BMCR 2013.08.10

The Political Biographies of Cornelius Nepos

, The Political Biographies of Cornelius Nepos. Ann Arbor: University of Michigan Press, 2012. xi, 291. ISBN 9780472118380. $70.00.

Im Gefolge Geigers und Dionisottis1 zeichnet Stem in umfangreichen und im Prinzip alle relevanten Fragestellungen behandelnden Analysen ein in sich stimmiges Gesamtbild des Cornelius Nepos. Demnach erweist die auf die Erklärung der eigenen Gegenwart ausgerichtete Sammlung von kurzen, exemplarischen Feldherrenbiographien diesen als einen seriösen Teilhaber einer moralisch-politischen Debatte am Ende der Republik. Zu kritisieren ist vor allem eine unzureichende Berücksichtigung nicht-englischsprachiger Literatur, die teilweise zu vergleichbaren Ergebnissen gekommen ist.

Im ersten Kapitel (“Nepos and His Corpus”) gibt Stem an einigen schon lange diskutierten Grundfragen (Verhältnis Nepos – Catull; Verfasserfrage des Feldherrenbuches; Existenz von De regibus; Problem einer zweiten Auflage) einen Überblick über die bisherige Forschung. Dabei gelangt er zu nicht wirklich neuen Erkenntnissen, legt aber ein ausgewogenes Urteil an den Tag, wenn er z.B. eine zweite Auflage mit Skepsis betrachtet, da die Erweiterung der Atticus-Vita nicht zwingend eine Überarbeitung des Feldherrenbuches impliziere. Deutlich werden die Probleme herausgearbeitet, die die Annahme eines Buches De regibus mit sich brächten. Sehr ausführlich behandelt Stem den Vorwurf der historischen Fehlerhaftigkeit. Ohne die Existenz tatsächlicher Irrtümer zu leugnen, legt er überzeugend dar, daß Nepos häufig von seinen Vorlagen/Quellen und deren Zuverlässigkeit abhängt und daß Abweichungen wie bei antiken Historiographen nicht unüblich durch seine eigene Aussageintention veranlaßt sind.

Das zweite Kapitel (“Nepos among his Contemporaries”) sucht im Gefolge der Arbeiten Geigers den Standort des Nepos im literarisch-politischen Umfeld der späten Republik zu bestimmen. Mit Atticus und Cicero teilt der Biograph die konservativ-republikanischen Werte, mit Catull jedoch die Offenheit für und das Streben nach literarischen Innovationen. Zu Recht betont Stem, daß sich die besondere Nähe zwischen Atticus und Nepos vor allem im einem ähnlichen Lebensentwurf niederschlage, der von Distanz zur Tagespolitik gekennzeichnet sei. Hiermit ergibt sich geradezu zwingend eine starke Nähe zu Catull, dessen Einbeziehung in diese politisch-moralisch eher konservativ ausgerichtete Gruppe jedoch auch Fragen aufwirft. Die entscheidende Verbindung sieht Stem in den Themen der Exempla, die durch das anekdotenhaft Exemplarische und durch die moralisch-konservative Aussage zunächst einmal die Verbindung zu Cicero und Atticus unterstreichen. Wenn Catull (c.76) wie der römische Senat bei Nepos (fr. 12M = Gell. 6,18,2-11) die Unverletzbarkeit eines Eides einfordere oder Mamurra für beide Autoren (c.29; Fr.33M = Plin. N.H. 36,48) Sinnbild der zunehmenden Verkommenheit Roms sei, komme eine übereinstimmende moralische Grundlage zum Tragen. Nun muß man angesichts des fragmentarischen Erhaltungszustands der Exempla und der unsicheren Fragmentzuweisung solche Verallgemeinerungen mit Vorsicht betrachten, wie Stem auch durchaus einräumt. Dies gilt ebenso für die Überlegung, ob die Erwähnung Catulls an der Plinius-Stelle schon in den Exempla gestanden habe; der sprachliche Befund spricht eher dagegen. Gewiß hat Catull in seiner Widmung in c.1, die Stem zu Recht als aufrichtig ansieht, die Innovation der Chronica gelobt. Ob aber Nepos an Catulls Werk die Kritik an Roms Toleranz gegen dem sich umgreifenden Luxus gelobt hat, bleibt fraglich. Das Widmungsgedicht selbst macht lediglich poetologische Aussagen und Catulls Kritik am Verfall der republikanischen mores ist nicht das tragende Thema der Gedichtsammlung, die in weiten Strecken einem Vertreter altrömischer Tugenden zweifelhaft erscheinen mußte.

Ziel des dritten Kapitels (“Nepos the Political Biographer”) ist es, im Gefolge Geigers Nepos als Erfinder der politischen Biographie darzustellen, der das neue literarische Genos mit einer politisch-moralischen Aussage füllt. Damit erhält die literarische Innovation, Feldherren in eine Sammlung De viris illustribus aufzunehmen, eine eminent politische Komponente. Zu Recht berücksichtigt Stem im Gegensatz zu Geiger stärker die Übereinstimmungen mit dem Enkomion, die eine Differenzierung in der Praxis deutlich erschweren, wie am Beispiel von Xenophons Agesilaos deutlich wird. Jedoch sei dieses Werk eher mit den Einzelbiographien über Cato und Cicero zu vergleichen, die als Typus im Rom der 40er Jahre nicht alleine stünden. Insofern sei eher die Sammlung von kurzen Biographien über Feldherren, die nicht die Lenker ihrer Staaten seien, mit ihrem exemplarischen Bezug zur Zeitgeschichte als die eigentliche Neuerung anzusehen. Das mag zutreffen, doch ist auch der Agesilaos des Nepos enkomiastisch angelegt, wie seine Kurzbiographien, abgesehen von den eindeutig negativ konnotierten Gestalten, preisend ausgefallen sind. Insofern verschwimmt hier nicht nur im Sinne Stems die Grenze zwischen Biographie und Enkomion, sondern die enkomiastischen Züge prägen sehr deutlich das Feldherrenbuch.

Sehr schön löst Stem einen Widerspruch im Werk des Nepos: Während in der Atticus-Vita eine Lebensweise positiv vorgestellt wird, die vom Rückzug ins Private geprägt ist und insofern bereits die Verhältnisse unter Augustus vorwegzunehmen scheint, wird im Feldherrenbuch auf der politisch-moralischen Grundlage republikanischer mores ein Urteil über die Fehlentwicklungen in den letzten Jahren der Republik gefällt. Diesen Widerspruch kann Stem als bloß scheinbar aufzeigen: Die republikanische Position vertritt Nepos als Grundeinstellung auch im Buch über die römischen Historiographen. Dem Gegensatz von potentia und ius (Cat. 2,2f.) entspricht im Feldherrenbuch der Antagonismus von dominatio und libertas. Wenn Atticus, der nirgends die republikanischen Tugenden anzweifelt, sich ins Private zurückzieht, ist dies dem Übergewicht persönlicher potentia vor der Herrschaft des ius in seiner Zeit geschuldet. Wenn sich in dieser Haltung Elemente der gesellschaftlichen Realität unter Augustus erkennen lassen, bedeutet dies also keine Propagierung, zumal sich Nepos im erhaltenen Teil seines Werkes nie positiv über den Principat äußert.

Im vierten Kapitel (“Nepos the Exemplary Biographer”) arbeitet Stem heraus, daß sich Nepos analog zur Historiographie der Kategorie des Exemplarischen bedient. Damit werden die in den Biographien dargestellten Ereignisse der griechischen Geschichte auf die römische Zeitgeschichte übertragbar und als Stellungnahmen zur aktuellen politischen Situation verstehbar. So gebe Nepos keine Definition des hervorragenden Feldherren, sondern das Ideal eines republikanischen Feldherren werde durch die exemplarischen Beschreibungen der einzelnen Feldherren und ihrer Taten deutlich. Deshalb habe Nepos auch nur solche griechischen Feldherren beschrieben, die nicht Lenker ihrer Staaten waren. Die theoretische Grundlage sieht Stem richtigerweise in dem kulturellen Relativismus der praefatio, da so Tugenden und Laster zeitlos werden. In der Tat sind die virtutes im Falle fast aller beschriebenen griechischen Feldherren mit den römischen kompatibel. Dies dürfte jedoch einfach auch in der Natur der Sache liegen, da die Fähigkeiten, die einen guten Feldherren ausmachen, grundsätzlich überall dieselben sind, wie Stem selbst am Beispiel Hannibals deutlich macht. Ob man die positive Darstellung Hannibals mit der Aussage der praefatio in Beziehung setzen sollte, ist dann doch die Frage, da fremde mores oder die Fremdheit der Kultur dort keine Rolle spielen. Fraglich ist auch, ob man den Synkretismus bei Göttern als Beleg für die allgemeine Gültigkeit von Werten heranzieht. Wie Stem (S.148, Anm.39) vermerkt, handelt es sich bei der Latinisierung von Götternamen um eine gängige Praxis. Die Angleichung fremder Ämter an römische Verhältnisse kann ebenfalls nicht als Argument herangezogen werden.

Das fünfte Kapitel (“From Political History to Exemplary Political Biography”) dient dazu, am Beispiel der Viten des Epaminondas, des Pelopidas und des Agesilaos die These von der exemplarischen politischen Biographie des Nepos belegen. Diese Auswahl ist geschickt, da die drei Viten schon wegen des historischen Hintergrunds und der gegenseitigen Bezüge eine Einheit bilden. Die eingehende Interpretation, die die drei Viten als als Einheit betrachtet, stellt für sich einen wichtigen Beitrag dar. Stem hebt richtig heraus, daß für Nepos nur die persönlichen virtutes zählten, ohne Rücksicht auf den gesamthistorischen Kontext. Zwar mache der Gehorsam des Agesilaos gegenüber den Befehlen der Ephoren ihn zum richtungweisenden Vorbild für römische Imperatoren, doch sei kaum bedeutsam, daß er durch seinen Gehorsam die in den Viten der beiden Thebaner als tyrannisch empfundene Vorherrschaft der Spartaner sichern hilft. Epaminondas und Pelopidas beweisen ihre virtutes gerade im Kampf gegen die spartanische Tyrannei. Dabei werte Nepos das Vorgehen des Pelopidas, der die thebanischen Kollaborateure umbringen läßt, und die Zurückhaltung des Epaminondas gegenüber einem blutigen Bürgerkrieg, positiv. Nicht nur seien für den Erfolg beide Verhaltensweisen notwendig, es würden auch die schwierigen Situationen und Probleme verdeutlicht, die sich für politisch Handelnde bei der Abwehr einer Tyrannis ergäben. Die Rangfolge der beiden Thebaner werde in der unhistorischen Reihenfolge deutlich. Die Vita des Pelopidas, in deren Zentrum die Befreiung Thebens von der spartanischen Tyrannis steht, liefere die Erklärung zur vorangehenden Befreiung ganz Griechenlands durch Epaminondas. Die Grundlage einer solchen Darstellung sieht Stem nicht in dem kulturellen Relativismus der praefatio, sondern in einer Art überparteilichen Relativismus, der den Fokus des Lesers nicht auf die einzelne Person lenkt, sondern auf die personen- und staatenübergreifenden, nicht relativierbaren Tugenden und Werte, die sich aus der Zusammenschau der entsprechend ausgewählten duces ableiten lassen. Dabei stellt sich jedoch die Frage, ob dies die Intention des Nepos war oder einfach der gerade im Fall des Agesilaos deutlich wirkenden enkomiastischen Tradition geschuldet ist, die wie die Biographie das Individuum und seine mores ins Zentrum stellt. Zustimmen muß man Stem, wenn er die politische Propagierung der libertas und den Vorrang des Staatsinteresses betont und auf die unmittelbare historische Vergangenheit und Gegenwart des Verfassers bezieht.

In der “Conclusion” stellt Stem die Frage nach der erwarteten Leserschaft des Nepos. Die Parallelisierung mit der Situation Ciceros ist durchaus erhellend. Beide suchen ihren Lesern eine für die res publica positive Verhaltensweisen zu vermitteln, beide nehmen hinsichtlich ihres Bezuges auf die Griechen eine defensive Haltung ein. Nepos ist demnach einer Geistesströmung zuzurechnen, die durch literarische Werke zur Erneuerung der res publica beitragen will. Dabei spricht Stem für Nepos wohl zu Recht von einer “wide audience – a more middlebrow audience” (S.234). In diesem Zusammenhang findet erstmalig eine Auseinandersetzung mit der Monographie von Anselm statt;2 diese hatte Atticus als den idealen Leser des Feldherrenbuches betrachtet, was von Stem lediglich in einer Fußnote und ohne inhaltliche Diskussion als “unpersuasive” (S.232, 5) zurückgewiesen wird.

Damit sind wir bei einem wesentlichen Manko angekommen. Stem rezipiert mit wenigen Ausnahmen (ca. 5-10%) nur englischsprachige Literatur. Die fremdsprachige Literatur wird aber meist nicht wirklich rezipiert, wie das Beispiel der Arbeit von Anselm zeigt: Spät (S.236 Anm.9) wird der Leser darüber informiert, daß auch Anselm für einen zeithistorischen Bezug plädiere. Kritisiert wird lediglich die Idee, es handelt sich um einen Fürstenspiegel für den jungen Octavian—als ob diese, in der Tat sehr fragliche Aussage die zentrale These der Arbeit sei. Dem auf literaturwissenschaftlichen Methoden beruhende Ansatz Anselms wird eine solche Einschätzung nicht gerecht. Für jede einzelne Vita arbeitet Anselm den exemplarischen Bezug zur Zeitgeschichte des Nepos heraus. Danach ist für diesen die Geschichte eine magistra vitae und in seinen Viten scheint die symbolische Repräsentation von Wertbewußtsein innerhalb einer Gemeinschaft auf. Zuvor hatte schon Mutschler die Übereinstimmungen mit dem durch Cicero und Sallust vermittelten Wertediskurs senatorischer Kreise eindringlich betont. Nicht nur deshalb ist es etwas irritierend, wenn Stem mitunter den Eindruck erweckt, als sei die Nepos abwertende Sicht eine immer noch vorherrschende Meinung, vor der es gellte, den Autor in Schutz zu nehmen. Hier wird doch übersehen, daß schon vor und nach Geiger und Dionisotti, zahlreiche Arbeiten publiziert worden sind, die das herkömmliche Bild in Frage gestellt, die Biographien des Nepos neu positioniert haben und zu einem differenzierten und treffenden Bild gekommen sind, das manches dessen, was Stem darlegt, schon vorweggenommen hat.3 Nichtsdestotrotz hat Stem die bisherigen Ansätze an vielen Stellen weitergeführt und zu einem umfassenden Bild von Autor und Gesamtwerk verdichtet.

Notes

1. J. Geiger, Cornelius Nepos and Ancient Political Biography, Stuttgart 1985; A.C. Dionisotti, “Nepos and the generals,” JRS 78, 1988, 35–49.

2. S. Anselm, Struktur und Transparenz. Eine literaturwissenschaftliche Analyse der Feldherrenviten des Cornelius Nepos, Stuttgart 2004.

3. Ich nenne nur: S. Costanza, “Considerazioni relavistiche nella praefatio di Cornelio Nepote”, Teoresi 10, 1955, 131–159; N. Holzberg, “Literarische Tradition und politische Aussage in den Feldherrenviten des Cornelius Nepos”, WJA 15, 1989, 157–173; A. La Penna, “Mobilità die modelli etici e relativismo die valori, da Cornelio Nepote a Valerio Massimo e alla Laus Pisonis”, in: Societa romana e produzione schiavistica III, Bari 1981, 183–206; F.-H. Mutschler, “Moralischer Relativismus bei Nepos?”, in: Hortus Litterarum Antiquarum, Heidelberg 2000, 391–406; ders., “Geschichtsbetrachtung und Werteorientierung bei Nepos und Sallust”, in: O tempora, O mores! Römische Werte und römische Literatur in den letzten Jahrzehnten der Republik, München/Leipzig 2003, 259–285; O. Schönberger, “Cornelius Nepos, ein mittelmäßiger Schriftsteller?”, Altertum 16, 1970, 153–163.