Bei der hier anzuzeigenden Untersuchung handelt es sich um die überarbeitete Dissertation von Alfred Michael Hirt, mit welcher der Verfasser 2004 an der Oxford University promoviert wurde. Hauptziel der Studie ist die Sammlung der zahlreichen archäologischen, literarischen wie auch epigraphischen Detailinformationen “to gain an overview of various aspects of the internal organization of mining and quarrying ventures under imperial control and their place within the administrative framework of the Roman empire” (vii). Im Einzelnen möchte Hirt die Bedingungen und Schwierigkeiten des römischen Bergbau-/Steinbruchwesens darlegen, die verantwortlichen Schlüsselfiguren für die Organisation des Abbaus und die Aufgaben bzw. Kompetenzen derselben identifizieren und bewerten sowie zuletzt die Position dieses Verwaltungspersonal innerhalb der weiteren Reichsverwaltung festlegen.
Es geht Hirt also nicht um die Untersuchung der tatsächlichen römischen Abbaumethoden, sondern – wie der Untertitel der Monographie es treffend ausdrückt – um die “Organizational Aspects” hinter der eigentlichen ‘Arbeit’ in den Minen und Brüchen. Dabei grenzt Hirt das zur Verfügung stehende Material in dreierlei Hinsicht ein. Berücksichtigt werden neben der Metallgewinnung in den Minen ausschliesslich die Marmorsteinbrüche, nicht der weitere römische Abbau von anderem Steinmaterial als Marmor.1 Diese Gruppe wird nochmals verkleinert durch die Konzentration auf “imperial mines and quarries”, worunter Hirt diejenigen Abbaugebiete versteht, “where the presence of imperial officials i.e. members of the familia Caesaris or equestrians, and/or Roman army personnel, are documented in the epigraphic record of the mine/quarry” (1). Als drittes wird der im Buchtitel vermerkte zeitliche Rahmen festgesetzt mit Verweis auf das Gros der epigraphischen Quellen zwischen dem 1. und 3. nachchristlichen Jahrhundert.
Nach einer “Introduction” (1-9), welche neben der Formulierung der Ziele auch einen nützlichen Forschungsüberblick liefert, gliedert sich die eigentliche Untersuchung in insgesamt sieben Haupt- und zahlreiche Unterkapitel. Seiner einleitenden Fragestellung gemäss untersucht Hirt zuerst (10-47) die sich beim Stein- und Metallabbau ergebenden technischen, geologischen, topographischen und geographischen Schwierigkeiten und die organisatorischen Herausforderungen, die sich hieraus für die Römer ergaben. Hieran schliesst sich eine Aufstellung der verschiedenen Steinbruch- und Minengebiete und die Feststellung ihres Status auf Grundlage der erhaltenen Quellen an (48-106). Beide Abschnitte enthalten hilfreiche Karten von sehr guter Qualität. Die nächsten beiden Kapitel widmen sich dem Verwaltungspersonal und der Hierarchie innerhalb desselben (107-167) sowie der Rolle des römischen Militärs beim Abbau von Metallen und Marmor (168-201), wonach im darauffolgenden Abschnitt (202-260) die Identifizierung der administrativen und organisatorischen Aufgaben der kaiserlichen Beamten und des zugehörigen Personals erfolgt. Ein weiterer Abschnitt betrachtet die in den “imperial mines and quarries” tätigen Privatpersonen (261-331), woran sich zuletzt die Untersuchung des Verhältnisses zwischen Minen- bzw. Steinbruchverwaltung und der kaiserlichen Zentralverwaltung in Rom anschliesst (332-356). Angehängt an den Hauptteil ist eine Zusammenfassung der wichtigsten Erkenntnisse (357-369), ein Appendix (370-445), der insgesamt 1283 Nummern mit Inschriften bzw. Baumarken auf Marmor versammelt, welche je nach Steinbruch zum Teil unterschiedliche Informationen preisgeben, ein umfangreiches Literaturverzeichnis (446-483), ein sehr hilfreicher Quellenindex (484-519) sowie ein allgemeiner Index (520-551), welcher neben Sachen, Orten und antiken Namen auch die intensiver behandelten modernen Autoren umfasst.
Was die Kernfragen zur Verwaltung der Minen und Steinbrüche angeht, so stellt Hirt schon zu Beginn der Untersuchung fest, dass sich diese seit O. Hirschfelds einflussreicher Arbeit über “Die kaiserlichen Verwaltungsbeamten bis auf Diocletian” (2. Aufl. 1905) nicht geändert haben. Dennoch werden sie nach wie vor unterschiedlich beantwortet, und hieran wird auch Hirts Monographie in den meisten Fällen wenig ändern. Das liegt nicht nur darin begründet, dass es wie so oft an Quellen fehlt, sondern auch darin, dass die verschiedenen vorhandenen Informationen kein kohärentes Bild für das gesamte Reich ergeben.
So ist das Verhältnis von Prokuratoren des Ritter- zu denjenigen des Freigelassenenstandes nach wie vor problematisch. Aus der Notiz bei Strabo (3,4,20) geht hervor, dass ritterliche Prokuratoren für die Bezahlung der Truppen in den Provinzen des Kaisers zuständig waren. Hieraus folgert Hirt, dass man vermuten könne, dass diese Prokuratoren auch die Versorgung der Truppen mit Eisen und Blei zu verantworten hatten. Verschiedene weitere Informationen scheinen anzudeuten, dass im 1. nachchristlichen Jahrhundert generell Beamte des Ritterstandes für die Minenerträge zuständig gewesen sind, allerdings ist die Quellenlage als sehr dürftig zu bezeichnen. An der Wende vom 1. zum 2. Jahrhundert scheint die Ausbeutung dann von kaiserlichen Freigelassenen (Prokuratoren) beaufsichtigt worden zu sein, vielleicht weil der Kaiser die Kontrolle über die Minen stärker an sich ziehen wollte. Doch auch hier schränkt Hirt selbst zu Recht ein, dass die Quellenlage zu schlecht ist, um in dieser Hinsicht definitive Aussagen treffen zu können. So will er nicht ausschliessen, dass Prokuratoren aus der Gruppe der kaiserlichen Freigelassenen schon im frühen Prinzipat Minengebiete verwalteten. Ferner ist im Verlaufe des 2. Jahrhunderts zu beobachten, dass diese Prokuratoren wiederum ritterlichen unterstellt wurden (Kap. 4.1.7). So gab es in Ampelum ritterliche procuratores aurariarum und freigelassene subprocuratores aurariarum. Unter Umständen findet die Umstrukturierung ihre Erklärung in einer Ausweitung der Zuständigkeit auf Minengebiete mehrerer Provinzen (Kap. 4.1.12). Jedenfalls sind neben den procuratores aurariarum auch procuratores ferrariarum belegt, für die Hirt gleichfalls provinzübergreifende Befugnisse vermutet. Der Sinn dieser Bündelung ist nicht ganz klar.
Am Ende seiner Zusammenfassung (367) äussert Hirt die Ansicht, dass “the creation of equestrian procuratorships for mines in one and more provinces during the second century was likely intended to keep the contractors of mines or the conductores of vectigal on a short leash”, was aber nicht unbedingt einleuchtet. In Ägypten scheinen an der Wende vom 1. zum 2. Jahrhundert freigelassene lediglich einen Arbeitsbereich der ritterlichen Prokuratoren in den Steinbrüchen übernommen zu haben. In anderen Brüchen bei Karystos, Dokimeion oder Krokeai sind dagegen gar keine Prokuratoren nachgewiesen, sondern an epigraphisch belegten Beamten vor Ort nur dispensatores bekannt (Kap. 4.1.5; 6.2). Hirt vermutet, dass die Kontrolle dennoch Prokuratoren unterlag.
Hierzu ist anzumerken, dass beispielsweise im nördlichen Obergermanien ebenfalls die Nachweise für Prokuratoren fehlen. Hier scheint aber der Statthalter für den Abbau verantwortlich gewesen zu sein. Anders kann man sich die beiden Weihinschriften der pedites singulares des Statthalters wohl nicht erklären.2 Dieser wird die Arbeit vor Ort beaufsichtigt und folglich auch verantwortet haben.
Die Aufgaben der Prokuratoren sind nach Hirt vor allem logistische gewesen, insbesondere die Rekrutierung und Versorgung von Arbeitskräften und -tieren. Mit dem Abbau selbst scheinen sie weniger beschäftigt gewesen zu sein (jedenfalls in Ägypten/Mons Claudianus). Hierbei seien wohl zivile und/oder militärische Spezialisten zum Einsatz gekommen (225f.). In Vipasca hätten die Prokuratoren zum einen bestimmte Versorgungsaufträge ausgeschrieben und zum anderen die Abbautätigkeit überwacht. Dabei seien die Prokuratoren anscheinend für die Parzellierung des Abbaugebietes und den Verkauf der Parzellen verantwortlich gewesen. Ferner sei der Abbau dort durch die Prokuratoren reguliert, die Befolgung der Regulierung überwacht und ein Zuwiderhandeln bestraft worden. Insgesamt seien bei den Aufgabenbereichen der Prokuratoren in den verschiedenen Provinzen somit gewichtige Unterschiede zu beobachten, welche Hirt plausibel mit unterschiedlichen Gegebenheiten, beispielsweise der Arbeit über bzw. unter Tage erklärt (46f., 226, 245, 363). Die verschiedenen Organisationsformen des Abbaus im römischen Reich gehen nach Hirt auf eine “relative ‘autonomy’ of imperial mining and quarrying operations” zurück (365; vgl. 353), welche wiederum den verschiedenen Gegebenheiten vor Ort geschuldet gewesen sei. Dementsprechend mögen einige Gebiete für Pächter attraktiver gewesen sein als andere, welche dann unter Umständen mit Zwangsarbeitern betrieben wurden. Derartige Entscheidungen sind nach Hirt eher vor Ort getroffen worden als im entfernten Rom. Bedenkt man aber, mit welchen Nichtigkeiten Plinius sich an Traian gewandt hat, muss man wohl auch hier sehr viel mehr briefliche Anfragen in Rechnung stellen, zumal eine Ausbeutung von Minen durch Zwangsarbeiter auch automatisch deren Bewachung erforderlich machte.3
Dies heisst nicht, dass es eine einheitliche Planung durch ein “imperial bureau” gegeben haben muss (hierzu 342-356), sondern vielleicht viele ad hoc-Entscheidungen, die je nach Lage anders getroffen wurden. Ferner erwägt Hirt, dass auch der Wert des abgebauten Materials unterschiedliche Abbaumethoden zur Folge hatte: “Perhaps the mining of more precious metal ores was left to large-scale companies; mining plots of less precious or more abundant metals were sold to private entrepreneurs, as the Vipasca tablets seem to indicate” (367). Dieselben Tafeln zeigen, dass Rom nicht, wie es die meisten Quellen nahelegen, durchgängig im gesamten Reich daran interessiert war, den eigenen Aufwand durch Verpachtung möglichst gering zu halten, sondern zumindest in Vipasca mittels seiner Prokuratoren nahezu alle Aspekte des Bergbaus kontrollierte, sogar wenn die entsprechenden Parzellen verkauft und somit nicht mehr in öffentlichem Besitz waren (290). Hirt vermutet schlüssig, dass diese Kontrolle darin begründet lag, den Markt mit den notwendigen Metallen stetig zu versorgen. Unter Umständen lag der Grund auch darin, dass der Staat trotz des Verkaufs durch die Versteuerung der Erträge nochmals profitierte.
Eine der wichtigsten abschließenden Erkenntnisse Hirts ist, dass es wohl nie eine einheitliche Verwaltung des Bergbaus und der Steinbrüche gegeben habe. Allerdings kann ich Hirt nicht zustimmen, wenn er deshalb sogleich eine Steuerung von Rom aus ablehnt. Nur weil für uns kein einheitliches System erkennbar ist, muss dies nicht heissen, dass die vielen verschiedenen Entscheidungen nicht in Rom getroffen worden sind (nach Rücksprache mit den Beamten in den Provinzen). Dem Fehlen eines einheitlichen Systems und den Vipasca-Tafeln zum Trotz ist Hirt schlussendlich dann aber doch der Ansicht, dass zumindest ein Grundprinzip vorherrschend war, nämlich “to keep imperial involvement to a minimum without renouncing control” (368).
In einer derart umfassenden Studie muss selbstverständlich vieles Vermutung bleiben, und es spricht für Hirt, dass er durchgängig deutlich macht, wo er sich auf unsicherem Grund bewegt. Neben der umfassenden Aufarbeitung der grossen Fragen, welche der schlechten Quellenlage wegen nur in Teilen eine definitive Antwort finden konnten, liegt der besondere Wert der Monographie in den vielen beeindruckenden Detailergebnissen, die Hirt aus dem gewaltigen Material herausarbeitet, auf die hier im Einzelnen allerdings nicht eingegangen werden kann. Hingewiesen sei nur auf den wertvollen Exkurs zum Steinabbau durch das römische Heer (175-179), in dem der Blick über die Marmorbrüche hinaus unter anderem nach Obergermanien ins Brohltal gerichtet wird, wo das Militär Tuffstein abbaute.4 Gerade die sorgfältig recherchierten Details, die aufgrund der umfassenden Indices gut nachschlagbar sind, werden der Studie dauerhafte Bedeutung sichern.
Notes
1. Siehe für die römische Tuffgewinnung in der nördlichen Germania Superior meine soeben erschienene Untersuchung “Die Inschriften aus den Steinbrüchen des Brohltals und der Pellenz”. In: K. Matijevic, Römische und frühchristliche Zeugnisse im Norden Obergermaniens: Epigraphische Studien zu unterer Mosel und östlicher Eifel, Pharos 27, Rahden/Westf. 2010, 17-234 und hierbei insbesondere die Auswertung 192-207 zu den dort tätigen Soldaten.
2. Siehe hierzu Matijevic (Anm. 1) 89-91 Nr. 22 und 138-141 Nr. 40. Theoretisch könnte es sich auch um die Leibwache des Legionslegaten gehandelt haben, doch ist dies weniger wahrscheinlich.
3. So denkt auch Hirt, dass die kaiserliche Zustimmung zumindest eingeholt werden musste, wenn Spezialisten des Militärs benötigt wurden oder wenn neue Abbaumethoden weitere finanzielle Investitionen erforderlich machten.
4. Hier ist Hirts Vermutung, dass die classis Germanica nicht nur für den Transport der Steine auf dem Rhein zuständig, sondern auch selbst am Abbau derselben beteiligt war, zuzustimmen. Inzwischen konnte der Fundort der meisten Weihesteine von Angehörigen der Flotte korrigiert werden. Ging man bisher davon aus, dass die Denkmäler aus der direkten Umgebung von Andernach bzw. Andernach selbst stammten, so ist jetzt sicher, dass auch diese Steine grösstenteils im Brohltal selbst aufgestellt gewesen waren; siehe den in Anm. 1 zitierten Beitrag.