Attische Vasen des schwarzfigurigen Stils bilden Männer und Frauen mit einer geschlechterspezifischen Hautfarbe ab. Klassische Archäologen führen dieses Phänomen auf die Lebenswelten der Geschlechter zurück: Männer seien durch ihre harte Arbeit im Freien sonnengebräunt, Frauen durch ihr Leben im Haus blass und hellhäutig. Mary Ann Eaverly bezweifelt, dass die Hautfarben männlicher und weiblicher Vasenfiguren die Geschlechterrollen im antiken Griechenland spiegeln: Zum einen unterscheiden auch andere mediterrane Kulturen zwischen den Hautfarben der Geschlechter, zum anderen existiert diese Differenz in der rotfigurigen Malerei nicht. Ägyptische Skulpturen aus der Zeit des Alten Reiches stellen Männer in einem dunklen Rotbraunton dar, Frauen entweder weiß oder gelb, so dass eine Geschlechterunterscheidung durch die Wahl der Farbe schon deutlich früher als in der griechischen Archaik zu beobachten ist. Eaverly wählt daher den Vergleich zwischen dem Alten Ägypten und Griechenland und spricht sich dafür aus, dass es einen ägyptischen Einfluss auf die farbige Geschlechterdifferenzierung in der griechischen Kunst gegeben haben muss. Im Falle des Alten Ägypten kann Eaverly deutlich nachzeichnen, dass die Geschlechterfarben mit einer bestimmten Ideologie verbunden sind (8f.).
Eaverly widmet in ihrer Untersuchung dem Alten Ägypten und dem archaischen Griechenland jeweils zwei Kapitel. Zunächst geht es ihr unter dem Aspekt „Establishing the Norm“ um die Anfänge und Etablierung einer geschlechterspezifischen Farbgebung in der ägyptischen bzw. griechischen Kunst; unter „The Exception that proves the rule“ behandelt sie Ausnahmen in beiden Kulturen, in denen sich diese Unterscheidung bei männlichen und weiblichen Figuren nicht beobachten lässt.
Beginnend mit der Entwicklung im Alten Reich (18–55) stellt Eaverly das Phänomen der Farbe zunächst als einen Statusmarker neben anderen wie Größe und Haltung vor. Eine Unterscheidung der Geschlechter über die Farbgebung tauche nur bei Darstellungen von Mitgliedern der Elite auf – freilich mit der Einschränkung, dass Bilder von Mitgliedern unterer Gesellschaftsränge ohnehin rar sind. Interessanterweise kennzeichnet die Männern vorbehaltene Hautfarbe Rotbraun auch Abbildungen von Körperteilen in Hieroglyphen, selbst wenn diese auf Frauen verweisen. Eaverly versteht die geschlechtsspezifische Farbgebung als Teil des Maat -Konzepts, der altägyptischen Vorstellung einer umfassenden Wahrheit, Wohlordnung und Gerechtigkeit personifiziert durch die Göttin Maat, welches durch die pharaonische Herrschaft noch gestärkt werde. Interpretiere man die Darstellung ägyptischer Frauen als Abbild ihres tatsächlichen gesellschaftlichen Status, sei dem entgegen zu halten, dass Ägypterinnen dieselben Rechte wie die Männer besessen hätten, in der Regel allerdings ohne Regierungsämter bekleiden zu können.
Das zweite Kapitel (56–82) wendet sich der altägyptischen Königin Hatschepsut und Echnatons Regierungszeit zu. Mit Hatschepsut befindet sich eine Frau in einer traditionell männlich besetzten Führungsposition. Mit ihrem Herrschaftsantritt übernimmt sie die männlich geprägte Ikonographie des Pharao einschließlich der dunklen Hautfarbe, wobei Elemente ihres biologischen Geschlechts erhalten bleiben. Diese Form der Ikonographie ist in ihrer Zeit allein auf Hatschepsuts Bilder beschränkt. Erst unter Echnaton werden auch andere Frauen mit einer dunklen rötlich-braunen Hautfarbe dargestellt oder sowohl Frauen als auch Männer in einem helleren, fast orangenen Ton wiedergegeben. Ein besonders prominentes Beispiel hierfür ist die Büste der Nofretete, heute im Neuen Museum von Berlin. Echnatons Herrschaft steht durch die Aufwertung der Gottheit Aton in Verbindung mit einem Wandel im religiösen Bereich. Im Aton-Kult erführen Männer und Frauen eine Vereinigung, die auch über die Hautfarbe zum Ausdruck gebracht werde. Grundsätzlich fänden sich in der Kunst der Amarna-Periode fundamentale Veränderungen, ausgedrückt auch durch neue Proportionen in der Darstellung, durch die informellen Szenen der Königsfamilie und durch eine größere Zahl von Bildern der weiblichen Mitglieder des Herrscherhauses. Aus diesen beiden Fallbeispielen leitet Eaverly ihre These ab, bei der Farbunterscheidung der Geschlechter im Alten Ägypten handele es sich um eine ideologisch motivierte Differenzierung.
Mit Blick auf die griechische Archaik konzentriert sich Eaverlys Argumentation besonders auf die attisch-schwarzfigurige Vasenmalerei und ihre Einbettung im Kontext der griechischen Kunstgeschichte (83–130). So findet sich in der frühen, geometrischen Keramik Athens kein Hinweis auf eine Farbunterscheidung zwischen Männern und Frauen. Es lasse sich diesbezüglich aber im orientalisierenden Stil ein Einfluss Ägyptens auf die attisch-schwarzfigurigen Vasen beobachten. Männer von dunkelbrauner Hautfarbe und weiß dargestellte Frauen finden sich auf bronzezeitlichen Fresken aus Mykene, während in anderen Gattungen minoischer und mykenischer Kunst, wie etwa an Sarkophagen oder in bildlichen Darstellungen auf mykenischen Vasen, Farben nicht zur Unterscheidung von Männern und Frauen eingesetzt werden. Eaverly verweist auf polychrome Vasen aus der Mitte des 7. Jh.s v. Chr. als erste Beispiele für eine Wiederkehr geschlechterspezifischer Hautfarben, welche die ägyptische Darstellungsweise von Männern in einem dunklen Rotbraunton und Frauen mit einem weißen Hautton imitieren. Nach dem gleichen Prinzip beschreibe Homer Männer von dunkler, Frauen von heller Hautfarbe.1 Daneben könnte Hesiod einen großen Einfluss auf unsere Vorstellung gehabt haben, Frauen lebten in der griechischen Gesellschaft abgeschieden: Eaverly weist ausdrücklich darauf hin, dass die Überlieferung Hesiods mehr über die Vorstellungen des Autors über die Rolle der Frau verrieten als über die historische Wirklichkeit. Da im attisch-schwarzfigurigen Stil eine Geschlechterdifferenzierung in der Farbgebung nicht starr verfolgt wurde, sucht Eaverly nach einer Erklärung aus attischer Perspektive: “The Athenian insistence that the men of their city were autochthonous – they were sprung directly from earth – provides an added message of difference between men and women. The mythological first kings of the city – Cecrops, Erechtheus, and Erichtonios – are all said to have sprung from the earth, neatly abnegating any reproductive role for women.” (128)
Der letzte Abschnitt (131–155) widmet sich dem Verschwinden einer geschlechterspezifischen Farbkonvention mit der rotfigurigen Vasenmalerei. Eaverly zeigt hier insbesondere folgendes Paradoxon auf: Einerseits seien die Abbildungen als realistische Darstellungen von den Lebenswelten der Geschlechter zu verstehen, andererseits entfalle die Differenzierung zwischen Männern und Frauen über die Farbgebung in der rotfigurigen Vasenmalerei, obwohl gerade der rotfigurige Stil als naturalistischer als der schwarzfigurige gelte. In der literarischen Überlieferung besteht das Bild der Frau auch in klassischer Zeit fort, und hinsichtlich der gewählten Szenerie, des Wirkungsbereichs und der Kleidung decken sich schriftliche Darstellungen inhaltlich ebenfalls mit Bildern des rotfigurigen Stils. Auf die Frage, warum weibliche Figuren nicht mehr durch einen weißen Farbauftrag charakterisiert werden, liefert Eaverly angesichts fehlender schriftlicher Quellen verschiedene künstlerische und historische Begründungen. Sie verweist darauf, dass am Ende des 6. Jh.s mit dem Aufkommen der rotfigurigen Vasen eine Reihe künstlerischer Experimente im neuartigen Stil zu beobachten seien. Abgesehen von den einschneidenden Veränderungen der Peisistratiden-Zeit, durch Kleisthenes und die Formierung der Phalanx, die als Gründe angeführt werden könnten, zieht Eaverly es vor, die Ursache in dem neuen Gegensatz zwischen Athenern und Fremden zu suchen, der zu einer Aufgabe der bisherigen Farbkonvention im rotfigurigen Stil geführt haben könnte. Angesichts des Quellenmangels mag dies eine plausible Hypothese sein, die spätestens dann an ihre Grenzen stoßen könnte, wenn es um die Beibehaltung geschlechterspezifischer Farbgebung in anderen Bereichen geht, etwa die Verwendung weißer Masken für die Darstellung weiblicher Figuren im klassischen Theater.
Neben der Kunst des Alten Ägypten und des archaischen Griechenland behandelt das Buch Fragen der Geschlechter- und Farbforschung sowie die Diskussion um die Darstellung von Völkern im Alten Ägypten. Der Leser sollte sowohl mit der ägyptischen als auch der archaisch griechischen Kunst vertraut sein, denn nur ein kleiner Teil der für die Argumentation relevanten Beispiele wird abgebildet (so diskutiert Eaverly etwa auf S. 48–50 ausführlich Farben in einem Gemälde der Naqada II-Zeit aus Grab 100 in Hierakonpolis, ohne es abzubilden). Dass aus Kostengründen Abbildungen grundsätzlich nur in Schwarzweiß gezeigt werden (17), ist insbesondere bei Bildern der ägyptischen Kunst mit ihrer reichen, auch normativ bedeutsamen Farbigkeit wenig befriedigend (etwa im Falle der Wandmalereien im Grab des Haremhab, Fig. 6 S. 33). Die Auswahl der gezeigten Bilder illustriert dennoch, dass Eaverlys Material aus äußerst unterschiedlichen Quellengattungen stammt: Da praktisch keine monumentale Malerei des archaischen Griechenland überliefert ist, sind wir auf Pigmente von Skulpturen oder auf Vasenmalereien angewiesen. Letztere unterscheiden sich technisch deutlich von der Malerei und sind als Kunstgattung im Alten Ägypten unbekannt. Von dort sind vor allem Wandmalereien aus sepulkralem Kontext überliefert. Die Beobachtung, dass die Geschlechter durch ihre Hautfarbe über künstlerische Gattungs- und Kulturgrenzen hinaus unterschieden werden, verbindet jedoch das disparate Material.
Eaverlys Studie ist ein luzide geschriebenes und anregendes Buch, auch wenn es gelegentlich zu unnötigen Wiederholungen neigt. Sie macht deutlich, dass geschlechterspezifische Hautfarben – auch wenn sie eine naturalistische Abbildung sein könnten –, doch nicht notwendigerweise ein sozial- und kulturgeschichtlich realistisches Bild wiedergeben müssen.
Notes
1. William E. Gladstone, Studies on Homer and the Homeric Age, Vol. 3, Oxford 1858, 457–499, in seinem intensiv rezipierten Kapitel Homer’s perceptions and usage of colour, beobachtet eine geschlechterspezifischen Unterscheidung der Hautfarben bei Homer nicht. Ihn bewegt lediglich die Frage, warum Odysseus als μελαγχροίης (486) beschrieben wird. Ergänzung zu Eaverlys Bibliographie: Adeline Grand-Clément, La Fabrique des couleurs. Histoire du paysage sensible des Grecs anciens (VIII e – début du V e s.av. n. è.), Paris 2011, 226–262: Das Kapitel La chromatique de l’altértité behandelt ebenfalls die Frage nach spezifischen Farben der Geschlechter und Völker im archaischen Griechenland.