Mit id quod actum est und ähnlichen Formulierungen bezeichneten römische Juristen den Willen der am Abschluss eines Rechtsgeschäftes beteiligten Parteien. Das id quod actum est wurde von den Juristen problematisiert, wenn der wahre Wille der Beteiligen aus dem Wortlaut ihrer Erklärungen nicht zu erkennen war, weil Formulierungen undeutlich oder in mehrdeutiger Art und Weise abgefasst waren. Das mit id quod actum est angesprochene Problem war die Ermittlung des Parteienwillens in solchen Fällen.
Während die bisherige Forschung Stellungnahmen zu id quod actum est oft im Sinne materiellrechtlicher Auslegungsmaximen auffasste, knüpft Ulrike Babusiaux in ihrer Studie an einen Ansatz von Pringsheim an und untersucht die einschlägigen Texte aus prozessualer Perspektive. Ihrer Ansicht nach gehörten die Diskussionen über das id quod actum est zumeist in den Zusammenhang des vorprozessualen Editionsverfahrens, bei dem der Verfahrensabschnitt apud iudicem, insbesondere was die Beweismittel betraf, vorbereitet wurde. Ursprüngliche Adressaten der juristischen Gutachten zum id quod actum est waren daher einzelne Prozessparteien und nicht, wie bisher angenommen, römische iudices privati, welche juristische Unterstützung bei der Ermittlung des Parteiwillens erwarteten. Aufgrund der Ergebnisse des Editionsverfahren wandten sich Parteien an Juristen, um “Prognoseentscheidungen” über die Erfolgsaussichten bei Verwendung einer bestimmten Prozessformel zu erhalten, wofür natürlich die konkrete Beweissituation eine entscheidende Rolle spielte (S. 8).
Diskussionen zum id quod actum est finden sich in zahlreichen Zusammenhängen. Der Rekurs auf id quod actum est erlaubte die Konkretisierung eines unklaren Streitgegenstandes aus den vorprozessualen Diskussionen (Kap. 1 und 2). Von besonderer Bedeutung war dies, wenn die Formel selbst, etwa im Fall einer strengrechtlichen condictio certi, dem iudex keine Anhaltspunkte bot (S. 19); aber auch bei der actio empti findet sich der Topos.
Zahlreiche Texte dokumentieren die Heranziehung des id quod actum est bei der Interpretation von Stipulationen (Kap. 3). Gegen einige dieser Texte wirkt noch immer der interpolationenkritische Generalverdacht gegen die Berücksichtigung der voluntas im klassischen Recht nach. Babusiaux’s Untersuchung macht allerdings deutlich, dass viele Interpolationsannahmen in diesem Bereich unbegründet sind. Da die abstrakte Fassung einer Stipulation im Prozess keine unmittelbare Anknüpfung an den bei Vertragsabschluss zu Tage getretenen Parteiwillen erlaubte, musste dieser bereits im Editionsverfahren erforscht werden. Somit wurde bei undeutlichen oder mehrdeutigen Stipulationen der Parteiwille zum primären Beweisthema. Deshalb traf den Kläger die Pflicht zu totam stipulationem edere. Daraus folgte, dass auch Beweismittel für in der Formel nicht berücksichtigte Umstände zu edieren waren, etwa zu den Tatsachen, die zur Beurteilung einer pluris petitio nötig wurden oder für andere Nebenumstände (Bedingungen, Befristungen etc.) relevant waren. Im Prozess diente die “Stipulation … insoweit zur Auslegung der Klageformel” (S. 59). In gleicher Weise, argumentiert die Verfasserin, war auch die auf ein mutuum gestützte condictio, was Nebenbestimmungen anbetraf, auslegbar. In Abwendung von Kaser begründet sie die schon in der Klassik zugelassene Einbeziehung bestimmter Nebenabreden in die Darlehensklage nicht aus der Häufigkeit von Stipulationsdarlehen, sondern aus “der gemeinsamen Klageformel von Stipulation und mutuum” (S. 66). Bei der actio incerti ex stipulatu konnte das für die Verpflichtung massgebende Geschehen in eine praescriptio gefasst werden, wenn die Parteien in iure über den Wortlaut der Vereinbarung einig waren; die Auslegung oblag dann dem iudex. Häufiger findet sich jedoch der Fall, dass ein von der Klageformel nicht erfasster Parteiwille erstmalig im Beweisverfahren thematisiert wurde. Ganz allgemein ging die Rolle des Parteiwillens bei der Stipulation über die Einschaltung einer exceptio in die Formel hinaus; oft erlaubte erst die Berücksichtigung des id quod actum est unwirksame, unklare oder unvollständige Formulare einzuklagen (S. 88). Auch auf die Maxime ambiguitas contra stipulatorem est wirft diese beweisrechtliche Interpretation ein neues Licht: Es stand dem Kläger in iure frei, unter den aufgrund der Stipulation in Frage kommenden Klagen diejenige zu wählen, die seiner Meinung nach seinem Anspruch entsprach. Apud iudicem obsiegte er mit dieser Klage aufgrund der Mehrdeutigkeit der Stipulation nur, wenn er andere Beweise vorlegen konnte, aus welchen der Parteiwille klar hervortrat (S. 92). Scheiterte er dabei, ging die Mehrdeutigkeit zu seinen Lasten, ein Ergebnis, das parömiehaft in der Maxime ambiguitas contra stipulatorem est zum Ausdruck kam.
Aber auch für die Verteidigung des Beklagten bei einer strengrechtlichen Klage war der Rückgriff auf den Parteiwillen gelegentlich relevant (Kap. 3). Der Beklagte hatte die Beweise für die von ihm geltend gemachten Erlöschensgründe vorprozessual zu edieren. Für ihn begünstigende Umstände war der Beklagte editions- und beweispflichtig so wie der Kläger für die ihn begünstigenden Tatsachen. Auf Beklagtenseite diente die Heranziehung des id quod actum est zur Feststellung eines eventuellen animus novandi oder zur Begründung von verschiedenen Exzeptionen ( pacti, doli, SC Velleiani). Aus dem Parteienwillen, der bei Exzeptionserteilung in iure zu prüfen war, wurde die Wirkungsweise einer exceptio, ob sie nur dem Vertragspartner oder auch Dritten zugute kommen sollte ( exceptio in personam oder exceptio in rem), bestimmt. Die von den Juristen für unklare Sachverhaltslagen entwickelten Grundsätze banden nach klassischem Recht den iudex nicht. Sie waren blosse Konjekturalschlüsse, denen die Autorität des Juristen Gewicht gab (S. 137); erst das byzantinische Recht verstand die einschlägigen Äusserungen als Vermutungen ( praesumptiones). Schliesslich weist Babusiaux anhand von D 2.14.27.5 anschaulich nach, dass der Kläger aufgrund der vom Beklagten in iure offen gelegten Verteidigungsmittel auch seine Klage ändern konnte (S. 148 ff.).
Bei den bonae fidei iudicia, hauptsächlich dargestellt anhand des Kaufes, fehlten strenge Editionsvorschriften. Daraus resultierte eine weitgehende Freiheit der Parteien im vorprozessualen Stadium; der Prozessgegenstand ergab sich bei bonae fidei iudicia weitgehend aus den Parteienverhandlungen. Das id quod actum est fand bei diesen Klagen in verschiedenen Problembereichen Berücksichtigung: Es konnte zur Feststellung eines wirksamen Vertragsschlusses, des Vertragstypus, der Bedeutung von Nebenabreden oder der Leistungspflichten der Parteien herangezogen werden. Fehlten Parteienabsprachen, so leiteten die Juristen die Leistungspflichten aus dem Vertragsobjekt ab und legten der Partei, welche eine davon abweichende Gestaltung behauptete, die Beweislast auf. Unklarheiten über den Parteiwillen hinsichtlich des Vertragstypus wurden gelegentlich mittels actiones praescriptis verbis überbrückt, wodurch die Prüfung der in iure unklar gebliebenen Punkte in das Verfahren apud iudicem verschoben wurde.
Babusiaux’ Arbeit überzeugt durch Klarheit, sowohl im durchdachten Aufbau der Darstellung als auch in den Details ihrer sorgfältig durchgeführten Exegesen. Die Einleitung legt das Problem, den Meinungsstand und die gewählte Methode dar. Die zahlreichen Quellen werden nach Sachbereichen gruppiert abgehandelt; am Ende jedes Kapitels steht eine thesenartige Zusammenfassung der Ergebnisse. Das Schlusskapitel bietet die konzentrierte Synthese der erzielten Ergebnisse und analysiert die Verwendung der Denkfigur des id quod actum est unter methodischen Gesichtspunkten: Man findet die unterschiedlichen Argumentationsstrategien, für die das id quod actum est je nach Prozessstadium herangezogen wurde, und kann die unterschiedlichen Argumentationsweisen einzelner Juristen von der späten Republik bis zur Spätklassik Revue passieren lassen. Auch zu den möglichen Gründen, die die Veränderungen im juristischen Diskurs bewirkt haben mögen, stellt die Verfasserin Überlegungen an: Sie weist auf die Urkundenpraxis, komplexer werdende Lebensverhältnisse, gelegentliche provinzialrechtliche Einflüsse oder die im Laufe der Zeit gestiegene Gestaltungsfreiheit als in Frage kommende Faktoren hin.
Die Untersuchung fusst in methodischer Hinsicht auf Alfons Bürges wegweisender Studie zur Editionspflicht und deren Auswirkungen auf die Prozessvorbereitung.1 Babusiaux versteht es, das von Bürge entwickelte Modell in ihren Exegesen produktiv einzusetzen und so in exemplarischer Weise die Wechselwirkung zwischen dem jeweiligen Prozessstadium, der Beweissituation oder anderen praktischen Gesichtspunkten und den Juristenentscheidungen, in denen das id quod actum est vorkommt, aufzuzeigen. So rekonstruiert sie den produktiven Einfluss der Praxis auf die Entwicklung der römischen Rechtswissenschaft, indem das juristische Problembewusstsein an Fragestellungen anknüpfte, die ihren Ursprung in konkreten Prozesssituationen hatten. Entscheidungen, die auf das id quod actum est rekurrierten, waren vorprozessual getroffene “Prognosen” anhand einer konkreten Beweissituation und in Reaktion auf individuelle Parteiwünsche. Diese prozessfokussierte Betrachtungsweise lässt nicht nur das römische Recht der Klassik in einem anderen Licht erscheinen, sondern auch die überlieferte Gestalt der Quellen: Texte, die sogar nach dem Ende der “Interpolationenjagd” immer noch als interpolationsverdächtig galten, erweisen sich bei dieser Lesart als genuin; die Interpolationsverdächtigungen entsprangen der Tatsache, das die den Texten inhärente prozessuale Sichtweise von den Interpreten nicht erkannt wurde.
Notes
1. A. Bürge, Zum Edikt De edendo. Ein Beitrag zur Struktur des roemischen Zivilprozesses, Zeitschrift der Savigny-Stiftung für Rechtsgeschichte. Romanistische Abteilung 112 (1995) 1-50.