BMCR 2016.04.15

Fremd und rechtlos?: Zugehörigkeitsrechte Fremder von der Antike bis zur Gegenwart. Ein Handbuch​

, , Fremd und rechtlos?: Zugehörigkeitsrechte Fremder von der Antike bis zur Gegenwart. Ein Handbuch​. Köln; Weimar; Wien​: Böhlau Verlag​, 2014. 434. ISBN 9783412223847. €39.90.

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Zu besprechen ist ein Handbuch, das ein Teilergebnis des Trierer Sonderforschungsbereiches 600 „Fremdheit und Armut. Modi der Inklusion/Exklusion von der Antike bis in die Gegenwart“ darstellt. Vor dem Hintergrund dieses Projektes haben es sich die Herausgeber des Bandes, der Althistoriker Altay Coşkun und der auf Neuere und Neueste Geschichte spezialisierte Historiker Lutz Raphael, zum Ziel gesetzt, einen historischen Überblick über die politisch-rechtlichen Konzepte von Fremdheit in der Staatenwelt des euro-mediterranen Großraumes zu geben. Wie bereits dem Titel des Handbuches zu entnehmen ist, soll ein chronologischer Bogen von der Antike bis in die Gegenwart gespannt werden. Dadurch leistet das Buchprojekt einen beachtenswerten Beitrag zur komparativen Aufarbeitung der Beziehung zwischen politischen Systemen und Personen(gruppen), die mit Fremdheit in Zusammenhang gebracht wurden—eine zeitlose Thematik, die in derartiger Form noch nicht aufgearbeitet wurde.

Das Buch beginnt mit einer methodischen Einführung in den umfassenden Untersuchungsgegenstand (S. 9–56); es wird etwa definiert, welchen Kontext Fremdheit in rechtlicher Hinsicht aufweisen kann—zu denken ist nicht nur an die Inklusion/Exklusion von Migranten oder Flüchtlingen, sondern auch an die Entfremdung bzw. Andersbehandlung einheimischer Bevölkerungsgruppen—, sodann welche Einzelrechte als Unterscheidungsmerkmale greifbar werden, welche sozialräumlichen Implikationen der Thematik anhaften und welche wiederkehrenden Faktoren bei einer epochenübergreifenden und komparativen Analyse zu beachten sind (Demographie, Herrschaft, Religion, Gesellschaft). Es folgen Kapitel, die jeweils einer historischen Epoche gewidmet sind und chronologisch aufsteigend aufeinander folgen. Behandelt werden die Hochkulturen Ägyptens und des Vorderen Orients (S. 57–84), die griechisch-römische Antike (S. 85–120), die Spätantike und das Mittelalter (S. 121–151), das Hoch- und Spätmittelalter (S. 153– 191), die arabisch-islamische Welt (S. 193–215), das Osmanische Reich (S. 217–240), die Frühe Neuzeit (S. 241–268), die europäischen Kolonialreiche (S. 269–299), der Verfassungsstaat des 19. Jahrhunderts (S. 301–330) sowie das 20. Jahrhundert (S. 331–358). Ein Abkürzungs-, Literatur- und Autorenverzeichnis (S. 359–415) sowie ein Personen-, Sach- und Ortsindex (S. 417–434) beschließen den Band, der durch die übersichtliche und einheitliche Gliederung der einzelnen Beiträge (an deren Ende jeweils ein Fazit und eine kommentierte Literaturauswahl stehen) besticht. Aufgrund des vorgegebenen Rahmens beschränkt sich die nachfolgende Diskussion auf jene Abschnitte, die sich mit der antiken Rechts- und Lebenswelt auseinandersetzen.

Bei seiner Auseinandersetzung mit den frühen Hochkulturen charakterisiert Francis Breyer die ägyptische Gesellschaft als eine, der man bei oberflächlicher Betrachtung der Quellen zwar fremdenfeindliche Tendenzen unterstellen könnte (wie das in der Forschung auch immer wieder getan wurde). Bei einer genaueren Analyse stellt sich jedoch heraus, dass es ein übergreifendes Konzept von Fremdheit in ethnischer Hinsicht—im Sinn einer eigenen sozialen Schicht von „Ausländern“—bei den Ägyptern nicht gab. Vielmehr scheinen sich Zuwanderer gemäß ihrer sozialen Stellung integriert zu haben. Die in der Spätzeit greifbare Fremdenfeindlichkeit sei auf eine „Theologisierung der Fremdheit“ zurückzuführen, die zum „Mythos vom Fremden als Religionsfrevler“ (S. 72) geführt habe. Anders als im pharaonischen Ägypten scheinen Personen in Mesopotamien weniger aufgrund ihrer geographischen Herkunft, sondern vielmehr wegen ihrer im Vergleich zum Stadtbewohner unterschiedlichen Lebensweise als fremd wahrgenommen worden zu sein. Diese Kategorisierung, die terminologisch mitunter negativ besetzt war, hatte zudem durchaus praktischere Auswirkungen auf das Zusammenleben, denn Fremde standen rechtlich nicht auf derselben Stufe wie die Einheimischen und wurden eher ausgegrenzt. Wieder anders präsentiert sich das Hethiterreich, wo—vergleichbar mit Ägypten—in sozialer und rechtlicher Hinsicht keine Benachteiligung von Fremden festzustellen ist, und auch im religiösen Bereich scheinen die Hethiter anderen Kulten völlig offen gegenübergestanden zu sein.

Ein ambivalentes Bild vom Umgang mit Fremdheit im Rechtsalltag zeichnet Altay Coşkun auch bei seiner Betrachtung der griechisch-römischen Antike, indem er die Institution der griechischen Polis mit dem Römischen Reich, dessen Wurzeln bekanntlich ebenfalls in einem Stadtstaat lagen, vergleicht. Dabei zeigt Coşkun auf differenzierte Weise, dass die griechische Polis eher darauf bedacht gewesen zu sein scheint, den Besitz des Bürgerrechtes restriktiv zu behandeln—wofür etwa das Bürgerrechtsgesetz des Perikles (das Coşkun [S. 114–117] nicht auf 451/50 v. Chr., sondern in das Jahr 445/44 v. Chr. datiert) emblematisch ist—und mindere Rechtskategorien für Einwohner ( metoikoi, paroikoi, katoikoi, perioikoi, Heloten) oder fremde Nichteinwohner ( xenoi) festzulegen. Demgegenüber dürfte die römische Politik eine größere Bereitschaft gekennzeichnet haben, peregrini die Teilhabe am römischen Gemeinwesen und die Aufnahme in deren Bürgerschaft durch verschiedene hierarchisch abgestufte Rechtsinstitute zu realisieren ( ius Latii, colonia Latina, municipium, civitas sine suffragio), wobei auch die volle politisch-rechtliche Gleichstellung nicht ausgeschlossen war. In der Tat ist es für die Entwicklung Roms charakteristisch, dass die Zahl römischer Bürger seit der Zeit der Monarchie stetig anstieg. Voraussetzungen für die vergleichsweise offene römische Bürgerrechtspolitik waren laut Coşkun:

„(1) der fast kontinuierliche militärische Erfolg; (2) der viel geringere Demokratisierungsgrad; (3) die integrative Wirkung der clientela, die letztendlich schon in der Struktur der familia angelegt war; (4) das weit über die perioikia hinausgehende Instrument des municipium, das kurzfristig den widerstrebenden Bedürfnissen einerseits nach Herrschaft andererseits nach Autonomie entgegenkam sowie offen für eine langfristige Entwicklung zur Gleichberechtigung war; (5) die sich in den 120er Jahren v. Chr. manifestierende Bereitschaft, bestimmten Angehörigen der Eliten einen gesetzlich verankerten Anspruch auf Einbürgerung zu gewähren“ (S. 119–120).

Von großer Bedeutung ist ferner Coşkuns Hinweis, dass die römische Auffassung, wodurch das Bürgerrecht zu erlangen sei, mehr von institutionellen und loyalitätsbedingten Faktoren bestimmt als—wie bei den Griechen—von der Abstammung abhängig gemacht wurde. Während die rechtshistorische Gegenüberstellung des Umganges mit Fremdheit in der griechischen Polis und im Römischen Reich einen wesentlichen Baustein für den Erfolg römischer Machtpolitik hervortreten lässt, lag nach Coşkun in der Spätantike eines der Hauptprobleme darin, dass die Integration der Germanen in den römischen Staat missglückte.

Dementsprechend weist Oliver Schipp in seiner Auseinandersetzung mit dem spätrömischen (und frühmittelalterlichen) Westen darauf hin, dass die Ansiedlung barbarischer Stämme auf römischem Reichsgebiet teils zur Herausbildung „quasi-autonomer Gebiete“ (S. 122) geführt habe, wodurch soziale, kulturelle und religiöse Integrationsprozesse verhindert wurden. In rechtlicher Hinsicht kann aber von keiner generellen Ausgrenzung die Rede sein: Jeder freie Einwohner des römischen Reiches konnte vom ius civile Gebrauch machen, wobei es aber auch hier wieder zu Einschränkungen kam, die sich nunmehr an sozialen und politischen Gesichtspunkten orientierten, also nicht auf einer Unterscheidung zwischen Bürgern und Nichtbürgern aufbauten. Anders als die Föderaten besaßen etwa jene Barbaren, die im Status von Kolonen oder Läten angesiedelt wurden, eine minderen personenrechtlichen Status. Trotz der Separierung mancher barbarischen Gruppe, gelegentlicher Ressentiments der Römer und der angezeigten rechtlichen Unterschiede, die man mit Ehebestimmungen aufrechtzuerhalten versuchte, betont Schipp, dass beim Übergang zum Frühmittelalter auf ideologischer Ebene „Römer und verbündete Barbaren […] schließlich eine Schicksalsgemeinschaft [bildeten]“ (S. 150). In diesem Kontext ist dann mit einem komplexen Geflecht von Selbst- und Fremdwahrnehmung zu rechnen, bei dem einseitige Kategorisierungen von Fremdheit nicht mehr greifen. Passend dazu konnte sich der Einzelne nun über die Zugehörigkeit zu einer Rechtsgemeinschaft ( natio) und zu einem Stamm ( gens) definieren, wobei mit dem Ende der Spätantike auch das Modell eines Bürgerrechtes, das den euro-mediterranen Raum einte, keine Fortsetzung fand.

Die Betrachtung der antiken Verhältnisse bestätigt im Wesentlichen, dass man die Frage „Fremd und Rechtlos?“ in diesem Kontext überwiegend mit Nein beantworten wird. Eine echte Entrechtung von Personen mit Migrationshintergrund, anderen Minderheiten oder eine gezielte rechtliche Definierung einer Randgruppe scheint demgemäß—zumindest angesichts der untersuchten Beispiele— die Ausnahme gewesen zu sein.

Dass die Antike in einem chronologisch übergreifenden Handbuch zu einem Thema, das von anhaltender Aktualität ist und gegenwärtig im Mittelpunkt des öffentlichen Interesses steht, Berücksichtigung findet, ist aus Sicht der Altertumswissenschaft im Hinblick auf deren fachliche Positionierung erfreulich, entspricht aber dem Trend der Forschung: Minderheiten und Migrationsphänomene, die einen traditionellen Gegenstand der mit der Spätantike und dem Frühmittelalter befassten Wissenschaft darstellen, werden zunehmend auch im Bereich der griechisch-römischen Welt systematisch und in komparativem Zusammenhang untersucht, ohne sich dabei auf die jüdische Diaspora zu beschränken.1

Im Bezug auf die zusammengestellten Beiträge und ihre Inhalte ist es den Herausgebern zweifellos gelungen, auf der Basis terminologischer Analysen Handbuchwissen festzuhalten, womit sie unter der vorgegebenen Problemstellung Pionierarbeit geleistet haben. Bei der Lektüre der Einleitung fragt man sich gelegentlich, warum etablierte Termini der historischen Migrationsforschung wie politische Integration, Sozialintegration oder Migrationsregime bei der Umschreibung bzw. Behandlung derartiger Sachverhalte nicht verwendet werden (etwa S. 18, 21, 25–26, 28). Insbesondere aus althistorischer Sicht erscheint es—trotz der weiten Bandbreite an analysierten Epochen und Staatensystemen und im Bewusstsein, dass das vorliegende Handbuch keinen Anspruch auf Vollständigkeit erhebt—beklagenswert, dass die hellenistischen Großreiche nur am äußersten Rande behandelt werden (S. 31, 32, 98, 119). Man hätte dem Zeitalter des Hellenismus, in denen zahlreiche Migrationsbewegungen zu umwälzenden politischen und gesellschaftlichen Veränderungen führten, die sich natürlich auch auf die rechtliche Ebene auswirkten, durchaus einen eigenen Abschnitt widmen können. Als besonders schmerzlich empfindet es der Rezensent, dass die Ptolemäerzeit allein im Rahmen des spätzeitlichen Ägypten Erwähnung findet (S. 73). Das wird weder der üblichen Epochengliederung noch der Quellenlage gerecht, denn aufgrund der Papyri können Einwanderung und Binnenmigration sowie die Herausbildung von ethnischen Rechtskategorien und von Minderheiten in Ägypten so genau wie sonst in keinem Raum der griechisch-römischen Welt untersucht werden.2

Insgesamt wird man aber nicht in Frage stellen, dass Coşkun und Lutz ein gelungenes und äußerst informatives Werk vorgelegt haben, das Studierende und Historiker aller Epochen ansprechen wird. Es ist in dieser Form wegweisend und daher bei der rechtshistorischen Auseinandersetzung mit den unterschiedlichen Facetten von Fremdheit ein unverzichtbares Arbeitsinstrument. Ihm ist abschließend ein breiter Leserkreis zu wünschen. ​

Notes

1. Siehe etwa Eckart Olshausen, Holger Sonnabend (Hrsg.), Zu Wasser und zu Land – Verkehrswege in der antiken Welt. Stuttgarter Kolloquium zur Historischen Geographie des Altertums 7, 1999 (Geographica Historica 17), Stuttgart 2002; dies. (Hrsg.), „Troianer sind wir gewesen“ – Migrationen in der antiken Welt. Stuttgarter Kolloquium zur Historischen Geographie des Altertums 8, 2002 (Geographica Historica 21), Stuttgart 2006; Eckart Olshausen, Vera Sauer (Hrsg.), Mobilität in den Kulturen der antiken Mittelmeerwelt. Stuttgarter Kolloquium zur Historischen Geographie des Altertums 11, 2011 (Geographica Historica 31), Stuttgart 2014; Linda-Marie Günther (Hrsg.), Migration und Bürgerrecht in der hellenistischen Welt, Wiesbaden 2012; Patrick Sänger (Hrsg.), Minderheiten und Migration in der griechisch-römischen Welt: Politische, rechtliche, religiöse und kulturelle Aspekte (Studien zur Historischen Migrationsforschung 31), Paderborn 2016. Zum Potential eines epochenübergreifenden historischen Ansatzes, der die Antike berücksichtigt, siehe die acht Bände, die in der Reihe „Stuttgarter Beiträge zur Historischen Migrationsforschung“ (Münster 1991; Stuttgart 1995, 1997, 1998, 2001, 2006, 2010, 2011) erschienen sind.

2. Siehe etwa Horst Braunert, Die Binnenwanderung. Studien zur Sozialgeschichte Ägyptens in der Ptolemäer- und Kaiserzeit (Bonner historische Forschungen 26), Bonn 1964; Joseph Mélèze-Modrzejewski, „Le statut des Hellènes dans l’Égypte lagide. Bilan et perspectives des recherches“, in: REG 96, 1983, S. 241–268; Koen Goudriaan, Ethnicity in Ptolemaic Egypt (Dutch Monographs on Ancient History and Archaeology 5), Amsterdam 1988; Csaba A. La’Da, Foreign Ethnics in Hellenistic Egypt (Studia Hellenistica 38 = Prosopographia Ptolemaica 10), Leuven 2002; Dorothy J. Thompson, „Ethnic Minorities in Hellenistic Egypt“, in: Onno M. van Nijf, Richard Alston (Hrsg.), Political Culture in the Greek City after the Classical Age, Leuven 2011, S. 101–117; Christelle Fischer-Bovet, „Counting the Greeks in Egypt: Immigration in the First Century of Ptolemaic Rule“, in: Claire Holleran, April Pudsey (Hrsg.), Demography and the Graeco-Roman World: New Insights and Approaches, Cambridge 2011, S. 135–154; Mary Stefanou, „Waterborne Recruits: The Military Settlers of Ptolemaic Egypt“, in: dies., Kostas Buraselis, Dorothy J. Thompson (Hrsg.), The Ptolemies, the Sea and the Nile. Studies in Waterborne Power, Cambridge 2013, S. 108–131. ​