Gemeinsam mit De mercede conductis bildet die Apologia ein lukianisches Schriftenpaar. Ersterer Text hatte sich als Warnung an griechische Gelehrte davor gegeben, sich als Hauslehrer bei hochgestellten Römern zu verdingen. In der Apologia hat sich der Autor nunmehr gegen scharfe Kritik des Sabinus zu verteidigen, er habe mit der Annahme einer bezahlten Stelle in der ägyptischen Provinzialverwaltung seine einstigen hohen Ideale verraten.
Hafner legt mit diesem Buch seit nunmehr fast 200 Jahren erstmals zu Lukians Apologia eine neue Übersetzung ins Deutsche vor und widmet der bislang wenig beachteten Schrift eine umfangreiche Einleitung und einen Kommentar. Die Einleitung skizziert zunächst den Aufbau und den Inhalt der Schrift, referiert den überschaubaren Forschungsstand, weist auf Auffälligkeiten von Stil und Sprache hin und führt ein byzantinisches Rezeptionsbeispiel vor (S. 11-20). Sodann folgen zwei Exkurse, die Hafner schon im Vorwort (S. 8) als das Herzstück der Einleitung ankündigt; ihnen fällt die Rolle zu, die Schrift im Kontext von Lukians Gesamtwerk zu verorten, um so eine isolierende Betrachtung zu vermeiden.
In Exkurs I (S. 21-43) möchte Hafner die Apologie generell als ein Medium auktorialer Selbststilisierung verstanden wissen, als Maßnahme gegen erfolgte Kritik, als Selbstlob unter Zurückweisung von fiktiver Kritik, und, speziell im Falle Lukians, als Aufweis von παιδεία. Die fiktiven Gerichtsszenarien bei Lukian, die hilfreich zusammengestellt sind (S. 24-26), werden besonders unter dem Gesichtspunkt der Selbstverteidigung einer Autorfigur betrachtet. Rhetorizität und Theatralität werden als Indizien dafür gewertet, dass ein autobiographisches Textverständnis auszuschließen sei. Die jeweiligen Gegner seien gleichfalls fingierte Charaktere. Lukian habe auch hier sein übergreifendes Programm einer Verbindung platonisch-sokratischer Literatur mit Alter Komödie verwirklicht.
In methodischer Hinsicht schliesst Hafner sich eng an einschlägige wissenschaftliche Verfahren der letzten Jahrzehnte zu Lukian und zur Zweiten Sophistik, im Besonderen zur Textsorte der Apologie an. Eine prinzipielle Reflexion über die entscheidende Frage, ob die gegenwärtigen anti-biographistischen Deutungsweisen dermaßen universell anwendbar sind, findet nur ansatzweise statt. Wo ein Nachdenken über diese derart komplexe Frage sichtbar wird, da findet man kaum mehr als Verweise auf diejenigen Arbeiten, die den momentanen Trend repräsentieren (S. 30 Anm. 45) und harsche Polemik gegen profilierte Vertreter einer besonnen vorgetragenen biographischen Lesart (S. 44, Anm. 109 und 110). Hafner glaubt also an einen unbedingten Fortschritt in der Wissenschaft, ist sich aber nicht der Zeitbedingtheit auch der aktuellen Sichtweisen bewusst. Innovativ ist Hafner jedoch da, wo er die Konzeption von Schriftenpaaren (so setzt die Apologia die Kenntnis von De mercede conductis voraus, der Piscator die der Vitarum auctio und Pro imaginibus die der Imagines) damit begründet, Lukian habe damit seine Autorschaft gegen pseudepigraphische Zusätze markieren wollen (S.39-41). Dies ist überlegenswert, auch wenn es nicht jeden überzeugen wird. Dass Lukian jedoch nie als er selbst auftritt (S. 41), ist ein Irrtum, der alleine schon durch Alex. 55 zu widerlegen ist.
Exkurs II (S. 44-48) deutet mehrere von Lukians Texten als Erfolgs-Narrativ eines weitgereisten Starsophisten. Die Apologia wird als retrospektives Porträt eines erfolgreichen sophistischen βίος aufgefasst, dessen Beginn, ebenfalls aus der Retrospektive, in der Traumschrift geschildert werde. Für Lukian selbst sei es die παιδεία, welche seine Karriere in der römischen Reichsverwaltung begünstigt habe. Dagegen erheben sich zwei Einwände: Zum einen erscheint in der Apologia nirgendwo die eigene sophistische παιδεία als karriereförderndes Moment; eher schon klingt die die eigenen bescheideneren Möglichkeiten realistischer darstellende Erklärung λόγους … ἀσκήσαντι καὶ τὰ μέτρια ἐπαινουμένῳ ἐπ᾿ αὐτοῖς (Apol. 15) nicht wie pompöse Selbstinszenierung eines Starsophisten. Zum anderen gehörte Lukian niemals der Starriege der von Philostratos registrierten rhetorischen Prominenz an. Aus der Apologia spricht jedoch zweifellos ein gewisser Stolz des seine temporären, eher mäßigen Erfolge vorführenden professionellen Rhetors. Ganz andere Töne wären von dem gehobenen Selbstverständnis, der Selbstgewissheit eines «dreisten Starsophisten», wie Hafner den Außenseiter im zeitgenössischen rhetorischen Betrieb nennt (S. 38), zu erwarten. Den großen Unterschied vermögen die Sophistenporträts des Philostratos deutlich zu zeigen.
Die Übersetzung (S. 52-65) beinhaltet leider Fehler hinsichtlich Grammatik, Semantik und Textverständnis. Mitunter finden sich auch Auslassungen, und manchmal ist der Ausdruck im Deutschen mißverständlich. Hier eine den Paragraphen des Textes folgende Auswahl, da die genannten Bereiche sich bisweilen überschneiden:
§ 1: πόσοι Μίδαι καὶ Κροῖσοι καὶ Πακτωλοὶ ὅλοι: «Wie viele vom Schlage eines Midas, eines Kroisos oder eines Paktοlos». Hafner erklärt im Kommentar (S. 77) zwar richtig, dass der Paktolos ein lydischer Fluss ist, geht aber nicht darauf ein, wieso hier neben zwei Personen ein Fluss steht, und da er die Absicht nicht erkennt, auf die beiden Repräsentanten lydischen Reichtums (Midas und Kroisos) als Steigerung alles Gold goldreicher Flüsse folgen zu lassen, so lässt er in der Übersetzung ὅλοι als überflüssig weg. Textsinn: «Wie viele vom Schlage eines Midas und Kroisos, ja wieviele komplette goldtragende Flüsse von der Art eines Paktolos».
§ 1: Das Idiom γίγνεσθαι πρός τινι bedeutet nicht «vor jemanden kommen bzw. treten», sondern «in jemandes Nähe kommen». Dies zeigt neben dem allgemeinen Sprachgebrauch (Pl. Phdr. 254 b und bes. 249 d: die Worte πρὸς τῷ θείῳ γιγνόμενος bezeichnen das Eintreten in die Sphäre des Göttlichen) besonders hier der unmittelbare Kontext. Noch lebt der Autor ja, aber er ist aufgrund seines Alters Aiakos (Metapher für die Unterwelt) nahe, hat fast schon einen Fuß auf Charons Fährboot gesetzt. Die Worte πρὸς Αἰακῷ sind daher nur bei ungenauer Übersetzung mit «vor Aiakos» als Hysteron- Proteron zu verstehen (so aufgefasst im Kommentar, S. 71 Anm. 18).
§ 6: Καὶ σὺ τοίνυν, φαῖεν ἄν, οὐχ ὑποκριτής, ἀλλὰ ποιητὴς τῶν καλλίστων καὶ νομοθέτης γενόμενος…ἠλέγχθης πίθηκος ὢν… «Auch von Dir dürften sie behaupten, Du seist demnach kein Schauspieler, sondern ein “Dichter der Extraklasse” und “Gesetzgeber”, der … als Affe überführt worden sei,…». Dies ist eine stark entstellte Wiedergabe des Textsinns. Gemeint ist vielmehr, im Falle des Autors stehe es noch schlimmer als bei dem Affen, denn dieser habe bloß bis dahin seine andressierte Rolle gespielt, während der Autor sich selbstherrlich erst zum normgebenden Schöpfer (ποιητής und νομοθέτης) der höchsten Werte aufgeschwungen habe, nur um dann seine Postulate zu verraten.
§ 6: προπετῶς μὲν θρασυνάμενος πρὸς τὰς ἀνθρώπων χρείας: «Nachdem Du Dich voreilig auf die menschlichen Bedürfnisse gestürzt hattest». Dies ist eine mißverständliche Verdunklung eines diluziden Textsinns: «Nachdem Du Dich erfrecht hattest, keck gegen die Bedürftigkeiten der Menschen herzuziehen». Das war Thema gewesen im Eingangspassus von De mercede conductis.
§ 8: ἢ τοῦτο μὲν κομιδῇ ἰδιωτικόν: «Oder dies ist allein auf meinem Mist gewachsen». Der Fehler beruht auf einer offensichtlichen Verwechslung der Adjektive ἴδιος und ἰδιωτικός. Tatsächlich korrigiert sich hier jedoch der Sprecher mit der Aussage, dass die verbreitete Berufung auf höhere Schicksalsmächte eine billige Ausrede wäre, eine, die man wohl einem Dilettanten (ἰδιώτης) zutrauen möchte, nicht aber einem πεπαιδευμένος. Vgl. LSJ s. v. ἰδιωτικός II.
§ 10: μετὰ τούτων: «hernach»: Verwechslung von μετά mit Akkusativ und μετά mit Genetiv.
§ 11: ἑκάτερον σκόπει: «prüfe jedes Detail einzeln»: Verwechslung von ἕκαστος und ἑκάτερος. Richtig ist: «prüfe beides», da es nur zwei Dinge zu prüfen gibt, die neue Lebenswahl und das in De mercede conductis aufs Korn genommene Sklavendasein.
Der Kommentar (S. 66-129) gibt hilfreiche Sachinformation. Er schlüsselt Zitate auf, belegt Redensarten, verzeichnet Motivgeschichtliches, weist auf unterschiedliche Lesarten hin und hält das Corpus Lucianeum sowie auch Primärtexte aus unterschiedlichen literarischen Gattungen und Zeiten stets als Referenztexte parat. Neuere Forschungsliteratur zu Lukian und zur Zweiten Sophistik wird reichlich zitiert, doch wird dabei mitunter etwas mehr Selektivität vermisst. In einer Hinsicht gehen vom Kommentar fruchtbare Impulse aus, nämlich im konsequent durchgeführten Versuch, die angewandten argumentativen Strategien aus der rhetorischen Stasis-Lehre zu erklären. Wie bereits bei der Übersetzung, so ist auch hier der Umgang mit der griechischen Sprache der bei weitem schwächste Bereich. Die Anmerkungen vernachlässigen häufig, die feinen Nuancen des Textes oder mitunter auch nur den vordergründigen Textsinn adäquat zu erklären. Hier nur zwei Beispiele, die beide repräsentativ zeigen, dass Versäumnisse im Kommentarteil wesentlich auf weiteren Mängeln der Übersetzung beruhen:
§ 4: Bei den Worten ἢ εἴπερ σόν ἐστιν wäre eine Anmerkung zum Unterschied von εἰ («sofern») und εἴπερ («wenn denn wirklich») sinnvoll gewesen, doch aus Hafners unpräziser Übersetzung von εἴπερ mit «sofern» geht hervor, dass er beides für identisch hält.
§ 11: Der mit ἐπεὶ οὐκ ἂν φθάνοι τις eingeleitete Satz hätte die Möglichkeit geboten, ein bei Lukian beliebtes, öfter wiederkehrendes Idiom zu erklären, nämlich das nach negativer Protasis selbständig anreihende ἐπεὶ mit der Bedeutung «denn sonst» (Hist. Conscr. 29, 34, 36, Herm. 5). Hafner jedoch hält in der Übersetzung ἐπεὶ für eine einen kausalen Nebensatz einleitende Konjunktion, was sowohl Syntax als auch Aussage des ganzen Satzgefüges zerstört. Auch hier hätte Hafner auffallen müssen, dass es einer genaueren sprachlichen Untersuchung zur Gewinnung eines vernünftigen Textsinns bedurfte.
Die Syntax im Deutschen gerät wiederholt sinnstörend aus den Fugen (S. 68, 88, 109 u. ö.). Auch sachliche Irrtümer, Flüchtigkeiten, Ungenauigkeiten und Überzeichnungen sind nicht selten zu finden. Hier ein paar Beispiele:
S. 69 Anm. 6: Das Idiom ἐπὶ πᾶσιν wird so aufgefasst, als stünden hier die Worte μετὰ ταῦτα; es wird aber nicht danach gefragt, welche Nuance mit dieser spezifischen Wortwahl intendiert ist. Lukian verwendet die Junktur ἐπὶ πᾶσι ansonsten (Vit. Auct. 22, Hist. Conscr. 31) in der pointierten Bedeutung «zu guter Letzt» bzw. «zur Krönung», und da in beiden Fällen ein Akkusativobjekt folgt, so sind alleine schon deshalb Zweifel an der von Hafner akzeptierten Lesart der codices recentiores angebracht; S. 73 Anm. 24: Der Chor der euripideischen Medea besteht nicht aus thebanischen Frauen, sondern aus korinthischen; S. 79 Anm. 45: In Hist. Conscr. bezeichnet der Begriff ἱστορία nicht ein historiographisches officium, sondern die Geschichtsschreibung als literarische Gattung; S. 80 Anm. 49: Im Euripidesscholion zu Phoen. 395 ist die Aussage des Polyneikes nicht als «feige» bewertet, sondern als «einem Helden inadäquat», als «würdelos»; ebenso ungenau ist bereits die Übersetzung von ἀγεννέστατον in § 3 mit «schamlοs» (S. 55), da auch hier die Kritik des Sabinus auf die Würdelosigkeit des Verhaltens abzielt; S. 82 Anm. 56: Die Fabeln Aisops sind nicht generell als Anekdoten zu bezeichnen, auch nicht aus Sicht Lukians; S. 88 Anm. 84: συντρίβειν bedeutet nicht das Zerreißen, sondern das Zerschlagen, Zerschmettern der Maske; S. 89 Anm. 85: Parrhesiades ist in Pisc. 19 nicht Sohn des Ἐλεγξικλέος (richtig Ἐλεγξικλῆς) genannt, sondern Sohn des Ἀληθίων, Enkel des Ἐλεγξικλῆς; S. 89 Anm. 88: αὐχμεῖν bedeutet nicht «ausdörren, trocknen», sondern «dürr, trocken sein»; S. 111 Anm. 173: Dass εἰσάγειν eine vage Formulierung darstellt, die auch auf die Inszenierung rhetorischer Agone zielen kann, erscheint in diesem Kontext fragwürdig.
Primärzitate sind öfter sinnentstellt wiedergegeben, so S. 68 Anm. 5: in Anach. 1 hängt πολλῷ in der Luft; es hätte entweder weggelassen werden müssen, oder es hätte lauten müssen ἐν ἱδρῶτι ἅμα πολλῷ; S. 72 Anm. 21: statt τοῦ βίου muss es heißen ἐπὶ δὲ τοῦ βίου; S. 86 Anm. 75: Im Plutarchzitat fehlt der mit τῷ δὲ eingeleitete Satzteil; S. 93 Anm. 107: im Herodotzitat fehlt vor ἐντρέψειαν die erst den Optativ verständlich machende Konjunktion ὅκως; S. 99 Anm. 121: Der Relativsatz im Gelliuszitat findet kein Ende; S. 111 Anm. 175: statt τὰ δίκας muß es heißen τὰς δίκας;
Es finden sich auch Akzentfehler, so S. 108 Anm. 154: statt οἴκοτριψ ist οἰκότριψ zu schreiben; S. 111 Anm. 177: γνώσις ist durch γνῶσις zu ersetzen; S. 124 Anm. 207 und 208: statt des zweimaligen μεγαλομίσθος ist μεγαλόμισθος zu schreiben.
Literaturverzeichnis (S. 131-156) sowie Namen- und Sachregister (S. 157-159) beschließen das Buch.
Die hier geäußerte Kritik hat gezeigt, dass Hafners Buch von größerer Sorgfalt im Umgang mit der griechischen Sprache, im Besonderen mit den Feinheiten von Lukians darstellerischer Kunst hätte profitieren können. Die Einleitung vermittelt einen nützlichen Überblick über die aktuellen Trends in der Forschung; sie bietet eine komplette Synopsis über die vielfältigen Formen von Apologie bei Lukian mitsamt den auch hier variierenden Masken und Rollen. Der Kommentar enthält trotz der Irrtümer viel hilfreiches Material, aus dem Leser mit unterschiedlichen Graden an Vorwissen durchaus Gewinn beziehen können.