Thema von Ziogas’ Monographie ist der intertextuelle Dialog zwischen Ovid und Hesiod und die Transformation Hesiods vom archaischen Griechenland ins kaiserzeitliche Rom (19): “Ovid’s direct engagement with the Hesiodic corpus and indirect response to a multifaceted tradition of Hesiodic reception are keys to understanding his unique poetic universe.” Rezeptionsstudien sind für Ziogas ein zweigleisiger Prozess, aus dem man viel über den rezipierten Autor selbst lernen könne. Hesiods Einfluss auf die lateinische Poesie habe bisher in der Forschung nicht die verdiente Aufmerksamkeit erfahren (1–3). Ziogas exemplifiziert dies am Beispiel von Heroides 16: Die Verse 35–38 suggerieren, der ovidianische Paris habe Hesiods Frauenkatalog gelesen, die Verse 173–176 können als Aufforderung an seine Adressatin Helena verstanden werden, doch selbst dieses genealogische Epos zu konsultieren; Helenas Antwortbrief ( Heroides 17) impliziert, dass sie inzwischen eben dies getan hat (3–5, 35–43).
In seinem Einleitungskapitel betont Ziogas die weibliche Thematik hesiodeischer Poesie gegenüber dem männlichen Charakter homerischer Epik, eine Charakteristik, die schon in der antiken Rezeption der beiden Corpora archaischer Epik eine wichtige Rolle spielte (6–14). In den Einzelinterpretationen der späteren Kapitel wird Ziogas diesen Ansatz weiterverfolgen. Hesiodeische Epik bezeichnet Ziogas als das “host genre” von Ovids Metamorphosen und meint damit die Hauptgattungsaffiliation im intertextuellen Beziehungsgeflecht (14–15). Wie Hesiod im Certamen den Sieg über Homer davonträgt, so hofft Ovid, mit den Metamorphosen die ‘homerische’ Aeneis Vergils zu übertreffen. Neben thematischen bestehen auch stilistische Affinitäten zwischen den Metamorphosen Ovids und dem hesiodeischen Frauenkatalog (16–18): Ziogas hebt die Bedeutung von “sylleptic puns”, dem Spiel mit der übertragenen und der wörtlichen Bedeutung einer epischen Formel, hervor. Im schnellen Erzähltempo und der Verwendung von Rahmenhandlungen sieht Ziogas ein weiteres Charakteristikum, das beiden Epen gemeinsam ist. Weiter unten, im Kontext seiner Interpretation von “ Golden Aphrodite ”, schreibt er (33): “The interdependence between physical reality and linguistic description is a crucial aspect of Hesiodic and Ovidian poetics.”
Seine Detail-Interpretationen beginnt Ziogas vom Ende her: Das erste Kapitel hat die Freite um Helena zum Thema, die den Abschluss des hesiodeischen Frauenkatalogs bildet. Ziogas sieht hier ein bewusstes intertextuelles Spiel mit der Ilias, in dem aus den militärischen Anführern des Schiffskatalogs Freier werden, deren Reichtum allein zählt und die κλέος nicht durch kriegerische Heldentaten, sondern durch eine Heirat mit Helena zu erwerben hoffen (20–27). Im zweiten Teil des Kapitels kehrt Ziogas zu Ovids bereits im Einleitungskapitel behandelten elegischen Brief Heroides 16 zurück und bietet eine detaillierte Interpretation seiner intertextuellen Bezüge (28–53).
Im zweiten Kapitel “ Cosmos and Eros ” wendet sich Ziogas zunächst den kosmogonischen Themen zu, die am Anfang der Metamorphosen Ovids stehen. Auch hier arbeitet er die intertextuellen Bezüge sowohl zu Vergils 6. Ekloge als auch zu Hesiods Theogonie und Erga heraus (54–62). Nach einem Abschnitt zu Deucalion und Pyrrha (62–66) wendet sich Ziogas den MetAMORphoses (68) zu, Liebesgeschichten zwischen Göttern und Menschen, die eine Verwandlung implizieren. Ziogas interpretiert hier insbesondere die Geschichten Ios (69–71), Callistos (73–75), Europas (75–76) und Actaeons (77–81), bei denen sich der Vergleich zwischen Metamorphosen und Frauenkatalog geradezu anbietet. In Perseus’ Erzählung ( Met. 4, 793–801) sieht Ziogas eine Medusa-Ehoie (82–86). Das Ende des zweiten Kapitels nehmen Figuren mit metapoetischer Bedeutung ein: die Musen (86–94), Arachne (94–109) und Clymene (109–110) in Vergils Georgica 4, 347, dem Vers (innerhalb der Partie 345-349), der das Motto des Kapitels bildet.
Das dritte Kapitel hat eine ausführliche Interpretation der Geschichten von Coronis und Mestra in den Metamorphosen und im Frauenkatalog zum Inhalt. In der Version der Metamorphosen sieht Ziogas ein typisches Beispiel für Ovids (112) “peculiar blending of the poetry of the Ehoiai with the Callimachean epyllion ”. Das vierte Kapitel beschäftigt sich in ähnlicher Weise mit Atalante. Ziogas findet in beiden Bearbeitungen der Atalante-Geschichte metapoetische Konnotationen. Die hesiodeische Atalante erscheint als literarische Konkurrentin des homerischen Achilleus, die ovidianische als literarische Konkurrentin der Camilla Vergils (164): “While the Hesiodic Ehoiai rivals Homer’s Iliad, Ovid’s Metamorphoses emulates Vergil’s Aeneid.” In Kapitel 5 interpretiert Ziogas die Geschichten von Caenis und Periclymenus im weiteren Kontext von Ovids Fassung des Trojanischen Krieges ( Met. 12, 1 – 13, 622).
Der hesiodeischen Epik erkennt Ziogas eine Schlüsselfunktion für das Verständnis von Ovids Metamorphosen zu (219): “Ovid gives the field of intertextuality a new meaning. He is aware of poetic tradition in a creative way that is too complex to be schematized. … The reader of Ovid’s poetry resembles the viewer of a kaleidoscope, faced with a world constantly shifting from disjointed mess to harmonious order; cosmos is created out of chaos and vice versa. The key to interpreting the shift from chaos to cosmos is Hesiod.” Im Autor des Frauenkatalogs habe Ovid einen verwandten Geist gefunden (221): “Hesiod’s deconstruction of traditional epic diction, his metamorphic wit, and his subversion of the male-oriented agenda of heroic epic are some of the Catalogue’s features which must have appealed to Ovid’s genius.”
Im Zentrum von Ziogas’ Monographie Ovid and Hesiod stehen also die beiden Großepen Metamorphosen und Frauenkatalog, doch sind auch Heroides 6 (und 7) sowie einzelne Passagen der Werke Vergils Gegenstand der Interpretation. Ferner spielen Hesiods Theogonie und Erga und die Epen Homers eine wichtige Rolle als intertextuelle Bezugstexte. Ziogas gelingt es, zahlreiche intertextuelle Bezüge aufzuzeigen, für die Detail-Interpretation fruchtbar zu machen und ihre Relevanz für das Verständnis der Epen insgesamt aufzuzeigen. Sein Buch enthält feine sprachliche Beobachtungen und interessante Interpretationsansätze. Da die Monographie in ihrer Struktur jedoch bisweilen sehr den beiden in ihr behandelten Epen gleicht, werden die beiden Indices (236–247) dem Leser sicherlich von Nutzen sein. Ziogas’ Ovid and Hesiod ist nicht nur ein wichtiger Beitrag zu Ovids Metamorphosen, sondern gibt auch dem hesiodeischen Frauenkatalog den ihm zukommenden Platz in der Literaturgeschichte zurück.