BMCR 2020.11.16

Claudius Aelianus. Vom Wesen der Tiere

, , Claudius Aelianus. Vom Wesen der Tiere. De Natura Animalium. Band 1: Bücher I bis VIII. Bibliothek der griechischen Literatur, Band 90. Stuttgart: Anton Hiersemann, 2020. Pp. xxiv, 282. ISBN 9783777219042. €174,00.

Aelian hat jüngst in Deutschland neue Aufmerksamkeit bekommen. So ist nach der zweisprachigen Tusculum-Ausgabe seiner Schrift „De natura animalium“ von Kai Brodersen 2018 (allerdings ohne Sachkommentar) nur zwei Jahre später im Hiersemann-Verlag eine einsprachige Übersetzung erschienen, die ursprünglich von Paul-Gerhard Veh verfasst, aber aus Altersgründen von ihm nicht zu Ende geführt werden konnte. Philipp Stahlhut hat das Manuskript übernommen, die Übersetzung durchgesehen und einen Lesekommentar dazu verfasst. Die methodischen Prinzipien der Übersetzung und des Kommentars werden im Vorwort (S. VII-X) von Stahlhut erklärt. Die Übersetzung von Veh (S. 3-189) beruht auf dem griechischen Text der Loeb-Ausgabe von A. Schofield (1958/1959), der Herchers Text aus dem Jahre 1864 durchgesehen und übernommen hatte und ist in erster Linie zielsprachlich orientiert (S. V); der Kommentar versucht, die wichtigsten zoologischen Fragen zu beantworten (S. 191-283). Dabei werden naturgemäß vor allem Parallelen bei Aristoteles, Athenaios, Oppian, Plinius und Plutarch berücksichtigt, ohne Vollständigkeit erzielen zu wollen, während die Nachwirkung nur in Einzelfällen erwähnt wird, wenn sie helfen kann, schwierige Stellen zu erklären. Bei Unklarheiten der Zuweisung einzelner Tiere werden diese Unsicherheiten im Kommentar benannt, in der Regel wird in solchen Fällen die originalsprachliche Bezeichnung beibehalten. Eine Tabula comparationis (S. XI) notiert die Abweichungen in der Zählung von der neueren Teubner-Ausgabe aus dem Jahre 2009, auf der auch die bereits erwähnte zweisprachige Tusculum-Ausgabe beruht; ein kurzgefasstes Literaturverzeichnis folgt (S. XIII-XIV); eine ausführliche Bibliographie wird im zweiten Band folgen, der die übrigen Bücher 9-17 behandeln wird. Die Einleitung (S. XV-XXIV) von Dirk Uwe Hansen führt in den Autor und sein Werk ein und hebt vor allem die formale Seite dieses Werks hervor. Aelian wollte sein Material über die Tiere möglichst abwechslungsreich und unterhaltsam, ohne den Leser zu langweilen, vorlegen, wie er im Epilog ausführt. Deshalb kann De natura animalium der Kategorie der sogenannten Buntschriftsteller zugeordnet werden, ähnlich wie Athenaios’ Deipnosophistai oder Aulus Gellius’ Noctes Atticae. Inhaltlich ist Aelians Buch freilich eine Art Tierkunde, die die antiken (pseudo)-naturwissenschaftlichen Traditionen, natürlich auch alle möglichen anderen Informationen unterschiedlichen Ursprungs, aufgreift, um Tiere und ihre Eigenschaften darzustellen. Aelian beschreibt Tiere vor allem im Hinblick auf ihre erstaunlichen Leistungen und Eigenarten, die sie von der Natur als angeborene Anlage oder instinktgesteuertes Verhalten erhalten haben, und die gleichwohl oft auch die Leistungen der Menschen übertreffen können (ohne dass ihnen dadurch Vernunft oder vernünftiges Verhalten zugeschrieben wird). Damit knüpft Aelian zugleich auch an die antike Kontroverse unter den Philosophen an, ob Tiere Vernunft besäßen oder nicht, auf die er ausdrücklich in Kap. 6,50 verweist.[1]

Hervorgehoben sei außerdem, dass der Verlag das Layout der Reihe grundlegend geändert hat (u.a. durch ein größeres Schriftbild, Wechsel des benutzten Fonts). So wird der Text des Bandes im Gegensatz zu den früheren Bänden der Reihe in deutlich ansprechenderer Form weitaus leserfreundlicher präsentiert.

Die Übersetzung von Veh zeichnet sich durch Lesbarkeit und das bereits genannte Bemühen um Zielsprachlichkeit aus. Kritisch bemerkt sei allerdings, dass die Bezeichnung „vernunftlose Geschöpfe“ / „übrige Geschöpfe“ (im Prolog S. 3, 155 u.ö.) unpassend wirkt, da doch einfach Tiere gemeint sind: τὰ ἄλογα (ζῷα), die fälschlich im Kommentar von Stahlhut (S. 191) maskulin zu οἱ ἄλογοι werden. Der Aspekt der Geschöpflichkeit evoziert eher biblische Vorstellungen; zudem wird auch die Übersetzung „unvernünftige Tiere“ (z. B. S. 156) verwendet. Hier wäre ein Blick auf die Übersicht über die griechischen Bezeichnungen für Tiere im betreffenden Artikel des Historischen Wörterbuchs für Philosophie von Urs Dierauer nützlich gewesen.[2] Im Prolog ausgelassen ist außerdem der wichtige Halbsatz καὶ εἰ μὴ κατὰ οἰκείαν κρίσιν („auch wenn nicht nach ihrem eigenen Urteil“). Insgesamt ist die Übersetzung eigenständig und unterscheidet sich deutlich von der alten Übersetzung von Friedrich Jacobs aus dem 19. Jahrhundert, wie bereits einige wenige Stichproben zeigen (im Gegensatz zur Übersetzung von Brodersen).[3] Der knapp gefasste, gründliche Kommentar ist sehr detailliert und analysiert neben der naturkundlichen Tradition auch wiederkehrende Muster: z. B. Feindschaften von Tieren (S. 198f), Tiere, die aus verschiedenen Stoffen im Sinne einer Urzeugung entstehen (S. 196). Nur selten scheinen Informationen ergänzt werden zu können: So könnte etwa zu den Ringen mit Eidechsenmotiven in Kap. 5,47, die gegen Blindheit schützen sollen, angemerkt werden (Kommentar S. 251f), dass solche Amulette und Ringe mit Eidechsen aus dem 2.-3. Jahrhundert n. Chr. überliefert sind.[4] Bei der Erwähnung des Zitterrochens in Kap. 1,36 hätte im Kommentar (S. 201) auf Platons berühmten Vergleich dieses Tiers mit Sokrates im Menon 80a-c;84b-c hingewiesen werden können.

Insgesamt bietet diese Edition aufgrund der flüssig lesbaren Übersetzung und des sehr gründlichen, viele Details enthaltenden Kommentars ein nützliches Arbeits- und Hilfsmittel für weitere Forschungen im Bereich der antiken Tier- und Naturkunde.

Notes

[1] Vgl. dazu das Standardwerk von Urs Dierauer, Tier und Mensch im Denken der Antike. Studien zur Tierpsychologie, Anthropologie und Ethik = Studien zur Antiken Philosophie, Band 6, Amsterdam 1977, das wenigstens in der ausführlichen Bibliographie des zweiten Bandes genannt werden sollte.

[2] Siehe U. Dierauer, Art. Tier; Tierseele, in: J. Ritter/K. Gründer (Hgg.), Historisches Wörterbuch der Philosophie, Bd. 10, Sp. 1195, Basel 1998.

[3] Mit Recht kritisiert Silvio Bär in seiner Rezension von Brodersens Tusculum-Ausgabe deren plagiatverdächtige Nähe zur älteren Übersetzung von Jacobs; siehe GFA 22 [2019] 1001-1015. Den peinlichen Fehler Brodersens der aus der Otter (feminin), einer Schlangenart, den Otter (maskulin), einen Marder, macht in Kap. 6,51, findet man bei Veh nicht, der korrekt „Viper“ übersetzt.

[4] Siehe Campbell Bonner, Studies in Magical Amulets: Chiefly Graeco-Egyptian, Ann Arbor, MI 1950, 69–71; verschiedene Stücke kann man bequem konsultieren in der Datenbank von Katalin Bélyácz, Kata Endreffy und Árpád M. Nagy, Hgg. (2010) 2017: The Campbell Bonner Magical Gems Database (CBd), Budapest: Museum of Fine Art: z. B. CBd 1183, 1233, 1255, 1708, 1792.