Das vorliegende, monumentale Buch mit einem selektiven, größtenteils illustrierten Katalog auf einer CD (ca. 140 Seiten A4 wenn ausgedruckt) ist eine Publikation in der kleinen Schriftenreihe Bankett und Grab (hg. von P. Amann und P. Ruggendorfer). Es bildet eine ikonologische Studie zu einem Bildmotiv, das in der funerären und nichtfunerären Kunst Italiens in Kernetrurien sehr häufig vorkommt, hingegen weniger in Etruria Padana, im Gebiet der Veneter, Umbrien, Ligurien, Latium, Apulien, Kampanien, Lukanien und Sizilien, nämlich das Bankett (das [rituelle] Speisen), ein Terminus, der in diesem Buch auch für das viel öfter vorkommende Trinkgelage verwendet wird. Ziel der Autorin ist es, Vorbilder, Veränderungen und Bedeutung der Bildmotive zu eruieren, nach der Rolle der Verwendungskontexte zu fragen, und den Realitätsgehalt der Bilder zu prüfen. Was sagen die Bilder über praktizierte Bankettsitten und religiöse, rituelle, sozio-politische Aspekte aus? Weiters ist die Autorin interessiert an Kulturtransfer (hauptsächlich dem von der griechischen Welt nach Italien), kultureller Wechselwirkung, Weinkonsum und an der Position der Frau. Essentiell ist ihre Unterscheidung zwischen Einzel-, Paar- und Kollektivbanketten.[1]
Nach einer theoretisch-methodischen Einführung und einem Überblick über das Motiv im Orient, Ägypten und Zypern ist die erste Hälfte des Buches dem etruskischen Bankettmotiv gewidmet. Hauptsächlich auf diesen Teil beschränke ich meine Zusammenfassung und meinen Kommentar.
Die Bildträger werden in chronologischer Ordnung behandelt, oft in Zusammenhang mit Banketträumen in Residenzen, Gräbern und Heiligtümern. Es handelt sich um Elitenkontexte. Charakteristisch für die orientalisierende Zeit ist die Sitzfigur. Um 630 v. Chr. erscheinen die Klinenbankette im Bild, ab ca. 600 v. Chr. unter Einfluss von korinthischen und später von ostgriechischen, ionischen und attischen Vorbildern. Im 6. und 5. Jh. v. Chr. zeigen Grabmalereien in Tarquinia (oft mit dionysischen Elementen), Reliefs von Pietra fetida (Stinkstein) ohne Kontext aus Chiusi und architektonische Terrakotta-Friese von Häusern und Tempeln kollektive Bankette zu ebener Erde oder auf Klinen, ohne Hauptfigur, fast immer mit Frauen in untergeordneter Position. Sie liegen am Klinenende oder sitzen auf einem Stuhl oder Hocker neben einem Mann oder Männern auf einer Kline. Mitterlechner interpretiert die Bildmotive als Zeichen von Gleichrangigkeit in einer timokratischen Gesellschaft. Das Motiv der Zecher mit wippenden Beinen, die Betrunkenheit verraten, kommt in der griechischen Kunst nicht vor. Das gilt auch für das Hantieren mit einem Ei oder das Überreichen eines Eis.
Im 4. Jh. v. Chr. erscheinen Bilder von Großfamilien. In der hellenistischen Zeit verbreitet sich das Motiv in breiteren Bevölkerungsgruppen, wie Einzelbankette auf Deckeln von Sarkophagen und zahllosen Aschenkisten in Chiusi, Volterra und Perugia belegen. Grabfassaden in Sovana (ca. 200 v. Chr.) zeigen wahrscheinlich Einzelbankette heroisierter Toten.
Wichtig ist die Frage, ob das Bildmotiv in den archaischen Grabmalereien ein dekoratives, reelles/diesseitiges, funeräres Bankett oder ein Bankett im Jenseits darstellt, bevor Todesdämonen (ab ca. 440 v. Chr.) oder dunkle Wolken im Hintergrund (ab ca. 350 v. Chr,) im Bild erscheinen. Mitterlechner interpretiert das Motiv oft als ambi- oder polyvalent, d.h. ”zwischen Diesseits und Jenseits”. Ob die archaischen, gemalten Kollektivbankette Mitglieder einer Gens, Familie oder Freunde darstellen, lässt sich nicht feststellen, weil aristokratische Nameninschriften, z.B. des Grabinhabers, fehlen. Die Tomba delle Iscrizioni in Tarquinia (ca. 520 v. Chr.; S. 97) ist wahrscheinlich eine Ausnahme.
Vollständigkeitshalber folgt hier eine sehr kurze Aufzählung der Themen in der zweiten Hälfte des Buches. Was Etruria Padana anbelangt, zeigen nur vier Grabstelen aus Bologna das Motiv, während die meisten Gräber Bankettgeschirr enthalten. In der Situlenkunst kommen nur männliche Sitzfiguren vor. Tierfriese, Krieg, Jagd, Spiel und Weinzubereitung bilden das Repertoire. Nur vier Aschenkisten aus Umbrien, ein Grabmarker aus Ligurien und einige Cistae und birnenförmige Spiegel aus Praeneste zeigen Bankette. Was Unteritalien betrifft, behandelt die Autorin die daunischen Stelen, apulisch rotfigurige Vasen, tarentinische Artefakte, kampanische und lukanische Grabmalerei und Vasen und die Tomba del Tuffatore in Poseidonia. Schließlich werden Terrakotten, Bankettreliefs, punische Artefakte, Steinstelen, bemalte Grabdenkmäler (mit inschriftlich genannten Agathoi Theoi) aus Lilybaeum und kurz die Bildmotive in Sizilien analysiert.
Es gab wenig Wechselwirkung zwischen den italischen Gebieten. Apulische Kunst hat Etrurien indirekt beeinflusst, aber es gibt kaum Indizien für etruskische Einflüsse in Unteritalien (S. 287; Anm. 81) und gar keine in Sizilien. Mitterlechner meint, dass das Bildprogramm der Tomba del Tuffatore (480-470 v. Chr.) in Poseidonia (S. 334-337) etruskischen Einfluss zeige, u.a. wegen der Anwesenheit eines Tisches mit einem schwarzen Krater und Zweigen. Die etruskischen Kylikeia aber zeigen mehrere Vasen auf drei Ebenen, ohne Zweige.
Hier folgen noch einige kritische Bemerkungen. Die applizierte Deckelfigur einer Urne aus Tolle bei Chianciano (630-620 v. Chr.; S. 40-42) zeigt zum ersten Mal einen auf seiner linken Seite zu ebener Erde liegenden akephalen Mann ohne Attribute. Mitterlechner hält ihn für einen Bankettteilnehmer, weil das Grab ein Weinset hatte, also aufgrund von circumstantial evidence. Es fragt sich aber, ob die vielen gelagerten Personen ohne Kontext und/oder ohne Bankett-Attribute – wie z.B. die berühmten, archaischen Terrakotten-Sarkophagdeckel aus Cerveteri in der Villa Giulia und dem Louvre – Ehepaare beim Bankett darstellen. Grabinstallationen wie z.B. der Raum für den Ahnenkult in der Tomba delle Cinque Sedie in Cerveteri und Grabinventare in Verucchio, Spina, usw. ohne Artefakte mit Bankettdarstellungen sind m.E. nicht immer relevant. Es gibt in Etrurien sehr viele Gräber mit Bankettgeschirr. Nicht überall spielten Frauen eine untergeordnete Rolle. Einige hellenistische Travertinurnen mit oder ohne Inschriften aus Perugia und Umgebung (Katalog Etr. 208; 216; 218; 219; 222; 223; 227; 228; 231; 232; 234; 236) zeigen sie als Weinkonsumenten. Zeugen diese von italischem oder römischem Einfluss? Abgesehen von der Einführung des capite velato-Motivs (um 200 v. Chr.; S. 213; 221) scheinen römische Bankettsitten keinen Einfluss in Italien gehabt zu haben.
Es gibt typographische Fehler, z. B: statt Dicerniculum lese man Discerniculum (S. 143). Es handelt sich aber um einen Parfümlöffel; Klinenrad > Klinenrand (S. 183); Thryros > Thyrsos? (S.356); Persipnai > Phersipnai (Katalog Etr 175, Tomba Golini I).
Zwar hat das Buch ein gut gegliedertes Inhaltsverzeichnis, aber keine Indices, so dass es nicht anhand von Stichwörtern konsultiert werden kann. Es ist bedauerlich, dass die Katalognummern nicht auf den Haupttext verweisen.
Zum Schluss: Mitterlechners historische Einleitungen, ihre Beschreibungen von Bildern und älteren Interpretationen, sowie ihre ikonologische Analysen, Fußnoten und Schlussfolgerungen sind sehr genau. Sie widerlegt auf kritische Weise viele Fehlinterpretationen. Ihre vorzügliche Bibliographie reicht bis zum Jahr 2018. Das Buch ist ein willkommenes und ausführlicheres Gegenstück zu J.M. Dentzer, Le motif du banquet couché dans le Proche-Orient et le monde grec du VIIe au IVe siècle av. J.C. (Rom 1982). Der sehr reiche Inhalt wird nicht nur Archäologen, Historiker, Ritualspezialisten und Altertumswissenschaftler interessieren, sondern, dank der Lesbarkeit, auch ein breiteres Publikum.
Notes
[1] Zu einer vergleichbaren, kurzen Studie: P. Amann, Bankettbilder und ihr ideologischer Gehalt – in Etrurien und darüber hinaus, in L. Aigner-Foresti/P. Amann (Hrsg.), Beiträge zur Sozialgeschichte der Etrusker (Akten der internationalen Tagung. Wien, 8-10.6.2016), Wien: Holzhausen, 2018, 109-128.