Auch wenn Prudentius, der aus Spanien stammte und zuletzt vor seinem Rückzug aus dem Staatsdienst und seiner Hinwendung zur Dichtung vermutlich am Hofe des Kaisers Theodosius in Mailand gewirkt hat, Rom wohl nur einmal besucht hat, so finden sich doch in seinem Werk zahlreiche Verweise darauf.
Der vorliegende Band basiert auf Lydia Krollpfeifers im Wintersemester 2014/15 von der Humboldt Universität zu Berlin angenommener Dissertation, die im Rahmen des Exzellenzclusters Topoi entstanden ist. Krollpfeifer legt eine poetologische Untersuchung der sogenannten „Romdichtungen“ des Prudentius vor, in deren Fokus das „kontinuierliche Spannungsverhältnis“ zwischen „Wahrheit und Fiktion“ sowie Prudentius‘ Einbeziehung des Lesers in die Umsetzung seiner „literarischen[n] Idee einer Roma aeterna “ stehen (S. 11). Zu den untersuchten „Romdichtungen“ zählen neben Contra orationem Symmachi vor allem die vier römischen Märtyrerhymnen des Liber Peristephanon ( perist. 2; 11; 12 und 14). Daneben bezieht Krollpfeifer aber auch weitere Romverweise in der Psychomachia, der Hamartigenia, der Apotheosis sowie im Liber Cathemerinon und in der Praefatio ( Praef. 39–42) zur Gesamtausgabe seiner Werke in ihre Untersuchung mit ein (S. 15).
Krollpfeifer grenzt ihre Studie in der Einleitung von der bisher in der Forschung vorherrschenden Untersuchung der „Romideologie“ des Prudentius ab und konzentriert sich in Anlehnung an die Forschung von Ralf Behrwald und Ulrich Schmitzer auf den „fiktionalisierte[n] Stadtraum“ (S. 15).1 Ihr Ziel ist es, exemplarisch anhand der Romdichtungen des Prudentius die „diskursiven Mechanismen [herauszuarbeiten], welche die Auffassungen von römischer Weltanschauung, Religiosität und Identität“ zu Prudentius‘ Zeit mitbestimmten (S. 16). Sie begründet die Wahl der Romdichtungen und Rombezüge im Werk des Prudentius als Untersuchungsgegenstand mit deren Umfang und Vielfalt und ihrer Funktion als „Medien des kommunikativen Gedächtnisses, mittels derer das kulturelle Gedächtnis der Römer neu organisiert werden soll“ (S. 16–17). Krollpfeifer gibt einen Überblick über die bisherige Forschung zu Prudentius’ Verhältnis zu Rom und seinem Rombild bzw. seiner „Romideologie“, fasst deren Hauptstränge konzise zusammen und bietet zugleich einen Literaturüberblick zu dieser Forschung (S. 17–21). In Abgrenzung von der bisherigen Forschung stellt sie die These auf, „dass die Romdichtungen des Prudentius nicht nur auf eine veränderte Rezeption der Stadt als Außenwelt abzielen, sondern vor allem auf eine innerliche Umorientierung ihres Betrachters, die sich wiederum in seinem Verhalten im städtischen Raum spiegelt“ (S. 21).
Im zweiten Kapitel gibt Krollpfeifer einen Überblick über die von ihr zugrunde gelegten und verwendeten Konzepte und Begriffe von Stadt und „römische[m] Stadtraum“, Diskurs, Identität und kulturellem Gedächtnis und ordnet diese in den Forschungskontext ein (S. 22–29). Sie stützt sich vor allem auf einen „modifizierten und erweiterten Gebrauch des Kulturmodells von Jan Assmann“ (S. 25) in Anlehnung an die Studien von Andreas Felmy und Steffen Diefenbach (S. 24) 2 und versteht das „kulturelle Gedächtnis“ daher „als ein soziokulturelles Phänomen […], dessen Inhalte über Vertextung jeglicher Art diskursiv organisiert sind und ebenso durch diskursive Praktiken im kommunikativen Gedächtnis wiederum transformiert oder sogar dekonstruiert werden können“ (S. 25). Sie diskutiert auf dieser Grundlage den spätantiken – paganen ebenso wie christlichen – Diskurs über die Identität des populus Romanus und dessen Religion (S. 25–29) und die Funktion der Stadt Rom als Erinnerungslandschaft in diesem Identitätsdiskurs (S. 29–37).
Anschließend stellt Krollpfeifer Prudentius‘ Schrift Contra orationem Symmachi eingehend vor, diskutiert deren Anlass, Entstehungszeit und Gattungszugehörigkeit (S. 38–42) und ordnet sie ein in den Zusammenhang des zur Zeit der Abfassung des Werkes wohl schon einige Jahre zurückliegenden Streits um die Entfernung des Victoriaaltars aus der Kurie und den Kampf um dessen Wiedereinsetzung – prominent geführt zwischen dem Stadtpräfekten Quintus Aurelius Symmachus als Vertreter der noch paganen Senatsmitglieder und Bischof Ambrosius als Vertreter der Kirche und des christlichen Kaisers (S. 43–49). Sie diskutiert außerdem detailliert das Verhältnis von Autor und Adressaten der Schrift (S. 49–71) und bietet einen gründlichen Überblick über Struktur und Inhalt des Gedichts (S. 71–83).
Im darauffolgenden vierten Kapitel ordnet Krollpfeifer Contra orationem Symmachi in den zeitgenössischen Religions- und Identitätsdiskurs ein und diskutiert die Funktion der paganen Stadttopographie Roms bei Prudentius. Dazu untersucht sie, ausgehend von einer Analyse der Darstellungstechniken in Prudentius’ Rombeschreibungen und deren intendierter Wirkung auf den Leser (S. 84–90) sowie einem Überblick über die Begriffsgeschichte der superstitio mit Bezug auf die römische Sakraltopographie im paganen wie auch im christlichen Diskurs und insbesondere im prudentianischen Gebrauch (S. 90–132), die Rolle konkreter von Prudentius inszenierter Orte der römischen Sakraltopographie: Kapitol und Palatin (S. 132–158), Forum Romanum (S. 158–191), die Amphitheater (S. 191–216).
Das fünfte Kapitel widmet sich den Formen der Allegorisierung Roms bei Prudentius. In der allegorischen Seelenstadt in der Psychomachia und der Hamartigenia (v. a. psych. 665 f.; 726–748; 823–887 und ham. 406–428) erkennt Krollpfeifer nicht nur die vordergründigen Bezüge zum Himmlischen Jerusalem, sondern auch Parallelen zu Rom (S. 218–221). Den allegorischen Stadtraum in Contra orationem Symmachi untersucht sie mit Blick auf die Lichtmetaphorik (S. 221–228), die Reinigungs- und Sühnemetaphorik (S. 228–232), die Krankheitsmetaphorik (S. 232– 233), die Kampfmetaphorik (S. 234–236) und auf den Concordia -Gedanken (S. 237–238) und zeigt dabei sehr gut, wie Prudentius über diese Metaphernfelder einzelne seiner Gedichte miteinander verschränkt. Im nächsten Schritt untersucht Krollpfeifer das Verhältnis der Kaiser Theodosius und Honorius zur Stadt Rom bei Prudentius (S. 239–277).
Im Anschluss daran setzt Krollfpfeifer im sechsten Kapitel die Szeneriebeschreibungen in den römischen Märtyrerhymnen ( perist. 2; 11; 12 u. 14) sowie den Reisebericht in perist. 9 in Bezug zur Wegmetaphorik in c. Symm. 2, 87–108 (bes. 87–90 u. 104) und 2, 843–906 (S. 281–288) und zum Konversionstopos in c. Symm. 1, 506–590 (bes. 506–510 u. 544–551) und analysiert die Beschreibung der Laurentiusbasilika im Kontext des Laurentiushymnus ( perist. 2), die Grabanlage des Hippolytus im Rahmen des Hippolytushymnus ( perist. 11), den Hymnus auf Petrus und Paulus ( perist. 12) sowie die Rolle der Roma Christiana im Agneshymnus ( perist. 14) (S. 278–321).
Im abschließenden Resümee fasst Krollpfeifer die Ergebnisse ihrer Untersuchungen zur diskursiven Funktion der „zahlreichen literarischen Inszenierungen der römischen Stadttopographie“ (S. 322) in Prudentius‘ Gedichten zusammen (S. 322–332): Sie verortet Prudentius‘ Romdarstellungen in der Tradition der antiken laudes Romae und stellt fest, dass „Prudentius‘ Rominszenierungen […] eine veränderte Interpretation des Stadtraumes und seiner Erinnerungsorte beim Rezipienten [evozieren]“ (S. 327–328). Als wesentliche Voraussetzung für die Interpretation der Romdichtungen des Prudentius arbeitet Krollpfeifer heraus, dass dieser unter Rom die dort lebenden Menschen versteht ( c. Symm. 2, 443: Romam dico viros), so dass die „Transzendenzerwartung Roms […] nicht an den materiellen Raum gebunden [ist], sondern an die Menschen, die sich in der Stadtlandschaft bewegen“ und dass das Bekenntnis dieser Menschen zum christlichen Glauben dazu führe, dass sie „den Stadtraum in veränderter Weise wahr[nehmen]“ und so eine Roma caelestis erschaffen (S. 329). Krollpfeifer sieht in rezeptionsästhetischen Analysen der prudentianischen Romdichtungen wie ihrer eigenen ein Desiderat der Prudentiusforschung und verweist zugleich auf Marc Mastrangelos richtungsweisende Arbeit. 3
Ein umfangreiches Literaturverzeichnis (S. 333–366), ein Anhang mit einem Exkurs zum politisch-historischen Kontext der Romdichtungen des Prudentius (S. 367–369), ein Stellenregister (S. 370–383) und ein Personen- und Sachregister (S. 384–387) schließen den Band ab.
Krollpfeifer beweist einen sehr guten Überblick über die Prudentiusforschung und über das Gesamtwerk des Dichters und setzt die einzelnen Gedichte mit Blick auf ihre Forschungsfrage gelungen zu einander in Beziehung. Die klare und gut nachvollziehbare Struktur der Argumentation, ergänzt durch kapitel- und abschnittsweise (Zwischen-)Resümees sind ebenfalls positiv hervorzuheben.
Notes
1. Vgl. R. Behrwald, Die Stadt als Museum? Die Wahrnehmung der Monumente Roms in der Spätantike. Berlin 2009; ders., „Heilsgeschichte in heidnischer Szenerie. Die Denkmaltopographie Roms in der christlichen Legendenbildung“, in: R. Behrwald / C. Witschel, Rom in der Spätantike. Historische Erinnerung im städtischen Raum, Stuttgart 2012, S. 267–289; ders., „Das Bild der Stadt Rom im 5. Jh. Das Beispiel des Sidonius Apollinaris, in: T. Fuhrer, Rom und Mailand in der Spätantike. Repräsentationen städtischer Räume in Literatur, Architektur und Kunst, Berlin 2012, S. 283–302; U. Schmitzer, „Rom in der (nach)antiken Literatur. (Re)Konstruktion und Transformation der urbanen Gestalt der Stadt von der augusteischen Zeit bis zur Moderne“, in: Gymnasium 112 (2005), S. 241–268 sowie ders., „Raumkonkurrenz. Der symbolische Kampf um die römische Topographie im christlich-paganen Diskurs“, in: T. Fuhrer, Rom und Mailand in der Spätantike. Repräsentationen städtischer Räume in Literatur, Architektur und Kunst, Berlin 2012, S. 237–261.
2. Vgl. A. Felmy, Die Römische Republik im Geschichtsbild der Spätantike. Zum Umgang lateinischer Autoren des 4. und 5. Jahrhunderts n. Chr. mit den exempla maiorum, Freiburg 2001 und S. Diefenbach 2007, Römische Erinnerungsräume. Heiligenmemoria und kollektive Identität im Rom des 3. bis 5. Jahrhunderts n. Chr., Berlin/New York 2007.
3. M. Mastrangelo, The Roman Self in Late Antiquity: Prudentius and the Poetics of the Soul, Baltimore 2008.