Andrew Leigh, erfahrener Dozent für Classics am Winchester College (UK), schreibt im Vorwort, er habe das Lehr- und Übungsbuch zum einen für Schüler konzipiert, die sich auf die Abschlussprüfungen (A Level) vorbereiten, zum anderen auch für die Vorbereitung auf die Universität. Diese Rezension ist aus der Perspektive der Erfahrung mit den ‘deutsch-lateinischen Stilübungen’ an Universitäten geschrieben, ohne die entsprechenden Erfahrungen im britischen System, auf das das Buch zielt.
Für Lateinstudenten, die mit ‘Deutsch-Latein’ beginnen, sind die Übungen von Leigh (in deutscher Übersetzung) auf jeden Fall gut geeignet, wohl weniger für den Lateinunterricht am Gymnasium. Das gewählte Format ‘für Schüler’ ermöglicht es Leigh indessen, völlig unprätenziös, realistisch und zupackend ein nützliches Übungsbuch vorzulegen, das viele Studierende gern nutzen werden, um die Grundlagen zu üben. Passive Sprachkenntnisse (Wortschatz, Morphologie, Syntax) werden vorausgesetzt und anhand vieler Übungssätze und -texte aktiviert.
Jeder, der ‘Stilübungen’ unterrichtet, weiß, dass es nur wenig Fachliteratur gibt, die sich diesem sehr speziellen Feld zuwendet, das gleichwohl weiterhin einen großen Raum im Studium einnimmt (für den englischen Bereich ist etwas mehr Unterrichtsmaterial verfügbar). Lehr- und Übungsbücher sind ebenso rar wie theoretische Reflexionen im Rahmen der Hochschuldidaktik; und die lateinischen Grammatiken sind aus der Perspektive des Lateinischen verfasst und aufgebaut. Die meisten DozentInnen, die das Übersetzen vom Deutschen ins Lateinische unterrichten, erstellen daher eigene Materialien und erfinden das Rad in mühsamer Arbeit immer wieder neu, nicht nur für ‘pattern drill’ und einfache Sätze. Denn Studenten, die mit dem Erlernen aktiver (schriftlicher) Sprachpraxis neu beginnen, benötigen zunächst Grundlagen, wie sie Leigh bietet und wie sie für den Erwerb von Schreib- und Sprechpraxis in modernen Fremdsprachen eine Selbstverständlichkeit sind.
Da Studierende zu Beginn erfahrungsgemäß kaum (oder nur sehr selten) über aktive Fähigkeiten in Morphologie und Syntax verfügen, ist es sehr erfreulich, dass Leigh tatsächlich mit Zwei-Wort-Sätzen und dem Thema Kongruenz beginnt. Er setzt also an einem weit niedrigeren Niveau an als Catrein / Spal[1] und Wilms[2], die man beide im Anschluss an Leighs Übungen einsetzen könnte.
Das Buch besteht aus 34 Kapiteln bzw. Lektionen, in drei Teilen, die den Stufen der schulischen Prüfungen im britischen System entsprechen: Der 1. Teil (knapp 20 Seiten) widmet sich kurzen und einfachen Hauptsätzen (‘GCSE’, General Certificate of Secondary Education). Im 2. Teil (auf ca. 100 Seiten) werden neben Übungssätzen auch schon kurze und einfachere Textpassagen übersetzt (‘AS’ Niveau) und der 3. Teil (knapp 60 Seiten) führt zu komplexeren Textpassagen (‘A Level und höher’). Das verwendete Vokabular beruht auf einer Wortliste (‘OCR AS List’), die bequem online zu finden ist. Eine Liste im Anhang enthält das nötige Englisch-Lateinische Vokabular. Grundkenntnisse in der Morphologie werden vorausgesetzt, hinten im Buch sind jedoch Tabellen zum schnellen Nachschlagen bereitgestellt.
Jede Lektion bietet grammatische Erklärungen, Beispiele und Übungssätze, bereits ab Lektion fünf auch kurze zusammenhängende Texte. Es werden keine ‘Lösungen’ für die Übungen gegeben, so dass das Buch eher für den Einsatz im Unterricht als für das Selbststudium zu empfehlen ist.
Die grammatischen und syntaktischen Erläuterungen sind äußerst knapp gehalten und sehr pragmatisch, so dass reguläre Phänomene eingeübt werden können, ohne dass umgehend mit Ausnahmen von den Regeln abgelenkt würde. Das Ziel ist, mit einer soliden Grundausstattung an Vokabeln (und der entsprechenden Morphologie) und Syntax mit dem Übersetzen zu beginnen, ohne zunächst Hemmungen aufzubauen, indem auf später bevorstehende Probleme schon hingewiesen würde. Auch die Fachtermini beschränken sich auf ein Minimum (so dass einzelne, die dann doch genannt werden, eher überraschen, als dass man sie vermisst hätte). Die Erklärungen sind ebenso knapp wie klar verständlich. Die lateinischen Beispielsätze und ihre englischen Übersetzungen leuchten unmittelbar ein, Unterschiede zwischen den beiden Sprachen werden deutlich; ‘wörtliche’ Übersetzungen zur Verdeutlichung der Unterschiede werden nur selten eingesetzt. Es wird als selbstverständlich vorausgesetzt, dass sich (die) Sprachen in Vielem unterscheiden, d.h. Latein wird nicht als ‘Sonderfall’ unter den Fremdsprachen behandelt. Auf mögliche Fehlerquellen beim Übersetzen wird verwiesen (viele der Beispiele betreffen ebenso das Deutsche).
Die kurzen Beispiel- und Übungssätze beruhen nicht auf Originalsätzen, kommen daher mit dem bekannten Vokabular aus und sind inhaltlich wenig voraussetzungsreich, so dass die sprachlichen Phänomene im Mittelpunkt stehen können. Einzelne kleine Versehen in den lateinischen Formulierungen lassen sich stillschweigend korrigieren. Die Übungssätze trainieren nicht nur die Themen der jeweiligen Lektionen, sondern sind kumulativ, so dass dauernd viel wiederholt wird.
Die Progression folgt nicht systematisch den einzelnen lateinischen Phänomenen, sondern den Bedürfnissen des Übersetzenden, d.h. der Relevanz und der Frequenz. Dafür hier nur einige Beispiele: Lerntechnisch nützlich ist z.B., dass zum Thema ‘Ort’ Akkusativ, Ablativ und Lokativ zusammen behandelt werden; die Konstruktionen von iubere, imperare, hortari etc. erscheinen in einer Lektion. Dabei wird nicht jeweils ein Thema en Detail behandelt, sondern die Progression verläuft auf mehreren Ebenen gleichzeitig, etwa in Lektion 3: nominaler Gebrauch von multi, omnes; Futur und Plusquamperfekt als weitere Tempora; et und sed als Konnektoren. Lektion 6: Komparativ und Superlativ; weitere Konnektoren. Die Temporalsätze etwa verteilen sich auf zwei Lektionen (8 und 24); zunächst werden ubi, ut, postquam, cum eingeführt, viel später dann dum (mit Indikativ und mit Konjunktiv) und antequam/priusquam. Schon vor den Temporalsätzen sind der Ablativus Absolutus und das Partizipium coniunctum in Gebrauch, so dass die Übersetzenden diese typisch lateinischen Ausdrucksmittel zuerst einüben. Hilfreich ist auch, dass der AcI zunächst für die indirekte Rede eingeübt wird, so dass diese ganz selbstverständlich zum Grundwissen zählt.
Die ‘Geschichten’ der Übungstexte basieren auf den Inhalten von Originaltexten, die ein breites inhaltliches Spektrum bieten und implizit auf die reiche lateinische Literatur verweisen (Caesar, Ovid, Livius, Plinius, Tacitus, Sueton, Apuleius, Augustin und Beda). Einzelne noch unbekannte Vokabeln (solche, die nicht zu der Wortliste gehören) werden jeweils angegeben. Die abschließenden Übungstexte entstammen Samul Pepys’ Tagebuch, einer Rede von Churchill aus dem Jahr 1940 und einer Rede Obamas von 2009.
Es wäre wünschenswert, wenn Leighs Übungsbuch dazu motivieren könnte, entsprechend niederschwellig einsetzende Übungen auch für ‘Deutsch-Latein’ nicht nur zum Eigengebrauch zu erarbeiten, sondern auch zu publizieren. Studierende, die nicht von Beginn an überfordert werden, können durch konsequente und systematische Progression sicher ein erfreuliches Niveau der Textproduktion erreichen.
Fußnoten
[1] Christoph Catrein, Andreas Spal, Lateinische Stilübungen für Studienanfänger, Dortmund 2018.
[2] Lothar Willms, Lateinische Stilübungen. Ein Arbeitsbuch mit Texten aus Cäsar und Cicero, Göttingen 2017.