Zu den wichtigen Zeugnissen der Landeskunde Palästinas im 4. Jahrhundert, aber auch des frühen Pilgertourismus zu den Orten der Bibel gehört der Bericht der wahrscheinlich aus Galizien auf der Iberischen Halbinsel stammenden Egeria, der nur in einer unvollständigen Handschrift des 11. Jahrhunderts sowie in Exzerpten und Zitaten bei Beda Venerabilis und Petrus Diaconus vorliegt. Hinzu kommen zwei Fragmente mit ergänzenden Textabschnitten des 16. Kapitels. Innerhalb kürzester Zeit erschienen nun zwei (Neu-) Ausgaben dieses Berichts in deutscher Übertragung: Kurz nach Kai Brodersens Ausgabe von Egerias Reisebericht1 kam nun in der inzwischen aus der Forschungslandschaft nicht mehr wegzudenkenden Reihe Fontes Christiani eine vollständig durchgesehene und überarbeitete Neuausgabe desselben Textes in der Übertragung von Georg Röwekamp heraus. In Aufmachung und Gestaltung sind beide Ausgaben nicht vergleichbar, da die Tusculum -Bände auf einen Apparat und eine ausführliche Einleitung verzichten. Die Übertragungen haben ihre je eigenen Stärken, gut lesbar sind sie beide. Während Brodersens Ausgabe neben dem Reisebericht der Egeria noch die Wegbeschreibung des Anonymus von Bordeaux sowie einen Brief des Mönchs Valerius von Bierzo bietet, so wird in der Röwekampschen Ausgabe in Auszügen noch Petrus Diaconus mit dem Text De locis sanctis / Die heiligen Stätten wiedergegeben.
Die Erstausgabe der Röwekampschen Ausgabe erschien in der gleichen Reihe im Jahr 1995 und in zweiter Auflage 2000. Entsprechend kannte sie noch nicht das seit 2005 bekannte Fragment, das einen Teil der Lücke im 16. Kapitel des Berichts der Egeria minimiert. Nicht nur das gilt nun nicht mehr für die Neuausgabe.
Schon in der Titelei fällt etwas Entscheidendes auf: War die Erstausgabe noch „unter Mitarbeit von Dietmar Thönnes“ erarbeitet, so wurde dieser für die nun vorliegende dritte Auflage aus seiner Verantwortung entlassen, nachdem er der akademischen Wissenschaft den Rücken gekehrt und eine neue Karriere in Politik und Pflegewirtschaft eingeschlagen hat.
Die Struktur der Neuausgabe entspricht der der Erstausgabe. So wird in der Einleitung kurz die Textgrundlage beschrieben, die Autorin Egeria vorgestellt, ihre Reise datiert (um 381/4) und ihr Verlauf dargestellt, eine Übersicht über das Palästina und die Topografie Jerusalems des 4. Jahrhunderts gegeben, die Liturgie Jerusalems dargestellt und die Theologie des Itinerariums bzw. seiner Verfasserin charakterisiert, bevor allgemeine Angaben zur Ausgabe angefügt werden. Es folgt eine in Anmerkungen kommentierte, synoptische Textausgabe (nach CCL 175) samt Übersetzung, sowie Karten und Pläne, ein Abkürzungsverzeichnis und eine detaillierte Bibliografie.
Dennoch fallen Änderungen zwischen den Auflagen auf. Zum einen ist der Text vollständig neu gesetzt und das Druckbild modernisiert worden. Zum anderen ist die Orthografie an die heute gültige und arabische Transkriptionen sind dem Standard der Deutschen Morgenländischen Gesellschaft (DMG) angepasst worden. Vielfach sind Formulierungen dahingehend geändert worden, dass entweder „Gewissheiten“ angesichts neuer Forschungserkenntnisse in Frage gestellt sind oder aber schlicht neue Erkenntnisse sachgemäß eingearbeitet wurden (z.B. S. 59-60 zur Eleona-Kirche). Auch die Übersetzung wurde durchgesehen und behutsam korrigiert, so dass sie noch flüssiger und zugleich noch texttreuer zu lesen ist. Es wäre müßig, alle Änderungen im Detail anzuführen—es sind zu viele. Darum sei nur auf die relevanten Korrekturen hingewiesen: Die Darstellung der Reise der Egeria in der Einleitung (S. 21-38) wurde gestrafft und anhand der Quellen teilweise neubearbeitet. Die Beschreibung der Topografie Jerusalems wurde leicht gekürzt und nach der neueren Forschung korrigiert, die Darstellung der Jerusalemer Liturgie im 4. Jahrhundert teilweise neu geschrieben (Abschnitt „1. Allgemeines“, v.a. S. 68-71), ebenso die Darstellung der „Theologie“ bzw. der „theologischen Implikationen des Itinerariums“ (beides S. 98; hier v.a. S. 102-105). Neu hinzugekommen ist zudem ein Überblick über die Reise der Egeria und die Beschreibung der Jerusalemer Liturgie mit Seitenangaben in der Übertragung (als Kapitel IX. und X.). Innerhalb der Übersetzung wurde die Fehlstelle im 16. Kapitel durch die von Jesús Alturo i Perucho 2005 erstmals veröffentlichten Fragmente ergänzt.2 Ebenso wurde ein weiteres, schon seit 1909 bekanntes Fragment nun nicht mehr im Apparat versteckt, sondern ebenfalls in den Haupttext eingefügt und übertragen (alles S. 174-177). (Letzteres Fragment fehlt in der Ausgabe von Brodersen.) Die Karten und Pläne wurden ersetzt (S. 332-338), die Bibliografie teilweise umgestellt, ergänzt und erweitert.3
Wie die Tatsache, dass der Bericht der Egeria nunmehr in dritter Auflage vorliegt, zeigt, ist die Übertragung Röwekamps aus der Wissenschaft nicht mehr wegzudenken. Zu diskutieren wären allenfalls Kleinigkeiten, wie die Frage, warum die Bücher des Pentateuch als „historische Bücher“ bezeichnet werden (so S. 36) – sie enthalten neben historisierenden Geschichten ja insbesondere die „Weisung Gottes“ (Tora). Schon für die Erstausgabe galt und gilt noch immer: „Die Ausgabe ist ja nicht zuletzt für ‚Pilger’ heutiger Tage gedacht, die vielfach noch ganz ähnliche Orte besuchen wie Egeria.“ (S. 106) Es bleibt zu hoffen, dass beide Adressatenkreise das Buch auch weiterhin mit Gewinn verwenden.
Notes
1. Kai Brodersen (ed., trans.), Aetheria/Egeria, Reise ins heilige Land: Lateinisch-deutsch. Sammlung Tusculum. Berlin; Boston: De Gruyter, 2016, vgl. dazu BMCR 2017.12.35.
2. Jesús Alturo i Perucho, „Deux nouveaux fragments de l’„Itinerarium Egeriae“ du IX-X siècle“, in: Revue bénédictine 115 (2005), 241-250.
3. Nur sehr wenige Druckfehler fielen auf: S. 109 „grosse“ statt „große“; S. 348 „del“ statt „de l’“; S. 357 „Turnholt“ statt „Turnhout“ (so schon in der Erstauflage!). Ergänzt werden könnte in der Übersicht der Quellen noch die portugiesische Übertragung von Alexandra B. Mariano und Aires A. Nascimento (ed., trans.): Egéria, Viagem do Ocidente à Terra Santa, no Séc. IV (Itinerarium ad loca sancta). Obras clássicas de literatura portuguesa 15. Lisboa: Edições Colibri, 1998, 2nd edition 2009.