es treten fast keine Druckfehler auf [S. 27 im lateinischen Zitat „perspecto“ zu lesen, S. 86 eine falsche Kursivierung in Z. 6, S. 103 im lat. Zitat „his scribentem“ zu lesen, S. 48 nicht 1505 und 1515, sondern 1605 und 1615 für Don Quijote].

Mich hat gestört, dass Texte teilweise nur in der französischen Übersetzung gegeben sind und dass die Namen und Titel durchweg in der französischen Form angegeben werden. Das engt den Leserkreis weiter als nötig ein.

In den reichhaltigen Literaturangaben fehlt zum elften Buch der Metamorphosen der von W. H. Keulen und U. Egelhaaf-Gaiser edierte Sammelband Aspects of Apuleius’ Golden Ass III: The Isis Book (Leiden / Boston 2012), der manchen Aufschluss hätte geben können, z.B. S. 13 in der Einleitung.

 

Authors and Titles

Joseph Dalbera, Introduction

Joseph Dalbera, Ce que les Métamorphoses doivent à l’histoire. L’appropriation romanesque d’une structure syntaxique

Étienne Wolff, Quelques remarques générales sur la fortune des Métamorphoses d’Apulée

Emmanuel Plantade, Le récit d’Amour et Psyché et la tradition orale du conte-type 425 en Méditerranée. Morphologie et diffusion

Françoise Graziani, Mythe, roman et allégorie. La fabula d’Apulée du Moyen Âge au xviie siècle

Igor Candido, Apulée et la loi pétrarquienne de l’imitation

Michel Rizo, Influence d’Apulée dans la perception de la magie au Siècle d’or. Croire ou non en la métamorphose

Marina Mestre Zaragozá, Métamorphoses, de l’Âne d’or d’Apulée au Don Quichotte de Cervantès

Nicolas Correard, Existe-t-il un roman néo-apuléen? Formes et finalités de l’imitation satirique (1550-1750)

Véronique Gély, Pour une histoire littéraire du conte européen. L’histoire de Psyché dans les Métamorphoses d’Apulée, réservoir de motifs et modèle générique

Carole Boidin, L’Âne d’or nord-africain. Lectures et réécritures coloniales

Aurélien Le Gallou, L’Asino d  oro, processo per fatti strani contro Lucius Apuleius cittadino romano. Une adaptation cinématographique du roman d’Apulée

Jenna El Hilali, Ce que la revue Apulée nous dit d’Apulée