BMCR 2015.08.39

The Shape of Herodotean Rhetoric: A Study of the Speeches in Herodotus’ Histories with Special Attention to Books 5-9. International Studies in the History of Rhetoric, 6

, The Shape of Herodotean Rhetoric: A Study of the Speeches in Herodotus' Histories with Special Attention to Books 5-9. International Studies in the History of Rhetoric, 6. Leiden; Boston: Brill, 2014. viii, 383. ISBN 9789004278967. €135.00.

Table of Contents

Zali analysiert in der überarbeiteten Fassung ihrer 2009 entstandenen Dissertation die Reden in den Büchern 5-9 von Herodots Geschichstwerk. Das Interesse Herodots für die Rhetorik zeigt sich schon darin, daß “speakers are very well aware of the process of manipulating and adapting their arguments to suit the particular audience“ (S. 3). Folgende drei Aspekte leiten ihre Untersuchung: “performativity“ (das Verhältnis zwischen Reden und Erzählung), “dialogue“ (die verschiedenen Arten von Intertextualität und das Verhältnis zu den Figuren im und den Rezipienten außerhalb des Werks) und “metahistory“ (implizite Hinweise Herodots auf seine historische Methode). Zali gibt bezüglich der von ihr behandelten Themenkomplexe einen konzisen Überblick über die antike und moderne Forschung, wobei sie den Akzent vor allem auf die neueren englischsprachigen Beiträge legt.1 Anstelle der sporadisch und oft nur in einzelnen Fußnoten im Einzelfall diskutierten Quellenfrage (etwa bei der Rede des Miltiades vor Marathon 6,109 [S. 86f. und 267, Anm. 118] oder bei Mnesiphilos’ Rede 8,57 [S. 140, Anm. 125]), wäre es besser gewesen, wenn Zali bereits in der Einleitung ihre Position bezüglich der Frage nach den Quellen von Herodots Reden dargelegt hätte.

Im ersten Teil (“Architectonics of Speech“, S. 35-99), der mit dem ersten Kapitel (“Allocation of Speech“) zusammenfällt, untersucht Zali “the distribution of speech and particular speech modes to individuals and groups and compression or omission of speech“ (S. 37). Sie lotet aus, inwieweit die Reden zur Manipulation des Erzählrhythmus, zur Abwechslung und Dramatisierung und besonders zur Charakterzeichnung der Sprecher dienen. Die Zuschreibung an bekannte oder anonyme Figuren, die Modalität (als Redenresümee, indirekte bzw. direkte Rede, wobei eine direkte Rede stärker als eine indirekte die Autorität des Sprechers hervorhebt) und die Länge einer Rede tragen zur Charakterisierung der Figuren bei, während das Auslassen einer (möglichen) Rede “power relations between groups and characters“ (S. 42) markiert. Zali beschränkt sich auf die beiden Themen des griechisch-persischen Antagonismus (was eigentlich in den Rahmen des Barbarendiskurses gehört und mit den ethnographischen Teilen und dem Freiheitsdiskurs zu verbinden wäre) und der Uneinigkeit unter den Griechen, ohne aber die Wahl dieser (und nicht anderer) Leitmotive eingehend zu begründen. Ihre These lautet, daß die Form und das Arrangement der Reden und der Erzählung “exemplify and buttress the Greco-Persian polarity and the problem of Greek unity. Debates compressed and suppressed, division of opinions, emphasis on certain individual views, exclusion of speeches, and Spartan silence vs. Athenian/Greek speech—all reflect the differences between the Greek cities and the difficulties the Greeks are facing in trying to work together“ (S. 98). Dasselbe läßt sich aber auch bei Thukydides, dessen Erzählmodus von dem Herodots durchaus abweicht, feststellen. Gerade die als Antilogien angeordneten Reden in Sparta im ersten Buch oder während der Sizilienexpedition erfüllen bei jenem eine ähnliche Funktion. Um ihre These zu erhärten, hätte Zali Parallelen und Gegenbeispiele anführen müssen.

Die Spannungen zwischen Athen und Sparta treten besonders bei den Gesandtenreden (etwa 7,157-162; 8,140-144; 9,7-11 und 9,26f.) hervor. Interessant ist Zalis Beobachtung, daß die Spartaner gemäß ihrem ‘lakonischen’ Charakter, nur dann zu sprechen, wenn es absolut nötig ist, in der Regel nur kurze Reden halten und sich dadurch von den übrigen Griechen, besonders den Athenern, unterscheiden; Demaratos oder Pausanias, die im Gegensatz etwa zu Kleomenes als Individuen längere Reden in oratio recta halten, werden vielleicht auch in dieser Hinsicht als von Sparta dissoziierte Figuren gezeichnet (beide verraten ja ihre Heimatstadt). Ob aber in der Amompharetos-Episode “a direct exchange would make the situation excessively comical“, während die indirekte Darstellung “both preserves the grandeur of Amompharetus’ brave resolution and avoids pointless narrative retardation“ (S. 72), ist fraglich, zumal die Parodie der spartanischen Ideologie auch so plastisch hervortritt. Von den Individuen, die sprechen, tritt gemäß Zali Themistokles’ Autorität in den Reden vor und nach Salamis deutlich hervor, denn “the manipulation of silence and speech modes as well as his late introduction into the narrative single Themistocles out from all the other Greeks and highlight his authority and importance“ (S. 83).

In Bezug auf Xerxes spielt Zali aber dessen rhetorische Fähigkeit zu sehr herunter. Es trifft nicht zu, daß im Kronrat “Xerxes more or less repeats Mardonius’ arguments with some elaboration“ (S. 89), zumal er im Gegensatz zu Mardonios den Feldzug ideologisch untermauert und in die Tradition des persischen Imperialismus stellt. Daß Herodot im 7. Buch “emphasizes his ruthlessness and tendency to emotional extremes. Extensive commentary on his nonverbal behaviour compensates for his repressed and insubstantial speech“ (S. 91), trifft Xerxes’ komplexes Wesen nicht ganz; es stimmt, daß er wie Agamemnon immer den Rat anderer sucht und als noch junger König im Gegensatz zu seinem Vater Dareios weniger Autorität besitzt; dennoch kann auch er durchaus rational argumentieren (z.B. 7,49-52; 7,130; 147).2 Zali selbst bezeichnet Xerxes’ Paränese an das Heer 7,53, in der sie sogar Parallelen zu Perikles’ Epitaphios zu erkennen glaubt, als rhetorisch gelungen: “Herodotus challenges Greek presumptions of national stereotypes by assigning the Persian king Greek-style rhetoric.“ (S. 292).

Der zweite Teil (“Speech and Competition“, S. 101-167) befaßt sich mit der Frage, “on how the kind of language that describes debate and the mechanics of debate sustain and problematize specifically the fragility of Greek unity and the distinction between Greek and Persians“ (S. 104f.). Vor Salamis setzt Herodot “suppression and compression of the majority of debates; description of long and confounded debates to stress the inability of the Greeks to discuss collectively; and focussing on individuals“ (S. 111) als Mittel ein, um die Bedeutung der Beratungsreden der Griechen und somit der griechischen Eintracht zu schmälern. Dies gilt aber nicht nur für die kurzen und indirekt wiedergegebenen Reden, sondern auch für die längeren Debatten in Syrakus oder Tegea in oratio recta. So setzt sich Themistokles nicht so sehr dank den Argumenten seiner Reden, sondern durch seine Drohungen, geheimen Botschaften und Manipulationen vor und nach Salamis durch – was der Fähigkeit der Griechen, erfolgreich zu beratschlagen, ein Armutszeugnis ausstellt. Bei den Persern verlaufen die Debatten zwar geordneter, aber ebenfalls ohne Erfolg. Auch in diesem Teil bespricht Zali verschiedene Beispiele. Besonders die Verfassungsdebatte in Persien (3,80ff.) ist dabei signifikant: Die Wahl der persischen Staatsform erscheint als das Resultat einer ziemlich freien Diskussion unter gleichberechtigten Gesprächspartnern. Dies führt zum erstaunlichen Ergebnis, daß die Debatten in Persien oft auf ähnliche Weise wie diejenigen in Griechenland beschrieben werden: “There are even spells of free speech with Artemisia, Demaratus and Artabanus. … Debate is constantly being problematized and undercut in ways that both underpin and contest the Greco-Persian polarity“ (S. 166f.).

Der dritte Teil (“Speech and Typology“, S. 169-302) umfaßt zwei Kapitel: In Kapitel 3 “Alliance Speeches“ (S. 171-236) untersucht Zali die in den späteren rhetorischen Handbüchern beschriebenen Argumente und Rede-Strategien, die in den Reden vor potentiellen Bundesgenossen zur Anwendung kommen, wobei alle Sprecher, was nicht verwunderlich ist, sowohl moralische als auch utilitaristische Argumente verwenden (S. 227). Daß auch die Täuschung dazu gehört, ist ebensowenig erstaunlich; darin ist vor allem Aristagoras ein Meister: Sehr schön zeigt Zali S. 187-203 auf, wie dieser seinen Vorschlag als etwas, das leicht zu verwirklichen ist, beschreibt, indem er jeweils Formen des Adjektivs εὐπετής gebraucht, während auktoriale Glossen anzeigen, daß seine Argumente faktisch nicht zutreffend sind. Die Vermutung, daß Herodot bei Aristagoras’ Erwähnung des Reichtums Persiens “might … be appropriating models of barbarian discourse,“ zumal jener als Ionier wohl “was acquainted with relevant rhetorical or storytelling patterns,“ übersieht, daß Reichtum und Nutzen allgemein ein Movens der imperialistischen Expansionspolitik sind (vgl. die Erwartung vieler Athener vor der Sizilienexpedition, durch den Feldzug Reichtümer zu erlangen, Thuk. 6,24,3). In Bezug auf den Mythos zeigt sich, daß ähnlich wie die Griechen (besonders in den Reden in Syrakus 7,157ff.) auch die Perser diesen in ihrer Argumentation einsetzen (etwa 7,150).

Bezüglich der Verhandlungen in Athen nach der Schlacht bei Salamis meint Zali, daß Alexanders wörtliche Wiedergabe von Xerxes’ Rede (8,140) ein rhetorischer Trick sei, um “to ascribe an alliance speech to an individual who possesses greater power, which confers authority on the speech and thus reinforces its effectiveness“ (S. 187), zumal die Spartaner in ihrer Erwiderung nur Mardonios, aber nicht Xerxes erwähnten (8,142), weshalb es sinnvoller sei, “to interpret it as a rhetorical device to achieve persuasion“ (S. 218). Andererseits spricht aber Xerxes 7,150,2 durch einen Boten in oratio recta direkt zu den Argivern. Darüber hinaus gibt Herodot keinen Hinweis darauf, daß Mardonios bzw. Alexander durch einen rhetorischen Trick die Athener täuschen wollten und nicht im Einklang mit Xerxes’ Meinung sprachen (anders verhält es sich 9,89,3, wo Artabazos auf der Flucht absichtlich, wie auktorial angemerkt wird, die Thessaler durch die Angabe, daß Mardonios’ Heer nachfolge, täuschte). Nichts spricht somit dagegen, Alexander als Xerxes’ Sprachrohr zu betrachten.

Das 4. Kapitel “Prebattle Speeches“ (S. 237-302) behandelt die Paränesen, die seit Homer als eigenständige Redegattung vorkommen. Nach einem kurzen Überblick über die Forschung versucht Zali nachzuweisen, daß “Herodotus is making use of comparable motifs, terminology and forms, as well as mixing diverse strands of rhetorical argument“ (S. 247), wobei nur selten reine Kampfparänesen vorkommen. Vielmehr werden solche Topoi oft in deliberativen oder anderen epideiktischen Reden verwendet. Sie illustriert dies anhand verschiedener Fallbeispiele wie der Paränese des Phokers Dionysios vor der Seeschlacht bei Lade (6,12) oder des Appells Miltiades’ vor Marathon. Während in den meisten Fällen die Uneinigkeit der Griechen klar hervortritt, meint Zali, daß Herodot bezüglich der Perser die Rezipienten auffordere, “to challenge the Greco-Persian polarity. The Persians deliver harangues too and deploy motifs similar to those used by the Greeks (though not freedom)“ (S. 301).

Im Schlußteil (“Conclusions“, S. 303-316) geht Zali kurz auf die “Dialogic Interaction“ (S. 305-310) ein, d.h. die Polyphonie der herodotischen Erzählung und die Art, wie der Autor seine Autorität begründet und die Erwartungen der Leser durch viele intertextuelle Bezüge steuert. In den “Metahistorical Reflexions“, (S. 310-316)3 sucht Zali in den Reden Hinweise auf Herodots historische Methode. Sie erkennt zutreffend, daß Herodot zwar die zeitgenössische Rhetorik und ihre Strategien kennt, aber (wie später Thukydides) andere Ziele verfolgt: “The Histories does not attend to any specific context, subscribe to any ideology, or have a unique purpose. … Herodotus invites his readers to compare and contrast, think the text through, and approach it from different perspectives.“ Ob aber “at a metahistorical level, Herodotus may be stating the value of his new, different genre for a more reliable approach to rhetoric“ und “envisages himself as offering his readers the chance to see through and beneath the use of epideictic rhetoric by setting the speeches against the narrative“ (S. 313), müßte wohl durch eine eingehende Analyse von in den Reden behandelten Patterns wie der Wohlberatenheit (εὐβουλία) oder dem Problem der Kommunikation und auktorialer Kommentare zur Rhetorik verifiziert werden, was aber Stoff einer eigenen Untersuchung wäre.4

Zwei Tabellen mit allen Reden der Bücher 5-9, welche den/die Sprecher bzw. den/die Adressaten und die Art der Rede vermerken, das Literaturverzeichnis, der Stellen- und der allgemeine Index runden das auch graphisch ansprechend gestaltete Buch ab (S. 317-383).

Die Tatsache, daß Zali in den drei Teilen dieselben Reden unter verschiedenen Blickwinkeln untersucht hat, führt unweigerlich zu Wiederholungen und Zerstückelung der Argumentation, was sich aber bei einer solchen Vorgehensweise kaum vermeiden läßt. Trotz der oben geäußerten Kritikpunkte, die vor allem als Anregung für weitere Arbeiten verstanden sein wollen, zeichnet sich Zalis Buch durch einen originellen Ansatz und eine Fülle treffender Beobachtung aus, die den Horizont der Reden-Forschung in der antiken Geschichtsschreibung gewiß erweitern können.

Notes

1. Daß “speech has a prominent position“ in Hekataios’ Werk (S. 22f.), läßt sich m.E. aber weder aus dem Proömium (FGrHist 1 F1a) noch aus dessen Fragmenten erschließen.

2. Vgl. dagegen C. Scardino, Gestaltung und Funktion der Reden bei Herodot und Thukydides, Berlin–New York 2007, 337-341.

3. Interessante Überlegungen dazu etwa bei V. Gray, Herodotus’ Literary and Historical Method: Arion’s Story (1,23–24), AJPh 122 (2001), 11–28 in Bezug auf Periander.

4. Vgl. dazu einige Gedanken und Stellen bei Scardino 2007 (wie Anm. 2), 370-375.