BMCR 2011.06.19

Sovranità della legge

, Sovranità della legge: la legislazione di Demetrio del Falero ad Atene (317-307 a.C.). Università degli studi di Milano. Pubblicazioni del Dipartimento di diritto privato e storia del diritto, Sezione di diritto romano e diritti dell'antichità 45. Milano: Giuffrè Editore, 2010. viii, 254 p.. ISBN 9788814153624. €26.00.

Abseits der klassischen Betätigungsfelder altertumswissenschaftlicher Forschung gibt es noch so manches zu entdecken – dies gilt auch und gerade für die vielbehandelte Polis Athen. Denn so sehr diese hinsichtlich der Entwicklung von den Solonischen Reformen bis hin zur ausgestalteten Demokratie im 5. und teilweise noch im 4. Jahrhundert nach der Wiederaufrichtung der demokratischen Ordnung von der Forschung wie der breiteren Fachöffentlichkeit in Anspruch und entsprechend in Legionen von Studien auseinander genommen wird, so wenig rückt bislang die Entwicklung der Polis Athen im Hellenismus in die Aufmerksamkeit gebildeter Kreise, auch wenn sich mittlerweile auch hier zahlreiche Spezialstudien finden lassen. Die paradigmatische Gleichung „Athen = Demokratie“ wirkt hier unverdrossen und uneingedenk des Mehrwerts dieser Polis fort, obwohl ein Blick über den demokratisch-gesättigten Tellerrand hinaus so manchen auch weitere Forschungsfelder beflügelnden Schatz offenbart.

Wenn jetzt fast zeitgleich zwei Monographien zur Regierung des Demetrios von Phaleron (317-307 v.Chr.) in Athen erscheinen,1 darf in dieser Zeitspanne wohl zu Recht ein solcher bislang ungehobener Schatz vermutet werden. So unschön es ist, daß A. Banfi nicht mehr die Ergebnisse von L. O´Sullivan (und umgekehrt) berücksichtigen konnte, so sehr lädt dieser Umstand natürlich zum Vergleich ein. Zwar unterscheidet sich Banfis Fragestellung von der O´Sullivans, möchte er doch nicht einen vollständigen Blick über die gesamte Herrschaft des Demetrios von Phaleron bieten und das bislang gängige Bild eines antidemokratischen Politikers grundlegend revidieren, sondern Demetrios als Gesetzgeber näher beleuchten. Dies ist ein Ansatz, welcher der Entstehung des Werkes im romanistischen Forschungskontext geschuldet ist und damit andere Methoden als die historische zur Quelleninterpretation heranzieht. Jedoch arbeitet O´Sullivan ebenfalls umfänglich an der legislatorischen Leistung des Demetrios in äußerst quellennaher Weise, so daß trotz des unterschiedlichen Zugangs die einzelnen Kapitel ähnliche thematische Bereiche behandeln.

Der unter seinem juristischen Betrachtungsaspekt verschärften Quellen- und Interpretationsproblematik, mit der aus der ohnehin fragmentarischen und auch noch schwierig zu beurteilenden Überlieferung eine systematische Rekonstruktion eines ganzen Gesetzgebungsprogrammes erfolgen soll, ist sich Banfi vollauf bewußt, was er denn bereits in der Einleitung (1-9) auch entsprechend darlegt.

Unter der Fragestellung nach der legislatorischen Tätigkeit geht Banfi denn auch schnell in einem ersten Kapitel (11-22) über die Einordnung der Herrschaft des Demetrios von Phaleron, der als epimeletēs („Aufseher“) des Hegemon Kassander nach dem Tod Antipaters (319 v.Chr.) und dem Ende des athenischen Strategen Phokion die Geschicke der Stadt für rund 10 Jahre lenkte (317-307 v.Chr.), in den historischen Kontext hinweg. Mehr Aufmerksamkeit widmet er sodann im zweiten Kapitel (23-51) der vieldiskutierten Frage nach dem Einfluß des Peripatos auf das politische Handeln des Demetrios, der ebendort als Philosoph, Redner und Gelehrter glänzte. Anders als etwa O´Sullivan, die einen Einfluß der aristotelischen Philosophie auf das konkrete Regierungshandeln des Demetrios zwar prima facie nicht ausschließen will, jedoch zu Recht auf die Quellenproblematik sowie die antimakedonische Propaganda hinter der Zuschreibung der legislativen Maßnahmen seitens Demetrios hinweist2, zieht Banfi die große Linie von der theoretischen Beschäftigung mit dem „Staat“ und dessen „Verfassung“ durch Aristoteles hin zur praktischen Umsetzung durch Demetrios von Phaleron, indem er besonders die Beweiskraft der überlieferten Titel der von Demetrios verfaßten Werke als typisch peripatetischen Forschungsansatz betont; jedoch leitet auch Banfi daraus keinen Automatismus hin zu einem anti-demokratischen Regierungsstil ab, eher hin zu einer in die „gute“ solonische Ära projizierten, konservativ ausgerichteten „Demokratie“ im Sinne der diachronen Entwicklungstheorie eines Aristoteles. Daß generell eine Ableitung konkreten politischen Handelns aus der philosophischen Denkrichtung bei Demetrios problematisch erscheint, hat jedoch bereits H.-J. Gehrke betont.3

Die Verknüpfung von außenpolitischen Einwirkungen und innenpolitisch-rechtlichen Auswirkungen unternimmt Banfi im zweiten Kapitel (53-79) anhand der Etablierung und Entwicklungsgeschichte der Herrschaft des Demetrios. Hier bezieht er sich insbesondere auf eine Gegenüberstellung der schon in der Antike greifbaren begrifflichen Verwirrung über den genauen Status von Demetrios in Athen, da offiziell aufscheinende Titulaturen ( epimeletēs) neben untechnischen Bezeichnungen (z.B. nomothetēs) erscheinen und ein in diesem Zusammenhang wichtiges epigraphisches Zeugnis, IG II 2 1201, an der entscheidenden Stelle nur Lückenhaftes und zu Ergänzendes aufweist. In jedem Fall arbeitet Banfi dann die mit der jeweiligen Bezeichnung verknüpften Aussageabsichten – so beim nomothetēs die Wertung des Demetrios als dritter Gesetzgeber Athens nach Drakon und Solon – heraus.

Seine hieraus entwickelte These der Selbstpräsentation des Demetrios als Wiederhersteller der solonischen Ordnung im Sinne einer konservativ-demokratischen (Neu-)Ausrichtung Athens versucht Banfi dann an den einzelnen Gesetzgebungsbereichen zu erweisen. Das vierte Kapitel (81-109) behandelt zunächst die Struktur der öffentlichen Verwaltung sowie der Jurisdiktion unter der Herrschaft des Demetrios. Die an Besitz bemessene Beteiligung an der Politik schreibt Banfi gemäß seinem Erklärungsansatz klar dem Denkansatz des Peripatos zu, während O´Sullivan hier vorsichtiger argumentiert und die außenpolitische Realität als Erklärungsansatz heranzieht.4 Das auffällige Ausbleiben inschriftlich überlieferter Volksbeschlüsse und das Verschwinden des grammateus führt Banfi ebenso auf eine Umgestaltung der ekklesia zurück; auch hier ist der zurückhaltende Erklärungsansatz O´Sullivans, welche die dünne Quellenlage nicht zu weitreichenden Rekonstruktionen benutzt, aus Sicht des Rez. vorzuziehen.5 Dies gilt auch für die Beurteilung der Eingriffe des Demetrios im jurisdiktionellen Bereich, die Banfi wieder als philosophisch motivierten Ausdruck einer möglichst weitgehenden Rückkehr zur „guten alten Zeit“ mit der Entmachtung demokratischer Gerichtsstrukturen und Stärkung des Areopags wertet, O´Sullivan hingegen weitaus weniger dramatisch in den konkreten Auswirkungen zeichnet.6

Das in den vorigen Kapiteln aufscheinende Erklärungsmodell findet seine Fortsetzung in der Betrachtung der Magistratur, der das fünfte Kapitel gewidmet ist (111-164). Die umstrittene Frage, ob Demetrios zu einem Wahl- statt einem Lossystem bei der Bestimmung der Archonten zurückgekehrt sei, beantwortet Banfi angesichts der nur indizienhaften Beweislage mit einem vielsagenden „möglicherweise“, während O´Sullivan mit guten Gründen einen langen Gegenbeweis antritt.7 Insofern ist auch Banfis nachfolgende Analyse und Beurteilung wichtiger neu eingeführter Funktionen, derjenigen des gynaikonomos oder des nomophylax, durch seine Denkrichtung vorgezeichnet und entspricht geradezu der klassischen Forschungsdeutung. So seien die gynaikonomoi für die Überwachung eines moralischen Reformprogramms im privaten Bereich zuständig gewesen, während die nomophylakes für die Einhaltung der öffentlichen Ordnung im Sinne einer stabilen Verfassung verantwortlich gezeichnet hätten.8

Anders als etwa O´Sullivan behandelt Banfi die Gesetzgebung zur Einschränkung des Luxus nicht in diesem Zusammenhang, sondern zieht diese im folgenden Kapitel mit zur Wirtschaftsgesetzgebung (165-194). Auch hier möchte er eine Orientierung der legislativen Tätigkeit des Demetrios an der aristotelischen Schule, speziell am Begriff der „Mitte“, nachweisen. Andere Erklärungsmodelle, etwa die von außen verordnete Beschränkung des Prestigestrebens einer Oberschicht als Gegenpol zu den makedonischen Beherrschern, kommen bei ihm eigentlich nicht ins Blickfeld. Das abschließende Kapitel (195-217) behandelt dann kleinere Fragen zu Änderungen im Zivil- und Privatrecht, gelangt jedoch etwa bei den datierbaren horoi über die Ergebnisse von W. S. Ferguson nicht hinaus.9

Welch´ unterschiedliche Schlüsse aus der gleichen Quellen- und Forschungslage gezogen werden können, läßt sich insgesamt am Werk Banfis im Vergleich zur Studie O´Sullivans bemerkenswert gut ablesen: Hier eine von der aristotelischen Theorie geleitete Einordnung der Quellen in ein – aus Sicht des Rezensenten so realiter sicherlich nicht vorkommendes – philosophisches Korsett, dort eine differenzierte Quellenanalyse mit Folgerungen, die das Bild des Demetrios in der Forschung deutlich verschieben. Ein neues Kapitel im Kampf um die Deutung dieser schillernden Persönlichkeit scheint aufgetan.

Notes

1. Neben dem angezeigten Werk ist dies die Monographie von Lara O´Sullivan, The Regime of Demetrius of Phalerum in Athens, 317-307 BCE. A Philosopher in Politics, Leiden 2009 (Mnemosyne Suppl.; 318). Siehe hierzu auch die Rezension von J. Dreßler in: H-Soz-u-Kult, 09.08.2010, http://hsozkult.geschichte.hu-berlin.de/rezensionen/2010-3-094.

2. O´Sullivan, 197-240.

3. H.-J. Gehrke, Das Verhältnis von Politik und Philosophie im Wirken des Demetrios von Phaleron, Chiron 8 (1978), 149-193.

4. O´Sullivan, 108-116, v.a. das Ergebnis (116).

5. O´Sullivan, 116-131, v.a. das Ergebnis (130f.).

6. O´Sullivan, 138-159.

7. O´Sullivan, 131-138.

8. Zu einer konträren Deutung der nomophylakes ebenfalls als Sittenwächter vgl. O´Sullivan, 72-86.

9. W. S. Ferguson, The Laws of Demetrius of Phalerum and their Guardians, Klio 11 (1911), 265-276.