Fachschriftsteller gehören zu denjenigen antiken Autoren, zu denen Übersetzungen am willkommensten sind. Ihr Wortschatz ist ungewöhnlich, und die Prosa ist oft recht trocken, was eine breite Leserschaft von der Lektüre längerer Textabschnitte abschrecken kann. Kai Brodersen, vielfach ausgewiesener Übersetzer unterschiedlichster Texte der antiken Literatur, hat nun die Reihe ‚Sammlung Tusculum‘, in der seit Langem zweisprachige Lesetexte aus der griechischen und lateinischen Literatur publiziert werden, um eine Ausgabe zu Palladius bereichert, die erste komplette zweisprachige Ausgabe überhaupt.
Palladius Rutilius Taurus Aemilianus besaß und betrieb wahrscheinlich um 400 n. Chr. mehrere Landgüter in Italien und Gallien, die vermutlich auf Obstbau spezialisiert waren. Sein einziges Werk, das Opus Agriculturae, fasst die älteren Fachschriftsteller wie Cato den Älteren, Varro, Columella und andere zusammen, ergänzt um eigene Kenntnisse des Autors aus der Praxis. Besonders wertvoll ist auch seine Behandlung und häufige Zitierung verlorener Fachschriftsteller wie etwa Gargilius Martialis. Nach einem Einführungsbuch folgen 12 Bücher über die Tätigkeiten römischer Landwirte in den Monaten des Jahres (getrennt nach den Themen Ackerbau, Gartenbau, Obstbau, und Sonstiges, stets gefolgt von Angaben zur Zeitmessung im jeweiligen Monat), eines über Tiermedizin und eines (als einziges nicht in Prosa, sondern großteils in elegischen Distichen) über Baumveredelung.
Brodersen liefert einen lateinischen Lesetext und synoptisch die entsprechende deutsche Übersetzung. Für die lateinische Textgestaltung folgt er großteils der Teubner-Edition von Robert H. Rodgers (1975). Wo er hiervon abweicht, schließt er sich meist John G. Fitch an, der mit der heute am weitesten verbreiteten Übersetzung und einer grundlegenden textkritischen Studie maßgeblich zur Verbesserung unseres Palladius-Textes beigetragen hat1; ebenso berücksichtigt werden aber auch andere, ältere Editionen und Studien, deren Autorenkürzel leider nicht aufgelöst werden. Bei der Erstellung des Textes selbst geht Brodersen sehr sorgfältig vor und trägt auch mehrere eigene Emendationen bei. Die ‚Sammlung Tusculum‘ verzichtet in aller Regel – auf einen textkritischen Apparat, und so ist der entsprechende kurze Anhang (p. 693-696) wohl das Beste, was Brodersen tun konnte.
Das knappe Einleitungskapitel (p. 9-34) bietet Informationen zu Autor und Werk sowie ein Miniatur-Lexikon, das insbesondere für das Verständnis der häufigen im Text genannten Realien ein großer Gewinn ist.
Die kongeniale Übersetzung zielt auf eine möglichst wortgetreue Wiedergabe der lateinischen Vorlage. Sie ist nahezu immer überaus korrekt und doch auch idiomatisch treffend, mit einem sicheren Gespür für die lateinische wie die deutsche Sprache. Ausnahmen hiervon sind meist das Resultat eines zu großen Ehrgeizes bei der Worttreue. Sie beschränken sich freilich auf Einzelheiten, wie etwa das allzu wörtliche „nähren“ in potest tamen et locis temperatis iuvante umore nutriri im Zusammenhang mit dem Walnussbaum („Er kann jedoch auch an gemäßigten Orten mit Hilfe von Feuchtigkeit genährt werden.“ 2, 15, 14; S. 169; eine Alternative wäre hier „sich ernähren“ gewesen) oder das umständliche „Verwerfen der Schale“ anstelle von „schälen“ bei abiecto corio (11, 20; S. 511). Brodersen bleibt mit seinen Übersetzungen der Bezeichnungen für Pflanzen, Tiere und technische Aspekte der römischen Landwirtschaft immer kongruent und treffend. Besonders gelungen ist m.E. etwa die nur auf den ersten Blick zu umständliche Übersetzung ‚Haumesser’ für falx, was bei Palladius eine Sichel, aber eben auch ein größeres Messer, etwa zum Rebschnitt, bezeichnen kann.
Brodersen hat bei allem Bestreben um eine textnahe Übersetzung darauf verzichtet, den oft allzu trockenen, auf möglichste Kürze abzielenden Stil des Palladius abzubilden, und auf diese Weise einen gefälligen Text hergestellt, dessen Lektüre in den Bann zieht. Der deutsche Text wird durch zahlreiche für das Verständnis wichtige Ergänzungen in eckigen Klammern sowie durch Anmerkungen ergänzt, welche durch Großbuchstaben auf einen entsprechenden—alphabetisch eingeordneten—Eintrag im genannten Einleitungs-‚Lexikon‘ verweisen. Ein ‚M‘ führt den Leser so etwa auf p. 27 zum Lemma „Maße und Gewichte“. Besonders nützlich erweist sich dieses Lexikon auch dort, wo eine eindeutige Übersetzung nicht ohne einigen Schaden für die Lesbarkeit des deutschen Textes möglich ist, so beispielsweise bei der cantherinum -Gerste.
Der Band schließt mit dem bereits erwähnten Anhang zur Textgestaltung sowie auswählten Literaturhinweisen zur weiterführenden Lektüre (p. 697-700) und einem Sachregister (p. 701-704), das insbesondere die wichtigsten Anbaupflanzen und Nutztiere umfasst, die bei Palladius behandelt werden.
Vor die Wahl gestellt, die Übersetzung von Fitch oder diejenige von Brodersen zu benutzen, wird sich ein Deutsch lesendes Publikum für Letztere entscheiden. Die für die ‚Sammlung Tusculum‘ typische Synopse des lateinischen und des deutschen Textes auf nebeneinander liegenden Seiten stellt einen entscheidenden Vorteil dar. Hinzu kommt, dass der dortige lateinische Text der aktuellste ist. Brodersen fehlt auf der anderen Seite der textkritische Apparat der gleichfalls synoptischen Übersetzung ins Französische von René Martin,2 die freilich erst die Bücher 1-4 des Palladius umfasst.
Brodersens Werk ist im übrigen hochwertig produziert, angenehm formatiert und sorgfältig redigiert.3 Es ist allen zu empfehlen, die sich für die antike Landwirtschaft interessieren, unabhängig von deren Vorkenntnissen, und sollte in keiner gut sortierten wissenschaftlichen Bibliothek fehlen.
Notes
1. John G. Fitch, Palladius. The Work of Farming (Opus agriculturae) and Poem on Grafting, London 2013; ders., Textual Notes on Palladius, Opus Agriculturae, HSCPh 107, 2013, 385-408.
2. René Martin, Palladius. Traité d’agriculture, 2 vols., Paris 1976 (books 1-2) and 2010 (books 3-4).
3. Der einzige diesem Rezensenten aufgefallene Druckfehler befindet sich auf S. 155 in Zeile 8, wo es statt „erwiesen“ „erweisen“ heißen müsste.