Die Prosopographia Imperii Romani (PIR) ist ein Akademienvorhaben an der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, das ein Personenlexikon der Führungsschicht des römischen Reiches von der Zeit des Augustus bis zum Ende des 3. Jahrhunderts n. Chr. erstellt und das sicherlich wichtigste Hilfsmittel für die prosopographische Erforschung der römischen Kaiserzeit darstellt.
Der vorliegende Band versammelt alle vierzehn anläßlich des vom 11. bis 13. Juni 2004 von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften in Berlin und Blankensee mit Teilnehmern aus Belgien, Deutschland, Finnland, Frankreich, den Niederlanden und den Vereinigten Staaten veranstalteten internationalen Kolloquiums gehaltenen Beiträge.1
Ziel der Tagung war eine neue Art methodischer Untersuchung des Quellenmaterials der PIR. Nicht die Personen selbst stehen im Mittelpunkt, sondern die Art, in der diese sich in ihrem historischen Kontext präsentieren oder von anderen präsentiert werden. Nicht tendenzfreie Überreste sind die Grundlage unseres Wissens, sondern die mediale Präsentation der Führungsschicht und die öffentliche soziale Kommunikation in einer Welt vor den modernen Massenmedien. Aus der Perspektive verschiedener Disziplinen (Alte Geschichte, Archäologie, Klassische Philologie) wird nach dem medialen Bild dieser Führungsschicht, des Senatorenstandes, gefragt.
Werner Eck (Universität Köln) “Der Senator und die Öffentlichkeit – oder: Wie beeindruckt man das Publikum?” spürt dem öffentlichen Charakter des Lebens der Senatoren nach.
Das curriculum vitae eines römischen Senators ist in der späten Republik und den ersten 3 Jahrhunderten der Kaiserzeit nur durch die Ämter der res publica bestimmt. Der ausführliche Grabtitulus brachte in sprachlicher Reduktion die Kernaussagen der laudatio funebris. Dabei wurde durch die Herausstellung des höchsten erreichten Amtes deutlich gemacht, bis zu welcher Prestigeebene der Verstorbene gelangt war.
Eventuell mit der Präsentation der viri triumphales auf dem Augustusforum erscheint dann auch in Inschriften für lebende Mitglieder des Senatorenstandes der gesamte cursus honorum – u.a. auch eine Gelegenheit, eine sich in einem Amt ausdrückende engere Verbindung zum princeps deutlich zu machen. Bereits in tiberischer Zeit dominierte dieses neue Modell der Fixierung des Ranges in der Gesellschaft durch die kontinuierliche Tätigkeit für die res publica oder den Kaiser.
Henner v. Hesberg (Universität Köln) “Die Häuser der Senatoren in Rom: gesellschaftliche und politische Funktion” unternimmt es, eine spezifisch senatorische Wohnkultur zu ergründen. Hierbei konzentriert sich H. auf die eigentlichen domus und läßt horti und villae beiseite. Zunächst stellt H. die Frage, ob sich die Häuser der Senatoren bewußt gegen die Wohnbauten anderer gesellschaftlicher Gruppen deutlich absetzten und fragt in einem zweiten Durchgang danach, inwieweit die domus als Bühne für politische Auftritte, Repräsentationsaufgaben und spezifische Formen der Selbstdarstellung dienen konnten.
Gegen Vitruv (6,5,2), der unterschiedliche Gestaltung der Häuser nach Rangstufen suggeriert, zeichnen sich die römischen Häuser durch einen außerordentlichen Variantenreichtum aus. Offenbar standen den Hausherren große Freiräume an individueller Gestaltung offen, die nicht durch Zugehörigkeit zu einer sozialen Gruppe eingeschränkt waren. Da somit offenbar die politische Dimension in den Häusern den entscheidenden sozialen Unterschied ausmachte, lag die Kunst im glaubhaften Ausgleich privater Lebensform und öffentliche Ansprüche. Bei den Säulen der atria, dem Ort des Hauses, an dem sich die Hausherren nach außen wandten, und mit ihrer Klientel und dem Publikum zusammentrafen, wählten die Senatoren entgegen den Konventionen Marmor, um in besonderer Weise auf die Öffentlichkeit Eindruck zu machen.
In der Kaiserzeit ist ein deutlicher Wandel festzustellen. Die politische Dimension der Häuser und damit besonders die Ausgestaltung der atria wird zurückgenommen zugunsten einer reicheren Ausgestaltung des Inneren. Insgesamt läßt sich jedoch schwer absehen, welchen Stellenwert das Haus in dem Gesamtspektrum der Formen der Selbstdarstellung eines römischen Senators besaß.
Géza Alföldy (Universität Heidelberg) “Örtliche Schwerpunkte der medialen Repräsentation römischer Senatoren: heimatliche Verwurzelung, Domizil in Rom, Verflechtungen im Reich” gibt einen Überblick über die örtlichen Schwerpunkte der öffentlichen Repräsentation römischer Senatoren insbesondere in der Hohen Kaiserzeit durch Berücksichtigung aller Monumente, die zur Verherrlichung einzelner Senatoren und ihrer Familien dienten. Diese epigraphische Hinterlassenschaft wird nach den Kriterien Bindung an die patria, Rom als Domizil, private Verflechtungen in anderen Teilen des Reiches, Beziehungen im imperium Romanum aufgrund der amtlichen Tätigkeit, gegliedert untersucht.
Dirk Erkelenz (Universität Köln) “Die Ehrung als Fest: Wie werden Ehrenstatuen der Öffentlichkeit präsentiert?” unternimmt es, den komplexen Zusammenhang statuarischer Ehrungen exemplarisch aufscheinen zu lassen und weist zunächst darauf hin, daß in vielerlei Hinsicht die Mitwirkung des Empfängers einer solchen Ehrung erforderlich war.
Bereits der in einigen Fällen greifbare Ratsbeschluß liest sich wie eine laudatio und E. folgert daraus mit Recht, daß dann sicherlich auch das Denkmal in einem formellen Akt, der zudem auch wiederum zahlreichen damit befaßten Personen eine Repräsentationsmöglichkeit gab, der Öffentlichkeit übergeben wurde. Die konkrete Ausgestaltung einer solchen Feier muß allerdings spekulativ bleiben.
Interessant ist die Vermutung, daß im rhetorischen Lehrbuch des Menander Rhetor in den Anweisungen ‘Über die Ansprache’ quasi das Muster einer Preisrede anläßlich einer Ehrung erhalten sei.
Dietrich Boschung (Universität Köln) ” Ordo senatorius : Gliederung und Rang des Senats als Thema der römischen Kunst” kommt zu dem Ergebnis, daß die römische Bildkunst weder die politische Tätigkeit noch die Rangordnung der Senatoren innerhalb des ordo senatorius widerspiegelt.
Brigitte Ruck (Universität Heidelberg) “Überwältigende Größe: Kolossale Standbilder von Senatoren in den Städten des Römischen Reiches?” untersucht auf statistisch gründlich erschlossener Datenbasis Vorkommen und Häufigkeit übergroßer Senatorenstatuen.
Es ergibt sich nach dem Zeugnis der Statuenbasen und der Erwähnung übergroßer Statuen in literarischen Quellen, daß auf Basen gewöhnlicher Form der Größenbereich von Kolossalstatuen zwischen 2,70 und 3,20 m lag; Riesenstatuen von 4 m Höhe und größer sind wohl eher in Tempeln als Kaiserkultstatuen oder in Nischenfassaden großer Prachtbauten zu suchen.
Kolossalität als ursprünglich Göttern und Heroen zugehörige Eigenschaft war im hellenistischen Osten durchaus übliche Darstellungsform für kultisch verehrte Monarchen, aber in Übertragung dann auch für verdienstvolle Bürger. In Rom war Kolossalität im öffentlichen Leben hingegen bis zur Spätantike (Stilicho) dem Kaiserhaus vorbehalten.
Das sich im provinzialrömischen Bereich ergebende Bild ist dem stadtrömischen Befund ähnlich. Grundsätzlich sind kolossale Senatorenstatuen sehr selten; im öffentlichen Raum sind sie nur im griechischen Osten zu finden.; die beiden italischen Beispiele gehören in den privaten Bereich. Gebührender Abstand und Loyalität zur Kaiserfamilie ließ sich so sehr sinnfällig demonstrieren.
Francisca Feraudi-Gruénais (Universität Heidelberg) “Für die Ewigkeit: Die Gestaltung von senatorischen Grablegen Roms und ihr Kontext” behandelt die senatorische Selbstdarstellung im Sepulchralbereich. Ziel des Beitrags ist es, einen Überblick über die Hinterlassenschaften senatorischer Gräber mit Schwerpunkt Rom zu geben. Untersuchungszeitraum ist das 1. Jh. vor bis 3. Jh. nach Chr. Hierbei stellen Inschriften vielfach das einzige Zeugnis eines entsprechenden Grabes dar. Die Gesamtzahl auswertbarer Befunde für den Untersuchungszeitraum beträgt lediglich 126 Quellen.
Festzuhalten ist, daß fasces und sellae curules als für Gräber konsularischer und prätorischer Magistrate typische Dekorationssymbole anzusehen sind. Aufgrund der sehr schmalen Datenbasis lassen sich über die allgemeine Feststellung hinaus, daß senatorische Gräber offenbar eine gewisse Mindestgröße aufwiesen und damit Sichtbarkeit garantierten, kaum verbindliche Aussagen machen. Allerdings scheint nachweisbar, daß senatorische Gräber weniger gleichförmig gestaltet waren als Grablegen der humiliores, die somit nicht unbedingt Nachahmer senatorischer Grabrepräsentation gewesen zu sein scheinen. Zudem dürften die vorauszusetzenden Marmorfassaden der Senatorengräber für den Steinraub der folgenden Jahrhunderte ein besonders attraktives Ziel dargestellt haben. Die These, daß senatorische Grabtumuli vor den Toren Roms bald mit den Ansprüchen kaiserlicher Repräsentation in Konflikt gerieten bleibt angesichts erhaltener teilweise geradezu gigantischer Grabtituli, die ja ebenfalls ostentative Selbstdarstellung zum Ausdruck bringen, Spekulation.
Vier Anhänge (Archäologische Befunde, Archäologisch-Epigraphische Befunde, Epigraphische Befunde, Synopse dieser Befunde), auf die im Beitrag stets Bezug genommen wird, machen die Datenbasis deutlich.
Marie-Thérèse Raepsaet-Charlier (Université Libre de Bruxelles) “Bien davantage qu’un rôle décoratif : les activités publiques des dames sénatoriales et équestres sous le Haut-Empire romain” erörtert die weitgefaßten Aktivitäten und Aufgaben von (Ehe-)frauen aus dem Senatoren- und Ritterstand im öffentlichen Leben Roms und der Provinzen.
Ruurd R. Nauta (Rijksuniversiteit Groningen) weist in seinem Beitrag “Die mächtigen Freunde des Spötters. Martial und seine Patrone” zunächst auf das zwischen Martial und den in seinen Epigrammen dargestellten Senatoren bestehende Patronatsverhältnis hin. N. geht davon aus, daß das “Ich” in den Epigrammen Martials zumindest in den Fällen, wo der Patron einen realen Namen trägt, ebenfalls real und mit Martial gleichzusetzen ist. N. sieht Martials Epigramme als Gelegenheitsdichtung in dem Sinne, daß Dichter anläßlich einer Gelegenheit im gemeinsamen Leben des Patrons und des Dichters aus der Position des teilnehmenden amicus heraus schreibt.
Von den zahlreichen Epigrammen, die an Patrone gerichtet sind, erwähnen weniger als ein Dutzend ein Amt und zwar alle in den späteren Büchern ab Buch 7, in denen, vielleicht unter dem Einfluß der Silvae des Statius auch eine Zunahme der Kaiserpanegyrik festzustellen ist. Diese rare Erwähnung von Ämtern hat sicherlich auch damit zu tun, daß bei Martial nicht negotium, sondern otium im Zentrum der Darstellung steht.
Am Beispiel der Epigramme für Domitius Apollinaris werden zwei wesentliche Punkte des Verhältnisses Martials zu seinen Patronen herausgearbeitet: die Vertrautheit, die zwischen Dichter und Patron herrscht und die Unabhängigkeit, die es Martial erlaubt, auch im Umgang mit Senatoren zu spotten.
Olli Salomies (University of Helsinki) “Redner und Senatoren. Eloquenz als Standeskultur” behandelt die Zeit zwischen Augustus und Diokletian. Nach einer Analyse der Quellenlage und der Feststellung, daß es natürlich Überschneidungen zwischen den Themenbereichen Rhetorik, Deklamation und Zweite Sophistik gibt, stellt S. heraus, daß die Rhetorik als wichtigster Bestandteil zur Erziehung jedes römischen Senators gehörte. Natürlich hieß dies noch lange nicht, daß jeder Senator auf dem gebiet der Beredsamkeit besondere Leistungen zu erbringen in der Lage war.
Richtigerweise unterscheidet S. zwischen Eloquenz als Wert an sich und Eloquenz als Mittel zum Erfolg. Beispielsweise scheinen rhetorisch begabte Senatoren vermehrt als quaestores Augusti fungiert zu haben und auch Fronto hat sich offenbar die Stellung in der Nähe des Kaisers vornehmlich durch seine Eloquenz geschaffen.
Für die positive Beurteilung des Wertes der Beredsamkeit in senatorischen Kreisen spricht auch die häufige Erwähnung der Eloquenz in Empfehlungsbriefen bei Plinius und Fronto. Besonderen Wert erhält diese Beobachtung, wenn man berücksichtigt, daß ein Empfehlungsschreiben an sich eher auf eine lediglich allgemeine Schilderung des Empfohlenen abzielte. Die Briefe des Plinius und Fronto bieten einen interessanten Einblick in die rhetorische Kultur des römischen Senatorenstandes.
Nicht überraschend ist, daß sich die Redesituationen eines Senators in folgende Bereiche gliedern lassen: Apud iudices, orationes in senatu habitae (laudes principum; gratiarum actiones), apud populum und laudationes von Verstorbenen. Nicht erfaßt sind hierbei Aktivitäten des Redners, um es modern zu formulieren, als Lobbyist, z.B. als patronus provinzialer Städte.
Den Beitrag beschließt eine Prosopographia oratorum, die alle Senatoren umfaßt, denen in der im Aufsatz berücksichtigten Zeitspanne in irgendeiner Weise Eloquenz zugeschrieben wird.
Christopher P. Jones (Harvard University) “Culture in the careers of Eastern Senators” geht der Frage nach, inwieweit Senatoren aus dem ‘Griechischen Osten’ ihre Position auch ihrer griechischen ‘Kultur’2 verdankten. J. weist mit Recht darauf hin, daß für den Aufstieg von Rittern aus dem Osten des Reiches in den Senat vor allem auch vertiefte Kenntnisse der lateinischen Sprache und des römischen Rechts vorausgesetzt werden müssen. Hier war sicherlich eine Herkunft aus Städten des Ostens mit gemischter griechisch-römischer Bevölkerung wie Pergamon, Pompeiopolis, Thyatira von Vorteil. Mit Syme3 ist festzustellen, daß Senatoren aus dem ‘Griechischen Osten’ Symptom, nicht aber Ursache für die zunehmende Durchdringung der römischen Gesellschaft durch griechische Kultur waren.
John Scheid (Collège de France, Paris) “Les sénateurs et le religieux: obligations publiques et convictions privées” untersucht die Frage nach dem Verhältnis von öffentlicher religiöser Funktion und privater religiöser Überzeugung bei römischen Senatoren und stellt dabei deutlich die praktisch orientierten und sozialen Aspekte römischer Religion heraus. Senatoren waren öffentlich wie privat in diese ritualisierten Abläufe eingebunden.
Jörg Rüpke (Universität Erfurt) “Priester in der Öffentlichkeit” lenkt den Blick auf das Paradoxon, daß einerseits Priesterämter hohe Achtung genossen, andererseits aber in Laufbahndarstellungen nicht immer genannt werden und sacerdotes in der öffentlichen Wahrnehmung in erster Linie als Magistrat oder Senator erscheinen. Sein fazit lautet, daß ganz offenbar der Religion als Faktor im öffentlichen Leben keine eigenständige Autorität gegenüber politisch oder sozial begründeter Macht zugestanden wurde.
Wenn es, wie die Scipionenelogien bezeugen, im Senatorenstand zum idealen Bild eines Sohnes gehörte, die vom Vater erworbene Stellung wiederzuerringen und damit das Prestige der Familie zu bewahren, dann mußte sozialer Abstieg unbedingt vermieden werden. Dementsprechend versteht Matthäus Heil (PIR Berlin) “Sozialer Abstieg. Beredtes Schweigen?” unter Abstieg Rangverlust oder den Umstand, daß der Rang in der nächsten Generation nicht reproduziert werden konnte.
Verurteilungen und Prozesse sowie unzureichendes Vermögen sind die maßgeblichen Gründe für diesen sozialen Abstieg; abschließend gelingt es H. diesem Abstieg ein Gesicht zu geben.
Ein Personenindex, ein Ortsindex und ein Verzeichnis der Autoren beschließen einen Band, der eindrucksvolle Schlaglichte auf die römische Führungsschicht wirft.
Das Kolloquium sollte dazu dienen, die methodischen Grundlagen der kaiserzeitlichen Prosopographie zu vertiefen und damit zugleich neue Fragen zu stellen und nach Wegen zu ihrer Beantwortung zu suchen, um Wissen auch über die Bereiche zu gewinnen, über die in der Regel nicht öffentlich gesprochen wurde. Dies ist gelungen. Zudem ermöglicht der Band interessante Einblicke in die öffentliche soziale Kommunikation in einer Welt vor den modernen Massenmedien.
Notes
1. fremdsprachige Beiträge in der Originalsprache; Beiträge für den Druck teilweise überarbeitet und ergänzt.
2. Kultur wird hier als Rhetorik, Literatur (Geschichtsschreibung) und Philosophie verstanden.
3. Rom. Pap. 679; 681.