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Der von Hans Lohmann herausgegebene Band vereint drei Beiträge die sich mit der Erforschung des Latmos beschäftigen. Der zeitliche Rahmen der behandelten Themen reicht von der Prähistorie über die Antike bis hin zu siedlungsgeschichtlichen Entwicklungen der osmanisch-türkischen Zeit in der Gebirgsregion, deren Erforschung unbestreitbar das Verdienst der langjährigen Arbeit von Anneliese Peschlow-Bindokat ist.
Volker Höhfeld widmet sich in seinem Beitrag der historisch-geografischen Fragestellung der »Kulturlandschafts- und Siedlungsentwicklung zwischen Gegenwartszustand, jüngerer Vergangenheit und Spätantike«. Im Mittelpunkt steht dabei die »Landflucht«, die verstärkt seit den 1960er Jahren in den ländlichen und im Besonderen in den Waldberglandsiedlungen festzustellen ist. Aber bereits in früheren Jahrhunderten fanden, so Höhfeld, Ausdünnungsprozesse statt und daher richtet sich sein Augenmerk hier auf die Siedlungsrelikte der osmanisch-türkischen Zeit, von denen er 78 im Latmos registrierte. Zunächst geht Höhfeld auf »natürliches Potential und sozio-ökonomische Ausstattung der Siedlungs- und Agrarlandschaft im westlichen Latmos« ein, das in der, besonders im Sommer wasserarmen, bewaldeten Berglandschaft einerseits in einer (halb)nomadischen Ausrichtung lag, andererseits aber auch in der Forst- und Landwirtschaft, wobei letztere sich anhand von »aufgelassenen Ackerfluren auf Rodungsinseln« erkennen lässt. Unter den festgestellten Siedlungsresten finden sich isolierte Kleinsiedlungen, verlassene Sommersiedlungen, aber auch Dorfwüstungen. Obwohl nicht Schwerpunkt der Betrachtung widmet sich Höhfeld in einem eigenen Kapitel auch den Byzantinischen Vorgängersiedlungen der osmanisch-türkischen Wüstungen. Für einige der untersuchten Orte ist der Grund für das Wüstfallen deutlich zu erschließen, so etwa durch den Wegfall der »Verdienstquelle außerhalb der Land- und Forstwirtschaft«, in diesem Fall dem Bergbau. Des Weiteren fand Höhfeld aber auch Zeugnisse einer engen Verbundenheit zwischen den Bewohnern jüngerer Latmosdörfer und den Wüstungen und Fluren, etwa wenn sie in diesen bis heute die Kultivierung von Olivenbäumen betreiben. Nicht unproblematisch, so Höhfeld, stellt sich die Datierung der Wüstungen dar. Allerdings liefern der Vergleich historischer Karten (zum Beispiel jenen von Kiepert oder Lycker), aber auch (Bau)Inschriften auf Brunnen oder auf Grabsteinen Hinweise dazu. Aus seinen Forschungen ergibt sich nach Höhfeld eine Abfolge von sieben Siedlungs- und Wüstungsphasen zwischen vorislamischer Zeit und der Gegenwart. Unter den Abbildungen finden sich für einige der Wüstungen von Höhfeld erstellte Pläne und zur geographischen Einordnung Ausschnitte aus seiner Fundstellenkarte (s. unten).
Suzanne Herbordts Beitrag befasst sich mit sechs in anatolischer Hieroglyphenschrift verfassten Felsinschriftengruppen, die von Anneliese Peschlow-Bindokat und Christoph Gerber im Jahr 2000 am Osthang des Berges Suratkaya entdeckt wurden und, so Herbordt, in die hethitische Großreichszeit (14.–13. Jh. v. Chr.) zu datieren sind. Verbunden ist der Beitrag mit dem Ziel, eine »zuverlässige Dokumentation der Felsinschriften« durch Fotos und Zeichnungen vorzulegen. Für jede Inschriftengruppe gibt Herbordt zunächst eine Beschreibung ihrer Anbringung am Felshang und des jeweiligen Erhaltungszustandes, dann folgen die Analyse und Lesung der Hieroglyphen. Die um eine zentrale Inschrift (Gruppe 5) in den Fels eingeritzten Hieroglyphengruppen nennen nicht nur die Namen verschiedener hethitischer Würdenträger sondern viermal auch die hethitischer Prinzen (Gruppe 2, 3, 5 und 6). Mit der Nennung des Landes Mira (Gruppe 1), dessen Hauptstadt Apasa heute als Ephesos bekannt ist, liefern die Inschriften zudem einen Beitrag zum Verständnis der historischen Geographie Kleinasiens: So nimmt Herbordt, wie schon Peschlow-Bindokat, an, dass der Suratkaya »im Dreiländereck Mira, Millawanda und Karkisa« liegt und somit einen Hinweis auf die südliche Ausdehnung des Landes Mira gibt.
Mit den frühesten Zeugnissen karischer Befestigungsanlagen befasst sich Hans Lohmann in seinem Beitrag. Sein Augenmerk liegt dabei – grob umrissen – auf der Region zwischen den Linien Iasos–Mylasa und Notion–Ephesos. Er beginnt mit einem kurzen Abriss zur historischen Siedlungsgeschichte Kariens und – am Beispiel des von Lohmann selbst am Çatallar Tepe lokalisierten karischen Melia – zum Verdrängungsprozess der karischen Bevölkerung im Zuge der Ausweitung der griechischen Siedlungsgebiete im Bereich der kleinasiatischen Westküste. Danach geht Lohmann auf das Problem der Datierung früher karischer Befestigungsanlagen und ihrer Zuschreibung an die Leleger[1] durch frühe Forschungsreisende ein. Den Hauptteil des Beitrags nimmt die Beschreibung und kritische Betrachtung von insgesamt 31 Anlagen ein. Diese sind mit Nummern versehen auf einer Kartenbeilage (s. unten) eingetragen, die allerdings nur im Abbildungsverzeichnis aufgeschlüsselt werden. Hier hätte man sich zum einfacheren Nachverfolgen auf der Karte auch eine Angabe der Nummern im Text gewünscht. Zusätzlich zu den Beschreibungen gibt Lohmann zu fast jeder Anlage die Geokoordinaten an und eine teils detaillierte Wegbeschreibung, so dass man die Stätten auch selbst besuchen oder zumindest in Google Earth[2] anschauen könnte. Ausgangspunkt seiner Betrachtungen sind dabei die sechs von Peschlow-Bindokat entdeckten Befestigungsanlagen im Latmos. Nach der Autopsie durch Lohmann ist allerdings nur noch dreien der ›Status‹ einer Ringmauer anzuerkennen; von diesen entspricht diejenige auf dem Zeytin Dağ dem Idealbild dieser Kategorie von Befestigungsanlagen. Anschließend wendet sich Lohmann verwandten Anlagen zu. Trotz der Erwähnung von in Form und typischer Bauweise – aus unbearbeiteten Bruchsteinen – vergleichbaren Anlagen neben Karien auch in Mysien und in der Kibyratis, beschränkt Lohmann sein Betrachtungsgebiet aus praktischen Gründen auf den oben genannten Bereich. Für die Mykale nennt Lohmann die Ringmauer auf dem Kale Tepe bei Güzelçamlı, nicht ohne erneut auf die durch seine Forschungen belegte Interpretation als »Karion Phrourion« statt wie bisher als Melia hinzuweisen. Es folgen mehrere Anlagen im Grion-Gebirge (heute Ilbir Dağı), im Umfeld von Kuşadası, Ephesos und Notion, Iasos und nicht zuletzt auf der Bodrum-Halbinsel.[3] Die untersuchten (zum Teil vermeintlichen) Befestigungsanlagen kann Lohmann verschiedenen (Funktions)Kategorien zuordnen: befestigte Siedlung, Fluchtburg, kleine Ringmauer (›Viezüchterburg‹), Turm- und Wehrgehöf, Ovalbau (Grab). Da bis auf zwei Anlagen in der Mykale, nämlich Kale Tepe und Çatallar Tepe, keine durch Grabungen untersucht wurden, ist die Datierung aller anderen von diesen abzuleiten. So datiert Lohmann überzeugend diejenigen Wehranlagen, die im Grunde nur aus einer Mauer »mit einfachen Tordurchlässen oder Tangentialtoren«[4] bestehen, in das 7./frühe 6. Jh. v. Chr., wobei meiner Ansicht nach auch eine etwas ältere Datierung möglich erscheint. Jünger sind dagegen diejenigen mit Türmen und Bastionen. Allerdings erfuhren auch die älteren Anlagen Modernisierungen, wie bei zweien klar im Torbereich festzustellen war. Im Gegensatz zu der unter anderem immer wieder von Isabelle Pimouguet-Pedarros vorgebrachten Existenz einer »systematischen Territorialverteidigung« Kariens sieht Lohmann diese in den Fluchtburgen, Türmen und anderen Befestigungsanlagen nicht, trotz ihrer relativ hohen Anzahl.
Das vorliegende Werk ist ein weiterer Schritt zur Publikation der insbesondere von Anneliese Peschlow-Bindokat geprägten Forschungen im Latmos. Während die Beiträge von Höhfeld und Herbordt eher als ›spezielle‹ Forschungsbereiche anzusehen sind, ist der Beitrag von Lohmann besonders hilfreich für die Beschäftigung mit den, wie bereits ausgeführt, frühen Befestigungsanlagen in Karien aber auch den angrenzenden antiken Landschaften, da hier eine Zusammenstellung dieser Anlagen (Fluchtburgen etc.) erfolgt, die bislang eher verstreut publiziert sind. Für die internationale Leserschaft hat jeder Beitrag neben einer deutschsprachigen Zusammenfassung auch jeweils eine auf Englisch und Türkisch. Abgerundet wird der reich bebilderte Band durch die Kartenbeilagen zu den Beiträgen von Höhfeld (Beilage 1) und Lohmann (Beilage 2). Besonders Beilage 1 sei hier erwähnt, da sie die einen umfassenden Überblick nicht nur über die im Beşparmak behandelten Wüstungen und Fluren, sondern auch über Fundplätze und Stätten unterschiedlichster Art von der Prähistorie bis in die byzantinische Zeit bietet. Sie eignet sich, ebenso wie die Angaben der Koordinaten in Lohmanns Beitrag, als eine Art Reiseführer für einen eigenen Besuch der historischen Stätten des Latmos und des ionisch-karischen Grenzgebietes.
Inhaltsverzeichnis
Teil I Volker Höhfeld, Kulturlandschaftswandel im Latmos (Beşparmak, Südwest-Türkei). Ein Beitrag zur genetischen Siedlungsforschung in einem Bergland Westanatoliens (S. 3–125)
Teil II Suzanne Herbordt, Die Felsinschrifen vom Suratkaya – Latmos (S. 127–151)
Teil III Hans Lohmann, Frühe karische Befestigungen im Latmos und verwandte Anlagen (S. 153–284)
[1] Zu den Lelegern: Wolfgang Radt, Siedlungen und Bauten auf der Halbinsel von Halikarnassos, 3. Beih. IstMitt (Tübingen 1970), 10–12, 145–211.
[2] Auch Lohmann beruft sich häufig auf dieses Medium, das ihm bei seinen Forschungen half.
[3] Deren Erforschung ist das Verdienst von Wolfgang Radt; s. hier Anm. 1.
[4] Zu Lohmanns kurzem Exkurs (S. 273 f.) zum Typus des Tangentialtores sei als weiteres Beispiel eines frühen Tangentialtores in Karien auf das der Siedlung auf dem auf dem Köklü Dağ auf der karischen Chersones hingewiesen; W. Held, „Karische Fluchtburgen und die Entstehung der Siedlungen auf der Karischen Chersones“, in: W. Held (Hrsg.), Die Karische Chersones vom Chalkolithikum bis in die byzantinische Zeit. Beiträge zu den Surveys in Loryma und Bybassos (Marburg 2019), 91 f.