BMCR 2017.12.20

Senses of the Empire: Multisensory Approaches to Roman Culture

, Senses of the Empire: Multisensory Approaches to Roman Culture. London; New York: Routledge, 2017. xiv, 227. ISBN 9781472446299. $149.95.

Preview

Das Buch geht auf eine Tagung zurück, die im November 2013 in Camden abgehalten wurde, und nimmt mit seinem Titel Bezug auf den von David Howes 2005 herausgegebenen Reader Empire of the Senses, mit dem die Hinwendung zur Untersuchung von Sinneserfahrungen in den Kulturwissenschaften eingeleitet wurde. Dieser “sensory approach” oder “somatic turn” erfasst in den letzten Jahren auch vermehrt die Altertumswissenschaften, wobei bisher ein deutlicher Schwerpunkt unter den anglo-amerikanischen Publikationen auszumachen ist. In der deutschsprachigen Forschung wurde dieser Ansatz bislang eher in geringem Umfang rezipiert.1

Der von Eleanor Betts herausgegebene Band versucht, das Erkenntnispotential für die römische Antike anhand von Fallstudien auszuloten. Am Anfang steht eine Einleitung durch die Herausgeberin, die neben einer kurzen forschungsgeschichtlichen Einführung einen Überblick über die im Band versammelten Beiträge gibt.

Zu Beginn widmet sich Ray Laurence den “soundscapes”, also der Geräuschkulisse der antiken Stadt. Neben antiken Quellen bezieht er sich auf den eigenen Erfahrungsschatz, konkret einen Besuch an einem Samstagabend im April 2014 im Pantheon. Damit sind zwei problematische Punkte angesprochen, die auch in den folgenden Beiträgen unter verschiedenen Gesichtspunkten diskutiert werden: Zum einen ist dies die Nutzung schriftlicher Überlieferungen, die jeweils die subjektive Gestimmtheit eines Individuums wiedergeben und—insbesondere ohne Kontextualisierung—falsch gedeutet werden können. Zum anderen ist dies die Person des modernen Betrachters, dessen eigener Erfahrungshorizont ebenfalls die Beurteilung sinnlicher Wahrnehmungen beeinflusst.

Eleanor Betts liefert mit ihrem Beitrag zur “multivalency of sensory artefacts” eine methodische Einführung zum Thema, wobei sie nicht zuletzt auch die Grenzen dieses Ansatzes aufzeigt: Der menschliche Körper ist zwar das “universelle Maß” aller Dinge, da jedes Individuum grundsätzlich über einen Körper mit gleichen Sinnesorganen und deshalb über eine identische Wahrnehmung verfügt. Jedoch wird diese im Zusammenspiel mit subjektiven Erfahrungen moduliert, so dass daraus ein individuelles Empfinden dieses sinnlichen Erlebens entsteht. Betts geht deshalb von den “Emittierenden” von Sinneswahrnehmung aus, also den materiellen Ursachen von Gerüchen, Geräuschen oder haptischen Erfahrungen. Diese sind messbar und können in einem zweiten Interpretationsschritt von der literarischen Überlieferung und dem darin ausgedrückten subjektiven Erfahrungsschatz ergänzt werden.

Miko Flohr gelingt es in seinem Kapitel überzeugend, mit dem Vorurteil aufzuräumen, dass die römischen fullonicae ein Hort des üblen Geruchs in der römischen Stadt gewesen seien. Er analysiert akustische, optische, haptische und olfaktorische Aspekte des Arbeitsvorgangs inklusive der zur Verfügung stehenden literarischen Quellen. Durch die Untersuchung erhaltener fullonicae und den Vergleich mit anderen Werkstätten kommt Flohr zur Erkenntnis, dass es vergleichsweise angenehm gewesen sei, eine Walkerei in der Nachbarschaft zu haben.

In seinem Beitrag zur Geräuschkulisse römischer Straßen beschäftigt sich Jeffrey Veitch exemplarisch mit der trajanischen Portico di Pio IX am nördlichen cardo maximus von Ostia. Basierend auf einer Rekonstruktion des Gebäudes, soweit diese für die akustischen Eigenschaften relevant ist, ermittelt er Werte und Kennzahlen für die Geräuschentwicklung in diesem städtischen Raum. Leider bleiben diese Erkenntnisse mangels Vergleichen und Bezugsgrößen aber eher allgemein und für Laien auf dem Gebiet der Schallforschung ohne weiterführende Aussagen. Dies ist bedauerlich, zumal es Veitch sonst gelingt zu zeigen, dass die von ihm gewählte Annäherungsweise an akustische Phänomene durchaus Potential besitzt.

Thomas J. Derrick widmet seinen Abschnitt den “smellscapes”—im Deutschen vielleicht als “Geruchskulisse” zu bezeichnen—des Kastells und vicus von Vindolanda unweit des Hadrianswalls. Nicht nur auf Grund der gut aufgearbeiteten archäologischen Zeugnisse, sondern auch durch zahlreiche auf Holztäfelchen notierte schriftliche Zeugnisse unterschiedlicher Gattungen ist die Quellenlage für die Rekonstruktion der olfaktorischen Atmosphäre in Vindolanda gut geeignet, einen Überblick über analytische Möglichkeiten auf der Mikro- und der Makro-Ebene zu geben. Während die Erstgenannte kleinere, abgeschlossene Einheiten, wie etwa Häuser oder einzelne Kasernengebäude, repräsentiert, zu der nur eine begrenzte Anzahl von Menschen Zugang hatte, handelt es sich bei der Makro-Ebene um Straßen oder ganze Handwerker-Viertel, die für größere Gruppen Interaktionsräume bildeten.

Valerie M. Hope diskutiert im Kapitel “a sense of grief” den körperlichen Ausdruck und die physische Erfahrung von Leid im Rahmen römischer Begräbnisse. Sie bezieht sich dabei einerseits auf den Körper der Toten, der auf das Begräbnis vorbereitet, gewaschen und gesalbt wird, sowie andererseits auf die Trauernden, die ebenfalls unmittelbar physisch betroffen sind. Diese tragen nicht nur etwa dunkle Gewänder und werden durch Leichengerüche ebenso wie Salböle und Räucherwerk mit ephemeren Sinneseindrücken umgeben. Sondern es war beispielsweise gerade auch für Frauen nicht unüblich, sich Brust und Gesicht mit den Fingernägeln zu zerkratzen und sich Haare auszureißen, also die Trauer unmittelbar am eigenen Körper zu spüren.

In einem Abschnitt zur Rolle von “touch and taste in Graeco-Roman animal sacrifice” streicht Candance Weddle die Bedeutung der Sinne für das antike Opferritual heraus. Während der Duft von Opfergaben und die Musik der direkten Kommunikation mit den Göttern dienten, spielten auch Geschmack und Haptik eine wichtige, bislang oft vernachlässigte Rolle. Weddle analysiert unterschiedliche Opferdarstellungen, um Geruch und Geschmack—letzteren im Rahmen des Opfermahles—zu thematisieren.

Emma-Jayne Graham beschäftigt sich mit Terracotta-Votiven von Wickelkindern, die, durchschnittlich 52 cm groß, in Aussehen und Gewicht tatsächlich an Säuglinge erinnern. Graham versucht auszuloten, inwiefern die Votive durch unterschiedliche Sinnesreize bei den Interagierenden einerseits erlernte Verhaltensmuster abrufen und andererseits durch gegensätzliche synästhetische Reize—also die Koppelung unterschiedlicher Bereiche der Wahrnehmung—auch widersprüchliche Empfindungen evozieren. So entsprechen beispielsweise Größe, Gewicht und Optik der Votive durchaus einem Wickelkind; diese Assoziation wird durch das Material Terracotta jedoch gleichzeitig konterkariert.

Ian J. Marshman behandelt als exemplarische Fundgattung Siegelringe und spricht einen m. E. generell wichtigen Aspekt an: Traditionelle Publikationsformen fördern häufig nicht das Verständnis für die sinnliche Dimension dieser Gegenstände, da—im Fall der Siegelringe—in der Regel nur der Stein selbst, oft als Schwarzweiß-Abbildung oder sogar nur in Form eines Abdrucks, veröffentlicht wird. Das Objekt selbst geht jedoch über die ikonographische Fragestellung hinaus. In visueller Hinsicht gehört dazu etwa die Farbigkeit des Steins und die Fassung durch einen Ring. Gleichzeitig ist auch das haptische Erleben von großer Bedeutung, wird ein Siegelring doch am Körper getragen und repräsentiert diesen—trotz dieser intimen Beziehung—über die Verbreitung der Siegel auch in der Öffentlichkeit, so dass Siegelring und Person quasi zu einer Einheit verschmelzen.

Alexandre Vincent bringt in seinem methodisch orientierten Artikel neben einer an der französischsprachigen Forschung orientierten Perspektive auch andere historische Epochen, geographische Räume und wissenschaftliche Disziplinen, wie etwa die Ethnologie, ein. Er weist völlig zu Recht auf die eingangs hier bereits angesprochene notwendige Kontextualisierung von literarischen Quellen hin. So sei etwa die—auch im vorliegenden Band mehrfache zitierte—Stelle in einem Brief Senecas zum lärmenden Badebetrieb in Baiae (Sen. epist. 56,2) nur zu verstehen, wenn man den Hintergrund ihres Schreibers als Philosoph und Stoiker in Betracht ziehe.

Als interessante Fallstudie bezüglich einer Verbindung zwischen schriftlichen und archäologischen Quellen beschäftigt sich Vincent mit der römischen tuba und setzt die Laute eines gut erhaltenen Fundes aus Frankreich und ihre moderne Wahrnehmung in den Kontext einer lexikographischen Analyse von Wörtern, die in antiken Quellen zur Beschreibung von tuba -Klängen verwendet werden.

Helen Slaney beschäftigt sich in ihrem ungewöhnlichen Beitrag mit der Kinästhesie, also dem Sinn für Bewegung und die Position des eigenen Körpers im Raum. Ihre Fallstudie zur römischen Pantomime sticht insofern unter den Beiträgen des Sammelbandes hervor, da sie praktische “Übungen” anführt, die den Leser unmittelbar an dem Thema teilhaben lassen sollen und in einem von der Autorin mitorganisierten, interdiszipliniären Forschungsprojekt “Ancient Dance in Modern Dancers” an der Universität Oxford entwickelt wurden.

Jo Days Thema sind die sparsiones, das Besprühen von Besuchern bei Empfängen und vor allem im Amphitheater und Theater mit parfümierten Flüssigkeiten. Neben einer Analyse der schriftlichen und bildlichen Quellen diskutiert sie die technischen Aspekte der Distribution. Der dabei verbreitete Duftstoff dürfte in erster Linie Safran gewesen sein, der neben intensivem Geruch auch eine temporäre Färbung hervorrief, die sich—je nach Intensität—von gelb über orange bis zu rot erstreckte. Diese sparsiones führten durch Geruch, Farbe und einen gewissen “Überraschungseffekt” während der Darbietung zu einer sinnlichen, synästhetischen Theater-Erfahrung, die durch den Wert des Safrans ebenso gesteigert wurde wie durch Assoziationen mit Religion und Ritual.

In ihrer Zusammenfassung betont Eleanor Betts—ähnlich wie in ihrem ersten Beitrag—nochmals die Bedeutung einer kontextuellen Analyse sowie einen holistischen Anspruch, der Körper und Geist ebenso einbezieht wie die handelnden Personen, Artefakte und Örtlichkeiten. Neben einem positivistischen Ansatz, der die Erfahrbarkeit der antiken Umwelt durch den eigenen Körper betont (vgl. den Beitrag von Helen Slaney) und sich u. a. auf Maurice Merleau-Ponty berufen kann, sind jedoch auch Einschränkungen zu machen: Nicht zuletzt durch kulturelle Prägung ist sinnliche Wahrnehmung eine individuelle Erfahrung, die sich niemals vollständig rekonstruieren lässt, auch nicht durch literarische Quellen.

Neben der Methode des “close reading” von schriftlichen Quellen und materiellen Hinterlassenschaften zeigt E. Betts einige weitere Ansätze auf, die ihrer Meinung nach zur Weiterentwicklung beitragen könnten: Dazu zählt etwa “text mining”, also das computergestützte Suchen nach Wörtern und ihrem Bedeutungsinhalt in antiken Texten (angesprochen im Beitrag von A. Vincent) oder auch die intensivierte Auswertung von archäologischen Quellen. Dies betrifft insbesondere das Potential, das in einer Kombination der Analyse von baulichen Resten mit naturwissenschaftlichen Methoden steckt (z.B. angesprochen in den Beiträgen von J. Veitch oder von Th. J. Derrick).

Die im Buch versammelten Beiträge repräsentieren eine Sammlung von Fallstudien zum Thema der sinnlichen Wahrnehmung in der Antike. Gerade im Kontext der Altertumswissenschaften handelt es sich noch um ein relativ junges Gebiet, so dass in den einzelnen Kapiteln häufig methodische Ansätze diskutiert werden und sich mitunter gewisse Gedanken wiederholen. Insgesamt bieten die einzelnen Abschnitte jedoch ein vielfältiges Bild zu diesem Thema und liefern wertvolle Anregungen für eine weitere Beschäftigung.

Der Band ist sorgfältig redigiert und qualitätvoll produziert. Einziger Kritikpunkt ist die Größe der wenigen Farbabbildungen, die—anstatt um 90 Grad gedreht, um den Seitenspiegel besser auszunutzen—in die obere Hälfte einer Seite gedrängt sind, wobei der Rest des Blattes leer bleibt.

Insgesamt handelt es sich um einen anregenden Beitrag zu einer noch relativ neuen Fragestellung in der Erforschung antiker Lebenswelten, die großes Erkenntnispotential besitzt.

Notes

1. Großteils von Forscherinnen und Forschern aus dem deutschsprachigen Raum verfasste Beiträge finden sich in: A. Haug & P. A. Kreuz (Hrsg.), Stadterfahrung als Sinneserfahrung in der römischen Kaiserzeit, Studies in Classical Archaeology 2 (Turnhout 2016), das in die Bibliographie des vorliegenden Bandes—wohl auf Grund des Erscheinungstermins—keinen Eingang mehr gefunden hat.