Obgleich Appians Werk als historische Quelle, insbesondere für solche Perioden der römischen Geschichte, für die keine andere historiographische Überlieferung vorliegt, stets genutzt wurde, wurde seinem Œuvre in der altertumswissenschaftlichen Forschung verglichen mit den Werken anderer Historiographen der griechisch-römischen Antike oftmals ein relativ geringeres Interesse entgegenbracht. Für die jüngere Forschung kann indes eine Neubewertung und intensivere Auseinandersetzung mit Appians Werk konstatiert werden. Nach wie vor liegen jedoch für einige Teile keine philologischen und historischen Kommentare auf aktuellem Forschungsstand vor, die helfen könnten, die Texte einem größeren Fachpublikum zu erschließen.1
Der hier zu besprechende Band aus der Feder Andreas Hofeneders stellt einen Beitrag dar, diese Lücken zu schließen. Hofeneder, der sich bereits in seinem dreibändigen Kommentar zu den literarisch überlieferten Quellen zur keltischen Religionsgeschichte als fachlich ausgewiesener Kommentator empfehlen konnte, hat sich hierzu der lediglich in Fragmenten überlieferten Keltiké angenommen.2 Dies stellt bereits insofern einen Gewinn für die Forschung dar, da bisher kein historischer Kommentar zu diesem Teil von Appians Werk vorlag. Zudem legt Hofeneder eine neue deutsche Übersetzung der Fragmente vor, die insgesamt zu einem besseren Verständnis des Textes beiträgt.
Inhaltlich verteilen sich die Fragmente der Keltiké auf einen Zeitraum von etwa drei Jahrhunderten, beginnend mit der keltischen Einnahme Roms zu Beginn des vierten Jahrhunderts bis hin zu Caesars Gallischem Krieg in den Jahren 58- 51/50 v.Chr. Hierbei lassen sich zwei Schwerpunkte der Verteilung der Fragmente jeweils zu Beginn (‚Gallische Katastrophe‘) und am Ende ( Bellum Gallicum) dieses Zeitraumes ausmachen, was wohl keinen reinen Zufall der Überlieferung darstellt, sondern noch einen ungefähren Eindruck der Anlage von Appians Werk vermittelt. Gesichert ist zudem die Behandlung der Keltenkriege des vierten und dritten Jahrhunderts in Italien sowie die Feldzüge der Kimbern und Teutonen, die dem alexandrinischen Historiker offenbar als Kelten galten.
Für die historische Forschung ist Appians Werk vor allem in denjenigen Passagen wertvoll, in denen der Alexandriner Detailinformationen nennt, die ansonsten nicht überliefert ist. Zu manchen, durchaus bedeutenden, Ereignissen, wie der Schlacht von Noreia (113 v.Chr.), bietet Appian sogar die einzige ausführliche Schilderung, die in den antiken Quellen erhalten ist (vgl. 273). An Stellen, an denen sich Appians Bericht mit den Versionen der sonstigen Überlieferung abgleichen lässt, fällt indes wiederum auf, dass der griechische Historiograph hier oft „eine eigentümliche Version der Ereignisse bietet“ (119), der wohl jeweils lediglich ein geringer Wert für die historische Rekonstruktion zugesprochen werden kann. Aufschlussreich sind dennoch auch diese Passagen, da sie doch Hinweise auf den Umgang mit diplomatischen und militärischen Auseinandersetzungen zwischen Römern und Kelten in der römischen und griechischen Historiographie bieten. Da es im Rahmen dieser Besprechung nicht möglich ist, auf sämtliche Punkte einzugehen, die in Hofeneders Kommentar auftauchen, werde ich im Folgenden nach einigen allgemeinen Anmerkungen zum Aufbau des Bandes lediglich auf einige Aspekte der Übersetzung sowie des Kommentars eingehen.
Das Buch ist in klar geordneter und nachvollziehbarer Weise aufgebaut. An eine Einleitung (1-14) schließt sich der bei weitem umfangreichste Abschnitt des Buches an, in dem Hofeneder die jeweilige Edition des Quellentextes mitsamt deutscher Übersetzung und umfangreichem Kommentar bietet (15-425). Hinweise zu Abkürzungen (426-428), eine Bibliographie von beachtlichem Umfang (429-472) sowie verschiedene Indices (473-505) schließen den Band ab.
In der pointierten Einleitung (1-14) stellt Hofeneder zunächst das Vorhaben vor und liefert zudem Erläuterungen zur Überlieferungs- und Editionsgeschichte der Fragmente der Keltiké. Eine neue Edition des Textes hat Hofeneder selbst nicht vorgenommen, sondern greift auf den der Teubner-Ausgabe von P. Viereck und A. Roos zurück.3 Dies ist auch deswegen nachvollziehbar, da, nach Auskunft Hofeneders, die „neue kritische Edition sämtlicher Werke Appians“, die Kai Brodersen für die Oxford Classical Texts vorbereite, mit Blick auf die Keltiké keine „Abweichungen gegenüber der klassischen Teubner-Ausgabe“ aufweisen werde (6). Die Zählung der Fragmente folgt ebenfalls im Wesentlichen der vorliegenden Teubner-Sammlung. Ein erst 2007 eindeutig Appian zugewiesenes Fragment hat Hofeneder unter der Nummer 8a in die etablierte Nummerierung integriert (vgl. 6f.). Diese Vorgehensweise kommt Nutzern entgegen, die mit der bisherigen Zählung vertraut sind, und dürfte die Handhabung des Kommentars erleichtern. Gleichwohl verdient die von Hofeneder am Ende des Kommentarteils (425) vorgeschlagene, wohl begründete, Neuordnung und damit verbundene neue Zählung der Fragmente durchaus Beachtung und könnte in neuen Editionen des Textes übernommen werden.
Die erhaltenen Fragmente der Keltiké nehmen in der Teubner-Ausgabe etwa 13 Seiten ein, denen Hofeneder nun also einen Kommentar von rund vierhundert Seiten gewidmet hat. Präziser formuliert kommen im Schnitt „auf jedes Wort Appians etwas mehr als hundert Worte an Erläuterung“ (13). Diesen beachtlichen Umfang seines Kommentars begründet Hofeneder zum einen damit, dass Fragmente generell umfangreicher zu kommentieren seien als vollständig erhaltene Texte. Zum anderen sei es unumgänglich gewesen, besonders relevante Paralleltexte im Originaltext und in Übersetzung beizufügen, da „doch bei weitem nicht jeder Leser diese Texte bei der Hand oder gar im Kopf“ habe. Schließlich habe Hofeneder, anders als dies nach seinen Worten oftmals üblich sei, nicht nur die neueste Forschungsliteratur berücksichtigt, sondern sich auch darum bemüht, Arbeiten „älterer Epochen“ durchzuarbeiten und kritisch zu kommentieren.
Tatsächlich ist Hofeneder hinsichtlich der Aufnahme der Forschungsliteratur äußerst gründlich vorgegangen, indem er teilweise sehr alte Forschungsmeinungen auch in solchen Fällen (teils direkt) zitiert, kommentiert und einordnet, wenn die dort vertretenen Deutungen längst überholt scheinen. Es ist zu vermuten, dass diese Vorgehensweise nicht auf ungeteilte Zustimmung stoßen wird, da der Kommentar auf diese Weise erheblich umfangreicher ausgefallen ist, als es möglich gewesen wäre. Allerdings dürften nur wenige Leser Hofeneders Buch tatsächlich von der ersten bis zur letzten Seite durchlesen, sondern vielmehr gezielt einzelne Fragmente ‚ansteuern‘. Die Kommentare am jeweiligen Ort bieten dann jedenfalls reichhaltige Informationen.
Die oft umfangreichen Zitate von Parallelstellen dürften in der alltäglichen Handhabung zudem eine nicht unwesentliche Erleichterung darstellen, da so schon mit vorliegendem Buch ein erster Abgleich zwischen der Darstellung anderer Autoren und derjenigen Appians ermöglicht wird. Eine knappere Kommentierung und damit ein deutlich kürzeres Buch wären zwar zweifellos möglich gewesen, doch überwiegen aus meiner Sicht die Vorteile, die Hofeneders Vorgehensweise hier bietet.
Die Neuübersetzung sämtlicher Fragmente ist gründlich, und wo Hofeneder signifikant von älteren Übertragungen abweicht, hat er dies jeweils detailliert begründet.
So ist die Übersetzung „Gallien“ für Γαλατίαν in F 1,5 (40) sicher sinnvoll, da eine moderne Leserschaft mit „Galatien“ (so die Übersetzung in der gängigen deutschen Übertragung von Otto Veh) sicher weniger das – hier aber gemeinte – südliche Frankreich, sondern vielmehr die Siedlungsgebiete der Galater in Kleinasien verstehen dürfte (siehe hierzu auch den klärenden Kommentar Hofeneders auf 40f.). Auch an anderer Stelle macht Hofeneder sinnvolle Übersetzungsvorschläge, die tatsächlich dazu beitragen, bislang nur schwer verständliche Passagen zu erschließen.4 Dem Rezenten etwas eigentümlich erscheint allerdings die Übersetzung der Schilderung eines Strategems des Dictators C. Sulpicius Peticus (für das Jahr 358) in F 1,3 mit „er befahl den in der ersten Reihe Stehenden, (ihre Speere) gleichzeitig abzuschießen (ἐξακοντίσαντας ὁμοῦ) […]“ (16, Hervorhebung SL). Hier hätte vielleicht eher eine Übertragung mit „(ihre Speere) gleichzeitig zu schleudern“ dem modernen Sprachgebrauch entsprochen.
Als Kommentator zeigt sich Hofeneder gut informiert und aufmerksam, so dass seine Anmerkungen dazu geeignet sind, für jeden an der Beschäftigung mit Appians Überlieferung und den ihr zugrundeliegenden historischen Ereignissen Interessierten nützliche Hilfestellung zu bieten. Hofeneders umfassende Belesenheit und seine Kenntnis auch entlegener Quellenstellen sowie der internationalen altphilologischen wie althistorischen Forschung der (mindestens) letzten zwei Jahrhunderte zu Appians Keltengeschichte sind beeindruckend. Allerdings gehen seine Ausführungen an der einen oder anderen Stelle vielleicht doch recht weit vom eigentlichen Thema ab (etwa die Hinweise auf mehr oder weniger ähnliche Passsagen aus der antiken Literatur auf den Seiten 50-51). An der einen oder anderen Stelle wären daher auch in dieser Hinsicht Kürzungen gut vertretbar gewesen.
Positiv hervorzuheben ist es, dass sich Hofeneder in strittigen Fragen in der Regel klar positioniert bzw. darlegt, weshalb er sich zu einer deutlichen Positionierung nicht in der Lage sieht. Es liegt in der Natur der Sache, dass nicht jeder Leser mit jeder Schlussfolgerung einverstanden sein wird, doch scheinen mir Hofeneders Positionen in den meisten Fällen nachvollziehbar. Die Existenz einer abweichenden „bei Ennius und einigen weiteren Autoren bezeugten Version der keltischen Belagerung des Kapitols im Jahre 387/386, derzufolge die Kelten auch das Kapitol erobert haben“, die „von A. demnach nicht übernommen“ (21) worden sei, ist allerdings durchaus nicht gesichert, worauf Hofeneder im entsprechenden Kommentar zu F 1,1 hätte hinweisen können.5
In formaler Hinsicht ist Hofeneders Buch sehr gelungen. Trotz des beachtlichen Umfanges sind mir kaum Tippfehler aufgefallen, und trotz der an zahlreichen Stellen durchaus komplexen Überlieferungsverhältnisse und damit verbundener Forschungsprobleme lässt sich der stilistisch weitgehend ansprechende Text gut lesen. Gerade in den Abschnitten, in denen Hofeneder detailliert auf topographische Fragen eingeht, etwa in Hinsicht auf die umstrittene Lokalisierung des Ortes der Schlacht von Noreia im Jahr 113 v.Chr. (295-298), wäre allerdings eine Implementierung von Landkarten in den Kommentar sehr hilfreich gewesen.
Insgesamt stellt Hofeneders Übersetzung von Appians Keltiké mitsamt der hier erstmals erfolgten umfangreichen Kommentierung der Fragmente einen Gewinn dar und dürfte für zahlreiche Forschungsvorhaben zur römisch-keltischen Geschichte, zu frühen Auseinandersetzungen zwischen Römern und Germanen sowie zur kaiserzeitlichen Historiographie ein nützliches Nachschlagewerk bieten.
Notes
1. Siehe etwa Kathryn Welch (Hg.), Appian’s Roman History. Empire and Civil War, Swansea 2015, und außerdem die Hinweise Hofeneders im vorliegenden Band (S. 2-4).
2. Andreas Hofeneder, Die Religion der Kelten in den antiken literarischen Zeugnissen. Sammlung, Übersetzung und Kommentierung. 3 Bände, Wien 2005-2011. Gemäß den Ausführungen auf Hofeneders Homepage bereitet er gegenwärtig Publikationen mit Neuedition, Übersetzung und Kommentar zu Appians Basiliké, Italiké, Sikeliké vor.
3. dAppiani Historia Romana. Vol. I. Prooemium. Iberica. Annibaica. Libyca. Illyrica. Syriaca. Mithridatica. Fragmenta, ediderunt P. Viereck et A. G. Roos. Editio stereotypa correctior addenda et corrigenda adiecit E. Gabba, Leipzig 1962.
4. Nachvollziehbare und gut begründete Übersetzungsvorschläge zu einzelnen Passagen finden sich etwa auf den Seiten 120-121 (zu den diplomatischen Auseinandersetzungen zwischen Römern und Kelten im Vorspann zur Schlacht an der Allia), 296 (zur Topographie des Feldzuges der der Schlacht von Noreia vorangeht), 299 (zu völkerrechtlichen Begrifflichkeiten), sowie auf den Seiten 363 und 374.
5. Siehe hierzu bereits die Hinweise bei Timothy Cornell, The Annals of Q. Ennius (Rev. Skutsch 1985), in: Journal of Roman Studies 76 (1986), S. 244-250, hier 247f.