BMCR 2023.05.03

Der bunte Roman: Der Farbgebrauch im antiken und christlichen Roman unter besonderer Berücksichtigung von Petrons Satyrica, den Metamorphosen des Apuleius und den pseudoklementinischen Rekognitionen

, Der bunte Roman: Der Farbgebrauch im antiken und christlichen Roman unter besonderer Berücksichtigung von Petrons Satyrica, den Metamorphosen des Apuleius und den pseudoklementinischen Rekognitionen. Altertumswissenschaftliches Kolloquium, 28. Stuttgart: Franz Steiner Verlag, 2022. Pp. 272. ISBN 9783515090469.

Die zu besprechende Publikation geht zurück auf eine Dissertation, die Klein 2006 an der Universität Jena verteidigt hat. Wie ein farbiges Bild durch das Lesen bzw. Hören eines antiken Romans vor dem geistigen Auge des antiken Publikums entsteht bzw. wie lateinische Autoren auf ein solches Bild hinwirken, untersucht Klein in ihrer Studie. Am Beispiel von fiktionalen kaiserzeitlichen und spätantiken christlichen Prosatexten fragt sie nach dem Kompositions- und Interpretationsprinzip des Farbgebrauchs in lateinischen Romanen. Blickt man auf die Gliederung der Arbeit, versteht Klein unter Kompositions- und Interpretationsprinzip die narrative Strategie, die hinter der Verwendung von Farbwörtern in den untersuchten Prosatexten steckt.

Nach einem Forschungsüberblick und methodischen Überlegungen (14–22) wendet sich Klein in drei Kapiteln jeweils der Beschreibung und der Interpretation des Farbgebrauchs in den Satyrica Petrons (23–40), in den Metamorphosen des Apuleius (41–104) und in den pseudoklementinischen Rekognitionen (105–125) zu. Auf knappem Raum widmet sie sich dem Farbgebrauch im griechischen Roman (126–131), bevor Klein zur vergleichenden Schlussbetrachtung übergeht (132–137).

In ihrer Untersuchung konzentriert sich Klein vor allem auf Farbcluster. Sie meint damit Sinnabschnitte der untersuchten Romane, „in denen sich drei oder mehr Wortbelege undifferenziert nach direkter oder indirekter Farbbedeutung finden“ (20). Direkte Farbbedeutung definiert Klein als Auftauchen von Farbwörtern, in denen antike (und moderne) Rezipient:innen angeregt werden, „ein mentales Bild zu konstruieren“ (19). Klein ist sich bewusst, dass dieses Bild stets subjektiv ist. Unter indirekter Farbbedeutung versteht sie Farbwörter, bei denen die Verbindung zur Farbigkeit fehlt oder in den Hintergrund rückt, beispielsweise in Metaphern. Während Apuleius häufiger mit Farbclustern arbeite als Petron, fehlten diese in den pseudoklementinischen Rekognitionen (133).

Klein geht zugleich statistisch vor und präsentiert im Anhang Tabellen mit Übersichten zum Farbgebrauch in den untersuchten Texten (149–171). In diesen Tabellen ordnet sie die lateinischen Farbwörter der jeweiligen Romane nicht nach direkter oder indirekter Farbbedeutung, sondern nach modernen deutschsprachigen Grundfarbbezeichnungen (weiß, grau, schwarz, gelb, rot, violett, blau, grün, braun). Die statistische Analyse zeige eine deutliche Differenz zwischen den Satyrica Petrons und den Metamorphosen des Apuleius einerseits und den Rekognitionen andererseits: Die Häufigkeit der Verwendung von Farbwörtern sei bei Petron deutlich höher (1 von ca. 200 Wörtern gegenüber 1 von ca. 3.000 Wörtern); auch dominierten Farbwörter, die Klein den deutschen Grundfarbwörtern rot, gelb und weiß zuordnet, während in den Rekognitionen nur lateinische Farbwörter für ,rot‘ signifikant hervorstächen (133).

Kleins Studie und Vorgehensweise berührt interessante und grundsätzliche Herausforderungen der Farbforschung bei Texten. Allerdings bezieht sie sich nur auf altertumswissenschaftliche Forschung, ohne neuere linguistische Ansätze für ihr Thema zu diskutieren, etwa die Ergebnisse der Arbeiten von Brent Berlin und Paul Kay sowie ihren Kritiker:innen wie Anna Wierzbicka.[1] Dabei berührt Klein Fragen, die auch die interdisziplinäre Farbforschung aufgreift: (1) Wie zielführend ist die Zuordnung von Farbwörtern einer anderen Sprache und Kultur (hier: des Lateinischen) zu Farbkategorien einer modernen Sprache (hier: des Deutschen)? (2) Unter welchen Bedingungen verstehen Verfasser und Rezipient:innen eine Farbbezeichnung als direkten, wann als indirekten Farbausdruck? (3) Nach welchen Kriterien kann der Farbgebrauch zwischen Romanen aus unterschiedlichen Jahrhunderten verglichen werden, selbst wenn sie in derselben Sprache verfasst sind? (4) Nach welchen Kriterien können Analogien zwischen (antikem) Roman und (modernem Farb-)Film gezogen werden, wie Klein es einleitend tut (11)? Geht es in dem einen Medium um das Farbwort als Ausdrucksmöglichkeit von Farbigkeit, das punktuell eingesetzt werden kann („Farbcluster“), koloriert das andere zwangsläufig alles Visuelle. Auch wenn der Farbfilm ebenfalls Farbakzente setzen kann, so legt das Medium für das Publikum gerade doch das farbige Bild fest. Der Roman hingegen überlässt den Rezipierenden, bei der Lektüre das innere Bild entlang individueller Wahrnehmungs- und Erfahrungsmuster zu formen – und so auch die Reaktion auf Farbwörter, die ein solches inneres Bild beeinflussen können (aber nicht zwangsläufig müssen). Die ersten drei Fragen sollen anhand von Kleins Studie nachfolgend etwas näher beleuchtet werden.

(1) Zur Zuordnung lateinischer Farbwörter zu deutschen Grundfarbbezeichnungen als Analyseinstrument: Klein bewegt sich in der Tradition vieler moderner Farbforscher:innen, die ähnlich vorgegangen sind wie etwa der in ihrem Forschungsüberblick erwähnte Jacques André.[2] Auch er ordnet lateinische Farbwörter französischen Farbbegriffen zu. Klein tangiert in ihrem Methodenkapitel knapp einen Dialog bei Aulus Gellius (2,26),[3] der sich aus der Perspektive von Fürsprechern der lateinischen und griechischen Farbsprache um die Frage dreht, welche der beiden Sprachen mehr Ausdrucksmöglichkeiten habe. Es geht bei Gellius nicht um die deutschen Farbkategorien Rot und Grün, sondern um die lateinischen colores simplices: Gellius’ Dialog behandelt Makrokategorien ,Rot‘ (rufus) und ,Grün‘ (viridis), die nicht mit den deutschen Grundfarbwörtern übereinstimmen, sondern mehr Farbeindrücke umfassen, die z.B. im Deutschen mit eigenen Farbwörtern bezeichnet werden (wie gelb, orange, braun). Besonders deutlich wird dies am Beispiel der Zuordnung von aureus/aurum zum color rufus in Gellius’ Farbdialog, also in die Makrokategorie ,Rot‘, während Klein aureus/aurum einem gelben Farbeindruck zuordnet. Doch ist aureus/aurum vor dem inneren Auge antiker Rezipienten im Farbeindruck nun ein kategorisches ,Rot‘ oder ,Gelb‘? Liegt in der unterschiedlichen Zuordnung bzw. Ausgrenzung eines Farbwortes zu einer Makrokategorie in der Ausgangs- und Zielsprache nicht bereits ein methodisches Problem?

(2) Auch die Abgrenzung zwischen direkter und indirekter Farbbezeichnung birgt Herausforderungen. Wenden wir uns mit Klein der Frage zu, ob Apuleius’ Metamorphosen Asinus aureus war, ein auf Augustinus zurückgehender Titel, und was darin zum Ausdruck kommt. Klein schreibt: „Das Epitheton aureus beschreibt die spezifische Qualität des Esels, der zugleich der Protagonist des Romans ist. In diesem Sinne ist aureus hier kein Farbwort, sondern vertritt ein literarisches Programm, so daß asinus gleichgesetzt werden kann mit dicta, fabula […]. Die Vielfalt der Assoziationen, die aureus auslöst, ist ein Teil des literarischen Programms und dokumentiert auch im Titel die Vielschichtigkeit des Werkes“ (42). Können und müssen wir überhaupt eine Aussage machen, ob aureus hier eine Farbbedeutung haben kann oder nicht? Gerade die von Klein beobachtete Vielschichtigkeit des Werkes schon im Titel macht deutlich, dass Asinus aureus sowohl im wörtlichen wie übertragenen Sinne verstanden werden kann. Das Beispiel zeigt auch, wie eine Untersuchung von Farbvokabular nicht auf die Farbwörter reduziert werden kann, sondern die Bezugsworte eine Rolle spielen: Ist die Assoziation von Farb- und Bezugswort beim zeitgenössischen Publikum akzeptiert oder irritiert schon die Kombination? Im eben erwähnten Dialog lässt Gellius (2,26,18) seine Protagonisten Fronto und Favorinus über ein Beispiel bei Vergil diskutieren, ob dieser ein Pferd besser durch das Wort caeruleus oder glaucus charakterisiert hätte.

(3) Zuletzt zu der Frage, wie der Farbgebrauch zwischen Romanen aus unterschiedlichen Jahrhunderten verglichen werden kann. Die Zeiten, in denen Wahrnehmungsmuster und -erwartungen der Autoren und Rezipienten geprägt werden, liegen bei den drei Beispielen Kleins weit auseinander, sofern man mit ihr von rund dreieinhalb Jahrhunderten ausgeht, die zwischen der Datierung von Petrons Satyrica in neronische Zeit und der Entstehung der klementinischen Rekognitionen vor 406 n. Chr. liegen (11). Insofern ist ihre Vorgehensweise ebenfalls mit derjenigen der Protagonisten in Gellius’ Dialog vergleichbar, die ihre Beispiele für Farbwörter in der lateinischen Literatur auf Ennius bis Vergil zurückführen. Gellius’ Charaktere thematisieren, wie andere zeitgenössische Rezipienten des 2. Jh.s n. Chr. die Verbindung aus Farb- und Bezugswort in Fällen der älteren Literatur irritieren könnte (Gell. 2,26,12 am Beispiel der Verwendung von flavus). Das innere Auge eines Rezipienten ist also auch durch die zeitliche Distanz zum Text geprägt. Bleiben wir beim Farbfilm-Beispiel Kleins aus ihrer Einleitung, so sehen wir bereits zwischen älteren und neueren Filmen einen enormen Unterschied in der Art der Farbsprache, die nicht nur eine zeitlich-technische, sondern auch eine räumlich-kulturelle Komponente besitzt.

Im Ergebnis beobachtet Klein fünf Aspekte, wie das Farbvokabular der gewählten Romane auf das Publikum wirkt (134):

  1. Die Dichotomie aus hell/dunkel kann für andere Gegensätze wie gut/böse stehen.
  2. Den Protagonisten werden Farbwörter in den Mund gelegt, um an manchen Stellen den „fiktionalen Realismus“ zu erhöhen.
  3. Farbausdrücke dienen der Mnemotechnik und als Stilmittel, um eine erzählerische Einheit zu schaffen und die Handlung zu entwickeln.
  4. Atmosphärische Änderungen des Farbausdrucks wirken zurück auf die Handlung wie z.B. den Auf- und Abbau eines Spannungsbogens.
  5. „Intertextuelle Verknüpfungen, die auch auf der Grundlage von Farbwörtern hergestellt werden können, erzeugen die Eröffnung mehrschichtiger Deutungshorizonte.“

Diese allgemeingehaltenen Ergebnisse werfen die Frage auf, warum einzelne Autoren und/oder Literaturgattungen im Fokus von Kleins Studie stehen und wie sie sich die Farbsprache ihrer Beispiele im Vergleich zu anderen Autoren verhalten. Ihr Buch ist in einer Reihe von Einzelstudien zu sehen, die auf diese Weise vorgegangen sind. Schon ältere Ansätze zeigen allerdings, wie lohnenswert es ist, Farbe als Forschungsgegenstand über die Fachgrenzen hinaus zu denken.[4] Auch wenn sich Kleins Untersuchung zum Farbgebrauch nicht weit über die Latinistik hinauswagt und keinen Anschluss an die linguistische Forschung sucht, finden diejenigen, die sich mit dem Farbgebrauch bei Petron, Apuleius und den pseudoklementinischen Rekognitionen beschäftigen, Impulse in dem Buch, wie Farbbezeichnungen in lateinischen Romanen eingesetzt werden.

 

Notes

[1] Brent Berlin/Paul Kay, Basic Color Terms: their Universality and Evolution, Berkeley 1969. Dagegen u.a. Anna Wierzbicka, Semantics. Primes and Universals, Oxford/New York 1996, 286–334 (v.a. „The Meaning of Colour Terms and the Universals of Seeing“); There Are No “Colour Universals” but There Are Universals of Visual Semantics, in: Anthropological Linguistics 47,2, 2005, 217-244.

[2] Jacques André, Étude sur les termes de couleur dans la langue latine, Paris 1949.

[3] Viele Titel der altertumswissenschaftlichen Forschung, die sich eingehend mit dem Dialog über Farbbezeichnungen bei Aulus Gellius beschäftigen, kommen in Kleins Studie und Bibliographie nicht vor, u.a. Nicolaas Vels Heijn, Kleurnamen en Kleurbegrippen bij de Romeinen, Diss. Utrecht 1951, der bereits hervorhebt, dass die weiten Konzepte von rufus und viridis im Dialog des Gellius nicht irritieren sollten (125) und im Unterschied zu Jacques André diesen Punkt auch bei der Gliederung seiner Arbeit berücksichtigt, d.h. die lateinischen Farbbezeichnungen nicht einfach in moderne Farbbegriffe übersetzt; Helmut Dürbeck, Zur Charakteristik der griechischen Farbenbezeichnungen, Bonn 1977, v.a. 38–42, vgl. auch seine grundsätzlichen Überlegungen ders., Zur Methode des Semasiologen bei der Bedeutungsbestimmung von Farbenbezeichnungen, in: Zeitschrift der Deutschen Morgenländischen Gesellschaft 118, 1968, 22–28; Thorsten Fögen, Patrii sermonis egestas: Einstellungen lateinischer Autoren zu ihrer Muttersprache. Ein Beitrag zum Sprachbewußtsein in der römischen Antike, Berlin 2000, 207–209; Elisa Romano, Il Lessico Latino dei Colori: Il Punto sulla Situazione, in: I colori nel mondo antico. Esperienze linguistiche e quadri simbolici. Atti della giornata di studio, Siena, 28 marzo 2001, hgg. v. Simone Beta/Maria Michela Sassi, Fiesole (Firenze) 2003, 41–53; Umberto Eco, Quasi dasselbe mit anderen Worten. Über das Übersetzen, aus dem Ital. v. Burkhart Kroeber, München/Wien 2006 (italienische Originalausgabe 2003), 420–432; Alessandro Garcea, Il bilingualismo greco-latino e i nomi dei colori, in: Il plurilinguismo nella tradizione letteraria latina, hg. v. Renato Oniga, Il Calamo 2003, 173–198; Renato Oniga, La terminologia del colore in latino tra relativismo e universalismo, Aevum(ant) N. S. 7, 2007, 269–284.

[4] Wenn auch klar veraltet, ein Forschungsüberblick, der diesen Weg geht: Sigmund Skard, The Use of Color in Literature: A Survey of Research, in: PAPhS 90,3, 1946, 163–249. Für die klassische Altertumswissenschaft, aber auch andere Disziplinen listet Skard die älteren Publikationen, die sich mit Farbe bei einem (antiken) Autor und/oder in einer Literaturgattung beschäftigen.