BMCR 2020.03.20

Obsidibus imperatis: Formen der Geiselstellung und ihre Anwendung in der Römischen Republik

, Obsidibus imperatis: Formen der Geiselstellung und ihre Anwendung in der Römischen Republik. Philippika, 129. Wiesbaden: Harrassowitz Verlag, 2019. xii, 261 p.. ISBN 9783447111621. €68,00.

Inhaltsverzeichnis

 

Im Zentrum der hier zu besprechenden Studie, die eine Überarbeitung der von Simon Thijs an der Universität Kassel eingereichten Dissertation darstellt, steht eine ausführliche Untersuchung von Geiselstellungen in der römischen Republik, insbesondere die Frage, warum Römer und andere Gruppen immer wieder über Jahrhunderte hinweg auf das Instrument der Geiselstellung zurückgriffen. Dieses bot nämlich anscheinend durchaus keine höhere Sicherheit dafür, dass Abkommen tatsächlich eingehalten wurden, denn diese wurden auch bei zuvor erfolgter Stellung von Geiseln regelmäßig gebrochen (2-3). Vor dem Hintergrund dieser Überlegungen wirft Thijs in der Einleitung seiner Studie die Frage auf, ob stattdessen von einer symbolischen Kommunikation innerhalb der politischen Kultur der Republik gesprochen werden könne, in der Geiseln eine Rolle spielten. Gab es – so eine weitere Frage – ein Interesse an der Romanisierung von Geiseln?

Diesen Fragen geht Thijs in fünf auf die Einleitung folgenden Kapiteln nach, in denen er sich zunächst um eine Definition der Begrifflichkeit und Abgrenzung von ähnlichen Phänomenen bemüht (7-15), daraufhin unterschiedliche formale Kontexte erläutert (16-54), um dann eine Übersicht zu Geiselstellungen in der Epoche der Republik zu geben (55-171). Anschließend geht er der Frage nach einer möglichen „Romanisierung“ von Geiseln nach (172-178), bevor er deren Relevanz für die „Selbstdarstellung“ von Angehörigen der senatorischen Elite untersucht (179-213). Auf das Fazit (215-218) folgen ein Literatur- und Quellenverzeichnis (219-240) sowie verschiedene Register (241-261).

Über die gesamte Epoche der griechisch-römischen Antike hinweg war es im Rahmen diplomatischer Verhandlungen gängig, Geiseln zu stellen. Die weite Verbreitung des Phänomens ist auch der modernen Forschung nicht entgangen, doch liegen hierzu vergleichsweise wenige monographische Untersuchungen vor. Insbesondere zur Epoche der Republik sind auf diesem Feld zuletzt kaum neuere Arbeiten größeren Umfangs erschienen, was eine Neubewertung gerechtfertigt erscheinen lässt.[1]

Zu Beginn seiner Arbeit erwägt Thijs in knapp gehaltenen methodischen Vorbemerkungen die Tragfähigkeit des von Ole Wæver formulierten Konzepts der „Versicherheitlichung“ bzw. „Securitization“, um zu klären, ob dieses als „Analyseansatz“ für die Praxis der Geiselstellung in Rom tauge (3-6). Hiermit sei der Vorgang bezeichnet, „durch den etwas zu einem Sicherheitsproblem gemacht“ werde, um auf diese Weise außergewöhnliche Maßnahmen zur Lösung des Problems zu rechtfertigen (Einsatz von Sicherheitskräften, militärische Intervention, u.a.). Da Kriegführung für die Gesellschaft der römischen Republik keine außergewöhnliche Maßnahme darstellte, bezeichnet Thijs dieses Modell als wenig geeignet, erwägt jedoch, ob „die Gegenbewegung zur Versicherheitlichung“, die „Entsicherheitlichung bzw. Desecuritization“ als Modell geeignet sei, um einen neuen „Blick auf die römische Praxis der Geiselstellung“ (6) zu gewinnen.[2]

Um die Untersuchung präziser zu fassen, geht Thijs zunächst auf die Begrifflichkeit und Definition ein (7-15). Dabei möchte er sich vor allem solchen Fällen widmen, in denen Geiseln gemäß einer Absprache (etwa nach einem Friedensschluss) gestellt wurden. Für derartige Individuen sei im Lateinischen der Terminus obses regelmäßig nachzuweisen, während andere Gruppen, etwa gewaltsam verschleppte Menschen, „eher als Gefangene o.ä. bezeichnet“ (7) würden. Im Griechischen sei die Terminologie offener.

Anschließend widmet sich Thijs den unterschiedlichen „formalen Kontexten“, in denen es zu einer Geiselstellung kommen konnte (16-54). Gerade im Zuge der Eroberung Italiens unterwarfen sich zahlreiche Gemeinwesen nach einer zuvor erlittenen militärischen Niederlage Rom in Form der deditio, der vollständigen rechtlichen Selbstaufgabe. Vertraglich fixierte Abkommen (foedera), in denen Geiseln eine Rolle spielten, seien erst im Kontext des Zweiten Punischen Krieges nachweisbar, was Thijs damit in Verbindung bringen möchte, dass erst im Zuge der außeritalischen Expansion nach neuen Formen der „außenpolitischen Vertragsinstrumente“ gesucht wurde, die für Kontakte mit italischen Vertragspartnern noch nicht notwendig gewesen waren (26). Bei dieser Annahme bleibt aber unberücksichtigt, dass wir für die Jahre 292-218 durch den Wegfall der zweiten Dekade des Livius nur schlecht über Details von Abkommen unterrichtet sind. Eine grundsätzlich unterschiedliche Behandlung von Geiseln aus foedera und deditiones lasse sich nicht feststellen.

Wenig völkerrechtliche Systematisierung erkennt Thijs auch mit Blick auf andere Fälle, in denen offenbar überhaupt keine vertraglich ‚vereinbarten‘ Geiselstellungen vorlagen. Anscheinend stand es einem römischen Befehlshaber vor Ort frei, die Stellung von Geiseln zu fordern, wenn er an der romfreundlichen Einstellung der lokalen Bevölkerung Zweifel hegte. Eine festgelegte Dauer der Zeit, in der Geiseln in Roms Gewahrsam blieben, scheint es ebenfalls nicht gegeben zu haben. Eindrücklich führt Thijs die Vielfalt des Phänomens vor, das zwar weithin akzeptiert war, sich einer strengen Systematisierung jedoch weitgehend entzieht und in recht unterschiedlichen Kontexten begegnet. Es bestanden indes durchaus Konventionen hinsichtlich der Stellung von Geiseln in bestimmten Situationen und hinsichtlich der Behandlung von Geiseln, deren Misshandlung in den Quellen regelmäßig als Zeichen für ‚barbarische‘ Unzivilisiertheit gewertet wird (51).

Im zweiten Abschnitt des Buches geht Thijs der Frage nach, ob sich hinsichtlich der Geiselstellungen an Rom in verschiedenen regionalen und kulturellen Kontexten Unterschiede feststellen lassen (55-171). Genauer untersucht werden Geiselstellungen im diplomatischen Verkehr der Römer mit Bewohnern keltischer Gebiete, die ihrerseits noch weiter unterteilt behandelt werden, mit Karthago und der griechischen Welt.

Bei den Kelten Oberitaliens scheinen Geiselstellungen im Rahmen von Abkommen üblich gewesen zu sein. Allerdings stellte die lockere Struktur und Heterogenität der Herrschaften keltischer Eliten derartige Übereinkünfte immer wieder in Frage. Der Abschluss von Abkommen wurde hierdurch erheblich erschwert und diese oftmals gebrochen, wenn sich etwa keltische Gruppen nicht an Vereinbarungen gebunden fühlten, die von Anführern anderer, konkurrierender Gruppen geschlossen worden waren. Geiseln wurden offenbar dennoch gestellt, wenngleich römische Feldherren dabei darauf achteten, dass diese aus verschiedenen Gruppen des jeweiligen keltischen Volkes stammten, um so deren Heterogenität gerecht zu werden (61-63).

Thijs erwägt, dass jene Geiseln nicht so sehr als Element der dauerhaften Sicherung diplomatischer Abkommen angesehen worden seien, sondern als Teil einer „Kommunikation nach innen“ (67). So hätten siegreiche Feldherren einem römischen „Publikum“ gegenüber (gemeint sind offenbar Senat und Volksversammlung) mithilfe von Geiseln den Grad ihres militärischen Erfolges demonstrieren können.

Auch die für Roms Kriege auf der Iberischen Halbinsel überlieferten Fälle (73-101) zeichneten sich dadurch aus, dass Geiseln römischen Feldherren auch dazu dienten, das Ausmaß ihres Erfolges in Rom unterstreichen zu können. Im Kontakt mit indigenen Eliten auf der Halbinsel hätten einzelne Feldherren, wie P. Cornelius Scipio, wiederum demonstrativ auf die Stellung von Geiseln verzichtet bzw. hätten solche freigelassen. Derart vertrauensbildende Maßnahmen seien womöglich erfolgsversprechender gewesen als die Forderung nach Geiseln. Nicht unerheblich erschwert wird die Interpretation von Passagen, in denen dies geschildert wird, jedoch durch literarisch ausgearbeitete Darstellungen in der römischen Historiographie, die unter anderem dazu gedient hätten, römische Großzügigkeit und Milde der Grausamkeit der Karthager gegenüberzustellen, die vor den Römern eine hegemoniale Stellung auf der Iberischen Halbinsel innehatten.

Für die Gebiete nordwestlich der Alpen („Gallien, Germanien, Britannien“, 101-122) ist die Quellenlage zu diplomatischem Austausch und hiermit verbundenen Geiselstellungen nicht zuletzt durch zahlreiche Erwähnungen in Caesars Bellum Gallicum recht günstig. So sind einige Fälle von Geiselstellungen überliefert, mit denen Caesar sein stadtrömisches (Lese-)Publikum habe beeindrucken und von dem Ausmaß seiner militärischen Erfolge habe überzeugen wollen. Eine besondere „Form der Vergeiselung“ (113) findet sich in der Schilderung der Britannienexpedition, auf die Caesar zahlreiche gallische principes als Reitereinheiten obsidum loco (Caes. Gall. 5,5,3-4) mitnahm, in der Hoffnung, auf diese Weise die Loyalität der jeweiligen Stämme zu erhalten. Allgemein lasse sich das Streben Caesars erkennen, seine eigene Behandlung von Geiseln als angemessen und human darzustellen, während seine Gegner zu deren grausamer Misshandlung geneigt hätten.

Besonders erfolgreich in dem Sinne, dass nach der Übergabe von Geiseln ein verlässlicher Friede zwischen Römern und den jeweiligen keltischen Gruppen herrschte, war die Stellung von Geiseln übrigens nicht. Sowohl Caesar als auch seine keltischen Verhandlungspartner hielten dennoch hieran fest, was die allgemeine Verbreitung und Akzeptanz dieser Vorgehensweise sowohl bei Kelten als auch bei Römern zeigt. Gegnern, die sich Caesar zu einem früheren Zeitpunkt unterworfen und dabei Geiseln gestellt hatten, später jedoch erneut zu Feindseligkeiten zurückgekehrt waren, wurde eine erneute Stellung von Geiseln allerdings nur selten gewährt. In diesen Fällen scheint die römische Seite den Bruch des Abkommens in der Regel mit exemplarischer Härte bestraft zu haben (107-109).

Üblich war die Stellung von Geiseln auch bei Griechen und Karthagern, deren Austausch mit Rom sich Thijs in der längsten der Teiluntersuchungen widmet (122-171). Hier erlaubt die im Vergleich zu keltischen Gebieten und der Iberischen Halbinsel günstigere Quellenlage tiefergehende Einblicke in Konventionen der Geiselstellung. So achteten Römer wie Griechen offenbar darauf, dass der Vertragspartner durch die Stellung von Geiseln nicht „destabilisiert“ wurde, indem zum Beispiel hohe Beamte oder gar „die designierten Nachfolger von Königen zu Geiseln“ gemacht wurden (130). Andere Ergebnisse des Kapitels ähneln den Befunden, die Thijs bereits mit Blick auf Geiselstellungen im Kontakt mit Kelten und den Völkern der Iberischen Halbinsel in den vorherigen Kapiteln präsentiert hatte. Die Entgegennahme von Geiseln habe römischen Feldherren als Beleg für den im Kampf errungenen Sieg gegenüber den jeweiligen Gegnern sowie als Demonstration militärischer Bewährung und Tüchtigkeit in der bereits erwähnten Kommunikation „nach innen“ gedient (oftmals mit Blick auf die erhoffte Bewilligung eines Triumphzuges). Eine neue Qualität hinsichtlich der Prominenz von Geiseln und der damit verbundenen Aussagekraft in jener politischen innerrömischen Kommunikation habe die Stellung von Geiseln aus prominenten hellenistischen Königshäusern (etwa dies des späteren Antiochos IV.) gehabt. Soweit sich dies feststellen lässt, wurden gerade jene prominenten Geiseln in Rom gut behandelt und verfügten sowohl über beträchtliche Vermögen als auch über einigen Bewegungsspielraum.

Hinsichtlich der Frage nach einer möglichen ‚Romanisierung‘ von Geiseln plädiert Thijs überzeugend für eine vorsichtige Bewertung. Eine Intention von Seiten römischer Akteure, Geiseln gezielt mit römischer Kultur vertraut zu machen, um etwa nach deren Freilassung mit solchen ‚romanisierten‘ Individuen zuverlässige und treue Verbündete zu haben, lasse sich für die Republik nicht ausmachen. Erst im frühen Principat ließen sich Ansätze einer solchen Entwicklung erkennen.

Mit Blick auf Geiseln im Kontext der „Selbstdarstellung“ von Senatoren nimmt Thijs unter anderem deren Erscheinen in Triumphzügen in den Blick. Zwar seien nur wenige Fälle ausdrücklich bezeugt, doch geht Thijs hier von einer regelmäßigen Präsenz von Geiseln aus, die zudem auch in den folgenden Jahren im Umfeld des Triumphators sichtbar gewesen seien. Aus dieser physischen Präsenz der Geiseln heraus sei auch deren weitgehendes Fehlen in Darstellungen auf Münzbildern oder Denkmälern zu erklären: da die Geiseln – im Gegensatz zu einfachen Kriegsgefangenen oder materieller Kriegsbeute – dauerhaft präsent gewesen seien, habe man „kein symbolisches Andenken an ihren Auftritt im Triumphzug schaffen“ müssen (216). Zudem wären Geiseln auf bildlichen Darstellungen auch kaum von sonstigen Kriegsgefangenen zu unterscheiden gewesen. Diese Überlegungen sind grundsätzlich nachvollziehbar, doch ließe sich anmerken, dass zahlreiche Objekte aus der sonstigen Kriegsbeute im Stadtbild Roms (sowie teilweise darüber hinaus) physisch präsent blieben (in Denkmälern, aus Beute gestifteten Tempeln, Statuen usw.), was jedoch niemanden davon abhielt, diese Zeugnisse der eigenen Sieghaftigkeit auch auf Münzen oder anderen Bildern darzustellen.

In der intendierten Kommunikation in dem politischen Innenraum Roms sei schließlich auch ein ganz wesentlicher Grund für das Festhalten am Instrument der Geiselstellung zu sehen. Denn zwar habe man sich „von Geiseln wohl ein gewisses Mehr an Sicherheit“ (216) versprochen, doch habe die Praxis nach Thijs nur wenig dazu beigetragen, dass Abkommen tatsächlich zuverlässiger eingehalten wurden. Doch mit der Forderung nach Geiseln und ihrer Präsentation etwa im Triumphzug hätten Angehörige der Elite den Versuch unternommen, „einen Krieg als vollkommen abgeschlossen darzustellen und zu belegen, dass dies der [sic] eigene Verdienst war“, was in der zu Beginn der Arbeit etablierten Begrifflichkeit einer „Entsicherheitlichung“ der entsprechenden Konstellation entsprochen habe (217). Dieses Ergebnis lässt sich durchaus nachvollziehen, auch wenn letztlich offen bleiben muss, in wie vielen Konstellationen Geiseln doch zu einer Stabilisierung von Abkommen beitragen konnten. Schließlich dürften die Quellen über solche Fälle, in denen es zu keinem Bruch kam und somit alles ruhig verlief, weniger umfangreich berichten.

Insgesamt stellt Thjis Buch eine interessante Arbeit auf einem Forschungsfeld dar, das in den vergangenen Jahren eher selten direkt bearbeitet wurde. Auch wenn nicht jede Leserin bzw. jeder Leser mit allen Ergebnissen im Detail und in vollem Umfang einverstanden sein muss, ist die Untersuchung grundsätzlich überzeugend. Sie bietet somit nicht nur eine willkommene Übersicht zum Phänomen der Geiselstellung in der römischen Republik insgesamt, sondern auch zahlreiche instruktive Hinweise und kluge Gedanken zu einer Vielzahl von Fragen zur römischen Außenpolitik in der mittleren und späten Republik sowie zur politischen Kultur Roms, die auf diesen Gebieten Forschende mit Gewinn lesen werden.

Notes

[1] Siehe etwa Cheryl L. Walker, Hostages in Republican Rome, Chapel Hill 1980; Joal Allen, Hostages and hostage-taking in the Roman Empire, Cambridge 2006; Paavo Roos, Studies of Hostages in Antiquity (Publications of the New Society of Letters at Lund; 97), Lund 2019.

[2] Ole Wæver, Securitization and Desecuritization, in: Ronnie D. Lipschutz (Hg.), On Security, New York 1995, S. 46-86. Dieser theoretische Rahmen rührt nicht zuletzt aus dem Sonderforschungsbereich 138 der Deutschen Forschungsgemeinschaft „Dynamiken der Sicherheit. Formen der Versicherheitlichung in historischer Perspektive“, in dessen Umgebung Rahmen Thijsens Studie entstanden ist (Dynamiken der Sicherheit).