Von 8. bis 10. September 2010 fand das 5. Kolloquium der Kommission für das Corpus Vasorum Antiquorum an der Bayerischen Akademie der Wissenschaften in München unter dem Thema „Griechische Vasenbilder als Medium des Kulturtransfers“ statt. Von 17 Vorträgen fanden 15 in gedruckter Form Eingang in den Band, der nun als 5. Beiheft zum CVA Deutschland gedruckt vorliegt. Sowohl die chronologisch und regional unterschiedlichen Formen der Rezeption und Verwendung griechischer Vasen durch nicht-griechische Käufer in ihrem eigenen kulturellen Kontext als auch die möglichen Rückwirkungen der griechischen Vasenmaler auf die Bedürfnisse ihrer Abnehmer standen dabei im Fokus des Interesses. Im 1. Beitrag untersucht Beat Schweizer (Tübingen) „Bilder griechischer Tongefässe in Mittelitalien und nördlich der Alpen. Medien der Hellenisierung oder Mediterranisierung, der Akkulturation oder der kulturellen Interaktion, der interkulturellen Kommunikation oder der Konstruktion kultureller Identität?“ (S. 15–25). Auf Grundlage der genannten Termini und ihrer Forschungsgeschichte stellt Schweizer fest, dass der Wunsch der Nichtgriechen, eine höhere kulturelle Stufe zu erreichen, ein Konstrukt neuzeitlicher Wissenschaftler ist, die zu umfangreichen Überinterpretationen geführt hat. Ebenso sollte die einseitige Betrachtungsweise auf Produzenten und Handel überwunden werden. Vielmehr handelte es sich um eine kulturelle Interaktion zwischen gleichberechtigten Partnern, wenn etwa die etruskischen Todesvorstellungen mit Hilfe der griechischen präzisiert wurden.
Die nächsten drei Beiträge sind unter dem Überschrift „Wege“ zusammengefasst. Vor dem Hintergrund der Frage, ob Form oder Darstellung für den Kauf einer attischen Vase dem Endabnehmer wichtiger war, untersucht Filippo Giudice (Catania) unter dem Titel „Vedere il vaso attico: costruzione del quadro di riferimento delle forme dal 635 al 300 a. C.“ (S. 27–34) die Vasenformen sowohl der verhandelten als auch der vor Ort verkauften attischen Vasen. Anhand einer chronologischen Aufschlüsselung wird dabei nicht nur die Ausweitung des Handels im Mittelmeerbecken vom ausgehenden 7. bis an das Ende des 4. Jhs. v. Chr. deutlich, sondern auch die Beliebtheit verschiedener Formen zu bestimmten Zeiten, wobei anhand von Zwillingsvasen sogar Handelsrouten bestimmt werden können. Martin Langner (München) stellt die grundlegende Frage: „Kam es auf die Bilder an? Handelskontakte, Verwendungskontexte und lokale Imitationen spätrotfiguriger Vasenbilder aus Athen“ (S. 35–50). Dabei untersucht er 9100 Gefässe aus gesicherten Grabkontexten aus dem Zeitraum von 410 bis 305 v. Chr. Er vergleicht die Situation von Spina und Südrussland und kommt zu dem Ergebnis, dass regionale Vorlieben bei den Produzenten bekannt gewesen sein müssen, von einer strengen Ausrichtung auf einen Absatzmarkt aber nicht gesprochen werden kann. Der Käufer konnte sich mit den Bildern, deren Projektionsfläche möglichst offen gehalten wurde, auseinandersetzen, wobei die Rezeption auf einheimischen Aquarellpeliken oder Grabreliefs greifbar ist. Thomas Mannack (Oxford) zeigt in seinem Beitrag „Liebesverfolgung in Unteritalien“ (S. 51–56), wie Verfolgungsszenen motivisch ihren Weg aus dem archaischen Griechenland in das spätklassische Unteritalien finden. Während dieses Motiv in Athen im religiösen und sepulkralen Kontext vorkam, hängt die Beliebtheit dieses Motivs in Unteritalien wohl mit der Deutung als Trost für einen zu früh Verstorbenen zusammen und wurde als dessen Entrückung in den Olymp gedeutet. Hauptsächlich am Beispiel der Eos, die Kephalos oder andere junge Jäger verfolgt, zeigt er die Veränderung des Motivs in Lukanien und Apulien, erweitert durch mehr Dramatik (Gewalt, Viergespann) und durch einen deutlichen Liebesaspekt (Hochzeit, Eros).
Unter dem nun folgenden Schwerpunkt „Orte“ untersucht Irma Wehgartner (Würzburg) in „Die Sammlung Feoli. Attische und etruskische Vasen von der ‚Tenuta di Campomorto’ bei Vulci“ (S. 59–68) Würzburger Vasen mit dem genannten gesicherten Fundort. Auf den attischen Vasen des 6. und 5. Jhs. v. Chr. finden sich dabei keine speziell für Etrurien zugeschnittenen Bildthemen, wobei sogar von den Etruskern übernommene Gefässformen (Kyathos, Nikosthenische Amphora) mit rein griechischen und teilweise sogar speziell attischen Bildthemen versehen wurden. Dieses Ergebnis wird allerdings dahingehend modifiziert, dass zum Zeitpunkt der Verhandlung der Vasen der Slg. Feoli nach Vulci der eigentliche Kulturtransfer bereits eineinhalb Jahrhunderte zurücklag. Mario Iozzo (Florenz) widmet sich in seinem Beitrag „Chiusi, Telemaco e il Pittore di Penelope“ (S. 69–83) den attisch-rotfigurigen Skyphoi, die in hoher Anzahl in der Gegend von Chiusi gefunden wurden. Die Provenienz des namensgebenden Skyphos konnte jüngst durch Recherchen im Museumsarchiv von Chiusi erhellt werden. Auf Seite B könnte dabei die von Homer abweichende Namensgebung der Amme „Antiphata“ mit nicht erhaltenen Tragödien des 5. Jhs. v. Chr. erklärt werden. Die Lage Chiusis im Landesinneren weist darauf hin, dass der Handel dieser Skyphoi zum einen durch Vermittler zwischen Produzenten und Käufer, zum anderen durch lokale Informanten in Etrurien abgewickelt wurde. Jenifer Neils (Cleveland) versucht in ihrem Beitrag „The Dokimasia Painter at Morgantina“ (S. 85–91), zwei Gruppen von frühklassischen attisch-rotfigurigen Fragmenten, die auf Siedlungsgebiet in der zentralsizilischen Stadt Morgantina ergraben wurden, zwei Gefässen (Skyphos, Kelchkrater) zuzuordnen. Diese schreibt sie dem attischen Dokimasia-Maler zu, der hauptsächlich für seine in Etrurien gefundenen Kylikes bekannt ist. Mit diesem Symposiums-Set will sie im Oeuvre des Dokimasia-Malers die Lücke zwischen den frühen Schalen und den bislang in geringer Anzahl bekannten grösseren Gefässen schliessen (Zerstörung der Stadt 459 v. Chr.: ‚terminus ante quem’). Während dies bei dem Skyphos überzeugt, können Zuweisung und Lokalisierung der anderen Fragmente zu einem Kelchkrater nur schwer nachvollzogen werden, da diese nur in der Rekonstruktion und viel zu klein abgebildet wurden; daher sind auch die räumliche Verteilung und das daraus resultierende Motiv des Kraters unklar. Eleni Manakidou (Thessaloniki) stellt in ihrer Studie „Archaische bemalte Keramik aus Korinth und Athen in Makedonien als Ausdruck lokaler Vorlieben und Bedürfnisse“ (S. 93–101) heraus, dass in der Zeit der wirtschaftlichen und künstlerischen Blüte in Spätarchaik und Frühklassik die geringe Zahl mythologischer Darstellungen bei korinthischer Keramik, die Beliebtheit des Kolonettenkraters und ab 550 v. Chr. die hohe Anzahl attischer Trinkschalen auffällt. Aus dem häufig paarweisen Vorkommen von Kolonettenkrateren in Gräbern bei Agia Paraskevi (ein Import, eine Imitation) schliesst die Autorin, dass für den Kauf eines Gefässes weniger der Dekor, sondern vielmehr die Form entscheidend war. Da auf Symposionsgeschirr in Heiligtümern aber eine extreme Themenvielfalt vorherrscht, kann die Darstellung nicht ganz unwichtig gewesen sein.
Die letzten sieben Beiträge sind unter der Überschrift „Perspektiven“ zusammengefasst. Laura Puritani (Marburg) untersucht in ihrem Beitrag „Amazonen in Etrurien. Zur Rezeption attischer Vasenbilder am Beispiel einer Hydria des Polygnotos“ (S. 103–112) jene aus einem Frauengrab der Nekropole von Valle Pega (Spina). Die unterschiedliche Stellung der etruskischen im Vergleich zur griechischen Frau macht es möglich, dass die als Siegerinnen oder zumindest nicht als Unterlegene dargestellten Amazonen die Tapferkeit der etruskischen Frau widerspiegeln. Im Gegensatz zum Bild der Amazone in Griechenland und speziell in Athen gibt es keine politische Konnotation der Amazone in Etrurien; dort konnte sich die etruskische Frau wie ein tapferer Gegner mit deren positiven Werten ‚virtus’ und ‚pulchritudo’ identifizieren. Francoise-Hélène Massa-Pairault (Paris) betrachtet in „L’Attique et ses héros vus de l’Étrurie. Quelques exemples“ (S. 113–120) die Wirkung von Darstellungen attischer Heroen auf den etruskischen Beobachter. Anhand verschiedener Vasen wie dem François-Krater aus Vulci versucht sie nachzuweisen, dass Theseus als beispielhaft für die aristokratische Kultur der Peisistratiden aufgefasst wurde, da er auch auf etruskischen Skarabäen oder in der funerären Wandmalerei zu finden ist. Im 5. Jh. v. Chr. nimmt die Autorin eine ‚Werbung’ der Ideen Kimons in Etrurien an, obwohl gerade in Kimonischer Zeit durch die Rückführung der Theseusgebeine nach Athen dieses Thema in attischen Vasenwerkstätten hochaktuell gewesen sein muss. Der Präzisierung dieser Aussage hätte eine Gegenüberstellung von Art und Anzahl attischer Theseusdarstellungen, die in anderen Gegenden gefunden wurden, gedient. Victoria Sabetai (Athen) untersucht in ihrem Beitrag „Looking at Athenian Vases Through the Eyes of the Beotians: Copies, Adaptations and Local Creations in the Social and Aesthetic Culture of an Attic Neighbour“ (S. 121–137) die künstlerische Rezeption attisch-rotfiguriger Vasen in Böotien im 5. Jh. v. Chr. Auffällig sind die geringen Zahlen rotfiguriger Gefässe überhaupt, die meist aus Gräbern stammen1 und die Sabetai mit einem besonderen sozialen Status des Verstorbenen in Zusammenhang bringt. Die auffällig geringere Grösse der Importgefässe wirft Fragen nach der Funktion auf. Die Darstellungen wichtiger Lebensereignisse auf den importierten Vasen stehen dabei im Gegensatz zu den emblematischen Bildern auf böotisch-rotfigurigen Gefässen, die auf Geschlechterrollen oder heroische Ideale zurückgreifen. Angelika Schöne-Denkinger (Berlin) behandelt in ihrem Beitrag „Import und Imitation attischer Bilder in Böotien“ (S. 139–149) eine Übernahme von Gefässformen, Funktionen und Bildern am Beispiel des thebanischen Kabirions, wo im Kult eine Betonung der Landwirtschaft sowie des dionysischen Aspektes im Vordergrund steht. Der grossen Zahl einheimischer Keramik (schwarz gefirnisste und böotisch-rotfigurige Trinkgefässe, Kabirenbecher) steht 1 % Importkeramik (attische Gefässe, St.-Valentin-Gattung) gegenüber. Die später eingeritzten Weihinschriften (für Kabiros und seinen Sohn Pais; Name des Weihenden) auf dem Symposionsgeschirr verweisen auf eine Verwendung und Weihung im Heiligtum, wobei sich eine böotische Nachahmung attischer Bilder in einigen Imitationen durchaus fassen lässt. Der hohe Prozentsatz an dionysischen Bildthemen sowohl auf den böotischen als auch den attischen Gefässen macht eine gezielte Auswahl letzterer für das Kabirion sehr wahrscheinlich.
Die beiden nächsten Beiträge bilden eine Einheit: Anna Petrakova (St. Petersburg) untersucht in „Late Attic Red-figure Vases from Burials in the Kerch Area: The Question of Interpretation in Ancient and Modern Contexts“ (S. 151–163) die Funktion der spätklassischen attischen Vasen aus den Kurganen bei Kertsch. In den Bestattungen von Yuz-Oba finden sich attisch-rotfigurige Gefässe (meist Pelike, Lekanis/Kylix sowie Lekythos/Oinochoe), deren Zusammenstellung auf eine Verwendung im Alltag und später im Grab in attischer Manier hinweisen. Besonders der frühhellenistische Pavlovskiy-Kurgan zeigt direkte Reflexion griechischer Ikonographie: das Gewand der Toten trägt das Bild einer kämpfenden Amazone, dessen Details einer attischen Figurenlekythos ebendort entsprechen, ausserdem war die Verstorbene wie eine Amazone gekleidet (hohe Lederstiefel, Hosen, kurzes gegürtetes Obergewand). Eine spezielle Produktion der attischen Töpfer für den gehobenen Markt von Pantikapaion gab es demnach nicht. Das Gegenstück bildet der folgende Beitrag von Othmar Jaeggi (Basel) mit „Attische Vasen des 4. Jhs. aus Kerč und Umgebung: Fragen zu Gebrauch, Verteilung und Rezeption“ (S. 165–176). In den stadtnahen Nekropolen mit ihren Kisten-, Kammer- und Urnengräbern finden sich kleine, einfach verzierte Lekythen und Peliken mit Amazonendarstellungen als attische Serienproduktionen, die auf einen intensiven, direkten Handel zwischen Attika und Pantikapaion im 4. Jh. v. Chr. hinweisen. Griechische Formen, Motive und Mythen waren bei Griechen und Skythen gleichermassen beliebt. Während aber auf den griechischen Vasen Skythen als Phantasiewesen dargestellt werden, wurde auf skythischen Schmuckstücken eine genauere Charakterisierung versucht. In den Gräbern der stadtnahen Nekropolen ist also kein Kulturtransfer bestimmbar. Als letzter Beitrag findet sich der öffentliche Abendvortrag von Robin Osborne (Cambridge, UK): „Polysemy and its Limits: Controlling the Interpretation of Greek Vases in Changing Cultural Contexts“ (S. 177–186). An ikonographischen Beispielen wie „Aias trägt Achill vom Schlachtfeld“ (in Etrurien war der ‚Hoplit’ unbekannt) oder „Kriegers Rüstung“ (die Bewaffnung könnte auch einem Waffenlauf dienen) versucht er die Problematik aufzuzeigen, dass die Deutung einer Darstellung durch den attischen Vasenmaler keineswegs mitgeliefert wird, sondern abhängig ist von der geographischen und sozialen Herkunft sowie dem Vorwissen des Betrachters. Die Bilder auf griechischen Vasen rufen aufgrund ihrer Mehrdeutigkeit daher ständig zum erneuten Betrachten auf.
Als Kritik dieses gelungenen Bandes kann angeführt werden, dass die Beiträge von Manakidou und Wehgartner mit Tabellen oder zumindest Prozentangaben noch anschaulicher und verständlicher gewesen wären. Im Beitrag von Othmar Jaeggi, der zu den ergebnisreichsten zählt, finden sich leider viele Tippfehler, ausserdem erfolgte keine Angleichung der Schreibweise russischer Eigennamen in den drei Südrussland betreffenden Aufsätzen. Die Farbangaben bei einem Chart von Jaeggi (S. 169 f. zu Abb. 13) sind bei dem schwarz-weiss-Druck überflüssig. Unangenehm fallen die Vertauschungen von Abbildungen (Abb. 3 und 4; 10 und 11) im Beitrag von Martin Langner auf, wobei sich die daraus resultierenden Fehlangaben bis in die Fussnoten ziehen. Die positiven Aspekte dieses Bandes aber überwiegen bei weitem: Vor allem die grosse Anzahl an neuen Forschungsergebnissen erfreut ausserordentlich und fordert damit zu weiterer Forschung auf. Für die wissenschaftliche Verwendung der Ergebnisse allerdings wäre mindestens ein Ortsregister am Ende des Buches sehr nützlich gewesen. In jedem Fall aber muss der Verwendung dieses Bandes dringend allen Altertumswissenschaftlern empfohlen werden, die sich mit Export, Verwendung und Rezeption von Gefässformen und Bildern attischer Vasen beschäftigen.
Notes
1. Die Rezensentin teilt nicht die Meinung der Autorin, dass Reparaturspuren an griechischen Vasen auf eine vorherige Verwendung zurückgehen müssen, eine Beschädigung kann nämlich auch vom Transport stammen. Für einen längeren Gebrauch vor der Niederlegung ins Grab sprechen ausschliesslich Gebrauchsspuren, etwa Ausgussspuren an der Lippe oder Scharrspuren im Gefässinneren.