BMCR 2015.05.15

The Geography of Strabo: An English Translation, with Introduction and Notes

, The Geography of Strabo: An English Translation, with Introduction and Notes. Cambridge; New York: Cambridge University Press, 2014. xvii, 891. ISBN 9781107038257. $190.00.

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Duane W. Roller legt hier den ersten Teil eines ambitionierten Projektes vor, einer modernen Gesamtübersetzung der 17 Bände der Geographika Strabons in englischer Sprache, des umfangreichsten aus der Antike in griechischer oder lateinischer Sprache überlieferten kulturgeographischen Werks. Erstaunlicherweise ist dies die erste englische Gesamtübersetzung seit der inzwischen veralteten, aber weiterhin weit verbreiteten Übersetzung in der Loeb Classical Library, die Roller zu Recht als veraltet und oft fehlerhaft ansieht.1 Rollers Übersetzung geht einem im Vorwort angekündigten zweiten Band eines “extensive commentary” (p. VII) zu dieser späthellenistisch-augusteischen Weltbeschreibung voraus. Die Übersetzung stützt sich primär auf die neue kritische Textausgabe der Geographika von S. Radt (10 vols., Göttingen 2002-2011), die Roller allerdings durchgehend mit den älteren Strabon-Bänden der Collection Budé und W. Alys Ausgabe verglichen hat, sowie auf eigene Emendationen Rollers (p. 29). An älteren Übersetzungen, aber auch jüngeren Referenzübersetzungen übt Roller deutliche, meines Erachtens etwas zu scharfe Kritik (p. 29): “both the Budé and the Radt editions have fallen into the usual trap of making a translation that relies heavily on paraphrase and inadequate handling of toponyms. … Translators also have tended to add material in an attempt to make the text less obscure (replacing ambiguity with verbosity): unfortunately this does violence to Strabo’s style”. Roller selbst möchte diese Fehler möglichst vermeiden. Er folgt z.B. in der verwirrenden Mischung von Toponymen und Ethnonymen bei Strabon einer “strict fidelity to Greek orthography” (p. 30) mit dem Gesamtziel, “the most accurate translation of the Geography to date in any language, one that retains, as much as possible, the flavor of Strabo’s treatise” (p. 31) vorzulegen. Diese Ziele erschweren jedoch gelegentlich die Lesbarkeit seiner Übersetzung. Jede Übersetzung eines so anspruchsvollen Textes wie der Geographika muß zugleich bereits eine Interpretation bieten, und auch Roller muß Kompromisse finden zwischen einer möglichst wörtlichen Übersetzung und einer möglichst verständlichen, im Englischen flüssig lesbaren Übertragung. Wegen der Länge einzelner Kapitel Strabons hätte es sich empfohlen, zum genauen Zitieren die präzise Zeilenzählung der Casaubonus-Seiten nach S. Radts Ausgabe ebenfalls in Rollers Übersetzung anzugeben. Sehr hilfreich für den Leser ist der umfangreiche, verläßliche Index (p. 811-891).

Roller ist für seine Aufgabe als Philologe und Archäologe gut vorbereitet gewesen. Mit antiken Meisterwerken der Geographie war er bereits durch seine Kommentierung des Megasthenes, eines der Schlüsselautoren Strabons über Indien, für Brills New Jacoby (FGrH / BNJ 715), sowie durch seine Monographie über die Geographie des Eratosthenes aus Kyrene, 2 eines der Begründer der wissenschaftlichen griechischen Geographie in der hellenistischen Epoche, vertraut. Stammen doch etwa 90% der von Roller als “Fragmente” des Eratosthenes gesammelten Texte aus Strabons Geographiewerk, und ohne Zweifel ist von der Anzahl der Texte, der Länge und dem inhaltlichen Gewicht der Stellen her betrachtet Eratosthenes Strabons bedeutsamste geographische Quelle. Roller hat zudem auch die wenigen überlieferten Fragmente der Universalhistorie Strabons, der Historika Hypomnemata (FGrH / BNJ 91), für Brills New Jacoby herausgegeben, übersetzt und kommentiert.

Strabon hatte den ausdrücklichen Ehrgeiz, mit seinen 17 Büchern Geographika die bis dahin autoritative geographische Behandlung der gesamten hellenistischen Oikumene durch Eratosthenes in 3 Büchern zu korrigieren und dessen vorherrschendes gelehrtes geographisches Weltbild zu aktualisieren. Dabei war Strabon auch eine Verschiebung des fachlichen Schwerpunktes der Weltbeschreibung von der eratosthenischen geographia zur strabonischen chorographia wichtig, also zur primär beschreibenden Kultur- oder Anthropogeographie, während Eratosthenes als ein Exponent der Tradition der wissenschaftlichen Geographie galt, die in präziser Vermessung der Welt und Lokalisierung möglichst vieler Orte in seiner Weltkarte kulminierte. Strabon konzipierte meines Erachtens von Anfang an seine beiden historisch-geographischen Monumentalwerke, die Universalhistorie mit dem außergewöhnlichen Titel Historika Hypomnemata (wohl meines Erachtens in 43+4 Büchern, pace Roller) und die Geographika in 17 Büchern, methodisch und inhaltlich als Einheit, als ein enzyklopädisches Diptychon der wissenswerten historisch-geographischen Kenntnisse der vom Menschen bewohnten und zivilisatorisch geprägten Welt. Daher verwende ich in dieser Besprechung den Werktitel Geographika. Roller sieht diesen Zusammenhang offenbar in seiner Übersetzung aber als weniger eng an und bevorzugt einen anderen Werktitel Geographia (daher “The Geography of Strabo”).

Roller stellt sich als Übersetzer selbstbewußt in die stolze Tradition der hohen Anforderungen, die Polybios an einen pragmatischen Universalhistoriker stellte: daß nämlich dieser möglichst alle Orte des Geschehens, über das er berichtet, selbst gesehen haben sollte. “The study of ancient geography also requires fieldwork, and although visiting every site mentioned by Strabo would probably be impossible, much of the terrain discussed by the geographer has been re-examined” (p. VII-VIII). Hilfreich für die Leser und Benutzer dieser Übersetzung mit ihrer Masse an fremden geographischen Namen der Alten Welt ist außer zwei Karten, deren erste einen Überblick über die Dimensionen der griechisch-römischen Welt zur Zeit Strabons und deren zweite eine Rekonstruktion des für moderne Kartenleser gewöhnungsbedürftigen Raumbildes der Oikumene nach Strabon bietet, der Hinweis auf das reiche interaktive digitale Kartenmaterial, das begleitend zur Übersetzung auf der website des Ancient World Mapping Center bereit steht.3

Roller schickt seiner Übersetzung eine ausführliche Einleitung (p. 1-34) voraus, in der er knapp seine eigene Position in wichtigen Fragen der Strabonforschung darstellt, u.a. zu Leben und Werken Strabons, dem Charakter seines Geographiewerkes, seiner Arbeitsweise und Schwerpunkten, seinen Hauptquellen, seinem Zielpublikum und seinen auktorialen Zielen.

Über die Familienverhältnisse Strabons und seine Vorfahren erfahren wir nur wenig Verläßliches. Diese Notizen finden sich ausschließlich in den Geographika und beziehen sich auffälligerweise fast ausschließlich auf Verwandte mütterlicherseits. Roller illustriert seine Notizen durch ein nützliches Stemma (p. X). Er leitet den Namen Strabon (‘der Schieler’) von einem römischen Cognomen ab und nimmt mit einem angeblich hohen Grad an Wahrscheinlichkeit (p. 2) an, daß Aelius Gallus Strabon adoptierte und der Geograph dann aus der Familie des Seius Strabo den neuen römischen Beinamen Strabon zusätzlich zu seinem älteren, uns unbekannten griechischen Geburtsnamen verwendete. Ohne neue Quellenzeugnisse muß dies jedoch Spekulation bleiben. Roller wirft die berechtigte Frage auf, was Strabon neben der Arbeit an dem Geographiewerk in den etwa 45 Jahren von den 20er Jahren v. Chr. bis zu seinem Tod ca. 25 n. Chr. getan haben könnte. Hier erwägt Roller (p. 12-13) wegen des großen Interesses Strabons an geologischen Themen, wie Bergbau und Steinbrüchen, ein professionelles Interesse des Geographen. Allerdings waren Bodenschätze ohnehin ein zentrales Thema einer Kulturgeographie.

Hinsichtlich der Anzahl der Werke, die Strabon Rollers Meinung nach verfaßte, sowie deren Inhalt stimmt der Rezensent nicht mit ihm überein. Rollers Übersetzung mehrerer Kernstellen des Geographiewerkes gibt dem Leser keinen Hinweis an Ort und Stelle, wie umstritten sein Verständnis ist. Roller zufolge begann Strabon z.B. mit einer “biography of Alexander the Great” (p.7; p.18, vgl. u.a. 2.1.9 C. 70, Roller p. 95), möglicherweise mit dem Titel “Deeds of Alexander”. Dies erscheint mir jedoch fraglich, weil die zahlreichen Passagen über Alexander und den Alexanderzug eher auf (vermutlich 4) Einleitungsbücher der Universalhistorie hinweisen könnten.4 Zweitens umfaßte die Universalhistorie Strabons ( Historika Hypomnemata; Roller: “Historical Commentaries”, vielleicht treffender etwa ‘research memoranda’) Roller zufolge als eine “History of Events after Polybius” in 43 Büchern die Ereignisse von ca. 146/5 v. Chr. bis in die 20er Jahre v. Chr. und zum Beginn des augusteischen Prinzipates (vgl. Roller p. 496 zu 11.9.3 C. 515). Meiner Meinung nach dürfte es aber hierzu noch ausführliche ‘Prolegomena’ in der polybianischen Tradition über die Ereignisse von Alexander dem Großen bis zum Ende des Berichtszeitraumes des Polybios gegeben haben.

Das Geographiewerk Strabons stellt in seinen Inhalten (p. 16-24) eine außerordentlich bunte Mischung aus geographischen mit philosophisch-philologischen Themen, historisch-politischen Notizen und Streubemerkungen zu anderen Wissensgebieten dar, in das trotz des nüchtern wissenschaftlichen ‘hypomnematischen’ Stils immer wieder persönliche Erinnerungen und Kommentare Strabons einfließen. Hier schlagen sich dann auch die eigenen Reisen Strabons nieder, deren Umfang jedoch vielleicht von Roller überschätzt wird.5 Ob Rollers Vermutung zutrifft, daß die Italienbücher 5-6 der Geographika sich primär an griechische Leser richteten und sie vor allem vielleicht vorab als ein separates Werk publiziert worden seien (p. 23), bleibt mir fraglich.

Roller stellt zu Recht fest, daß Strabon als Pontier auf die Geschichte Anatoliens und die kulturellen Leistungen der dortigen griechisch-hellenistischen Elite der Reiche und Poleis stolz ist. In der pointierten Formulierung einer angeblichen Auffassung Strabons, “Anatolia, from the time of the Trojan War to that of Strabo, had made the Roman empire what it was” (p. 24), höre ich allerdings auch eine kräftige Portion Ironie Rollers heraus.

Abgesehen von seinen Hauptquellen, wie Eratosthenes und Poseidonios oder Homer als “Begründer der Geographie“, erstaunen die Geographika durch ca. 200 Autoren und Werke, die Strabon in wissenschaftlicher Manier als seine Quellen nennt (p. 24-27, und vgl. die “list of passages cited”, p. 793-810). Dies begründete schon länger eine gewisse Wertschätzung Strabons zwar nicht um seines Werkes selbst willen, aber doch als Schatzhaus für Fragmente und Meinungen älterer Autoren. Die Vielzahl von Quellenautoren unterschiedlicher Sprachstile, die direkt zitiert oder paraphrasiert werden, stellt aber auch eine weitere Schwierigkeit für Roller als Übersetzer dar. In der Einleitung hätte man ein gründlicheres Eingehen auf die alte Frage der Strabonforschung erwartet, ob Strabon tatsächlich alle diese Autoren selbst eingesehen hat, oder welche er und in welchem Umfange nur indirekt rezipierte.

Ohne Zweifel war die Rezeption des Geographiewerkes Strabons im römischen Kaiserreich gering bis zu seiner späteren hohen Anerkennung in byzantinischer Zeit (p. 27-29). Roller erwägt, ob dies auch damit zusammenhängen könne, daß die Geographika vielleicht an einem “remote place” bearbeitet wurden, als Strabon starb, oder daß seine Erben “were indifferent to its significance”. Das mag zutreffen, aber wichtiger für die geringe Rezeption scheinen mir die fachinterne Entwicklung der antiken Geographie im römischen Kaiserreich und eine massive Änderung des Lesergeschmacks gewesen zu sein, der sich von umfangreichen, anspruchsvollen Darstellungen abwandte.

Wenn man zusammenfassend die Komplexität der Überlieferungsgeschichte des Textes der Geographika bedenkt, dazu die sehr große Zahl von Einzelstellen bei diesem Autor, deren sprachliches Verständnis und Interpretation gleichermaßen unter Experten umstritten sind, ferner den außerordentlichen Umfang des Geographiewerkes sowie die enzyklopädische Vielfalt der Themen, die behandelt werden, kann man die Schwierigkeiten ermessen, die sich einer neuen Gesamtübersetzung Rollers entgegenstellten. Man muß daher Roller bereits für seine vorliegende Übersetzungsleistung ungeachtet von Meinungsverschiedenheiten über Einzelstellen oder wichtige Fragen der Strabonforschung hohen Respekt zollen. Wenn schon die Gesamtübersetzung – in den Worten Strabons aus dem Prooimion zu seinen Geographika (1.1.23 C. 14) – eine wahre kolossourgia war, darf man Roller für den methodisch und inhaltlich noch anspruchsvolleren Kommentarband viel Erfolg wünschen.

Notes

1. H.L. Jones, The Geography of Strabo, 8 vols., Cambridge Mass / London 1917-1932 (and reprints); Roller bewertet diese Übersetzungen als “of minimal value today”… “since they are based on imperfect texts and a weak understanding of Greek geographical literature”, p. 29; vgl. eine aktuelle Übersicht über englische, deutsche, französische und italienische Übersetzungen der Geographika auf der von S. Pothecary betreuten web-site “Translations of Strabo’s Geography” http://www.Strabo.ca/translations.html 09-03-2015.

2. D.W. Roller, Eratosthenes’ Geography. Fragments collected and translated, with commentary and additional material, Princeton 2010; zur strabonischen Eratosthenesrezeption siehe auch J. Engels, Kulturgeographie im Hellenismus: Die Rezeption des Eratosthenes und Poseidonios durch Strabon in den Geographika, in: K. Geus – M. Rathmann (eds.), Vermessung der Oikumene, Topoi Berlin Studies of the Ancient World, vol. 14, Berlin 2013, 87-99; zu Strabons Universalhistorie siehe ebenfalls D. Ambaglio, Gli Historika hypomnemata di Strabone: introduzione, traduzione italiana e commento dei frammenti, Memorie dell’Istituto Lombardo – Accademia de Scienze e Lettere, Classe di Lettere – Scienze Morali e Storichi 39:5 (1990), 377-425; J. Engels, Augusteische Oikumenegeographie und Universalhistorie im Werk Strabons von Amaseia, Geographica Historica, Bd. 12, Stuttgart 1999, und ders., “Strabo of Amasia and his importance in the development of ancient Greek universal historiography”, in: P. Liddel – A. Fear (eds.), Historiae Mundi. Studies in Universal Historiography, London 2010, 71-86.

3. Vgl. Roller p. 34, und siehe den link zum Ancient World Mapping Center (AWMC), 09-03-2015.

4. Vgl. J. Engels, “Die Geschichte des Alexanderzuges und das Bild Alexanders des Großen in Strabons Geographika – Zur Interpretation der augusteischen Kulturgeographie Strabons als Quelle seiner historischen Auffassungen”, in: W. Will (ed.), Alexander der Große. Eine Welteroberung und ihr Hintergrund, Antiquitas Serie I, 46, Bonn 1998, 131-172. Auch 1.1.22-23 C. 13 deutet meines Erachtens auf zwei statt drei Werke Strabons.

5. Vgl. J. Engels, “Reisen und Mobilität späthellenistisch-augusteischer Universalhistoriker”, in: E. Olshausen / V. Sauer (eds.), Mobilität in den Kulturen der antiken Mittelmeerwelt, Geographica Historica 31, Stuttgart 2014, 159-170.