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Der vorliegende Band geht Spuren politischer Ordnungen in früher Zeit nach und kommt im Ergebnis dazu, monolithische Vorstellungen der titelgebenden Institutionen von ‘popolo’ und ‘re’ durch Modelle mit verschiedenen Untergruppen einerseits und einer Pluralität von Herrscherfiguren und -rollen andererseits zu flexibilisieren. Behandelt wird eine enorme Bandbreite, vom vedischen Indien zu den Kuriatscomitien in Rom, vom mykenischen wanax bis zur keltischen regalità in Irland. Sind Thema und Ergebnisse für viele weitere Studien potentiell von großem Interesse, bleiben die Beiträge selbst eher auf ein spezialisiertes Publikum ausgerichtet.
Daniele Maggi eröffnet den Band mit dem alten Indien und geht dem Terminus vís- in den vedischen Epen Rigveda und Atharvaveda nach, womit eine Vorstellung von Gemeinschaft gemeint ist, die zwischen Volk und Haushalt anzusiedeln ist, politische und militärische Aufgaben übernimmt und deren versammelte Repräsentanten den ‘re’ wählen, der seinerseits militärischer Anführer und Garant des Rechts ist. Es folgen zwei Artikel zur griechischen Welt. Martin Dreher schließt zunächst an neuere Überlegungen an, im mykenischen wanax keinen mächtigen Alleinherrscher mehr zu sehen, spricht sich dann aber, trotz starker Elite, gegen eine Aristokratie aus, u.a. mit dem Argument, dass alle anderen Staaten in der Antike mit ähnlich zentralisierter Bürokratie Monarchien gewesen sein (120). Sein eigener Vorschlag sieht dann im lawagetas nicht länger bloß den zweitwichtigsten Mann und Heerführer, sondern eben den ‘König’. Unter diesem angesiedelt finden sich die basileis, die auch in den homerischen Epen und, wenngleich auf kultische Rollen reduziert, noch in der Welt der poleis auftauchen, aber nirgends eine Form von Monarchie bedeuten. Alberto Maffi komplementiert dies mit einer Untersuchung zur Rolle des demos in der polis, getrennt nach den Kompetenzen der Versammlungen, dem Zugang zu Magistraturen und den Zuständigkeiten der Rechtsprechung. In seinem Durchgang von Homer zu Drakon, von Chios bis Naupaktos, zeigt er dabei auf, wie letztlich überall der Zugang zu Ämtern ermöglicht wurde und vor allem die Etablierung der Versammlung als Institution mit Entscheidungskompetenz vonstatten ging, wohingegen hinsichtlich der Rechtsprechung ein deutlicherer Unterschied zwischen eher oligarchischen Regimen (wie Sparta oder Kreta) und eher demokratischen (wie Athen) zu sehen sei.
Es folgen sechs Artikel zum frühen Italien. Paolo Poccetti widmet sich den Institutionen im oskisch-umbrischen Sprachraum. Dabei wird deutlich, dass sich für ‘popolo’ durchaus Termini für verschiedene Ebenen eines Zusammenschlusses finden lassen, der Terminus ‘re’ hingegen den vergleichenden Beschreibungen in griechischer oder lateinischer Sprache vorbehalten bleibt und der sabellische Terminus meddix klar auf eine Magistratur hindeute. Dominique Briquel untersucht die Formen der Königsherrschaft und mögliche Entwicklungslinien hin zu den republikanischen Magistraturen bei den Etruskern. Der älteren, auf Servius’ Kommentar zur Aeneis beruhenden Auffassung, im Terminus lucumo sei ein Pendant zum lateinischen rex zu sehen, setzt er überzeugend das Modell entgegen, dass es die Bezeichung zilaθ war, mit der nicht nur Magistrate, sondern in früherer Zeit, also etwa um 600, auch ein ‘re’ und später, im 4. Jh., ein Tyrann bezeichnet wurde. Stéphane Bourdin behandelt die Organisationsformen von Völkern und Volksgruppen im prä-römischen Italien und kann zwei Ebenen ausmachen, einerseits größere, meist politisch als „league“ verbundene ethnische Gruppen (unter Bezeichnungen wie ethnos, génos, nomen, gens, numen), andererseits darunter noch kleinere politische Gruppen (polis, populus, res publica, *ras-, spura oder touta). Alexandre Grandazzigeht dem Zusammenhang von „kingship“ und Urbanisierung nach und bestätigt am Ende die allgemeine Vermutung eines klaren Zusammenhangs, jedenfalls dann, wenn einem ‘re’ nicht nur religiös-kultische, sondern auch politische und militärische Funktionen zukommen; für Rom jedenfalls gilt demnach „pas de ville sans roi, ni non plus de roi sans ville“ (320).
Dann kommen zwei Beiträge des Herausgebers Roberto Fiori. Zunächst beschäftigt er sich mit der ältesten Versammlung Roms, den Kuriatscomitien, die er nicht als eine (nach Stadtgründung aufgekommene) Gliederung der Bürgerschaft nach gentes ansieht, sondern als Überreste einer (vor die Stadtgründung zurückreichenden) Konföderation, deren Häupter sich im späteren Senat und deren Mitglieder sich eben in den curiae trafen. An diese These schließt sich seine Untersuchung der frühen römischen Königszeit an, für die er eine Dyarchie vorschlägt zwischen einem auf Lebenszeit amtieren re-sacerdote und einem kürzer amtierenden re-guerriero, wohingegen im Friedensfall die Regierungsgeschäfte bei den patresgelegen hätten, was als interregnum bekannt sei. Vor diesem Hintergrund seien dann die etruskische Monarchie als Tyrannis und die Republik als Wiederherstellung älterer Strukturen anzusehen; vor allem aber müsse Rom mit der Zweiteilung von „sacerdozio e magistratura“ nicht länger als Sonderfall, sondern als „storia ‘normale’“ angesehen werden (461f.).
Beschlossen wird der Band mit zwei Beiträgen über Kelten und Germanen. Diego Poli kontrastiert kontinental-keltische Entwicklungen, in denen die Position des ‘re’ durch jährliche Magistrate abgelöst wurde, mit der Situation in Irland, wo der ‘re’ die Rolle des kosmischen Ordnungsgaranten für seine Gefolgschaften behielt. Marco Battaglia schließlich untersucht die Formen von leadership bei den Germanen in der Folge der Berichte von Caesar, Tacitus sowie Ammianus Marcellinus.
Dass ein solcher Band im Rahmen einer Rezension nicht eingehend gewürdigt werden kann, liegt auf der Hand. Zu material- und detailreich sind die Studien, die vom Zuschnitt sowohl auch in spezielleren Zeitschriften hätten publiziert werden können als auch teilweise fast Monographien entsprechen; die Beiträge von Fiori etwa haben zusammen nicht nur knapp 200 Seiten, sondern auch 982, teils lange Anmerkungen. Die Entscheidung, alles in einem Sammelband zu publizieren, stellt also den komparativen Ansatz in den Mittelpunkt, wozu auch die mehrfache gegenseitige Lektüre der Beiträge als „interdisciplinarità ‘controllata’“ (21) passt. Gleichwohl richtet sich der Band in der vorliegenden Form eher an Spezialisten als an größere Kreise. Dies liegt nicht nur an den Sujets, welche die Grenzen der klassischen Antike thematisch, geographisch und methodisch überschreiten (und bereichern), sondern auch an der Darstellungsform. So gelingt es längst nicht allen Autoren so gut wie etwa M. Dreher, Aspekte von Quellenlage, Forschungsstand und eigener These elegant und lesbar zu verknüpfen. Einige Artikel sind ohne Kenntnisse und Vertrautheit mit der Indogermanistik kaum nachzuvollziehen oder einzuschätzen, was bei den teilweise spannenden Ergebnissen schade ist, so etwa, wenn bei Poccetti aus der regina nicht mehr die ‘Frau des Königs’, sondern die ‘Königin mit eigenen Machtkompetenzen’ wird (240). Auch bieten bedauerlicherweise nur wenige Artikel überhaupt eine Zusammenfassung ihrer Thesen und Befunde. Umso wichtiger sind die vom Herausgeber selbst benannten roten Fäden (27-31).
Insgesamt ist demnach festzuhalten, dass alle Personen bzw. Institutionen, die in den unterschiedlichen Sprachen als ‘re’ angesprochen sind, zwei unterschiedliche Aufgaben oder Funktionen haben: zum einen als Bewahrer der Ordnung (custode dell’ordine), meist verknüpft mit religiösen Aufgaben, zum anderen als militärischer Anführer, ob nun auf Dauer oder zeitlich befristet für spezielle Aufgaben. Kommen diese Aufgaben in allen Varianten vor, kann sich auch eine triadische Struktur entwickeln, mit zwei distinkten Spezialisten für beide Felder und einem ‘re’ als „soggeto supremo“ darüber. In anderen Fällen führt die fortwährende Spezialisierung des Ordnung-bewahrenden „re-sacerdote“ dazu, dass er keinen genuin politischen Einfluss mehr ausübt, was dann anderen, wie „principes, proceres, nobiles, basileis ecc.“ neue Spielräume eröffnet – und erklärt, wieso ‘re’ sowohl im Singular als auch im Plural vorkommen kann, sowohl den (einen) Anführer (dann der Gemeinschaft) als auch die (mehreren) Anführer (dann eher von kleineren Gruppen) meinen kann. Die Abstufungen beziehen sich dabei nicht überraschend auf die jeweilige Referenzgruppe, für die Recht, Ordnung und militärisches Kommando gelten sollen, womit der Bogen zum zweiten Großbegriff geschlagen ist, dem Volk, worunter vieles gefasst werden kann, Bürgerschaften einer Stadt, Allianzen verschiedener Gefolgschaften und verschiedene Untergruppen, ob nun mit gemeinsamen Territorium oder (bloß?) gemeinsamem Kult oder Sprache.
Bleiben wir bei den beiden titelgebende Hauptbegriffen, ‘re’ und ‘popolo.’ Volk ist schon analytisch ein polysemisches Wort, unter dem a) alle Einwohner ebenso verstanden werden können wie b) die Masse (im Verhältnis zu einer Elite) oder c) die politische Einheit selber, zumal bei Vorhandensein einer Versammlung. Diese Ausgangslage wird durch den Band noch verstärkt, da häufig eher eine Untergruppe als politisches Subjekt agiert, von den vís- im vedischen Raum bis zu dencuriae in Rom. Das ist für Fragen der Staatsentstehung spannend, weil es erstens empirisch die Frage der Gruppenidentität aufwirft und auch die Schwelle andeutet, ab wann eine Stadt abstrakt zum „soggetto giuridico primario“ (29) wird und damit konkrete Verbände ablöst.[1] Es passt zweitens zur methodischen Vorgabe des Herausgebers, eine mittlere Position dergestalt einzunehmen, dass im indoeuropäischen Raum Gruppen nicht nur als Familien, sondern als „communità sovrafamiliari“ mit verschiedenen Ebenen strukturiert waren, man also weder (in der Folge von Eduard Meyer oder John F. Mc Lennan) den Ursprung von Stadt und Familie aus „orda“ und „stato-stirpe“ sehen noch (in der Folge von Henry Summer Maine oder Numa Denis Fustel de Coulanges) den Ursprung von Staaten in der Familie oder clans verorten muss (17).[2]
Die Hauptthese des Bandes, dass das Konzept eines „re-monarca“ nicht angemessen ist für die „regalità arcaica“, leuchtet intuitiv ein – auch wenn man bei beiden Begriffen neugierig überlegt, welche impliziten Konzepte denn damit genau verhandelt werden, was also an Definitionen überhaupt zur Auswahl steht. Dass am Ende der Lektüre nicht klar ist, was ein ‘re’ „ist“, erscheint jedenfalls, methodisch gesprochen, nicht überraschend; dass nirgends im Band abstrakt erklärt wird, was unter ‘re’ verstanden werden soll, dagegen schon. Auch die Aufzählung von „‘re’ maggiori, minori, supremi, vitalizi, stagionali, investiti di compititi sacerdotali, politici, militari, unici e plurimi“ (30) spiegelt die empirische Vielfalt, ersetzt jedoch weder eine Abgrenzung etwa zu einem ‘capo’ oder ‘ruler’ (um das missverständliche ‘sovrano’ zu vermeiden) noch analytische Kategorien. Wie wichtig solche sind, wird en passant deutlich, wenn in Beiträgen problemlos von „potere assoluto“ gesprochen wird oder die Existenz eines monarchischen ‘re’ mit dem Vorhandensein von „stati“ verknüpft wird. Es bleibt gleichwohl eine schöne Pointe, dass viele eher sprachwissenschaftlich argumentierende Beiträge gegenüber den Quellenbegriffen auf den unterschiedlichen Gebrauch gleicher Begriffe und die Rolle des jeweiligen Kontextes hinweisen.
Ein Desideratum liegt eher darin, dass für Fragen nach sozialer Organisation einige Artikel einen zu engen Ausschnitt verfolgen. Beispielsweise wird in der selbst gewählten rein juristischen Perspektive von Maffi die Entscheidungskompetenz der Versammlungen im griechischen Raum schwächer bzw. später deutlich als es in Studien der Fall ist, die auf soziale Spielräume, Machtverhältnisse und die Suche nach Konsens achten.[3] Generell bleibt die Frage der Umsetzung von getroffenen Entscheidungen unbehandelt. Dies liegt in vielen Untersuchungen sicherlich auch an der Quellenlage, deutet aber ebenso darauf hin, dass für die Herrschaftspraxis die Frage nach ‘re’ und ‘popolo’ die Gruppe der wohl immer vorhandenen Elite strukturell ausblendet. Immerhin können auch lacunae in der Herrschaftsbeschreibung interessante Vergleiche ermöglichen. Wenn etwa Daniele Maggi dem ‘re’ in vedischen Quellen nicht nur die Funktion des Garanten des Rechts in kosmischer Dimension zuordnet, sondern auch dessen unterdeterminierte Rolle als Richter mit der prosperità der Gemeinschaft in Verbindung setzt (75), haben wir einen ganz ähnlichen abstrakten good-governance-Diskurs wie bei Homer oder Hesiod (vgl. etwa Od. 19,109-114 oder Hes. erg. 224-237), um nur ein Beispiel zu nennen.
Während die fundierten und ausführlich belegten Beiträge also in den jeweiligen Fachgebieten mit Sicherheit rezipiert werden, ist es angesichts der solcherart nur angedeuteten größeren Linien bedauerlich, dass dem ohnehin gewichtigen Band nicht noch eine Art vergleichender und weiterführender Essay beigegeben wurde, der die Ergebnisse für einen größeren Kreis aufbereitet hätte – zumal an vormodernen Herrschaftsstrukturen in vergleichender Perspektive in den letzten Jahren ja größeres Interesse besteht.[4]
Table of contents
Abbrevazioni (pp. 7-15)
Roberto Fiori, Introduzione (pp. 17-31)
Daniele Maggi, L’entità denominata vís- nel contesto sociale complessivo e in relazione ai livelli di titolarità del potere secondo i testi del Rigveda e dell’Atharvaveda (pp. 33-116)
Martin Dreher, Il re nella Grecia antica (pp. 117-138)
Alberto Maffi, Il demos e le istituzioni della polis arcaica (pp. 139-194)
Paolo Poccetti, Istituzioni pubbliche nell’area delle lingue sabelliche tra filtri documentari, εἴδωλα terminologici e percorsi etimologici (pp. 195-246)
Dominique Briquel, I re in Etruria: una realtà difficile da precisare (pp. 247-273)
Stéphane Bourdin, Popoli e leghe nell’Italia preromana (pp. 275-300)
Alexandre Grandazzi, Royauté e ville: du Latium à Rome (pp. 301-325)
Roberto Fiori, Un’ipotesi sull’origine delle curiae (pp. 327-409)
Roberto Fiori, Le forme della regalità nella Roma latino-sabina (pp. 411-525)
Diego Poli, Quale significato per il significante rí? Alla ricerca della ‘regalità’ in Irlanda (pp. 527-601)
Marco Battaglia, Il problema della leadership nelle culture germaniche tra Antichità e Alto Medioevo (pp. 603-631)
Gli autori (pp. 629-631)
Indice sommario (pp. 633-638)
Notes
[1] Spannend dürfte hierzu der vergleichende Blick in die Studie von Nicola Terrenato, The Early Roman Expansion into Italy. Elite Negotiation and Family Agendas, Cambridge 2019 sein, der aristokratische Netzwerke als Akteure an die Stelle von „Städten“ oder „Gemeinschaften“ setzt, welche den gemeinsam agierenden römischen und italischen Eliten eher als Objekt der Begierde bzw. Vehikel eigener (Gruppen-)Interessen dienen. Weiter ist vor allem auf die Ergebnisse des laufenden Leverhulme Trust research projects ‘The Roman Kings: A Study in Archaeology, History and Power’ von Christopher Smith zu warten.
[2] Dies ist schon deshalb interessant, da es weitere Versuche gibt, diese vielleicht eher wissenschaftshistorisch-bedingte Dichotomie zu überwinden, vgl. etwa Tatjana Thelen/Erdmute Alber (edd.), Reconnecting State and Kinship, Philadelphia 2018.
[3] Zu denken ist etwa an David Elmer, The Poetics of Consent. Collective Decision Making & the Iliad, Baltimore 2013, aber auch an Michael Gagarin, Writing Greek Law, Cambridge 2008.
[4] Als Hinweis auf die florierende vergleichende Forschung zu Ancient Empires in englischer Sprache mögen Verweise auf P.F. Bang/W. Scheidel (eds.), The Oxford Handbook of the State in the Ancient Near East and Mediterranean, Oxford 2013; C. Ando/S. Richardson (eds.), Ancient States and Infrastructural Power. Europe, Asia, and America, Philadelphia 2017 und H. Beck/G. Vankeerberghen (eds.), Rulers and Ruled in Ancient Greece, Rome, and China, Cambridge forthcoming genügen. Speziell für den hier besprochenen Band sei weiter als teils parallele, teils ergänzende Lektüre auf den Band von S. Rebenich (Hg.), Monarchische Herrschaft im Altertum, München 2017 hingewiesen, darin vor allem auf Beiträge von T. Schmitt zu Mykene und U. Walter zur römischen Königszeit. Für einen noch weiteren Fokus, wenngleich auf späterer Zeit, mag noch ein Hinweis auf den SFB 1167 „Macht und Herrschaft ‒ Vormoderne Konfigurationen in transkultureller Perspektive“ an der Universität Bonn von Interesse sein.