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Seitdem die Bücher-Meyer-Kontroverse chronologisch wie regional wesentlich differenzierteren Diskussionen gewichen ist, versprechen auf dem Feld der antiken Erzeugung und des Verbrauchs von Nahrung derzeit besonders zwei Ansätze neue Erkenntnisse: Die Auswertung quantitativ relevanter naturwissenschaftlicher Daten und die Anwendung theoretischer Modelle aus den modernen Wirtschaftswissenschaften. Dieser Band mit 23 weitgehend unverbundenen, englischsprachigen Einzelbeiträgen trägt dem in Bezug auf Ersteres Rechnung und erhebt den Anspruch, einen Überblick über die aktuelle Quellen- und Forschungslage zum Thema Ernährung in der römischen Welt zu bieten. Sein Schwerpunkt liegt auf der Zeit zwischen dem 2. Jh. v.Chr und dem 3. Jh n.Chr. Nahezu jeder Beitrag ist in äußerster Kürze gehalten und als Ausgangspunkt, nicht als Referenz für weitere Studien gedacht – eine Aufgabe, die der Band gut erfüllt. Der Schwerpunkt der eingeflossenen Literatur liegt dabei auf den 1990er und 2000er Jahren; jüngere Publikationen wurden seltener einbezogen, was freilich von Betrag zu Beitrag variiert.
Die Einleitung von P. Erdkamp und C. Holleran erläutert das anspruchsvolle Konzept des Bandes und bietet einen dichten Überblick zur jüngeren Geschichte der Forschung. Besonders betont wird darin die Notwendigkeit multidisziplinären Arbeitens. Erdkamp und Holleran heben sich von statischeren Untersuchungen ab, indem sie für jeden Beitrag die Bedeutung der Frage betonen, ob sich anhand des jeweiligen Gegenstands Veränderungen bei Lebensstandard oder Ernährung ablesen lassen. Schließlich liefert die Einleitung einen Überblick über die in dem Band enthaltenen Beiträge und stellen deren zentrale Inhalte und gegebenenfalls auch Schlussfolgerungen vor. Da die Beiträge nicht immer über ein eigenes Fazit verfügen, fungiert dieser Teil der Einleitung als Sammlung von (knappen) Abstracts.
Teil I bietet Einblicke in die verschiedenen, sauber getrennten Quellengattungen, die uns heute verfügbar sind. Zunächst versucht der Beitrag von K. Beerden, das Bewusstsein für die zahlreichen Probleme zu wecken, die mit unserer literarischen Überlieferung verknüpft sind. Epigraphische und papyrologische Quellen, die für Aspekte der Alltagsgeschichte besonders große Bedeutung haben, kommen leider besonders kurz zur Sprache und hätten ein gesondertes Kapitel in diesem Band verdient gehabt. S. D. O’Connell stellt Wandmalerei und Mosaik als Quellengattungen vor, mit Schwerpunkten auf Kampanien und Nordafrika. Sie versteht Nahrungsdarstellungen in ihrem jeweiligen Kontext vor allem als Alltagsbilder von Produktion, Vertrieb und Konsum. Der Beitrag von L. M. Banducci eröffnet die naturwissenschaftlichen Kapitel anhand und zeigt die Entwicklung dieser immer wichtiger werdenden Untersuchungsmethoden. Der naturwissenschaftliche wie technische Fortschritt zeigt sich etwa bei Möglichkeiten der Identifikation von Essensresten oder der Deutung von Gebrauchsspuren an Kochgerätschaften. Die drei folgenden Beiträge konzentrieren sich auf Fortschritte und Potentiale archäobotanischer Methoden im Mittelmeerraum (Livarda), die neuesten Möglichkeiten zur Auswertung von Isotopenspuren (Bourbou) und versuchen nach Möglichkeiten, so gewonnene Erkenntnisse für Schlussfolgerungen bezüglich sozialer Verhaltensweisen nutzbar zu machen (Halsted).
Die Beiträge in Teil II führen die hauptsächlichen Arten römischer Lebensmittel vor und erörtert deren Produktion, Vertrieb und Verzehr. J. Donahue führt vor, inwiefern Ordnung beim ‚privaten’ wie ‚öffentlichen’ Mahl den Status der jeweilig teilnehmenden Personen widerspiegeln konnte. F. Heinrichs bespricht in einem besonders wichtigen Kapitel die wesentlichen Aspekte römischen Getreidekonsums, vom Nährwert der einzelnen Sorten bis hin zu ihrer Rolle auf dem Speiseplan und Aspekten von Mangelernährung. Zusammen mit A. M. Hansen geht er im folgenden Kapitel so auch bezüglich der so häufig literarisch erwähnten Breispeisen (pulses) vor, deren Ruf bei den antiken Autoren wesentlich schlechter war als der tatsächlich sehr weite Grad ihrer Verbreitung. In ähnlicher Weise bespricht auch E. Rowan im folgenden Kapitel Oliven und Olivenöl. Sie stellt deren besondere Bedeutung als Nahrungsmittel heraus, das zwischen einem Sechstel und einem Fünftel des gesamten Kalorienbedarfs deckte, weist aber auch darauf hin, dass sie jenseits des mediterranen Küstensaums aufgrund der klimatischen Bedingungen nur eingeschränkt zur Verfügung standen. W. Broekhart komplettiert die Vorstellung der ‚Mediterranen Trias’ mit Wein (und anderen Getränken). Er relativiert die Bedeutung von Wein allerdings durch seine auf jüngere Untersuchungen zum Einkommen römischer Unterschichten gestützte These, dass weite Teile der römischen Bevölkerung nur gelegentlich Wein konsumieren konnten. Die teilweise extrem niedrigen Preise minderwertigen Weins aus der literarischen wie der epigraphischen Dokumentation (etwa Plin. nat. 18, 17) berücksichtigt er hierbei freilich m.E. etwas zu wenig, während er wiederum dem Luxusaspekt von Wein überraschend hohe Bedeutung beimisst. Tierischer Nahrung in frischer wie konservierter Form widmen sich die Beiträge von M. MacKinnon und A. Marzano. Sie kommen zu dem Ergebnis, dass Fleisch wesentlich häufiger konsumiert wurde als lange angenommen (MacKinnon), Fisch hingegen außerhalb der Regionen an der Küste oder anderen bedeutenden Gewässern durchaus Luxuscharakter haben konnte.
Teil III ist der heterogenste und methodisch am wenigsten klar umrissene. Die Auswahl der besprochenen Bevölkerungsgruppen verdankt sich freilich vor allem der Quellenlage. Holzschnitthaft umreißt zunächst C. Laes die Rolle der Familie beim Mahl, Teilaspekte der Geschlechterrollen beim Essen und die ‚staatliche’ Fürsorge für Minderjährige. Letztere sieht er vor allem als Mittel der Selbstdarstellung von Kaiser und Reichselite, wobei sein Argument auf den überlieferten Spendensummen beruht, die jeweils nur einen geringen Teil der Bevölkerung einer Stadt hätten versorgen können. Sodann folgen Beiträge von T. Kazab-Olschewski, D. Kraemer und W. Clarysse mit regionalen Studien zu Mittel- und Nordeuropa, zu Juden in Palästina und zu Ägypten. Kazab-Olschewski macht die wichtige Beobachtung, dass nicht nur das Vorbild der einheimischen Elite und der Dienst in der römischen Armee für die Ausbreitung ‚römischer’ (besser: mediterraner) Ess-Sitten verantwortlich waren, sondern dass sich diese zumindest teilwiese aus der Revolution auf den lokalen Märkten ergab, wo sich aufgrund der Präsenz römischer Truppen und Kolonisten, aber auch besser ausgebauter Infrastruktur das Nahrunsgangebot nachhaltig änderte. Der Beitrag von Kraemer führt danach die bemerkenswerte kulinarische Geschlossenheit der jüdischen Bevölkerung Palästinas vor, die er ähnlich auch für jüdische Siedlungsorte außerhalb Palästinas konstatiert, sowohl vor als auch nach der Zerstörung des Tempels und dem Scheitern des Bar- Kochba-Aufstands. Agypten wiederum sticht vor allem durch die Vielzahl an Papyrus-Dokumenten hervor, aus denen Clarysse ein vielfältiges, detailreiches Bild zeichnet. E. Raga beschließt den Teil mit einem Beitrag, der zeigt, wie durch das aufkommende Christentum neue Formen des Asketismus als dem direktesten Weg zur Erlösung den Diskurs zum Essen für große Teile der Bevölkerung bestimmten.
Teil IV befasst sich in drei Beiträgen vorrangig mit der Aussagekraft römischer Skelettfunde in Bezug auf körperliche Gesundheit und Lebensstil. Der Aufsatz von K. Killgrove gibt zunächst einen breit angelegten Überblick zum römischen Italien, was die Möglichkeiten und Grenzen der Interpretation osteologischer und paläopathologischer Überreste angeht. Großen Teil nimmt darin eine von ihr selbst angefertigte Fallstudie zu den Friedhöfen von Castellaccio Europarco und Casal Bertone (Rom) ein. Schlussfolgerungen bleiben aus. In ganz anderer Weise stehen sich die Beiträge von G. Kron und M. Flohr sehr erhellend gleichsam in Konkurrenz gegenüber. Kron geht, unter anderem gestützt auf die positive Entwicklung der Länge der im römischen Italien gefundenen Oberschenkelknochen (und damit mutmaßlich auch der Körpergröße, die er auf durchschnittlich 168,3 cm für männliche Erwachsene schätzt), von einem recht hohen Lebensstandard und einer relativ geringen sozialen Ungleichheit in weiten Bevölkerungsschichten aus. Zurecht weist er darauf hin, dass die bis heute nicht selten berücksichtigte Korrelation der Länge von Oberschenkelknochen zur Körpergröße nach Pearson und Manouvrier aus dem 19 Jh. auf einer sehr schwachen Materialbasis ruht, während seine eigenen Schätzungen auch auf Studien zu Isotopenanalysen beruhen, die es erlauben, Menge und Herkunft von Protein in der Ernährung abzuschätzen. Für ihn ergibt sich daraus die Beobachtung im Lauf der Jahrhunderte stetig wachsenden Fleischkonsums in allen sozialen Schichten, ergänzt um ein ebenfalls signifikantes Ansteigen des Verzehrs von Fisch, Geflügel, Wild, Nüssen und Gemüse. Flohr hingegen mahnt zur Vorsicht, weist auf die hohe Diversität innerhalb der bislang vorgestellten Daten hin und bestreitet die Aussagekraft von Oberschenkelknochen für die Körpergröße ebenso grundsätzlich wie deren Aussagekraft in Bezug auf die Qualität der Ernährung. Zusätzlich weist er auf das Problem hin, dass naturwissenschaftliche Daten häufig nicht allgemein zugänglich oder für Gelehrte der Geisteswissenschaften nur schwer zu verstehen und mit den eigenen Fragestellungen zu verbinden sind. Ein weiterer, vielleicht der wichtigste seiner Kritikpunkte an allzu entschlossenen Folgerungen in Hinblick auf die Größe der Menschen der römischen Antike betrifft die disparate Fundlage, die es bis heute nicht zulasse, ein konzises Bild für das ganze Imperium oder auch nur für Italien zu erstellen. Die Aufsätze von Kron und Flohr verdienen in ihrer Kombination besondere Aufmerksamkeit, auch weil sie die in diesem Band nicht mit einem eigenen Beitrag repräsentierte, eher ‚pessimistische’ Sicht auf die (Unter-)Ernährung in der römischen Antike zu Wort kommen lassen, wie sie etwa von P. Garnsey und W. Scheidel vertreten wurden.1
Teil V besteht aus lediglich zwei, vom Herausgeberduo selbst verfasste Beiträge. Sie nähern sich aus verschiedenen Blickwinkeln dem Problem der Lebensmittelversorgung in der Antike, speziell der antiken Städte und haben beide mit dem Problem zu kämpfen, dass die tradierten literarischen Quellen wenig Informationswert zu den tatsächlichen Verhältnissen besitzen. C. Holleran kommt zu dem Schluss, dass sich antike Städte im Regelfall über den Handel versorgten, dass aber die römische Obrigkeit durchaus häufig eingriff und so auch da Verhalten der Märkte bestimmte. P. Erdkamp untersucht Hungerkrisen und gewinnt den antiken Quellen vor allem durch Vergleiche mit neuzeitlichen Daten zahlreiche neue Erkenntnisse ab. Einerseits war die Bedrohung durch Lebensmittelknappheit und Hunger in der römischen Welt nahezu omnipräsent, andererseits oblag deren Bekämpfung abseits weniger urbaner Zentren meist den lokalen Eliten. Wichtig ist ferner die Erkenntnis, dass Hungersnöte aufgrund der ihnen folgenden Epidemien stets sämtliche soziale Schichten bedrohten (und nicht nur die zunächst und unmittelbar unter dem Mangel an Lebensmitteln leidenden Armen).
Den Band beschließen dankenswerterweise eine gemeinsame Bibliographie der eingeflossenen Sekundärliteratur sowie ein allgemeiner Index. Die Bibliographie entlastet die Einzelbeiträge in idealer Weise. Ungewöhnlich ist lediglich, dass ein und dasselbe Buch nicht nur in verschiedenen Auflagen, sondern auch Übersetzungen genannt wird. Letzteres mag in den unterschiedlichen Sprachkenntnissen der einzelnen Autoren/-innen begründet sein, verwirrt aber doch sehr aufgrund des jeweiligen Erscheinungsdatums, das bei Übersetzungen meist wesentlich jünger als der enthaltene Forschungsstand ist; vereinzelt wird auch ein und dieselbe Arbeit unter verschiedenen Erscheinungsjahren aufgeführt.2 Auch der Index hätte für die Erschließung des Bandes etwas mehr Aufwand verdient gehabt. Er fällt mit vier Seiten extrem kurz aus und enthält dabei viele irrelevante Stichworte, die lediglich einmal genannt werden (z.B. arboriculture, cult of Isis, refugees, Stabiae u.a.) oder solche, die zu allgemein sind (z.B. fish, France, social status u.a.), um von wirklichem Nutzen zu sein, und darüber hinaus auch solche, die das Sujet ganzer Beiträge oder Teile von solchen sind und auch nahezu ausschließlich auf diese verweisen; letztere sind ohnehin problemlos über das Inhaltsverzeichnis erfassbar (z.B. Rabbinic diet, fasting, grain supply, seafood, women u.a.).
Formale Kritikpunkte gibt es bei dem leider eng und klein auf recht dünnem Papier gedruckten Band ansonsten kaum. Lediglich die Photographien sind meist von geringer Qualität.3
Diese letzteren kritischen Bemerkungen die Herstellung betreffend sollen nicht darüber hinwegtäuschen, dass der hier vorgestellte Band ein nützlicher Ausgangspunkt für alle sein wird, die sich mit der antiken Ernährung befassen. Insbesondere die stets fortschreitende Menge an Informationen, welche die Naturwissenschaften der Forschung zur antiken Ernährung zu liefern imstande sind, ist in vorbildlicher Weise in die Teilbeiträge eingeflossen.
Inhaltsverzeichnis
1 P. Erdkamp/C. Holleran, Introduction 1
Part I: Evidence and methodology 15
2 K. Beerden, Textual evidence: Roman reflections of reality 17
3 S. D. O’Connell, Visual evidence: Picturing food and food culture in Roman art 26
4 Material evidence on diet, cooking and techniques 36
5 Investigating Roman diet through archaeobotanical evidence 51
6 P. Halstead, The contribution of zooarchaeology 64
7 C. Bourbou, The bioarchaeology of Roman diet 77
Part II: Food and drink 91
8 J. Donahue, Roman meals in their domestic and wider settings 93
9 F. Heinrich, Cereals and bread 101
10 F. Heinrich/A. M. Hansen, Pulses 116
11 E. Rowan, Olives and olive oil 129
12 W. Broekhart, Wine and other beverages 140
13 M. MacKinnon, Meat and other animal products 150
14 A. Marzano, Fish and seafood 163
Part III: Peoples and identities 175
15 C. Laes, Women, children and food 177
16 T. Kaszab-Olschewski, Central and northern Europe 189
17 D. Kraemer, Jews in Palestine 208
18 W. Clarysse, Egypt 218
19 E. Raga, The impact of Christianity 229
Part IV: A forum on energy, malnutrition and stature 243
20 K. Killgrove, Using skeletal remains as a proxy for Roman lifestyles: the potential and problems with osteological reconstructions of health, diet, and stature in imperial Rome 245
21 G. Kron, Comparative perspectives on nutrition and social inequality in the Roman world 259
22 M. Flohr, Skeletons in the cupboard? Femurs and food regimans in the Rioman world 273
Part V: Food on the market and in politics
23 C. Holleran, Market regulation and intervention in the urban food supply 283
24 P. Erdkamp, Famine and hunger in the Roman world 296
Notes
1. P. Garnsey, Food and Society in Classical Antiquity, Cambridge 1999, 43-61; W. Scheidel, ‚Physical wellbeing’, in: ders. (ed.), Cambridge Companion to the Roman Economy, Cambridge 2012, 321-333.
2. z.B. André, J. 1981 (französisches Original) vs. André, J. 1998 (deutsche Übersetzung); Carpopino, J. 1939 (französisches Original) vs. Carcopino, J. 1941 (englische Übersetzung). Bradley, K. 1998 und Bradley, K. 2001 (lediglich ein Nachdruck); Fogel, R. W. 1989/2012 und Fogel, R. W. 1992.
3. Namentlich unbefriedigend sind die Photographien 3.1, 3.2, 3.3 und 7.1. Kaum erkennbar sind auch die Inhalte der Karte 20.1.