” Staat soll ein politischer Anstaltsbetrieb heißen, wenn und insoweit sein Verwaltungsstab erfolgreich das Monopol legitimen physischen Zwanges für die Durchführung der Ordnungen in Anspruch nimmt.”1 Das Diktum des Soziologen Max Weber vom Gewaltmonopol des Staates gilt heute allgemein als Aufbauprinzip aller modernen Staaten und Basis für das Funktionieren jedes rechtlich geordneten Gemeinwesens. Und doch sprießen täglich private Sicherheitsunternehmen wie Pilze aus dem Boden, leisten sich vermögende Privatleute den exklusiven Schutz ihrer Person und ihrer Güter — teilweise in Zusammenarbeit mit der staatlichen Exekutivadministration, teilweise aber auch gegen sie. Befinden sich das staatliche Gewaltmonopol und damit der moderne Staat im Sinne Max Webers daher in einer Krise? Ist also die Scheidung der Begriffe “staatlich” und “privat” in der post-modernen Gesellschaft noch aufrecht zu erhalten?2
Der Althistoriker Homoth-Kuhs wirft mit seiner Studie zu Phylakes und Phylakon-Steuer im griechisch-römischen Ägypten einen für dieses Thema erhellenden Blick auf die Organisation des Sicherheitswesens im vor-modernen “Staat” Ägypten, unter ptolemäischer wie römischer Herrschaft. Homoth-Kuhs, nun im Landesamt für Verfassungsschutz in Baden-Württemberg tätig, untersucht hierbei die unterste Ebene des Sicherheitswesens, die sich insbesondere in der Personengruppe der Phylakes,
Nach einer kurzen Einleitung, in der die “Themenstellung, Gliederung und Vorgehensweise” (1-4) sowie der “Stand der Forschung” (4-6) entwickelt werden, wendet sich Homoth-Kuhs zunächst den “Phylakes in ptolemäischer Zeit” (7-29) zu. Wie in den anderen Großkapiteln der Arbeit auch werden zu Beginn die insgesamt 22 Belege für Phylakes in ptolemäischer Zeit systematisch präsentiert, wobei Homoth-Kuhs nicht nur tabellarisch Auskunft über den Text, die Datierung und Herkunft sowie den Dokumententyp gibt. Über eine Aufschlüsselung der zeitlichen und geographischen Verteilung ordnet er ebenso die Dokumente in das Gesamtbild der Textüberlieferung aus dem griechisch-römischen Ägypten ein. Wenn sich auch durch die Konzentration der Belege auf das 3. und 2. Jahrhundert v.Chr. in zeitlicher und auf den Arsinoites sowie Mittelägypten in geographischer Hinsicht “bei der Auswertung Zurückhaltung bezüglich der Aussagen über ganz Ägypten in der ptolemäischen Zeit” (9) empfiehlt, so gelangt man doch zu der Einsicht, daß die Phylakes in ptolemäischer Zeit den Charakter von privatem Sicherheitspersonal aufwiesen. Der Phylax,
Mit der Übernahme Ägyptens in augusteische Herrschaft veränderte sich das unter den Ptolemäern etablierte System von staatlichen Phylakiten und privaten Phylakes innerhalb der nächsten 100 Jahre völlig (30-36): Während die Quellenbelege für die Phylakiten im Jahre 3 n.Chr. enden, erscheinen die Phylakes ab dem Jahre 91 n.Chr. erstmals als staatliche Polizeikräfte in den Quellen. Über die Quittungen für die Phylakon-Steuer ab dem Jahre 57/58 n.Chr. läßt sich sogar relativ sicher der terminus ante für die Eingliederung der Phylakes in das staatliche Sicherheitssystem auf die erste Hälfte des 1. Jahrhunderts n.Chr. eingrenzen. Die insgesamt 107 Belege für die Phylakes in römischer Zeit mit Schwerpunkt im 2. Jahrhundert n.Chr. und die 148 Belege für die Phylakon-Steuer untersucht Homoth-Kuhs im folgenden systematisch nach vier Gruppen: Metropolenphylakes, Dorfphylakes, Phylakon-Steuer und private Phylakes.
Insgesamt erwähnen 38 Zeugnisse amtliche Phylakes in den Metropolen Ägyptens, die sogenannten Metropolenphylakes (40-87). Sie stammen fast ausschließlich aus Mittelägypten und zwar aus den Gauen Oxyrhynchites, Arsinoites, Apollonopolites Heptakomias, Hermopolites und Herakleopolites. Die inhaltlich sehr unterschiedlichen Dokumente bezeichnen die Amtsträger als
Die 42 Dokumente für die Dorfphylakes /
Gemeinsam war Metropolen- wie Dorfphylakes, daß sie im Unterschied zu den ptolemäischen Phylakiten ihr Amt nicht dauerhaft ausübten, sondern auf Zeit verpflichtete liturgische Beamte waren, die, meist für die Dauer eines Jahres, den Sicherheitsdienst leisteten und dann wieder zu Privatpersonen wurden (60-71; 123-135). Als hierarchisch niedrig eingestuftes Amt wurden für die Liturgie der Phylakie vor allem die unteren ägyptischen Bevölkerungsschichten herangezogen. Über ein komplexes Ernennungsverfahren, das sich bei Metropole und Dorf unterschiedlich gestaltete, wurden die geeigneten Personen benannt, konnten sich aber über Widerspruchsverfahren, manchmal auch durch Flucht / Anachoresis dem Dienst entziehen. Dies dürfte aufgrund der niedrigen Löhne, v.a. für die Dorfphylakes, nicht selten der Fall gewesen sein, zumal für diese vom 3. Jahrhundert n.Chr. an keine Lohnzahlungen mehr belegt sind.
Zusätzlich zur Liturgie wurde die Bevölkerung dann auch noch mit der sog. Phylakon-Steuer belegt (149-192). Die ersten Steuerquittungen tauchen vom Jahr 57/58 n.Chr. an in Oberägypten auf. Sie wird u.a. in Theben, Hermonthis und Pakerkeesis als
Die staatliche Bestellung von liturgisch tätigen Phylakes hatte jedoch nicht zur Folge, daß das private Sicherheitsbedürfnis, besonders der reichen Bevölkerungsschichten, zurückging. Dies zeigt Homoth-Kuhs abschließend an den 31 Belegen für “Private Phylakes” (192-211). Sie verrichteten ähnliche Aufgaben wie die privaten Phylakes in ptolemäischer Zeit, nun vor allem bei Großgrundbesitzern und mit Schwerpunkt auf der Bewachung von landwirtschaftlichen Gütern. Die Verwunderung Homoth-Kuhs, daß “der Staat auf ein ursprünglich privates Sicherheitsgewerbe zurückgegriffen und einen staatlichen Sicherheitsdienst geschaffen hat”, gleichwohl aber “die private Form weiterbestehen” ließ (216), zeigt eindrucksvoll, wie schwer wir uns auch heute noch von der Vorstellung lösen können, daß die römische Verwaltung überreguliert und unflexibel gewesen sei.
Diese Flexibilität gerade im hochsensiblen Bereich des Sicherheitswesens anhand der überzeugenden Interpretation der Quellen herausgearbeitet und damit die Phylakes in ihren Aufgaben- und Funktionsbereich sowie ihrer Interdependenz und Interaktion mit der Bevölkerung wie Verwaltung analysiert zu haben, macht die Studie von Homoth-Kuhs zu einem Standardwerk für die kommenden Jahre.
Notes
1. M. Weber, Wirtschaft und Gesellschaft, 1922, cap. 1, sect. 17.
2. Zur Schwierigkeit der Begriffe “öffentlich / staatlich” und “privat” im vor-modernen Rom der Kaiserzeit siehe: A. Winterling, “Öffentlich” und “privat” im kaiserzeitlichen Rom, in: Gegenwärtige Antike — antike Gegenwarten. Kolloquium zum 60. Geburtstag von Rolf Rilinger, hrsg. v. Tassilo Schmitt, Winfried Schmitz und Aloys Winterling, München 2005, 223-244. Die Ansicht von Homoth-Kuhs (13, Anm. 41), die privaten Sicherheitsdienste stünden unter strenger Kontrolle des Staates, ist zwar de jure korrekt, de facto erweisen sich aber die vielfältigen Formen des privaten Sicherheitsgewerbes mittlerweile als unkontrollierbar.
3. Die These, bereits Caligula habe dann die früher privaten Phylakes in das amtliche System integriert (174), ist in diesem Zusammenhang reine Spekulation.
4. Z.B.
5. Nach wie vor Standard ist das Werk von S.L. Wallace, Taxation in Egypt from Augustus to Diocletian, Princeton 1938!