Der Kommentar folgt in seinem Aufbau dem voraufgegangenen zu XXIX. Er beginnt mit einem Vorwort (VII) und einer Einführung (IX-XII), der eine Erörterung der chronologischen Probleme (XIII-XV) folgt. Eine tabellarische Übersicht zur Chronologie ist nicht vorhanden. Sie wäre sehr nützlich.
Der Erörterung der chronologischen Probleme nachgestellt sind die Erläuterungen für den Leser (Legenda S.XVII-XIX). Danach beginnt der eigentliche Kommentar (1-207). Ihm folgen die Bibliographie (209-231), ausführliche Indizes (233-257) und zwei Karten (259/60). Die Bibliographie ist wie immer sehr ausführlich. Sie berücksichtigt auch archäologische Veröffentlichungen. Man vgl. z. B. die umfangreichen Darlegungen mit den entsprechenden Veröffentlichungen zu Straßen und Städten im Gebiet von Brigetio, Aquincum und Savaria (S.130-133) oder zu Carnuntum (S.106). Der Fülle der Neuerscheinungen wegen wird die Bibliographie Lücken und Mängel enthalten, die aber dem Rez. nur in ganz wenigen Fällen aufgefallen sind. So wird auf den latein. Text und Kommentar von Viansino nicht verwiesen, sondern nur auf seine damit verbundene Übersetzung (XIX), aus derem aufgeführten Titel man aber nicht auf einen latein. Text mit Kommentar neben der Übersetzung schließen kann. Zum Beizug Viansinos für den Text und Kommentar vgl. z.B. S. 23; 63/64. Nicht beigezogen wurde offensichtlich der Index von M. Chiabò.1 Ebenso fehlt das Buch von H. Wolfram.2 Nicht berücksichtigt wurden auch die Darlegungen von J. Szidat zu Magnentius’ Usurpation.3 Nicht beigezogen wurden die Arbeiten von Noethlichs4 und von Miller.5 Das Buch entspricht zwar nicht dem neuesten Stand der Forschung, aber erlaubt eine rasche erste Einordnung der in den Itinerarien genannten Orte.6
Sehr selten ist der Hinweis im Text auf einen Autor oder eine Übersetzung in den Legenda oder der Bibliographie nicht auffindbar. Man vgl. z.B. den Hinweis auf die Übersetzung des Codex Theodosianus von Pharr (S.192).7
Den einzelnen Kapiteln sind kurze Einführungen vorangestellt, die den Inhalt knapp zusammenfassen, auf besondere Probleme aufmerksam machen und die Stellung des Kapitels im Rahmen des 30. Buches erkennen lassen. Dabei sind einzelne Wertungen für den Rez. nicht ganz korrekt. So wird S.195 festgestellt, daß Amm. 30,10 das letzte Kapitel in den Res Gestae sei, das ausschließlich dem Westen gewidmet ist. Amm. 31,10 beschäftigt sich aber auch nur mit dem Westen. Es dient im Zusammenhang mit der Aussage von. 31,10,1, daß die ganze Welt in Aufruhr sei, dazu, die Verbindung von Ost und West zu unterstreichen. Es berichtet nämlich von Gratians Kämpfen im Westen. Auch Frigerids Maßnahmen am Paß von Succi (Amm. 31,10,21/22) dienen dem Schutz des Westens. Der Paß liegt auf der Grenze zwischen dem Herrschaftsgebiet Gratians und des Kaisers Valens. Die Goten sollten gehindert werden, über ihn in Gratians Gebiet eindringen zu können.
Über die Parallelüberlieferung und die Quellen Ammians wird weder in der allgemeinen Einführung noch in denen zu den einzelnen Kapiteln mit Ausnahme derer zu Kap. 30,1 (S.2/3) gesprochen. Sie bekommen auch kein eigenes Kapitel. Auf sie wird nur in den einzelnen Lemmata verwiesen, so z.B. S.24/25 bei der Kommentierung der Ermordung Papas und S.142/43 bei der zum Tod Valentinians I. und bei der zur Religionspolitik Valentinians I. (S.192/93). Auf beider Wert für die Beurteilung der Darstellung Ammians oder ihren Gebrauch macht der Kommentar selten aufmerksam (S.2/3; 151; 175). So erscheint bezeichnenderweise auch das Stichwort “sources” nicht prominent im Index unter Various Topics (S.245/46), sondern ist recht versteckt (Ammian and Jerome, common source?; Armenian sources). Unter beiden Stichwörtern findet man auch keineswegs alle Hinweise.
Die beigefügten zwei Karten der Donaugrenze (Carnuntum – Sirmium) und von Armenien und den angrenzenden Gebieten sind wie die Karten in den voraufgegangenen Bänden wenig hilfreich und erlauben z.B. nicht, den geschilderten Bewegungen des Kaisers oder einzelner Heerführer folgen zu können. Dieser Mangel wird zwar seit dem Kommentar zu Buch XXV (2005) durch einen Verweis bei den Ortsnamen auf den Atlas von Talbert8 und eingehende geographische Beschreibungen ausgeglichen, erschwert aber dennoch die Arbeit mit dem Kommentar erheblich. Man sollte mindestens noch häufiger auf spezielle Karten verweisen.
Bei der Kommentierung wird bisweilen eine Bewertung der referierten Auffassungen vermieden, und nicht immer sind die verschiedenen Positionen ganz deutlich formuliert und gebündelt, unter anderem deshalb, weil das Bestreben im Vordergrund steht, die Literatur möglichst umfassend zu präsentieren. Bei der Fülle der angeführten Literatur wäre aber eine begründete Bewertung nützlich, um nicht alles selbst überprüfen zu müssen. Der Leser kann dann immer noch entscheiden, ob er der Wertung folgen möchte. Eine solche wird z.B. in Bezug auf die Chronologie für Persia und Armenia vorgenommen. Die Kommentatoren folgen im allgemeinen Lenski 2007 (XIII).9
Bei der Fülle des Materials ist es unmöglich, zu allen Lemmata Stellung zu nehmen oder sie auch nur zu überprüfen. Der Rez. möchte daher nur auf ganz wenige einzelne Lemmata eingehen. Dabei ist es für den Leser dienlicher, vorwiegend auf Versäumnisse, mögliche Ergänzungen oder Irrtümer hinzuweisen. Dies bedeutet keine Mißachtung oder Infragestellung der Arbeit, die die Kommentatoren geleistet haben.
Die Erörterung prosopographischer Fragen berücksichtigt in der Regel auch die neuesten Forschungsergebnisse und bietet eine nützliche Ergänzung zu den in der PLRE 1 gegebenen Informationen, ohne daß man sich durch die gesamte Forschungsliteratur durcharbeiten muß. Man vgl. z.B. die Darlegungen zum älteren Gratian, Valentinians I. und Valens’ Vater (S.150-154). Die als Vermutung geäußerte Idee, daß der ältere Gratian auf Magnentius’ Seite trat, als dieser an die Macht kam (S.154), kann auf keinen Fall korrekt sein. Die Entscheidung für Magnentius kann frühestens gefallen sein, als sich Vetranio in Pannonien erhoben hatte (1.3.350) oder jener sich Pannoniens bemächtigt hatte (Frühjahr 351). Viel wahrscheinlicher ist aber, daß Gratian keine Stellung bezog und erst durch Magnentius’ Besuch vor der Schlacht von Mursa (28.8.351) zu einer solchen gezwungen wurde. Dies trug ihm den Verlust seiner Güter ein. Zum offensichtlichen Reichtum des älteren Gratian und der Generäle in der Regel vgl. jetzt Contested Monarchy.10 Zu Magnentius und den Details seiner Usurpation vgl. man auch Szidat 2003.11
Bei der Kommentierung zu Amm. 30,2,8 (S.41) bleibt ungesagt, daß es sich bei Gothia um einen Landschaftsnamen handelt. Er bezeichnet das gotische Siedlungsgebiet nördlich von Thrakien. Er wird aber an dieser Stelle eindeutig für das Volk der Goten verwendet, wozu es kaum brauchbare Parallelen bei Ammian und anderen Autoren gibt. Zum Problem der Verwendung des Wortes Gothia und dem jeweiligen Inhalt vgl. man etwa Wolfram.12 Zur eher seltenen Verwendung solcher Bezeichnungen auf -ia, um Siedlungsgebiete eines Stammes zu bezeichnen, bei Ammian und auch anderen Autoren vgl. Amm. 20,4,1; 30,3,1 (Alamannia); 30,3,7 (Francia). Die Kommentierung beider Ammianstellen (S.48, 56) nimmt keinen Bezug aufeinander und ist auch nicht mit dem Kommentar zu Gothia verbunden. In der Regel finden sich solche Mängel gerade bei der Erörterung sprachlicher Fragen nicht im Kommentar.
Der Zusatz totius (Gothiae), zu dem der Rez. keine Parallele kennt, drückt kaum eine tatsächliche Einheit der Goten aus (vgl. auch IX) oder auch nur eine fiktive,13 sondern weist auf die große Menge der Goten voraus, die im Reich Aufnahme finden wollen. Es geht nicht nur um einzelne Stammesteile oder Gruppen, die z.B. in Amm. 31,3 erwähnt werden, sondern um alle, die in der Gothia leben.
Bei Amm. 30,4,2 wird kein Versuch gemacht, die Aussage penitus abstinuit zu quantifizieren oder zu datieren.
Bei der Kommentierung zu Amm. 30,5,2 (S.106/107) wird das nunc bei Ammian, das sich entgegen der zitierten Meinungen verschiedener Forscher auf Grund der aufgeführten Belege nach Auffassung des Rez. und etwa Viansinos (vgl. S.106) nur auf Ammians Gegenwart beziehen kann, denn sonst müßte z.B. eo… tempore stehen (vgl. Amm. 30,5,14), im Kommentar durch einen Hinweis auf die archäologische Forschung in Frage gestellt. Dabei werden einige Fragen nicht gestellt. Ist Ammians Aussage zu Carnuntum unglaubwürdig? Sind die Hinweise Ammians, die sich auf seine Gegenwart beziehen, sonst auch unzuverlässig? Wie konnte sich Ammian über den Zustand einer Stadt zu der Zeit, als er schrieb, oder zu der Zeit, als ein Ereignis berichtet wird, informieren?
Bei den Bemerkungen zur Religionspolitik Valentinians I. (S.191-93) unterbleibt ein Vergleich mit der Bewertung, die Ammian sonst in seinen Nekrologen vornimmt oder auch unterläßt wie im Fall von Valens, weitgehend. Auf Julians Politik den Christen gegenüber findet sich nur ein kurzer Hinweis (S.191). Es bleibt einiges unkommentiert, wie z.B. der Begriff inquietare, und Positionen, die in der Forschung diskutiert werden, werden nicht mit einem Verweis auf die wissenschaftliche Literatur belegt. So wird vom Preis der Religionspolitik Valentinians I. durch Ammian gesagt (S.189/90), daß es nicht unwahrscheinlich sei, daß Ammian auf diese Weise indirekt Theodosius’ I. Politik gegenüber den Heiden kritisiere. Es fehlt jeglicher Hinweis auf Autoren, die diese Auffassung vertreten, und eine kritische Stellungnahme zu ihnen. Die Problematik, wenn die Religionspolitik Valentinians I. betraf und wie sie im Text Ammians greifbar ist, wird nicht klar erkennbar.
Bei der Kommentierung der Erhebung Valentinians II. (Amm. 30,10) wird die Frage der nominellen Augusti nicht als Problem zusammenfassend dargestellt. Valentinian II. war offensichtlich nach der Anerkennung durch Gratian und Valens ein nomineller Augustus. Der Band bietet einen wesentlichen Beitrag für das Verständnis des XXX Buches und Ammians insgesamt. Die bibliographische Information ist umfassend, chronologische Probleme werden eingehend erörtert und historische und sprachliche Fragen detailliert diskutiert. Die Autoren sind bestrebt, Aufbau, Darstellungstechnik und inhaltliche Gewichtung erkennen zu lassen. Es wäre zu wünschen, daß der Kommentar auch entsprechend gebraucht und für das Verständnis des Textes in Abhandlungen und Büchern benutzt würde.
Notes
1. M.Chiabò, Index verborum Ammiani Marcellini. 2 Bde. Hildesheim; Zürich; New York 1983.
2. H.Wolfram, Geschichte der Goten, München 3 1990 (und weitere Auflagen).
3. J.Szidat, “Die Herrschaft der Söhne Konstantins und die Usurpation des comes rei militaris Magnentius. Ein Überblick über die Geschichte der Jahre 337-353”, M.A.Guggisberg (Hrsg.) unter Mitarbeit von Annemarie Kaufmann-Heinimann, Der spätrömische Silberschatz von Kaiseraugst. Die neuen Funde. Silber im Spannungsfeld von Geschichte, Politik und Gesellschaft der Spätantike, Augst 2003, 203-214.
4. K.-L.Noethlichs, Die gesetzgeberischen Maßnahmen der christlichen Kaiser des vierten Jahrhunderts gegen Häretiker, Heiden und Juden, Köln 1971; K.-L. Noethlichs, RAC 13, 1986, 1149–1190, s. v. Heidenverfolgung.
5. K.Miller, Itineraria Romana, Stuttgart 1916.
6. Zu spät erschien der Band Contested Monarchy, um noch beigezogen werden zu können. J.Wienand (ed.), Contested Monarchy. Integrating the Roman Empire in the Fourth Century AD, Oxford 2015.
7. C. Pharr, The Theodosian Code and Novels and the Sirmondian Constitutions. A Translation with Commentary, Glossary, and Bibliography, New York 1952.
8. R.J.A.Talbert (Hrsg.), Barrington Atlas of the Greek and Roman World, Princeton; Oxford 2000.
9. N.Lenski, “The Chronology of Valens’ Dealing with Persia and Armenia. 364-378 CE”, in J.den Boeft, J.W.Drijvers, D.den Hengst, H.C.Teitler (eds.), Ammianus after Julian: The Reign of Valentinian and Valens in Books 26-31 of the Res Gestae, Leiden 2007, 95-127, esp. 113-118.
10. Vgl. n.7 S.105.
11. Vgl. n.3.
12. Vgl. n.2.
13. Ammien Marcellin, Histoires, Tome VI, Livres XXIX-XXXI, Index général. Texte introduit, établi et traduit par G.Sabbah; notes par L.Angliviel de la Beaumelle, Paris 1999, n.231.