Es ist kein leichtes Unterfangen, die Biographie eines Kaiser zu verfassen, der in der spätantiken Historiographie lediglich als Randfigur behandelt wird, militärisch nicht persönlich in Erscheinung trat und als öffentliche Person vergleichsweise wenig Initiative gezeigt hat. Die politische Realität des Römischen Reiches zu Honorius’ Lebzeiten wurde durch andere Persönlichkeiten an seinem Hof bestimmt, die in den literarischen Quellen entsprechend mehr Raum einnehmen. Chris Doyle hat nun das Wagnis in Angriff genommen und eine Biographie über Honorius vorgelegt, die den Kaiser als „great survivor of his day“ (S. x) in den Blick nimmt.
In Kapitel 1 (S. 1-29) beleuchtet Doyle das Bild des Honorius in moderner Forschung, Kunst und Literatur. Die zumeist negative Rezeption sieht ihn als einen Kaiser, der den Anforderungen seines Amtes weder physisch noch intellektuell gewachsen war. Während seines Kaisertums häuften sich zudem Ereignisse, die sich in der Rückschau schon in der späteren Spätantike als Zeichen des Niedergangs des Weströmischen Reiches deuten ließen. Nicht zuletzt dieser Umstand trug zu Honorius’ Verurteilung als schwacher Herrscher bei. Daneben geht der Autor in seinem ersten Kapitel auf die spätantike Rezeption sowie die verschiedenen literarischen und materiellen Quellengattungen ein: Die spätantiken Autoren werden in chronologischer Reihenfolge einzeln gewürdigt (S. 11-16), die Bedeutung bildlicher Darstellungen, insbesondere der Münzen als Medien der politischen Kommunikation in verständlicher Weise dargelegt (S. 20-24). Dasselbe gilt für einen kurzen Abschnitt zur Epigraphik (S. 24).
Kapitel 2 (S. 30-49) bietet einen knappen Überblick über die kulturellen, sozialen und politischen Entwicklungen der beginnenden Spätantike bis zum Aufstieg Theodosius’ I. zum oströmischen Kaiser im Jahr 379. Hier legt Doyle den Schwerpunkt auf die zunehmende gesellschaftliche Dominanz des Christentums sowie seiner Institutionalisierung als Religion der kaiserlichen Familie und der Funktionseliten, welche durch zahlreiche Zitate aus Konzilsakten und Gesetzestexten belegt werden (S. 31-36). Honorius’ Familie und das Leben am Hof von Konstantinopel sind Gegenstand des dritten Kapitels (S. 50-69). Zugleich zeichnet Doyle hier die Etablierung des Theodosius I. innerhalb des gesamtrömischen Kaisertums nach (S. 58-64), wobei Theodosius’ dynastische Ambitionen zuungunsten seines eigentlich ranghöheren Amtskollegen Valentians II. sichtbar gemacht werden. Kapitel 4 (S. 70-83) widmet sich der Erziehung der beiden Söhne des Theodosius I. und deren Aufbau als Thronfolger. Für den älteren Bruder des Honorius, Arcadius, zeigt der Autor offensichtlich wenig Sympathie: während Doyle zwar das durch die Quellen tradierte Bild des Honorius korrigieren möchte, schließt er aus der gegen Arcadius gerichteten Polemik auf einen schlechten Charakter des zukünftigen Ostkaisers (S. 70-72). Nachdem Arcadius bereits 383 von seinem Vater als Nachfolger bestimmt worden war, erfolgte die Erhebung des Honorius erst 393 (einige Monate nachdem Valentinian II. Suizid begangen oder durch Arbogast ermordet worden war, S. 73) als Reaktion auf die unsichere politische Lage im Westen und insbesondere die Usurpation des Eugenius (S. 74-77).
Erst ab Kapitel 5 (S. 84-100) beginnt Doyle damit, Honorius’ Kaisertum als solches zu beleuchten, Dabei stehen in diesem Kapitel zunächst die Vorgänge in Nordafrika und die Erhebung des comes Africae Gildo 397/8 im Fokus der Betrachtung. Den Krieg gegen den Usurpator in Nordafrika und den anschließenden Sieg der weströmischen Truppen wusste Honorius zum Zwecke seiner kaiserlichen Selbstdarstellung zu nutzen, auch wenn sich der Erfolg der militärischen Intervention letztlich Stilicho verdankte (S. 92-99). Der erst 13jährige Honorius hatte auf Anraten seines Vormunds Stilicho nicht an diesem Feldzug teilgenommen. Stilichos Bedeutung in der weströmischen Politik unter Kaiser Honorius, insbesondere was die politischen Beziehungen mit den Westgoten betrifft, zeichnen sich in Kapitel 6 ab (S. 101-130). Hier werden zudem recht ausführlich die Vermählung und Ehe des jungen Kaisers mit der Tochter seiner Cousine Serena und des Stilicho, Maria (S. 101-105; 108-111) behandelt. Honorius’ zweite Ehe mit der Schwester seiner jung verstorbenen Frau, Thermantia, wird erst im folgenden Kapitel thematisiert (S. 136), doch geht Doyle im Kontext der Eheschließung des Honorius mit Maria auch auf Serenas und Stilichos Familienpolitik ein, die auch Honorius’ zweite Ehe betrifft (S. 109). Weiter beschäftigt den Autor der Umstand, dass die beiden Ehefrauen des Honorius anders als andere kaiserliche Frauen in der Spätantike und besonders die der theodosianischen Dynastie kaum eine Rolle in der kaiserlichen Selbstdarstellung spielten (S. 109-111). Maria verstarb etwa zur gleichen Zeit wie Eudoxia, die Frau des oströmischen Kaisers Arcadius. Anders als Maria wurde Eudoxia zur Augusta erhoben und die literarischen Quellen widmen ihr insgesamt deutlich mehr Aufmerksamkeit als ihrer Schwägerin; entsprechend finden sich über Eudoxias Tod detailliertere Berichte als über den der Maria. Dem Ableben der beiden Kaisergattinen ist in diesem Kapitel ein größerer Abschnitt gewidmet (S. 124-128). Hier besticht Doyle insbesondere mit einigen Informationen zu dem im Jahre 1544 beim Umbau von Sankt Peter in Rom geborgenen Sarkophag der Maria und dessen heute größtenteils nicht mehr auffindbaren Inhalt.
Kapitel 7 (S. 131-152) ist den Ereignissen ab 405 und der Politik Westroms gegenüber den Goten im Norden sowie den verschiedene Usurpationen gegen Honorius gewidmet, die sich aus der instabilen politischen Lage des weströmischen Kaisertums erklären lassen. Kurz geht Doyle jeweils auf die Erhebung Konstantins III. durch das in Britannien stationierte Heer (S. 134-136) sowie die Usurpationen in Gallien und Nordafrika zwischen 411-413 (S. 147-149) ein. Ein Schwerpunkt liegt aber auf dem sich allmählich wandelnden Verhältnis des Honorius zu seinem Heerführer Stilicho bis zu dessen Sturz im Sommer 408 (S. 136-141). In der Folge veränderte Alarich, für den Stilicho bisher ein wichtiger Verhandlungspartner gewesen war, seine Politik gegenüber Honorius und übte, etwa mit der Erhebung des Priscus Attalus zum Gegenkaiser, zunehmend Druck auf den Kaiser aus. Die Spannungen entluden sich 410 im Überfall Alarichs auf Rom, in dessen Zuge die Kaiserschwester Galla Placidia in gotische Gefangenschaft geriet (S. 142-147).
In Kapitel 8 (S. 153-176) beschäftigt sich Doyle mit Honorius’ Verhältnis zum christlichen Glauben: „For Honorius respect for and belief in a divine order was fundamental for the spiritual and physical health of the state“ (S. 155). Tatsächlich entsprach der spätantike Kaiser mit seiner Kirchenpolitik und der Förderung des Christentums auch Erwartungshaltungen der wachsenden christlichen Öffentlichkeit. Die richtige Beziehung der kaiserlichen Familie zum Gott der Christen war in der Spätantike eine wichtige Säule legitimer Herrschaft. Honorius’ Gesetzgebung (S. 157-168) und Kirchenbauten (S. 168-170), letzteres auch ein Betätigungsfeld seiner Halbschwester Galla Placidia, lassen sich daher nicht allein durch eine intrinsische Motivation erklären. Sie sind auch als Form der politischen Kommunikation zwischen dem Kaiserhaus und seinen christlichen Akzeptanzgruppen zu verstehen.
Erst in Kapitel 9 (S. 177-191) richtet Doyle seine Aufmerksamkeit auf Galla Placidia, Tochter des Theodosius I. aus zweiter Ehe, und deren Verhältnis zu ihrem Halbbruder Honorius. Da Honorius keine eigenen Nachkommen hatte, konnte er durch die erzwungene Vermählung Galla Placidias mit dem Heermeister Constantius (S. 181), dem sie ihre Rückkehr von den Westgoten an den Kaiserhof in Ravenna verdankte, seine Nachfolge regeln. Nach dem Tod des Constantius und dem Bruch mit seiner Schwester Galla Placidia, die mit ihren beiden Kindern nach Konstantinopel floh, starb Honorius 423 einen einsamen Tod (S. 188-189), nach einer vergleichsweise langen Regierungszeit von 28 Jahren: „ … and what was there to show for it in the end?“, fragt Doyle (S. 189). Sein Urteil fällt kurz aus: Honorius’ große Leistung war es, in einer Zeit politischer Instabilität und höchster Unsicherheit überlebt zu haben. Daneben würdigt Doyle seinen Beitrag zur Förderung des orthodoxen Christentums und den kurzzeitigen Frieden, den der Kompromiss mit den Westgoten durch die Ansiedlung in Aquitanien erbracht hatte (S. 189-190). Inwieweit letzteres allerdings dem persönlichen Einsatz des Honorius zuzuschreiben sein kann, der die Verhandlungen mit den Westgoten seinen Heermeistern überließ, ist fraglich.
Doyle möchte das negative Bild des Honorius relativieren und legt dazu den Fokus auf die Entwicklung des Kaisers, der als Waise im Alter von neun Jahren ins Herrscheramt gekommen war. In seiner von Beginn an durch Einsamkeit geprägten Rolle – so der Tenor der Biographie – gelang es Honorius, sich bei allen Schwierigkeiten und trotz mangelnder Anerkennung länger im Kaisertum zu halten als die meisten seiner Vorgänger und Nachfolger (S. 6-7). Es ist letztlich auch dem selbst eher inaktiven Protagonisten geschuldet, dass Doyles Biographie in erster Linie ein Handbuch für die politische Geschichte des weströmischen Reiches im späten 4. und frühen 5. Jahrhundert darstellt. Kaiser Honorius bleibt als Herrscherpersönlichkeit auch nach der Lektüre dieser grundsätzlich wohlmeinenden Biographie blass. Lediglich mag bei dem ein oder anderen Leser aufgrund von Doyles Ansatz, die Persönlichkeit des Kaisers psychologisch zu fassen (so z.B. S.180: „the solicitude must have been onerous“), ein wenig Mitleid mit Honorius aufkommen. Wenn Doyle entsprechende Analysen vornimmt, ist allerdings darauf hinzuweisen, dass keinerlei Selbstzeugnisse des Kaisers Honorius vorliegen, die Rückschlüsse auf dessen Innenleben zuließen.
An wen richtet sich die Publikation nun? Fachwissenschaftler, die sich mit der Spätantike beschäftigen, werden hier nichts substantiell Neues finden. Das breite Publikum dürfte aufgrund des recht stolzen Preises von £115 vom Erwerb des Buches absehen. Für Studierende kann Doyles Biographie allerdings einen Ausgangspunkt für weitere Recherchen darstellen. Die Arbeit ist mit vielen Abbildungen versehen, sie verfügt über ein ausführliches Abkürzungsverzeichnis (S. xii- xvii), einen chronologischen Abriss (S. xviii-xx) sowie einem Kartenteil (S. xxi-xxiii). Im zweiten Teil des ersten Kapitels bietet Doyle einen knappen Überblick über die verschiedenen Quellengattungen (profane und Kirchenschriftsteller, juristische Texte und Panegyrik, numismatische und epigraphische Zeugnisse sowie die dazugehörige Forschung), der für Studierende oder ein breiteres Publikum hilfreich sein kann. Zum Handbuchcharakter der Biographie trägt weiterhin bei, dass Doyle in verschiedenen Kapiteln zahlreiche und längere Quellenzitate (vor allem aus Panegyrik und Gesetzgebung) ausschließlich in englischer Übersetzung liefert, die das Dargestellte gewissermaßen als zeitgenössische Stimmen ergänzen. Eine eingehendere Analyse und Kontextualisierung dieser Quellen wäre dabei jedoch meist wünschenswert gewesen.
Im hinteren Teil des Buches befinden sich ein Glossar antiker Termini (S. 192-195), Bibliographie (S. 196202) und Index (S. 203-205). Neben der „general bibliography“ am Buchende schließen kürzere Bibliographien je an die einzelnen Kapitel an. Es fällt auf, dass so gut wie keine Literatur angegeben wird, die nicht in englischer Sprache verfasst ist. Damit folgt Doyle einem aus kontinentaler Sicht bedauerlichen Trend. Umso stärker bleibt daher aber der Eindruck, dass die Publikation sich in erster Linie an anglophone Studierende richtet.
Als Überblicksdarstellung hat Doyles Honorius-Biographie fraglos ihren Wert und ergänzt die Forschung zur politischen Geschichte der Spätantike, welche dem weströmischen Kaiser Honorius selten Aufmerksamkeit widmet. Doyle hat mit seiner Biographie gezeigt, dass ein aufgrund polemischer Quellen und moderner Rezeption vorschnell gefälltes Urteil Kaiser Honorius nicht gerecht wird. Es mangelte Honorius an bestimmten Qualitäten, an denen ein guter Kaiser im Urteil der Zeitgenossen wie der modernen Forschung gemessen wurde und wird; allen voran an militärischer Leistungsbereitschaft bzw. Charisma. Nicht nur war Honorius jedoch als Kind an die Spitze der römischen Herrschaft gekommen, sondern dies auch zu einer Zeit, in der die innere und äußere Stabilität seines Reiches massiv bedroht waren. Der Kaiser starb dennoch eines natürlichen Todes. In seiner Honorius-Biographie erinnert Doyle daran, dass es angesichts dieser schwierigen Umstände bereits als Leistung des Honorius zu werten ist, dass er sich in dieser konfliktreichen Phase des römischen Imperiums 28 Jahre auf dem Kaiserthron halten konnte.