Konstantin bleibt, wie Raymond van Dam treffend formuliert (15), ein ewiges Thema der historischen Forschung, insbesondere zu Beginn eines neuen Jahrhunderts, wenn sich die Termine für Jahresfeiern häufen (wie schon 2006 und 2007). Das gleiche gilt für die Frage, die immer wieder seit Gibbon und Burckhardt von neuem ventiliert wird, wie Konstantins Christentum zu bewerten ist: War er ein skrupelloser Machtpolitiker oder doch ein im Grunde tieffrommer Mann? Auch zur Wiederkehr des Jahrestages der Schlacht an der Milvischen Brücke 2012 ist daher mit einem weiteren Ansteigen der Flut von Publikationen zu Konstantin zu erwarten.
Raymond van Dam geht in seinem Konstantinbuch neue Wege, indem er die Konstantinische Ära sozusagen von einem Angelpunkt aus, der Schlacht an der Milvischen Brücke, beleuchtet und deutlich macht, wie historische Fiktion die Fakten überlagern kann und zeitgenössische “Erinnerungen” prägend für das Konstantinbild werden. Dabei geht van Dam in umgekehrter Folge als üblich vor, indem er von der Rezeption ausgehend rückwärtsschreitend sich dem Phänomen Konstantin nähert.
In einem als Vorwort deklarierten einführenden Kapitel (1 Foreword: Visions of Constantine) beleuchtet van Dam zunächst die Schlacht an der Milvischen Brücke unter allen möglichen Aspekten, indem er ausgehend von den Grunddaten (die Heeresbewegungen, “Vision” Konstantins, das Echo der Schlacht in zeitgenössischen Quellen etc.), die wichtigsten Positionen der Forschung vorstellt. Van Dam analysiert sodann die bekannten Texte und Quellen, die sich um Konstantins Nachwirkung drehen (2. The Afterlife of Constantine: Silvesterlegende, Transponierung der Schlacht nach Konstantinopel in byzantinischen Quellen, Reliquien), die Darstellung der Rezeption der Schlacht bzw. das Bild Konstantins bei den (paganen und christlichen) frühbyzantinischen Historikern (3. Ecclesiastical Histories), das Verhältnis von Eusebius zu Konstantin unter dem Aspekt von Erinnerung (Eusebius) und Selbstdarstellung (4. Constantine’s Memories), Eusebius’s (subjektive) Darstellung der Ereignisse (5. Eusebius’s Commentary), Quellen außerhalb von Eusebius (6. Shaping Memories in the West), aber auch weniger bekannte Dokumente und Monumente wie der Briefwechsel mit Porphyrius oder der Bogen von Malborghetto (7. Rome after the battle), die nicht so sehr die Aufmerksamkeit der Forschung auf sich zogen. In Kapitel 8 reflektiert er seinen methodischen Ansatz einer umgekehrten Vorgehensweise (8. Backward and Forward) mit dem Ziel, auf diese Weise ein objektiveres Ergebnis seiner Analyse zu erreichen, während Kapitel 9 Konstantins Gegenspieler an der Milvischen Brücke Maxentius gewidmet ist (9. Remembering Maxentius), um eine einseitige Fokussierung auf Konstantin zu vermeiden. Das Buch wird beschlossen mit einer Reflexion über die erinnerungsstiftende Funktion der Brücke (10. Back Word: The Bridge).
Man wundert sich ein wenig, dass gerade die einschlägigen historischen Basistexte zur Schlacht an der Milvischen Brücke nicht ganz präzise wiedergegeben und untersucht und auch terminologisch nicht reflektiert werden. So hat die moderne Forschung (z.B. B. Bleckmann, De vita Constantini = Fontes Christiani Bd. 83,56 mit Anm. 291) besonders hervorgehoben, dass die sogenannte Vision Konstantins — tatsächlich schildert Eusebius, dass Konstantin eine Naturbeobachtung macht vor Zeugen, — nicht (!) unmittelbar vor der Schlacht an der Milvischen Brücke stattfand, sondern als Konstantin auf dem Marsch irgendwohin war (VC 1,28). Diese Angabe würde gut zu der Bemerkung des Panegyricus von 310 passen, als Konstantin von der Marschroute abbog (21,3: ubi deflexisses) und in Grand den spektakulären Apollo-Tempel aufsuchte, wo er dann eine Vision des Gottes erlebte, wie der Schreiber des Panegyricus betont (22,5: vidisti [sc. deum Apollinem]).
Diese Feinheiten der Interpretation werden in van Dams narrativem Duktus nicht behandelt, obwohl sie gut zu seinem Ergebnis passen würden, dass Eusebius’s Bericht VC 1, 26-41 ein Konglomerat aus älteren Textbausteinen der Kirchengeschichte und relativ rezenten Erinnerungen Konstantins darstellt (100). Deshalb stockt man immer wieder einmal bei der Lektüre des Buches, wenn von der “Vision” die Rede ist, da diese Basis der Überlegungen van Dams argumentativ nicht ausreichend abgesichert wurde. Eng mit diesem Punkt verknüpft ist auch die berühmte Frage nach dem Halophänomen, das nach einem neueren Aufsatz von N. Staubach aus dem Jahre 2009 (” In hoc signo vinces : Wundererklärung und Wunderkritik im vormodernen Wissensdiskurs”: Frühmittelalterliche Studien 43, 1-52) bereits in der frühen Neuzeit als mögliche naturwissenschaftliche Interpretation der Ereignisse in Erwägung gezogen wurde und durchaus verdient gehabt hätte, intensiver diskutiert zu werden oder wenigstens ausführlich dargestellt zu werden, zumal solche Phänomene in antiken und mittelalterlichen Texten oft beobachtet wurden (vgl. z.B. Cic. rep. 1,15; Cass. Dio 74,14,3).
Alles in allem hat van Dam ein kenntnisreiches und anregendes Buch verfaßt, das die Konstantinforschung mit einem neuen Ansatz bereichert.