Das vorliegende Buch stellt die Publikation eines Kolloquiums dar, das im Oktober 2011 in München abgehalten wurde. Nur vermeintlich ist das Thema, die antike Bauornamentik in ihrer Gesamtheit, vielmehr handelt es sich vor allem um Untersuchungen zur Ornamentik der römischen Kaiserzeit. Auf eine allgemeine Einführung und eine Studie zur Bedeutung von Ornament in der antiken Architektur am Anfang folgen 12 Aufsätze zu sehr unterschiedlichen Befunden und Bauten aus allen Regionen des römischen Reiches, unter denen Italien und Kleinasien mit jeweils 5 Beiträgen dominieren.
Die umfassende Rezeption der antiken Ornamente vor allem in der europäischen Architektur und in anderen Gattungen hat spätestens seit der Renaissance zu einem intensiven Studium der Formen geführt, wobei die Ausführungen Vitruvs so etwas wie einen Leitfaden und eine Gebrauchsanweisung darstellten, die Formen zu verstehen. Das Interesse hat bis heute nicht nachgelassen, sich aber deutlich verlagert. Während sich Architekten der Moderne nur noch sehr eingeschränkt für die Formen und ihre Bedeutung interessieren, ist es heute eine Domäne der Archäologen und Bauforscher, wobei die zuletzt genannte Disziplin nur mit einem Beitrag (Ursula Quatember) in dem vorliegenden Band vertreten ist. Die mit Ornamenten und ihrer Gestaltung verbundenen Fragestellungen haben in der deutschsprachigen Forschung besonders breite Resonanz gefunden, so dass es nicht überrascht, dass alle Beiträge aus diesem Raum kommen.
Die Herausgeber Johannes Lipps und Dominik Maschek geben am Anfang einen Überblick über die Forschungsgeschichte im 20. Jahrhundert, der auf den Bereich der römischen Kaiserzeit konzentriert ist. Bei der Frage nach der Genese der architektonischen Formen Roms und seines Reiches standen sich in Wesentlichen zwei Positionen gegenüben: die Ableitung aus griechischen Vorbildern oder die Entwicklung eigenständiger Muster in Italien. Damit ging es um die Bedeutung der kulturellen Eigenständigkeit schlechthin. Ein zweites Feld war die Analyse der Entwicklung. Ornamente dienten vielfach dazu, Bauten zu datieren, wenn andere Kriterien ausfielen, bisweilen wurden sie sogar genutzt, die Datierung entgegen diesen Evidenzen auszuarbeiten. Dabei ergaben sich zwischen den genannten Disziplinen merkwürdige Hierarchien, etwa wenn der Bauforscher Armin von Gerkan autoritär die Entstehung des Forums des Augustus in die hadrianische Zeit fixierte und ihm die Archäologen Eugen von Mercklin, Max Wegner und andere folgten.
Inzwischen sind so gut wie alle Bauteile der römischen Architektur monographisch behandelt worden und es hat sich so etwas wie ein Konsens über die genannten Fragen ergeben. Heute würde wohl niemand mehr ernsthaft vertreten, dass das Ornament kaiserzeitlicher Bauten allein auf griechische Wurzeln zurückgeht oder glauben, dass eine derartige Sicht das Verständnis von Ornament wesentlich fördert. Außerdem sind verschiedene Stufen an Veränderungen erkennbar. Dadurch ist es möglich, isolierte Teile chronologisch einzuordnen und auch in vielen Fällen die Herkunft der ausführenden Handwerker zu bestimmen.
Geht man von diesem Stand der Forschung aus, dann erweitern die Beiträge in dem vorliegenden Band unseren Horizont in zwei Richtungen. Andreas Grüner versucht so etwas wie eine Begriffs- und Funktionsanalyse des Wortfeldes Architekturornamentik. Er verweist darauf, dass bis in jüngste Zeit in der Diskussion die Meinung vorherrschend war, dass ein Ornament so etwas wie ein Zusatz oder eine Art Vorhang vor einer konkreten Konstruktion war. Die Genese einer derartigen Auffassung verbindet er mit einer klassizistischen Haltung und damit mit einem Zeithorizont der Moderne, in der sehr unterschiedliche Formen zur Disposition standen. In welchem Stile man bauen solle, beschäftigte die Architekten ja schon seit dem späteren 18. Jh., hat aber wiederum mit Berufung auf die Antike Vorgänger in der Renaissance. Hier wäre es wohl wichtig, die unterschiedlichen Leistungen von Ornament in der Antike herauszuarbeiten. Ob die im Beitrag stark gemachte Antithese zwischen „akzentuierendem und bildhaft-selbstreflexivem Ornament“ wirklich tragen wird, oder nicht nur traditionelle Vorstellungen in eine andere Terminologie transponiert, ist noch nicht ganz klar. Denn das „akzentuierende Ornament“ hat noch viel von dem „Haptischen“ und „Tektonischen“, was Grüner zu Recht bekämpft.
Die übrigen Beiträge sind alle konkret an Materialien oder Bauten gebunden. In aller Regel steht die Produktion oder auch Reproduktion von Bauteilen mit ihren Ornamenten im Vordergrund. Das betrifft von Fragen des Entwurfs und der Übermittlung oder Tradierung alle Aspekte, die in diesem Zusammenhang Bedeutung besitzen.
Die Modalitäten der Analyse münden in den folgenden Beiträgen in aller Regel in weiterführende methodische Überlegungen. Dabei werden verschiedene Ebenen der Betrachtung evident, von Vorgängen der Gestaltung bis hin zur Wirkung und deren Erschließung. Georg A. Plattner untersucht etwa das Verhältnis von kleinasiatischen und stadtrömischen Gestaltungsweisen und trennt dabei drei Ebenen, nämlich Syntax, Ikonographie und Stil. Zweifellos ist diese Trennung für eine Betrachtung hilfreich, allerdings bleibt das Problem, in welcher Art die antike Praxis davon geprägt war.
Christoph Baier schlägt eine andere Art der Analyse ein, indem er in Clusterdiagrammen die Verteilung verschiedener Indikatoren für die Zuweisung an Werkstätten untersucht. Aufschlussreich sind seine konkreten Ergebnisse für die Situation in Ephesos. Bei dieser Vorgehensweise erschließen sich immer Überlagerungen, es gab also keine hermetisch abgegrenzte Machart einer Werkstatt. Daran zeichnet sich die Komplexität antiker Produktionsvorgänge auf einer Baustelle ab. Austausch und Übernahme von Details und Gestaltungsmustern fanden durchgehend statt.
Natalia Thoma untersucht die viel behandelte Frage, wie Serien von Kapitellen produziert wurden und widerlegt die gängige Vorstellung, dass es dazu so etwas wie ein „Musterstück“ gab. Vielmehr geht sie bei ihrer Betrachtung korinthischer Normalkapitelle davon aus, dass sie als Halbfabrikate angeliefert wurden, die schon entscheidende Abmessungen enthielten. Auf der Baustelle wurden dann von den Steinmetzen die übrigen Details genauer eingemessen. Ihre Ergebnisse könnten weitere Beispiele etwas aus dem Theater der Villa von Castel Gandolfo leicht bestätigen.
Ursula Quatember lenkt den Blick auf die Reparatur zerstörter Bauten und die Nachahmung bzw. Neugestaltung der ursprünglichen ornamentalen Ausstattung. Pergamon und Ephesos bieten spektakuläre Beispiele, wie es zu einer weitgehenden Neugestaltung kommt, aber auch zu sehr einfachen Erneuerungen. Sie betont zugleich, dass uns mehrfach spätere Reparaturen nicht so klar werden, weil sie sich eng an das Vorbild anlehnen. Die Reihe ihrer Beispiele ließe sich schnell erweitern und würde wohl eine eigene Untersuchung lohnen. In der Übernahme wird zugleich auch die Bedeutung deutlich, die man der Exaktheit der Übernahme der Formen in der Rezeption zumaß.
Holger Wienholz untersucht die Ausführungen in der Ornamentik vor allem am großen Tempel von Baalbek und den Bauten in seinem Bezirk. Er vermag eindrucksvoll zu zeigen, wie die jeweiligen Handwerker ihre Eigenheiten beibehielten und weiterhin variierten. Dabei bleibt eine große Fülle individueller Einzelausprägungen erhalten. Dadurch wird auch die Möglichkeit einer rein stilistischen Datierung relativiert, denn diese Eigenheiten werden tradiert und auch neu abgewandelt.
Ein zweiter Schwerpunkt des Buches liegt in der traditionellen Art der Datierungen und ihren Grundlagen. Reinhard Köster nimmt noch einmal seine Untersuchungen zur Ornamentik in Milet auf. Dabei stellt er überzeugend einige Datierungen in Frage, die sich aus der Lesung der Inschriften in Kombination mit Ornamenten ergaben. Vor allem aber zeigt er an Hand des Ausbaus des Theaters in der mittleren Kaiserzeit, wie unsicher stilistische Datierungen sein können.
Janine Lehmann stellt an Hand der Städte auf der iberischen Halbinsel heraus, wie schwierig es ist, zu festen Datierungen zu gelangen. In allen Städten zeichnet sich eine spezifische Dynamik ab, die von vielen Faktoren abhängig ist. In den Städten selbst gibt es verschiedene handwerkliche Traditionen, die sogar an demselben Bau zu verschiedenen Ausprägungen führen. Diese Qualitäten sind aber durchaus auch bewusst und werden an den Bauten entsprechend eingesetzt, in der Fassaden Theaters von Carthago Nova etwa werden die Marmorteile anders ausgearbeitet als in der Portikus dahinter. Ähnliche Erscheinungen trifft man an vielen Stellen, in Rom etwa im Unterschied zwischen Tempeln und anderen Bauten und es wäre reizvoll, herauszuarbeiten, worin handwerkliche und gestalterische Qualität sich ausprägt und wieweit sich die formalen Unterschiede als Distinktive auch der Nutzung lesen lassen.
In dem Beitrag zur Basilika Aemilia zeigt Johannes Lipps zunächst auf, dass sie im Wesentlichen entgegen den allerdings nicht eindeutigen Aussagen in den historischen Zeugnissen offensichtlich in einer einzigen Phase der augusteischen Zeit errichtet wurde. In der Ausstattung mit Ornamenten fehlen Hinweise darauf, dass sich einzelne Bereich in ihrer Gestaltung eindeutig gegen andere absetzen. Vielmehr sind sie breit gestreut. Außerdem wird deutlich, dass die Wahl der ornamentalen Ausstattung von der Ausrichtung auf bestimmte Funktionsbereiche urbanen Lebens beeinflusst wurde. Zum Platz hin wählte man andere Ordnungen als für das Innere. Allerdings charakterisiert diese Trennung die antike Architektur schlechthin.
Patric-Alexander Kreuz weist an drei markanten Beispielen aus Städten in Oberitalien nach, wie dort einzelne Gebäude so etwas wie einen immanente Tradition bilden, auf die spätere Veränderungen reagieren. In aller Regel werden dort frühere Konzepte modernisiert, etwa am Kapitol von Brescia, und damit Traditionen beendet oder neu gesetzt. Die ursprünglich 4 Gottheiten dort waren ja auch von der Ausstattung der Bauten gleichberechtigt und wurden im neuen flavischen Tempel in eine ganz andere Rangfolge gebracht.
Die letzten drei Beiträge sind noch einmal Bauten in Rom gewidmet. Für Tempelbauten aus Mittelitalien und in besonderer Weise aus Rom weist Dominik Maschek darauf hin, dass es keineswegs eine linear progressive Übernahme von griechischen Vorbildern in dieser Region gab. Vielmehr ist das Bild im Großen in der Planung der Anlagen insgesamt wie auch im Kleinen bei der Gestaltung der Einzelteile durch die Steinmetze sehr viel heterogener. Auch diese Erkenntnisse ließen sich leicht auf andere Teile des Imperium Romanum übertragen. Dennoch wüsste man gerne, warum in den jeweiligen Diskussionen der Rekurs auf Tradition und Vergangenheit das eine Mal den Ausschlag gab, das andere Mal aber eben als Kuriosität abgetan werden konnte.
Kristine Iara geht der Frage nach, wie die Ornamente im sog. Stadion in der Domus Flavia verteilt wurden. Sie zeigt auf, dass es sich um konventionelle Formen handelt, die dort eingesetzt wurden. Deren Ausführung ist nicht besonders sorgfältig, sondern viele Teile waren gar nicht erst ausgearbeitet. Andererseits wurde sehr viel Marmor verwandt, wobei die Schäfte der Säulen zumindest im unteren Teil nicht massiv ausgeführt wurden, sondern in der Technik der Inkrustation. Ein derartiger Aufwand überrascht bei einem Garten, und dieser Widerspruch müsste geklärt werden.
Annette Haug untersucht am Schluss die Dekoration der Domus Aurea. Sie rekuriert auf den Begriff der Atmosphäre. Es werden über die Wahl der Farben, Muster und Themen bestimmte Stimmungslagen geschaffen, die sich voneinander trennen lassen. Daraus ergeben sich für die Raumfolgen auch bestimmte Hierarchien, was wiederum auf bestimmte Nutzungsformen schließen lässt. Als Problem scheint sich hier abzuzeichnen, was als Atmosphäre zu gelten hat, wie sie sich differenziert und wie bewusst und mit welcher Terminologie sie als Konzept des Auftraggebers formuliert wird.
Der vorliegende Band führt in überzeugender Weise den aktuellen Stand der Diskussion zum Bauornament der römischen Kaiserzeit zusammen. Er weist auf Aporien der bisherigen Betrachtungsweise hin. Die simple Vorstellung eines kontinuierlichen Wandels ist überholt. Sehr gut deutlich wird der Reichtum an lokalen Traditionen, aber auch die Fülle der Brüche und unterschiedlichen Kombinationen. Der Wandel erfolgt vielfach nicht kontinuierlich, sondern abrupt, und muss nicht alle Produktionsstätten von Ornamentik umfassen, sondern nur einzelne Bereiche. Es ergibt sich folglich ein buntes Bild. Die Frage nach der exakten Datierung hat ihre Bedeutung verloren hat, einfach weil nur eine relative Sicherheit zu gewinnen ist.
Ein Defizit scheint mir in der mangelnden Internationalität und mangelnden Interdisziplinarität zu liegen. Von italienischer und spanischer Seite liegen zu dem Themenbereich wichtige Studien vor, die zitiert, aber nicht einbezogen wurden. Allerdings hätte man dann einen anderen Zuschnitt wählen müssen, was wiederum andere Probleme gebildet hätte. Aber es wäre zu wünschen, dass solche Veranstaltungen folgen, in die auch stärker Bauforscher oder Erfahrungen aus heutigen Dombauhütten und vergleichbaren Bereichen der Praxis einbezogen werden. Wichtig wäre es ja, den Horizont wieder zu erweitern. Ornamentik gibt es gerade zwangsweise mit jeder Architektur, denn auch die Negation der Ornamentik schafft in der Verweigerung einen spezifischen Schmuck. Hier könnte möglicherweise auch die Betrachtung der Genese der griechisch-römischen Formen in der Zeit des 7. und 6. Jhs. v. Chr. und die stete Transformation wichtige Aufschlüsse bringen.
Ornament ist – so wird es in dem Band deutlich – vereinfacht gesagt eine mediale Strategie, um Aufmerksamkeit zu erzielen. Das kann schon prozessual an den Bauvorgang selbst gebunden sein. In Bauzeichnungen oder Modellen sind erste Hinweise darauf enthalten, die allerdings der jeweiligen Gattung verpflichtet sind und nicht mit dem Schmuck des Gebäudes zu tun haben müssen, das am Ende gebaut wird. Es verstärkt sich während des Bauvorgangs, etwa wenn bestimmte Muster gewählt werden, um Qualität der Mauern zu unterstreichen. Die Aufmerksamkeit kann dabei auf sehr unterschiedliche Eigenarten gelenkt werden, etwa auf die Geschlossenheit des Baus, seine Stabilität oder natürlich auch auf den Reichtum seiner Ausstattung. Dabei kommt es auf den Ausgleich zwischen diesen Eigenarten an, denn der Reichtum an Ausstattung kann etwa den Eindruck von Stabilität überlagern und verunklären. Das ist das zentrale Problem der Moderne, aber durchaus auch schon in anderer Konstellation als Problem in der Antike präsent. Hier prägen sich für bestimmte Zeithorizonte bestimmte Konventionen aus. Der vorliegende Band zielt vor allem auf einen Horizont der Antike, nämlich die römische Kaiserzeit. Er gibt dazu vor allem einen guten Einblick in Fragen der Produktion von Ornament.
Ein wesentliches Problem scheint mir dabei in der „Wahrheit“ des Ornamentes zu liegen, in der Art wie Aufmerksamkeit erzeugt wird. Das kann durch Häufung von Mustern geschehen, wie es häufig im Milieu der Provinzen begegnet, durch bewusste Transgressionen oder auch durch eine betonte Eleganz und handwerkliche Präzision. Um diese Frage anzugehen, könnte vielleicht auch der Austausch mit Medienwissenschaftlern, Wahrnehmungspsychologen oder Neurologen hilfreich sein.
In jedem Fall handelt es sich um eine Summe des bisherigen Forschungsstandes, die eine hervorragende Einstieg für weitere Betrachtungen zu dem Thema eröffnet.