Diese Festschrift von etwas unter eintausend Seiten ehrt in Jean-Daniel Dubois einen Wissenschaftler und Lehrer, dessen mehr als vier Jahrzehnte umspannendes, eindrucksvolles und nachhaltig einflussreiches Schaffen ganze Generationen von Studierenden und Forschenden geprägt hat. Der Umfang des imposant-gewichtigen, in erster Linie aber durch die Qualität der vielfältigen und vielschichtigen Beiträge beeindruckenden Aufsatzbandes hätte jedoch angesichts der eminent wichtigen Arbeiten von Jean-Daniel Dubois keineswegs geringer ausfallen dürfen. Anlässlich des Endes seiner Zeit als Leiter der «Étude de Gnose et Manichéisme» an der École Pratique des Hautes Études, Section des Sciences religieuses, PSL, Paris, im Jahr 2015 gelingt es den beiden Herausgeberinnen, Experten und Expertinnen der Erforschung des Mittelmeerraums und des Nahen wie Fernen Ostens in der (Spät)Antike für Beiträge zu motivieren, in denen sie sich mit der Gnosis und dem Manichäismus, dabei auch in Relation mit anderen und verwandten religiösen Strömungen und Bewegungen beschäftigen. Die klare Struktur des Bandes—jedes der fünf Kapitel ist einem Hauptthema des Schaffens von Jean-Daniel Dubois gewidmet—gibt sehr detaillierte, spezifische und gleichzeitig faszinierende Einblicke in auch heute noch viel zu wenig beachtete Forschungsgebiete des damaligen religiösen Lebens und Praktizierens. Demnach ist der Band natürlich insbesondere für wissenschaftlich bereits mit Gnosis und Manichäismus gut vertraute Leserinnen und Leser von großem Nutzen, jedoch auch für aufgeschlossene und an speziellen Details Interessierte absolut zu empfehlen.
Der Band wird von den beiden Herausgeberinnen in dreifacher Weise eingeleitet: Mit einer knappen Zuordnung der fünf Hauptkapitel zu den Forschungsschwerpunkten von Jean-Daniel Dubois (S. 7-8), der Darstellung des Werdegangs des Geehrten (9-17) und einer bibliographischen Übersicht über seine Veröffentlichungen (19-32). Eine Abrundung erfährt das umfangreiche Buch durch eine Liste der Gratulantinnen und Gratulanten (961-963) und das Inhaltsverzeichnis (965-970). Entgegen der Produktanzeige des Verlags Brepols fehlen dem Buch ein Literaturverzeichnis ebenso wie jedweder Index. Die fünf Hauptteile sind klar definierten Themenbereichen gewidmet ( Écrits gnostiques, Lʼéglise manichéenne et la réception des écrits manichéens, Acta Pilati et leur réception, Lieux chrétiens et figures und Pensées grecques, pensées dʼOrient). Die vierundvierzig Beiträge unterschieden sich stark in ihrem Umfang (zwischen vier und siebenundvierzig Seiten lang), was jedoch keineswegs etwas über die Qualität der einzelnen Artikel aussagt, stellt doch gerade der kurze ausgezeichnete Beitrag von Gregor Wurst eine kritische Edition und Rekonstruktion des vorletzten Blatts des Judas-Evangeliums (Kodex Tchacos) dar, deren Leistung und Präzision sich auf die Transkription und vorsichtige Ergänzung von Lücken sowie wichtige Textanmerkungen erstreckt (51-54 und Abbildungen 1 und 2 des relevanten Blatts). Die weitaus meisten Beiträge sind in französischer Sprache verfasst, immerhin neun auf Englisch, noch drei auf Spanisch und einer auf Deutsch.
Alle Aufsätze hier im Detail kritisch beleuchten zu wollen ist ein Ding der Unmöglichkeit, weshalb nur einige wenige Beispiele herausgegriffen werden, um die Qualität und die Bedeutung des Bands zu unterstreichen. Natürlich unterliegt die Auswahl allein dem Interesse des Rezensenten. Stephen Emmel stellt in seinem Beitrag—dem ersten des Sammelbands (35-50)— die philosophische Frage nach Existenz und Nicht-Existenz, wodurch er eine interessant-provozierende Interpretation von Zostrianos 117,11-15 (Nag Hammadi Codex VIII, 1) vornimmt und, basierend auf seiner Übersetzung, schlussfolgert, dass die Liste in Zost. 117,15 mit „the three lower modes of being and non-being as such“ endet (50). Dabei spielt eine Korrelation mit den vier platonischen Modi des Seins eine gewichtige Rolle. Von Gregor Wursts Beitrag war bereits die Rede.
Zsuzsanna Gulácsi stellt manichäische didaktische Malereien vor, in denen es um Erlösung suchende Seelen und „the Light Mind (“Light Nous ”)“ (241) als Vater der Propheten geht (241-259). Die Lehre Manis darüber und über die zentralen Propheten (Zarathustra, Shakyamuni, Jesus und Mani selbst) zeigt die Verwobenheit dieser, die auch in faszinierender Weise visuell durch zwei uigurische manichäische Fragmenten des zehnten Jahrhunderts untermauert wird, auf denen die „Four Primary Prophets of Manichaeism around the Light Mind“ (256-257 mit Abbildungen und Rekonstruktionen) dargestellt sind. Als Vergleichs- und Ergänzungsmaterial stellt sie Abbildungen aus einem Bilderbuch der uigurischen Ära und Details aus dem „Diagram of the Universe“ hinzu (258-259). Madeleine Scopello widmet sich in ihrem Beitrag (261-272) dem Psalter und Manis Kephalaia des Fayûms, genauer gesagt dem Phänomen des Dualismus von Wahrheit und Irrtum bzw. Lüge (und zudem von gut und schlecht, Licht und Dunkelheit, Wissen und Unwissenheit). Sie behandelt die Verbindungen von Irrtum und Satan bzw. den Irrtum der Welt, die Religionen des Irrtums und die Wahrheit der Offenbarung Manis, des Apostels der Wahrheit schlechthin, dazu das Verbot der Lüge als erstes (und oberstes) Gebot. Lucie Rault untersucht die musikalischen Riten des alten Orients in Zusammenhang mit den manichäischen Hymnen aus China (413- 441), so dass hierdurch auch eine geographische wie kulturelle Ausdehnung der Bedeutung des Manichäismus erfolgt.
Deutlich zusammenhängender und damit homogener fällt das dritte Kapitel aus, ist es doch durch die Konzentration auf einen Text bzw. ein Textkorpus—die Pilatus-Akten —und deren Rezeption eindeutig thematisch festgelegt. In diesem längsten Kapitel wird der Text selbst in seinem Verhältnis zu verschiedenen koptischen und byzantinischen Texten diskutiert, zudem dessen Nachleben in den Sprachen des Mittelalters und dabei insbesondere in lateinischen Handschriften, für die auch deren Texttraditionen aus unterschiedlicher Perspektive Berücksichtigung finden (z.B. eine spätere Version in Manuskript 1636 [Census 362], syrische Abschnitte und ein Stemma der vier Manuskripte). Dadurch erhält die Leserin oder der Leser einen sehr guten Eindruck von Vielfalt und Reichtum der Überlieferung der Pilatus-Akten über die Jahrhunderte hinweg und in verschiedenen geographischen Räumen, von einer Bedeutung des Texts also, die sich nach wie vor in der wissenschaftlichen Rezeption nur bedingt widerspiegelt.
Kapitel vier, überschrieben als „Lieux et figures“, kann selbstverständlich nur Momentaufnahmen und detaillierte Ausschnitte liefern, ist das anvisierte Forschungsfeld doch zu diffus und umfangreich. Herausgestellt sei der Beitrag von Jean-Michel Roessli über Alfred Loisy und die petrinischen Apokryphen (771-790), in dem eine kritische, aber stets würdigende Auseinandersetzung mit den leider zu selten heute noch berücksichtigten Interpretationen und Thesen des Vertreters der historisch-kritischen Methode stattfindet, der 1908 exkommuniziert wurde. Da wohl gerade dieses Kapitel fortan die größte Aufmerksamkeit erlangen wird, wird hier auf eine weitere Darstellung der einzelnen Studien verzichtet.
Das fünfte Kapitel umfasst Beiträge über Visionen und Legitimation im Corpus Hermeticum, die Interpretation eines orphischen Fragments, Plotin und den Mythos von Uranos, Kronos und Zeus, Theurgie in Platons Phaidros, den Hadith über die heiligen Namen und dessen Interpretation durch Mulla Sadra, das (Ab)Bild in den magischen Papyri (PGM) und ein nabatäisches Sortilegium. Gerade letztgenannter Artikel von Michel Tardieu (953-960) trifft einen Themenbereich, der nach wie vor nicht umfassend und systematisch erforscht ist und innerhalb dessen es mannigfaltige Formen und Dimensionen der sortes gibt. Dazu leistet Tardieu einen wichtigen Beitrag. Die Ausrichtung der einzelnen Studien verdeutlicht aber, dass es sich hinsichtlich der Zielsetzung des Kapitels, griechisches und orientalisches Denken abbilden zu wollen, nur um einige, auf Schwerpunkte ausgerichtete Einzelaufnahmen handeln kann, deren Bedeutung und Relevanz dadurch keineswegs geschmälert wird.
Der Band ist von den beiden Herausgeberinnen gut ediert. Direkte Querverweise zwischen den Artikeln finden sich leider nicht. Insbesondere das Fehlen von Stellen- bzw. Quellen- und Sachregistern ist bedauerlich, da so eine gute Navigation ebenso wenig möglich ist, wie auch thematische Verbindungslinien und Überlappungen nur schwer aufgefunden werden können. Indizes, wie auch auf den Verlagsseiten angekündigt, hätten sehr wohl noch zur zukünftigen Benutzung des detailreichen, inhaltlich-qualitativ hochwertigen und mit höchst interessanten Bands als Referenz- und Nachschlagewerk beigetragen. Nichtsdestotrotz ist der Festschrift eine große Verbreitung und Bekanntheit zu wünschen, finden sich relevante neue Ergebnisse in einer Vielzahl, die den Band für Forscherinnen und Forscher etlicher Fachrichtungen ebenso interessant machen wie auch für fortgeschrittene Studierende.
Authors and titles (according to the review copy)
Liminaire – Anna Van den Kerchove et Luciana Gabriela Soares Santoprete
L’itinéraire intellectuel de Jean-Daniel Dubois – Anna Van den Kerchove et Luciana Gabriela Soares Santoprete
Bibliographie de Jean-Daniel Dubois – Anna Van den Kerchove et Luciana Gabriela Soares Santoprete
PARTIE I. Écrits gnostiques
Not Really Non-Existent? A Suggestion for Interpreting and Restoring Zostrianos (Nag Hammadi Codex VIII, 1) 117, 11-15 – Stephen Emmel
L’avant-dernier feuillet de l’ Évangile de Judas – une reconstitution – Gregor Wurst
La philosophie des systèmes gnostiques des premiers principes – Josep Montserrat-Torrents
El Sobre los principios de Orígenes y el Tratado tripartito (NHC I, 5) reconsiderados – Francisco García Bazán
The Anonymous Parmenides Commentary, Marius Victorinus, and the Sethian Platonizing Apocalypses: State of the Question – John D. Turner
Padre femenino. El Dios-Madre de los gnósticos – Mariano Troiano
The melothesia of the Apocryphon of John and the Umm al-kitāb – Einar Thomassen
Le théâtre du monde: illusion ou rédemption? – Claudine Besset-Lamoine
PARTIE II. L’Église manichéenne et la réception des écrits manichéens
Secrets of heaven: Manichaean cosmology in its late antique context – Jason David BeDuhn
Le jumeau et le paraclet céleste de Mani: Quelques éléments de lecture et de réflexion – Simon C. Mimouni
Symbols of liberation: The Salvation-seeking Souls, the Primary Prophets, and the Light Mind in Manichaean Didactic Painting – Zsuzsanna Gulácsi
Exégèse manichéenne et anti-manichéenne de 2 Corinthiens 4, 4 chez Titus de Bostra ( Contre les manichéens IV 108) – Paul-Hubert Poirier
Vérité, erreur et mensonge dans le Psautier et les Kephalaia du Fayoum – Madeleine Scopello
Le retour du refoulé. Le concept de la vision de Dieu pour Augustin à la suite des nouvelles recherches sur le manichéisme – Giovanni Filoramo
Sur les traces syriaques des manichéens : les réfutations de Moïse bar Kepha (IX e s.) et de Jacques bar Šakko (XIII e s.) – Flavia Ruani
Mani déguisé en monophysite – Alain Le Boulluec
La colonne de lumière, une notion manichéenne dans l’ismaélisme ṭayyibite – Daniel De Smet
Les cinq esprits de l’homme divin (Aspects de l’imamologie duodécimaine XIII) – Mohammad-Ali Amir-Moezzi
‘In the name of Jesus’. Observations on the term ‘Jesus the Messiah’ in christian and manichaean texts from Central Asia – Samuel N. C. Lieu
Le chant divin: rôle et pouvoir de la musique rituelle. Des rites musicaux de l’Orient ancien aux hymnes des manichéens de Chine – Lucie Rault
PARTIE III. Acta Pilati et leur réception
À propos d’un passage mystérieux dans l’ Évangile de Nicodème (XVI 3) – Bernard Outtier
Une polémique de rabbins évacuée dans les versions d’ Acta Pilati 14.1.2 – Gérard Roquet
La gloria inexpresable. Las teofanías de los apócrifos del Antiguo Testamento y su significado en una variante copta de las Actas de Pilato – Magdalena Díaz Araujo
«Et les enseignes s’inclinèrent»: possibles allusions aux Actes de Pilate dans quelques homélies coptes – Anne-Catherine Baudoin
Diffusion et réception des Actes de Pilate dans la littérature byzantine – Rémi Gounelle
La manifestation de la royauté du Christ dans les Actes de Pilate ré-actualisée dans la liturgie byzantine sous l’impulsion du Pseudo-Germain de Constantinople – Christiane Furrer
The Troyes Redaction of the Evangelium Nicodemi and its Vernacular Legacy – Zbigniew Izydorczyk and Dario Bullitta
De quelques pièces du dossier syriaque sur Pilate: de la correspondance byzantine à la correspondance médiévale – Alain J. Desreumaux
À la recherche de la tradition perdue: à propos d’une édition critique de la version slave des Acta Pilati – Susana Torres Prieto
PARTIE IV. Lieux chrétiens et figures
Le parent comique du monastère. À propos du De vita contemplativa de Philon d’Alexandrie – Tatjana Aleknienė
Épigraphie et expériences religieuses: le cas des ‘bains’ de Gadara ( Palaestina II a) – Nicole Belayche
Remarques à propos des fragments coptes 159-160, 302-304, conservés à l’IFAO du Caire: une homélie copte sur la Vierge Marie attribuée à Cyrille de Jérusalem – Agnès Le Tiec
Bardaisan and the Bible – Alberto Camplani
La double figure de Joseph d’Arimathie: histoire de la réception d’un personnage biblique – Régis Burnet
Bartholomew’s martyrdoms: the Latin tradition – Els Rose
Kālēb, souverain et saint: un nouvel Alexandre? – Jacques-Noël Pérès
Loisy et les apocryphes pétriniens découverts à Akhmim-Panopolis – Jean-Michel Roessli
PARTIE V. Pensées grecques, et d’Orient
Visions et légitimation: voie hermétique de la connaissance et du salut dans Corpus Hermeticum I – Anna Van den Kerchove
OC 216 ( dubium) des Places – Fragmentum Orphicum 353 Kern. Probleme und Interpretationen – Helmut Seng
Le mythe d’Ouranos, Kronos et Zeus comme argument antignostique chez Plotin – Luciana Gabriela Soares Santoprete
Le rituel théurgique de l’ensevelissement et le Phèdre de Platon. À propos de Proclus, Théologie Platonicienne, IV, 9 – Philippe Hoffmann
Le ḥadīth de la création des noms divins et son exégèse par Mullā Ṣadrā – Christian Jambet
L’image, lieu de la médiation dans les papyrus magiques grecs – Michela Zago
Sortilège nabatéen – Michel Tardieu
Tabula gratulatoria