Der hier vorliegende Tagungsband leistet einen bedeutsamen Beitrag für das Studium der oberirdischen Gestaltung klassischer griechischer Grabanlagen. Auf 282 Seiten mit 178 einzelnen Textabbildungen (einschließlich Karten, Plänen, Diagrammen und Zeichnungen) und einer Tabelle werden 18 Einzelbeiträge von insgesamt 20 internationalen Wissenschaftlern in deutscher, englischer und griechischer Sprache zusammengeführt, die wichtige Einblicke in den oberirdischen Aufbau zahlreicher Grabbezirke und Nekropolen des gesamten griechischen Siedlungsraum gewähren.
Als dankenswert anzunehmende Orientierungsmöglichkeit über diese Beiträge erweist sich die Einleitung der Herausgeberin, mit der sie die in der wissenschaftlichen Diskussion nicht hinreichend berücksichtigte Relevanz der durch das Kolloquium behandelten Fragestellung ins Bewusstsein ruft. So betont sie den vernachlässigten Aspekt der architektonischen Grabgestaltung und hinterfragt die stillschweigend akzeptierte Stilisierung attischer bzw. athenischer `Grabperiboloi´ zum vorbildhaften `Idealbild´ wie auch deren Entwicklung als genuin attisch. Mit dem Verweis auf den reichen Anstieg der archäologischen Funde durch die Grabungsaktivitäten und Forschungsprojekte der letzten Jahrzehnte erscheint eine Überprüfung dieser Annahme als dringend angeraten. Ein Konkretisierungsbedarf besteht ferner für die bisher unsichere Beziehung überlieferter antiker Termini auf einzelne Elemente der oberirdisch sichtbaren Grabgestaltung sowie für die in der modernen Forschung typologisch oftmals zu unscharf verwendeten Begriffe von `Grabbezirk´, `Grabmonument´, `Grabperibolos´ oder `Grabterrasse´. Die von der Herausgeberin anschließend geleistete Zusammenfassung der Einzelbeiträge ermöglicht dem Leser schnelle Einblicke in die unterschiedlichen Inhalte und Schwerpunkte der Beiträge und hilft gegebenenfalls nach Interesse und der jeweiligen Lesemotivation sicher zu selektieren.
Die Reihenfolge der Einzelbeiträge folgt der geographischen Lage der behandelten Monumente ausgehend vom griechischen Kernland hin zu den Kolonien im Osten, Nordosten und Westen. Die Monumente folgender Orte werden behandelt: Athen/Attika; Mittel- und Nordgriechenland (Euboia [Eretria, Chalkis, Karystos], Thessalien [Pharsala], östliches Makedonien [Argilos, Tragilos, Phagrai, Amphipolis], Thrakien [Zone]); Ägäische Inseln (Thera [Oia], Paros [Paroikia]); Gegenüberstellung von Grabanlagen athenischer Kleruchen im Kerameikos sowie in den Kleruchien Salamis, Samos, Lemnos, Imbros; Peloponnes und Westen des griechischen Stammlandes (Triphylien [Makistos], Lakonien [Sparta], Argolis [Halieis/Porto Cheli], Epirus [Ambrakia]); Kleinasien (Antandros, Knidos); nördliche Koloniestädte (Apollonia Pontica, Kalfata/Budjaka Region); westgriechische Koloniestädte (Taras, Lokroi, Gela, Akragas).
Im ersten Einzelbeitrag stellt Jutta Stroszeck das besonders für die Südseite der Heiligen Straße im Kerameikos belegte Phänomen der Abgrenzung von Grabbezirken durch Horossteine vor. Da die Grenzsteine neben der Aufschrift `Sema´, `Mnemeion´ und `Theke´ am häufigsten die Bezeichnung `Mnema´ für den abzugrenzenden Bereich tragen und Bezirke mit unterschiedlichen Monumenten und Bestattungszahlen überliefert sind, geht die Verfasserin gleichfalls auf die Problemantik der Bedeutung dieser Begriffe ein. Jan Breder definiert mit dem Analemma-Typ aus Polygonalmauerwerk mit Feldsteinfüllung und dem Typ aus orthogonalem senkrechten Quadermauerwerk zwei Typen attischer Grabbezirksarchitektur, die er eher von Temenoseinfassungen und Stützmauern in Heiligtümern abhängig sieht, als von den Vorgängergrabbauten und Einfriedungen aus Lehmziegeln. Wendy Closterman untersucht anhand von acht attischen Grabbezirken das Verwandtschaftsverhältnis der Bestatteten und stellt fest, dass zumeist Angehörige einer Verwandtschaftslinie in einem Bezirk begraben liegen. Allerdings zeigt sie auch eine bedeutende Menge abweichender Beziehungen auf, so dass keine starren Regeln ersichtlich werden. Juliane Israel bespricht das bis heute nicht umfassend publizierte Grabmonument aus dem modernen athenischen Stadtteil Kallithea und arbeitet dessen architektonischen Bezug zu kleinasiatischen Grabbauten heraus, weshalb das Monument offenbar ganz gezielt auf die ursprüngliche Herkunft seines nicht athenischen Erbauers in Athen verweisen sollte. Maria Chidiroglou stellt Befunde aus den unterschiedlichen Nekropolen Euböas zusammen, für die im 4. Jh. v. Chr. deutliche Bezüge zu attischen Grabbezirken bestehen. Beispiele für euböische Grabeinfriedungen des 5. Jhs. v. Chr. scheinen durch die lose und unregelmäßig geführten Bruchsteinmauern in Karystos belegt zu sein, wie sie bei ländlichen Grabbezirken in Attika und Euböa schon in geometrischer Zeit auftreten. Maria Katakouta und Maria Stamatopoulou geben erste Einblicke in die Grabbezirksgestaltung der bereits in den 1950er Jahren von Nikos Verdelis aufgedeckten Nekropolenbereiche von Pharsalos. Hier scheinen in einer Zeitspanne vom 6. bis zum 4. Jh. v. Chr. unterschiedliche Grabgestaltungen (Tholosgräber, Grabbezirke nach attischem Vorbild, Kammergräber mit pyramidaler Deckengestaltung, Sarkophagbestattungen und Kistengräber unter Tumuli) parallel angelegt worden zu sein, wobei die seit der 2. Hälfte des 5. Jhs. ähnlich zu attischen Grabbezirken gestalteten Anlagen mit vereinzelten Grabreliefs innerhalb Thessaliens ausschließlich in Pharsalos vorzukommen scheinen, was die Autorinnen mit den engen politischen Beziehungen von Pharsalos zu Athen im 5. Jh. v. Chr. begründen. Maria Nikolaidou-Patera stellt archäologische Befunde der letzten 20 Jahre aus makedonischen Nekropolen vor. Einfassungen einzelner Grabbezirke lassen sich offenbar kaum nachweisen. Lediglich sehr vereinzelte attisierende Grabreliefs könnten für Grabmarkierungen nach attischem Vorbild für einzelne hoch gestellte Personen sprechen. Sophia Iliopoulou weist in der Nekropole von Zone auf runde und rechteckige Fassungen bzw. Fundamente aus behauenen Steinen mit Feldstein- und Erdfüllung hin, die über sowie neben einzelnen Bestattungen errichtet worden waren. Sie verbindet diese mit leider nicht in situ gefundenen beschrifteten Säulen und Quadern, die als Monumente für einen ausgewählten Personenkreis errichtet worden zu sein scheinen. Die Verbindung der Inschriftenträger mit den Unterbauten scheint zwar durch Vergleiche zu ähnlichen Monumenten auf Paros und im Kerameikos naheliegend, ist aber nicht, wie oben erwähnt, gesichert. Photeini Zapheiropoulou beschreibt Grabterrassen entlang der Gräberstrasse zwischen Alt-Thera und dem Hafenort Oia, für die kubische Grabmarker aus Kalkstein und Marmor charakteristisch sind. Von einem besonderen Interesse sind auch die runden und rechteckigen Stufenmonumente mit Stelenbekrönung aus Paros, in die Urnen eingelassen sind. Die Monumente erinnern nicht nur an verwandte Darstellungen auf attisch-weißgrundigen Lekythen, sondern insbesondre an das Monument für den Proxenos Pythagoras aus Selymbria im Kerameikos. Die Verbindung leitet zum Beitrag von Daniela Marchiandi über, die die Gräber attischer Kleruchen in Attika und den Kleruchien untersucht, welche in der direkten Tradition attischer Grabterrassen stehen. Susanne Bocher betrachtet die Nekropolen des antiken Makistos in Triphylien, in denen sie Π-förmige Grabterrassen für zumeist einzelne Bestattungen rekonstruiert, deren weiterer Aufbau aufgrund mangelnder Funde jedoch unsicher bleiben muss. Der Beitrag von Maria Tsouli ermöglicht neue Einblicke in spartanische Nekropolen. Die Verstorbenen wurden hier in Rechteckskonstruktionen aus Bruchsteinmauerwerk beigesetzt. Die auf einzelnen Grabsteinen genannten Personen bestätigen die überlieferte Gesetzgebung Lykurgs, die lediglich Bestattungen für Kriegsgefallene und Wöchnerinnen erlaubt. Die Befunde mögen auch ein neues Licht auf die Gestaltung des Lakedaimoniergrabs im Kerameikos – insbesondere den raumähnlichen Erweiterungsbauten – werfen, deren äußere Form zumindest augenscheinlich Ähnlichkeiten zu den von Maria Tsouli beschriebenen Konstruktionen besitzen. Wie Jenny Schlehofer darstellt, scheinen Grabbezirkseinfassungen in Halieis kaum nachweisbar. Die wenigen aus Steinplatten gebildeten Monumente sind an exponierten topographischen Stellen angelegt und scheinen wenigen elitären Familien vorbehalten zu sein. Darüber hinaus scheinen Tongefäße als Grabmarker fungiert zu haben. Außergewöhnlich dicht sind die Nekropolen der Polis Ambrakia belegt. Die gut erhaltenen Π-förmigen und rechteckigen Grabbezirke aus Quadermauerwerk entlang der Ausfallstrassen wurden offenbar über viele Generationen als Familiengräber genutzt. Stelen konnten jedoch nur vereinzelt als Grabmarker nachgewiesen werden. Von Interesse ist auch das aufgefundene `Polyandrion´ nahe des Stadttores für die Gefallenen in der Seeschlacht am Arachthos, das auf einen Staatsfriedhof ähnlich zu demjenigen im Kerameikos verweist. Im Vergleich zu den bisher bekannten Anlagen, u. a. den leider spärlich erhaltenen Überresten von `Polyandria´ in Athen, scheint dennoch eine nähere Verbindung zum langrechteckigen athenischen Bautypus erkennbar. Inwieweit hier eine bewusste Bezugnahme vorliegt ist nicht zweifelsfrei zu klären. Gürcan Polat stellt mindestens zweistufige Grabmonumente, ähnlich zu denen aus Paros, für einzelne Sarkophagbestattungen und simplere Grabgevierte mit einfacher Erd-Steinfüllung für mehrfach belegte Sarkophage aus Atandros vor. Christof Berns beschreibt vier Grabmaltypen aus Knidos. Dabei weist er die einfachen Π- förmigen Grabterrassen, für die weitere Grabmonumente nicht erhalten, aber wahrscheinlich sind, einer breiteren Bevölkerungsschicht zu. Daneben existieren doppelstöckige Anlagen mit offenem Hof und einfachere Mauergevierte, während einzelne monumentale Anlagen für besondere Persönlichkeiten errichtet wurden. Nadin Burkhardt trägt die unterschiedlichen Grabmarkierungen aus westgriechischen Kolonien zusammen. Sie nennt dauerhafte Typen wie Skulpturen, Grabbauten, Epitymbia oder Naiskoi für eine breitere Oberschicht. Daneben stehen inschriftenlose Grabsteine sowie Grabaufsätze für Gruppen und beschriftete Grabsteine für Einzelpersonen. Dazu treten temporäre Marker wie Tongefäße und Tonaltäre. Nach Alexandre Baralis und Krastina Panayotova lassen sich erste Grabbezirksfassungen in Apollonia Pontica erst im 1. Viertel des 4. Jhs. v. Chr. mit kleinen gefassten Tumuli nachweisen. Im 2. Viertel folgen schließlich Π-förmige Grabbezirke und irreguläre Einfassungen für Familiengräber, bevor sie bereits wieder im 3. Jh. verschwinden.
Somit untergräbt das Bild, das durch die zuvor zusammengefassten Einzeleiträge von den Grabanlagen der verschiedenen griechischen Siedlungsräume gezeichnet wird, die Vorstellung von der `attischen Grabterrasse´ als überall angestrebte Gestaltungsform, auch wenn vereinzelte Anklänge an diesen Typus aufzeigbar sind.
Alle Beiträge bieten Einblicke in laufende oder bereits abgeschlossene Forschungen der jeweiligen Tagungsteilnehmer mit unterschiedlichen Anliegen und Zielen, aber besonderer wissenschaftlicher Relevanz. So betrachten einige Beiträge bereits vorgelegte archäologische Befunde unter übergeordneten Fragestellungen, während andere gezielt neues Material in die Forschung einbringen. Weitere Beiträge leisten lange hinfällige oder ausstehende Dokumentationsarbeiten wie auch erste typologische Gliederungsversuche. In eine ähnliche Richtung tendieren die Artikel, welche aus den archäologischen Grabungsprojekten der jeweiligen Tagungsteilnehmer oder übernommenen Publikationsverpflichtungen resultieren. Hier handelt es sich z. B. um die Fortführung oder Wiederaufnahme bzw. die Vorlage älterer Grabungen die bisher gar nicht oder in knappen Vorberichten publiziert wurden. Damit leistet der Tagungsband einen wichtigen und dankenswerten Beitrag zur Vorlage unterschiedlicher archäologischer Kontexte und Materialien. Angesichts der Tatsache, dass diese der Forschung zum Teil nicht hinreichend oder gar nicht bekannt sind, wäre eine knappe englische Zusammenfassung der Beiträge und des Fazits der Herausgeberin ideal, auch wenn davon ausgegangen werden kann, das Wissenschaftler, die sich mit dieser Materie beschäftigen, über ausreichende Kenntnisse deutscher und griechischer Sprache verfügen.
Mit dem Schlusswort und anschließenden Fazit der Herausgeberin erhält der Tagungsband die erwünschte Synthese. Hier fasst sie die Ergebnisse der einzelnen Beiträge zusammen und zeichnet ein übergreifendes Gesamtbild. Dabei stellt sie eine Typologie der behandelten Anlagen und ihrer Verbreitung auf. Systematisch widmet sie sich zunächst der äußeren Form und Gestaltung der Grabbezirke. Schon hier treten Unterschiede und Ähnlichkeiten von Grabanlagen zwischen den Siedlungsräumen und sogar zwischen benachbarten Städten deutlich heraus. In einem weiteren Schritt wird die Organisation der Nekropolen bzw. die Lage und Anordnung solcher Anlagen zueinander näher betrachtet. Dadurch werden Bedeutung und Stellenwert der Grabgestaltung innerhalb der jeweiligen Gemeinschaft deutlich, indem sie entweder exzeptionell und somit herausragend oder gängig und von einer breiteren Schicht der Bevölkerung verwendet erscheinen. Im Rahmen der in dem vorliegenden Band behandelten Nekropolen ist die sogenannte Gräberstraße im Sinne von dicht neben- und hintereinander gelagerten Anlagen entlang der Ausfallstraßen nur selten außerhalb Attikas zu finden. In keiner anderen Region tritt die aufwändig gestaltete `attische Grabterrasse´ in so hoher Dichte und Komplexität auf wie in Athen bzw. Attika und kann nicht als übergeordnete Leitform postuliert werden. Allerdings trifft der Band natürlich nur eine Auswahl unterschiedlicher Friedhöfe ausgewählter Regionen, welche jedoch durchaus als exemplarisch und somit übergeordnet verstanden werden können. Anschließend folgt eine gesonderte Diskussion der weiteren Ausstattung der Grabbezirke mit zusätzlichen Denkmälergattungen wie Grabreliefs, Stelen, Naiskoi, steinernen Grabgefäßen oder Skulpturen bzw. schließlich auch der Herausbildung konkreter Vergesellschaftung solcher Monumente zu regelrechten Ensembles. Schließlich bewahrten gerade die attischen Grabbezirke reiche Zeugnisse dieser zusätzlichen Ausstattungselemente mit konkreten Verwendungsstereotypen, womit sie sich von den anderen betrachteten außerattischen Nekropolen abheben. Gegenüber den attischen Grabbezirken zeigt der Band eine Reihe alternativer Einfassungsmöglichkeiten aus anderen Regionen auf, die die Herausgeberin zuletzt zusammenfasst. Als abschließendes Fazit steht daher das Ergebnis, dass zwar die Grabanlagen von Gemeinschaften mit intensiven Beziehungen zu Athen und Attika Anklänge an attische Grabtypen besitzen, das übergeordnete Bild griechischer Grabgestaltung allerdings als äußerst differenziert gelten muss. Die griechischen Gesellschaften anderer Regionen finden im Detail oder der gesamten oberirdischen Grabgestaltung eigene Ausdrucksformen. Dabei liegen die aufwändiger gestalteten Anlagen nicht zuletzt aufgrund unterschiedlicher Populationsdichten zumeist in weiterer Streuung und lassen sich oftmals als Repräsentationsform kleinerer Gruppen lokaler Eliten deuten. Die Nutzungsdauer und -intensität bzw. die Intention der Anlage ist dabei gleichfalls sehr differenziert. So treten neben intensiv oder zeitlich begrenzt und somit für wenige Bestattungen genutzten Familiengräbern auch aufwändiger gestaltete Anlagen für Einzelpersonen oder Paare. Klare Regeln für die Wahl einer Anlage scheinen nicht deutlich genug erkennbar. Die finanzielle Prosperität sowie Aufwandsbereitschaft des Erbauers oder andere persönliche Vorlieben dürften nicht selten ausschlaggebend gewesen sein.
Der Tagungsband leistet einen sehr wichtigen Beitrag zur Erforschung klassischer Grabarchitektur und Bestattungssitten des gesamten griechischen Siedlungsraumes und lässt die sehr aussichtsreichen Möglichkeiten erkennen, die weitere systematische Material- wie Befundvorlagen und Vergleichsstudien für die Erforschung der allgemein sehr differenzierten griechischen Sepulkralkultur eröffnen können. Denn auch wenn der Band explizit den Anlagen klassischer Zeit gewidmet ist und hier bedeutsame Einblicke gewährt, stellt sich die Problematik doch weitestgehend als epochenübergreifendes Desiderat dar, welches dringend angegangen werden sollte.