Wer dieses Buch aufgrund seines Titels erwirbt und es dann als Leser in die Hand nimmt, wird zunächst mutmaßlich seine vordringlichsten Erwartungen enttäuscht sehen. Der Titel scheint auf eine breite und reich illustrierte, von dokumentarischem Material geradezu beherrschte Vorführung sehr zahlreicher frühbyzantinischer Gotteshäuser hinzudeuten, doch dann erweist sich das Werk als ein recht schmaler Band, und man stellt fest: Es bringt keinen Grundriss irgendeiner der zumeist nahöstlichen Kirchen, es enthält keine Grabungszeichnung und reproduziert keinerlei Fundmaterial. Hierin liegt ein gewisses Problem, denn das Thema und seine Darstellung repräsentieren den klassischen Fall eines positivistisch fundierten Werkes; die gesamte Argumentation des Buches beruht erstens auf den räumlichen Dispositionen der besprochenen einstigen Sakralbauten und zweitens auf den dort getätigten Funden namentlich – und das ist das Besondere – an profanen, aber offensichtlich in der Kirche ‚richtig aufgehobenen‘, zumeist keramischen Objekten, genauer gesagt: an Behältern für den Transport oder die Lagerung von flüssigen und festen Lebensmitteln.
Bernard Mulholland hat es sich also zum Ziel gesetzt, fast ein halbes Hundert bereits seit Längerem oder Kürzerem publizierter Kirchengrabungen – ganz überwiegend im ‚Heiligen Land‘, in Palästina und in Transjordanien, einige Beispiele finden sich auch in Bulgarien, Italien, Kroatien, Ägypten und im Sudan (bemerkenswerterweise hingegen nicht in Syrien und dem Libanon; s. seine Liste S. 36-38) – durchzugehen und sie vor allem archäologisch – durch gezieltes Nachspüren in den Grabungsergebnissen – auf seine spezielle, bisher auch von vielen der Ausgräber vernachlässigte Interessenkonfiguration hin zu überprüfen. Der Autor bemüht mithin in großem Stil die Befunde und den Fundstoff anderer, ihm vorangegangener ‚monographischer‘ Verfasser – was unbedingt in Ordnung ist, ja was angesichts des Potentials der herangezogenen Grabungen und gerade angesichts des in der Masse und im Vergleich noch gesteigert verfügbaren Erkenntnispotentials im Prinzip eine reiche Ausbeute verspricht. Das Problem besteht, wie gesagt, darin, dass er dieses Material nicht visuell präsentiert; das hier besprochene Büchlein beruht im Wesentlichen nur auf dem diskursiven Teil seiner Doktorarbeit (Queen’s University, Belfast, 2011), in welcher wir neben der fundamentalen Datenbank zwingend ein breites graphisches Material vermuten dürfen. Während aber die ursprüngliche Datenbank zumindest in etlichen vom Autor nunmehr angebotenen Tabellen ihren Widerhall findet (zugleich werden schüchterne Verweise auf die Ph.D. thesis mit dem Titel Paraliturgical activities in the Early Byzantine basilical church gegeben, so etwa S. 33 Anm. 58: »See the database in Mulholland [2011], Appendix II«), bleibt der hier besprochene Band bezüglich der greifbaren Sachverhalte, abgesehen von einigen wenigen rein prototypisch-schematischen Planskizzen, völlig arid. Wer als Leser den Gang der Argumentation und die zugrunde liegenden Befunde wirklich, und das heißt: visuell mitvollziehen will, muss zusätzlich mehrere Dutzend Grabungspublikationen bereithalten und diese auch ständig wechselnd konsultieren, da Mulholland in seinem Text permanent zwischen den von ihm ausgewerteten christlichen Basiliken hin- und herspringt.
Die Überschriften der sechs Kapitel sind zumeist kurz und lapidar: 1. »Domestic artefacts in Early Christian churches«; 2. »Methodology«; 3. »What can church sites reveal about liturgy?«; 4. »A second focus of liturgical activity«; 5. »Other activities in Early Byzantine basilical churches«; 6. »Gender analysis: is there evidence for segregation of the sexes in Early Byzantine basilical churches?«; 7. »Conclusion«. Sie stehen für ein Geflecht von Fragestellungen rund um die beiden zusammengehörigen, an den 47 zumeist levantinischen Kirchen je nach deren Aussagekraft recherchierten Hauptpunkte: Lassen sich Aussagen zur Lage des Bereichs oder Raumes für den prothesis -Ritus treffen, also für den Vorgang, bei welchem aus den vom Laienvolk zum Gottesdienst mitgebrachten Gaben eine kleine Menge Brot und etwas Wein für die Eucharistie ausgewählt und vorbereitet werden? Und: Was hat es mit den immer wieder teils in beträchtlichen Mengen in den Kirchen angetroffenen »domestic artefacts« auf sich, also vor allem mit keramischem Gut wie Amphoren, flaschenförmigen Behältern, Kannen, Schalen, Tellern und sogar Kochtöpfen? Auf welche regelmäßige nicht-liturgische oder paraliturgische Aktivität oder welches institutionalisierte Verhalten könnten diese zurückgehen?
Mulholland beschränkt sich bei seiner Studie bewusst, um gut vergleichbare Bedingungen zu gewährleisten, auf Sakralbauten vom Basilika-Typus, und zwar im Wesentlichen auf die drei gebräuchlichsten Typen: solche mit einer hervortretenden Apsis, solche mit einbeschriebener Apsis und zwei Apsis-Nebenräumen und solche mit drei Apsiden, denen er auch jeweils eine pekuliäre Art zuweist, das Bema (»sanctuary«) auszubilden: in der Form eines kopfstehenden Π bei den zwei erstgenannten Typen (die er kurzerhand als »Constantinopolitan« und »Syrian« etikettiert) und in einer die Kopfenden der Seitenschiffe einbeziehenden T-Form beim dritten Typ (den er als »Roman« bezeichnet). Deren Layout nämlich »can affect the deposition of artefacts in churches« (178).
Besonders interessiert ihn aber im gleichen Zusammenhang, welche Aussagen man für die frühbyzantinische Zeit im Blick auf das diakonikon machen kann, denn er sucht seine – von Crowfoots Meinung inspirierte – Vermutung zu untermauern, dass es ein solcher seitlicher, also ein veritabler Flankenraum war, wo der Klerus damals auch den prothesis -Ritus ausführte (79, 81). In der vieldiskutierten Frage nach der Lage des diakonikon kann Mulholland unterstreichen, es gebe mittlerweile »six known church sites … with inscriptions that refer to the location of the diakonikon, and five of these are found in side chapels«, und: »There are a further four known inscriptions that are not yet included here in this research« (101). Sowohl für den »konstantinopolitanischen« als auch für den »römischen« Typ führt er solche epigraphischen Bezeugungen an, und »taken together these inscriptions provide evidence that these north chapels or parekklesia functioned as a diakonikon in churches with these two plans« (96). Auch für die – allerdings südliche – Seitenkapelle der »syrisch« disponierten Kirche von Kursi führt der Verfasser glaubhaft einen Inschrift-Rest an, welcher deren Funktion als diakonikon zu belegen scheint (97).
Die Tatsache nun, dass solche Inschriften dort mit Spuren und Resten von ‚Altären‘ (gemeint sind sicher keine eucharistischen Altäre) und Schranken bzw. von »whole or fragmentary liturgical furniture« vergesellschaftet sind, dass somit ein zweiter liturgischer Fokus lokalisiert werden kann, bietet »compelling archaeological evidence that the rite of prothesis took place in north side chapels or parekklesia (or in one case a south chapel attached to the south aisle) that belong to Early Byzantine churches, i.e. liturgical performance extends beyond the church into the chapel« (96; vgl. 103).
In einem weiteren Schritt folgt die nähere Untersuchung der höchst bemerkenswerten, aber bisher zu wenig beachteten Depositionen von Gebrauchskeramik in den Kirchenräumen. Mulholland bezieht sich dabei auf je sieben Grabungen von Kirchen mit »syrischem« und »römischem« Plan, in denen solche Bestände von »domestic artefacts« zumeist in durch Feuer (oder Erdbeben?) versiegelten Schichten angetroffen wurden. Insgesamt enthalten seine Tabellen S. 130-137 vierzehn einstige Kultstätten mit Beständen von Amphoren und anderer Gebrauchskeramik in teils überaus erstaunlicher Menge oder von im täglichen Leben verwendetem Glas und Metall in eher überschaubarer Zahl: Man kann sich vor allem angesichts der tönernen Inventare des Eindrucks kaum erwehren, dass hier »activities other than mere performance of the liturgy occurred, at least at some Early Byzantine church sites. The nature of these artefacts suggests that food was brought into these churches and deposited, stored, distributed and possibly also consumed on site, i.e. communal meals were eaten in church« (109). Das gemeinsame Mahl in Kirchen ist ein Verhalten, zu dem der Autor verdienstvollerweise eine beachtliche Reihe von passenden Quellen beibringen kann, so dass der für den modernen Betrachter erstaunliche Habitus durchaus eine historisch-dokumentarische Basis zu besitzen scheint (116-121).
Unter den Fragen, die bei der näheren Betrachtung gestellt werden, ist jedoch naheliegenderweise auch diejenige besonders interessante, in welchem räumlichen Verhältnis zum diakonikon, dem wahrscheinlichen Raum des prothesis -Ritus, diese Depositionen erfolgten. Ein durchgehend klar eingehaltenes Muster scheint sich indessen dabei nicht zu ergeben. So fanden sich in der Kirche von Ostrakine große Mengen Keramik im nördlichen Apsisnebenraum und »hundreds of storage jars« im Mittelschiff (131). Die Kirche von Kursi hatte einige Stücke Kochgeschirr in allen drei Schiffen (und dazu weiteres Material; 130f.), die Basilika von Khirbat al-Karak gab Gebrauchs- und darunter auch Kochgeschirr in allen drei Apsiden, in allen drei Schiffen, im Narthex und in der nördlichen Seitenkapelle frei (133, 135), und ähnlich war das Bild in der Nordkirche von Rehovot (134, 136), während in Petra eindeutig das Südschiff die meisten Artefakte auf sich zog, um nur einige der ausgewerteten Kirchengrabungen zu nennen. Der Autor stellt fest: »Comparative analysis of repeated patterns of domestic artefactual deposition … revealed that amphorae, jugs and flasks, and also plates and bowls appear regularly together in sealed destruction layers, and often adjacent to the sanctuary in the south aisle. The amphorae are far too large and heavy to be lost or carelessly misplaced, and their presence alone suggests that the artefacts are deliberately placed there« (181). Und ferner, sehr plausibel: »… it appears likely that the congregation brought assorted gifts to the chancel barrier and a portion is taken by the clergy for the liturgy, but the rest might be redistributed either to the clergy or congregation, or to both. In this hypothetical scenario the amphorae at the chancel barrier could serve both as collection points for wine brought in by the congregation and also as a serving station to dole out the unconsecrated wine to the needy or for the communal meal« (182).
In einem eigenen Kapitel »Gender analysis« (139-175) komplettiert Mulholland die Erörterung der möglichen mikrotopographischen Fragestellungen noch um den Punkt der Verteilung der Geschlechter im Kirchenraum, um gegebenenfalls entsprechende Querreferenzen etablieren zu können. Er bedient sich dabei der vier potentiellen Erkenntnismittel Gräber, Inschriften, Artefakte und Bilder und gelangt überzeugend zu dem Resultat, dass »the available archaeological evidence does not support the argument that males and females were segregated and occupied specific assigned zones within the church building« (161). Eine Perspektive der Raumzuweisung nach Geschlechtern kann also im Rahmen der Forschungen Mulhollands als nicht gegeben bezeichnet werden. Auch wenn damit eine eventuelle zusätzliche Komplikation und Bereicherung des von jenem bearbeiteten Themas unterbleibt, nimmt man diese ‚Fehlanzeige‘ gleichwohl interessiert zur Kenntnis, ist doch in der Forschung die Frage nach der Trennung von Männern und Frauen auch für den frühbyzantinischen Kirchenraum immer wieder spekulativ diskutiert worden.
Soll man diesem Buch, welches noch einen Epilog mit der Benennung weiterer aufgekommener Forschungsfragen (185-194) enthält, abschließend eine Gesamtbewertung erteilen, so ist die auf jeden Fall gegebene Relevanz der beiden Hauptthemen ‚liturgische Bespielung‘ und ‚nicht- oder paraliturgische Nutzung frühbyzantinischer Basiliken‘ in den Vordergrund zu stellen, zu denen der Autor eine respektable Punktualisierung bzw. sogar eine Vergegenwärtigung von Handlungsmustern bietet, die man in der sich abzeichnenden Ausgeprägtheit nur als weithin ungeahnt und damit als für die Wissenschaft besonders relevant bezeichnen kann. Etwas schwierig erscheint die ‚Darreichung‘ des Stoffes, da, wie gesagt, das Anschauungsmaterial nicht mitgeliefert wird und umständlich hinzugezogen werden muss; hier hätte wohl schon eine CD-Rom für Abhilfe sorgen können. Insgesamt indessen bleibt der Eindruck eines verdienstvollen Beitrages.