Das Buch von Elizabeth Carney (E.C.) will nach eigenen Aussagen die Rolle der griechischen Religion im Leben der Olympias, die literarischen und künstlerischen Traditionen über diese Königin und die variierenden Darstellungen der Mutter Alexanders des Grossen in den antiken Quellen erörtern.
Aber es leistet wesentlich mehr: Die Autorin, die ausgewiesene Kennerin nicht nur der makedonischen Geschichte selbst, sondern auch der Rolle der Frauen vor allem der makedonischen Königshäuser ist, entwirft in diesem Buch ein differenziertes Bild der Königin auf der Basis und in Auseinandersetzung mit den antiken Quellen sowie der modernen Rezeption. Die Nachrichten über Olympias sind — selbst im Vergleich zu manch anderem, historisch bedeutsamem Mann in der antiken Geschichte — sehr umfangreich, wenn die Bewertungen über sie auch einseitig zugespitzt sind. Danach handelte es sich um eine ambitionierte, macht- (gar blut-)hungrige Person, deren Rolle sehr oft als — für Frauen — unziemlich charakterisiert wird. Dabei sei nach E.C. besonders Plutarch in seinen Parallelbiographien zu inkriminieren (S. 132-135), die im Unterschied zu den “Moralia” (dabei hätte allerdings betont werden müssen, dass hier sehr disparates, in der Autorschaft nicht immer geklärtes Material versammelt ist) ein durchweg düsteres Bild der Königin zeichnen.
Die Gliederung des Buches ergibt sich aus den Stationen und Lebensabschnitten der “Heldin”. Zuerst erörtert die Autorin die wenigen Zeugnisse für die Zeit vor der Heirat (S. 5-18), tut aber noch mehr: es werden die Ausgangspositionen des molossischen Königtums und vor allem die Motive Philipps für die Heirat geklärt.
Für die Zeit, in der Alexander lebte, war die Rezeption der Königin Olympias in den Quellen ganz und gar durch das Wirken ihres Sohnes bestimmt. Das macht E.C. immer wieder in den Kapiteln über Olympias’ Leben bis zum Tode Philipps (S. 19-41) und bis zum Tode Alexanders (S. 42-59) ebenso deutlich, wie bei der Quellenanalyse (S. 125-137). Hier jedoch gilt es zu bemerken, dass unter der Bezeichnung “Vulgata” (S. 125-131: es handelt sich um Diodor, Justin, Curtius Rufus), deren Uneinheitlichkeit in der Bewertung der Olympias die Autorin kritisch feststellt, in der Forschung keineswegs notwendig Traditionsgut subsumiert wird, in dem die Handelnden einheitlich bewertet werden müssen. Vielmehr erfasst diese Tradition die Alexanderliteratur von Kleitarch an bis in die mittlere Kaiserzeit, die mehrere Rezeptionsphasen, bes. die römische in der Zeit der Mithridatischen Kriege, durchlaufen hat. Sie ist natürlich insbesondere auf die Bewertung Alexanders, aber auch der Personen seiner nächsten Umgebung wie Olympias, bezogen und kann daher (traditionsspezifisch) unterschiedlich ausfallen.
Der Vergleich der Bewertungen bei Justin, dessen Inkonsistenz E.C. ohnehin zurecht bemängelt, und bei Diodor, der Kleitarch unmittelbar auswertet, bevor er mit dem Todesjahr 323 sofort auf die Darstellung des Hieronymos wechselt, sowie bei Curtius Rufus ist nur für die Phase bis Alexanders Tod statthaft, da — auch da geht E.C. richtig vor — das Bild der Olympias vor 323 und danach in der antiken Rezeption sich stark unterscheidet. Hier (d.h. für die Zeit vor 323) ist die Bewertung der Olympias (gerade in der Vulgata) bemerkenswert homogen, wie immer man inhaltlich zu dieser Bewertung auch stehen mag.
Nach dem Tode Alexanders agierte Olympias konsequent, indem sie für den Sohn Alexanders gegen die Konkurrenz aus dem Argeadenhaus (Arrhidaios/Philipp III.) und gegen die egoistischen Ambitionen der Generäle die Königswürde sichern wollte. Den Kampf gerade gegen die Antipatriden (Antipatros und Kassandros), die schon zur Zeit Alexanders (vornehmlich nach Arrian) einsetzte, verlor sie schliesslich im Jahre 316, wie E.C. auf den Seiten 60-87 beschreibt. Es ist ein Glücksfall, dass die Quellengrundlage hier Hieronymos von Kardia darstellt, der als Anhänger des Eumenes und danach der Antigoniden ein differenziertes, überwiegend adäquat-neutrales Bild über das Wirken dieser ehrgeizigen, wenn auch immer im Sinne ihres Sohnes oder Enkels handelnden Persönlichkeit entwirft, soweit es Diodor überliefert.
Diachronisch ist das Kapitel über das Verhältnis der Königin zur Religion angelegt. Dadurch wird diesem Thema ein besonderes Gewicht verliehen, zumal auf diesem Gebiet ein prägender Einfluss der Olympias auf ihren Sohn — ganz besonders hinsichtlich der göttlichen Abkunft (S. 102) — angenommen wird (S. 88-103). Zuletzt wird das Nachleben (auch hinsichtlich der bildlichen Verarbeitung, S. 114-124) der Olympias erörtert (S. 104-124), das auch hier wieder sehr eng mit der Erinnerung an ihren Sohn verbunden war (S. 108f.). Das Buch enthält weiter einen guten Anmerkungsteil, ein kurzes Glossar (1 Seite), eine ausführliche Bibliographie und einen Index (S. 138-221).
Insgesamt ist diese Biographie der Olympias in der Tendenz apologetisch, wenn auch differenzierend. Es ist spannend, wie prägend Frauen in der Antike wirken konnten und was für Schwierigkeiten daraus für die Zeitgenossen und die Nachwelt entstanden, sie angemessen einzuordnen. E.C. hat hier viel dazu geleistet.