Eine Vorlesungsreihe erinnert seit 1995 an den bedeutenden Kirchenhistoriker und Archäologen Hans Lietzmann (1875−1941), der an der Friedrich-Schiller-Universität Jena und der damaligen Friedrich-Wilhelms-Universität Berlin, der heutigen Humboldt-Universität prägend wirkte. In der inzwischen 14 Hefte zählenden Reihe, die bei De Gruyter in gewohnter Qualität erscheint, konnte Gunnar Brands nun seine Prolegomena zur Stadtgeschichte der bedeutenden (spät-)antiken Metropole Antiochia am Orontes aus der Sicht eines Archäologen mit einem klaren Schwerpunkt in der historischen Bauforschung vorlegen. Nicht nur angesichts des mehr als bedauerlichen Stands der Veröffentlichungen zu diesem einflussreichen, kulturellen Zentrum, das vom modernen Antakya weitestgehend überbaut ist, liefert das nur gut 70 Seiten Text umfassende Büchlein eine höchst willkommene Zwischenbilanz.
Brands stellt seiner Synthese eine Einführung (I Antiochia als Mythos und Problem, 1−7) voran, in der er knapp auf die kulturhistorische Bedeutung der Stadt wie auch auf die Quellenlage zur selben eingeht. Letztere ist in mehrfacher Hinsicht mehr als problematisch: Erstens war Antiochia wiederholt, weitgehenden Zerstörungen durch Naturkatastrophen und Eroberungen preisgegeben; zweitens gehen die spätantiken Schriftsteller, wenn überhaupt, nur sehr allgemein auf den Baubestand der Stadt ein, sodass sich dieser nur sehr lückenhaft rekonstruieren lässt; drittens erlaubt es die neuzeitliche Überbauung trotz umfassender, aber unzureichend publizierter, Untersuchungen durch ein amerikanisch-französisches Team in den Jahren 1932−1939, nur einzelne Schlaglichter auf die spätantiken Stadtentwicklung zu werfen.1 Damit beginnt Brands in seinem nachfolgenden, chronologisch geordneten Hauptteil.
In seinem Abriss der Stadtentwicklung Antiochias unter den Tetrarchen und Konstantin I. (7−15) zeichnet Brands den Ausbau zum sedes imperii nach. Ein Schwerpunkt liegt dabei naturgemäß auf der Umgestaltung der Orontesinsel mit dem Palastbezirk (Abb. 4). Er betont dabei zu Recht die Unterschiede zwischen Antiochia und dem Altersruhesitz Diokletians in Spalato (Split). Antiochias Palastbereich habe im 4. Jahrhundert n. Chr. mehr strukturelle Gemeinsamkeiten mit hellenistischen Palästen oder eben mit Thessaloniki und Konstantinopel besessen, wo die Einzelbauten ein Palastensemble bildeten, zu dem schließlich auch der Hippodrom gehörte. Entscheidend sei jedoch, dass man sich hierbei im Gegensatz zu Konstantinopel oder Thessaloniki mit überkommener Bausubstanz auseinandersetzen musste. Dies galt freilich auch für andere tetrarchische Residenzstädte wie Mailand, Trier oder das Rom des Maxentius. Wenn Brands die Integrierung des antiken Podiumstempels in den „Masterplan einer tetrarchischen Residenzstadt“ (14) als einmaligen Vorgang bezeichnet, bleibt zu fragen, wie er den Umbau des Venus- und Roma-Tempels unter Maxentius interpretieren würde.2 Die Maßnahmen werden jedenfalls am Ende des Kapitels als Teil eines bereits vor Kaiser Julian angelegten, religiösen Erneuerungsprogramms gezählt. Aus Julians Regierungszeit ist nur die Errichtung einer Bibliothek bekannt; umso umfassender waren allerdings die Pläne für den Ausbau Antiochias (III Pläne: Julian und die Stadt aus Marmor, 15−19), das ohnehin „bis zu Valens Tod 378 die (Hervorhebung: G. Brands) kaiserliche Residenz … mit der es auch Konstantinopel nicht aufnehmen konnte“ (16) blieb. Aufgrund „permanenter Reibereien zwischen Kaiser, Magistrat und Bürgerschaft“ (17) gab Julian diese Absichten auf ehe er 363 gegen die Perser ins Feld ziehen sollte, um dort den Tod zu finden.
So fiel der nächste Ausbau der Stadt in die Regierungszeit des Valens (364−378) und wird von Brands unter dem Schlagwort der „Historisierung des Stadtbildes“ (19−30) vorgestellt. Im Zentrum der Maßnahmen unter Valens steht die Gestaltung eines monumentalen Forums, über dessen Errichtung wir von Johannes Malalas (Ioh. Mal., Chron. 261, 48−66 (13, 30)) erfahren. Leider lassen sich aber weder der genaue Umfang – nach Brands könnte es eine Tiefe von 200 m Tiefe und eine Breite von 350 m erreicht haben (29, Abb. 11) − noch seine Lage archäologisch in zufriedenstellender Weise nachweisen. Emanuel Mayers Interpretation des Valensforums als „dynastisches Monument“ (23) versucht Brands zu ergänzen. Wenn er darin eine Wiederbelebung des Stadtbildes, die nach dem Erdbeben von 341 zweifelsohne notwendig war, erkennt und das Forum als einen Ort, „der als Träger kollektiver Erinnerung die Leistung von Vergangenheit und Gegenwart miteinander verband“ (23), charakterisiert, wird er kaum auf grundsätzlichen Widerspruch stoßen. Doch müssen diese Überlegungen über weite Züge hypothetisch und aufgrund einer fehlenden Übersicht der einzelnen Baumaßnahmen etwas unkonkret und für den Leser schwer nachvollziehbar bleiben.3 Die angeführten Belege, die auf eine Musealisierung oder wie es wiederholt heißt „Christianisierung durch Historisierung“ (24. 26) hinwiesen, fußen auf den hinlänglich bekannten Gesetzestexten (CTh 15,1,19. 16,10,19. 4. Nov. Mai. 4), die sich natürlich weder speziell auf Antiochia beziehen noch aus der Regierungszeit des Valens stammen. Vielmehr konnte Ralf Behrwald nachweisen, dass der immer wieder angenommene Schutz historischer Bausubstanz anhand der Gesetzestexte im Sinne einer Vorform des Denkmalschutzes nicht artikuliert wird.4
Auf den Seiten 30−37 widmet sich Brands einem der grundlegendsten Eingriffe in das Stadtbild Antiochias, der Südstadterweiterung unter Theodosius II. (408−450). Wirtschaftlicher Wachstum und ein damit einhergehender Zuwachs der Bevölkerung mögen diesen Ausbau notwendig gemacht haben (32), für den wieder Malalas die eine zentrale Quelle darstellt (Ioh. Mal., Chron. 267, 94−268, 8 (13, 39)). Der neue Stadtteil wurde von einer Mauer eingefasst, die im späten 18. Jh. von L.-F. Cassas gezeichnet wurde. Ihre Datierung muss offen bleiben. Brands kann neben Parallelen zur theodosianischen Landmauer in Konstantinopel (Turmform, Mauertechnik) auch Unterschiede (Einfassung der Fensterfelder durch Halbkreisbögen) ausmachen und verweist zu Recht auf die lange Laufzeit der Bauweise (Kleinquaderschale mit Ziegeldurchschuss) im syrischen Raum. Wichtig und neu ist seine Beobachtung, wonach die Zeichnung, die Cassas für die Ausgabe seiner Voyage Pittoresque anfertigte, verschiedene Bautechniken und damit möglicherweise verschieden Bauphasen wiedergebe.5 Überzeugen kann Brands Vermutung, dass die Südstadt durch die Mauer klar von der alten Stadt zu unterscheiden und somit „vielleicht stärker als jedes Einzelbauwerk … an den Kaiser“ (37) erinnerte.
Das justinianische Wiederaufbauprogramm (37−58) war den desaströsen Jahren 525−542 geschuldet und reagierte somit mehr auf äußere Notwendigkeit als es einen kreativen Aus- oder Umbau der Stadt bedeutete. Der historische Baubestand sei, so Brands, weitestgehend verloren gewesen. Der einsetzende Wiederaufbau habe der „Wiederherstellung der Funktionstüchtigkeit der Stadt“ die so „eine eilig hergerichtete Stadt ohne Eigenschaften wurde“ gedient (40). Die Stadt wurde um ca. 40 % in ihrer Fläche verkleinert, wobei wichtige Bauten wie der Hippodrom oder Thermenanlagen aufgegeben wurden. In den übrigen Bereichen habe man sich aus pragmatischen wie immateriellen Gründen gegen einen Neuaufbau, sondern für einen Wiederaufbau entschieden, der zur Wahrung „stadträumlicher Kontinuitäten“ beitrug (53). Bei den Baumaßnahmen im Bereich der neuen Mauer kann Brands mit hoher Wahrscheinlichkeit die Genauigkeit der Schilderungen Prokops bei aller gebotener Vorsicht durch neueste Surveyergebnisse bestätigen (43 f.). Eine auf mehrere hundert Meter nachgewiesene Terrassenmauer könnte demnach mit den Einebnungsarbeiten in Verbindung stehen, die Prokop (Prok., aed. 2, 10, 14) erwähnt. Ebenfalls Prokop verdanken wir eine ausführliche Beschreibung des sog. Eisernen Tores, der nach Brands frühesten erhaltenen Bogenstaumauer. Hier darf man auf die angekündigte Publikation dieser Leistung des frühbyzantinischen Ingenieurbaus durch G. Brands, M. Döring und U. Weferling gespannt sein.
Der anschließende Überblick über die innerstädtischen Wiederaufbaumaßnahmen besticht durch eine kritische Haltung gegenüber allzu optimistischen Datierungen von Einzelmonumenten, die den Text allgemein auszeichnet. So finden sich nach Brands beispielsweise keine archäologischen Argumente für die Aufgabe der Bäder A, C und E in justinianischer Zeit; auch die Kirche von Machouka muss nicht nach den justinianischen Beben entstanden sein (48 f.). Ferner muss die Verbindung mehrerer Brandhorizonte in Wohnbauten mit den Katastrophenjahren, wie von den amerikanischen Ausgräbern vorgeschlagen, letztlich nur ein mögliches Szenario bleiben (55 f.).
Das abschließende Kapitel „Stadt und Kunst“ (58−72) kann nicht mehr als ein Ausblick sein. Dennoch ist es begrüßenswert, dass es in das Manuskript aufgenommen wurde, das auch schon mit dem vorherigen Kapitel hätte enden können. Doch besteht eine Stadt eben nicht nur aus ihren Bauten und gerade Antiochia als kulturelles und mutmaßliches künstlerisches Zentrum verdient diese zusätzliche Aufmerksamkeit. Brands liefert drei Exkurse zum Kirchenbau, den Bodenmosaiken und der spätantiken Skulptur: Aus Antiochia sind lediglich zwei Kirchen erhalten (58−64); ihr Zustand erlaubt keine der wichtigen architekturgeschichtlichen Fragen, wie beispielsweise nach der vermuteten Vorbildhaftigkeit Antiochias für die Kirchen im syrischen Kalksteinmassiv oder nach der Herkunft des Tetrakonchos zu beantworten. Antiochia gehört zu den wenigen Städten im Reich, für die eine konstantinische Kirche, das sog. goldene Oktogon, belegt ist. Für diesen Zentralbau, wie für die kreuzförmige Kirche, die als Verehrungsstätte des Hl. Babylas gedient haben soll, können die Abhängigkeiten zu weiteren konstantinischen Kirchenbauten nur vermutet werden.6
Die wenigen Seiten (64−68), die den zahlreichen spätantiken Bodenmosaiken aus Antiochia, bzw. Seleukeia Pieria und Daphne gewidmet sind, äußern zu Recht Skepsis gegenüber den aktuellen meist stilistischen Datierungen, die weitreichende Folgen für die Chronologie der Häuser nach sich zieht.
Die Forschungslage zur spätantiken Skulptur Antiochias (68−72) skizziert Brands als ein noch lohnendes Forschungsfeld, das dringend einer zusammenfassenden Überarbeitung der Datierungen bedarf. Einige Stücke dürften deutlich später als bislang angenommen zu datieren sein, wie die angeführten Beispiele überzeugend verdeutlichen.7
Die Exkurse runden den Abriss einer archäologischen Stadtgeschichte geschickt ab. Einzig einen Hinweis auf die weitere Geschichte der Stadt, z. B. auf die erneute persische Zerstörung der Vorstadtbereich 573 oder die Rolle der Stadt im Perserfeldzug des Kaisers Herakleios mag man vermissen.
Die wenigen kritischen Anmerkungen bleiben letztlich Marginalien, die den Wert des Büchleins in keiner Weise schmälern sollen. Gunnar Brands ist es vielmehr in vorbildlicher Weise gelungen, einen status-quo-Bericht zur Kenntnis Antiochias in der Spätantike anhand der archäologischen Zeugnisse zu liefern. Der synthetisierende Text ist durchweg gut leserlich, da die Diskussion von Einzelbefunden in die teils ausführlichen Fußnoten verlagert wurde. Den Text ergänzen gut ausgewählte, teils farbige Abbildungen, Pläne und Rekonstruktionszeichnungen am Ende des Buchs. Besonders hervorzuheben ist der Abdruck mehrerer topographischer Pläne der Stadt, für die U. Weferling verantwortlich zeichnet.
Antiochia wird dank Gunnar Brands nicht nur einem Fachpublikum, für das sich hier fortan der beste Einstieg in das Thema findet, sondern auch einer über das Fach hinaus interessierten breiten Leserschaft nähergebracht. Abschließend bleibt im positivsten Sinn nur auf die baldige Abschlusspublikation des topografischen Surveys zu hoffen.
Notes
1. Maßgeblich bleibt G. Downey, A History of Antioch in Syria from Seleucus to the Arab Conquest (Princeton 1961). Das Bild wird durch einen topografischen Survey, der als Kooperation zwischen der Martin-Luther-Universität Halle und der Mustafa-Kemal-Üniversitesi Antakya von 2004 bis 2009 durchgeführt wurde, ergänzt. Die Abschlusspublikation durch G. Brands und U. Weferling wird derzeit vorbereitet. Für Vorberichte und Zwischenergebnisse vgl. Brands Anm. 22. Ferner verweist Brands auf die lohnenswerte Auswertung der Grabungsdokumentation, die im Antioch Archive der Princeton University lagert, und die ihm als Grundlage einiger Prolegomena diente.
2. Wenn es sich auch hierbei streng genommen um keine „offizielle“ tetrarchische Residenz handelt, bietet sich ein Vergleich m. E. doch an. Grundlegend zum maxentischen Bauprogramm H. Leppin − H. Ziemssen, Maxentius der letzte Kaiser in Rom (Mainz 2007) bes. 74−82.
3. Brands spricht die Errichtung einer Ehrensäule, den teilweisen Abriss des Kaisarions, und nicht näher charakterisierter Sportstätter, die in Zusammenhang mit den antiochenischen Olympischen Spielen zu sehen sind, an. Für eine Liste der Baumaßnahmen des Valens verweist er in Anm. 87 auf Downey a. O. 632−640 bzw. in Anm. 101 auf N. Lenski, Failure of Empire. Valens and the Roman State in the Fourth Century A. D. (Berkeley 2002) 400 f.
4. R. Behrwald, Die Stadt als Museum? Die Wahrnehmung der Monumente Roms in der Spätantike, Klio Beih. 12 (Berlin 2009) 99−127 bes. 102. 120. Selbst der von Brands angeführten vierte Novelle Maiorians (11.5.458) liege „die Vorstellung, die römischen Tempel als Monumente kultureller Identität oder mit Blick auf ihre historische Bedeutung zu schützen“ noch fern; vielmehr betone der Text die Größe und nicht das Alter der Bauten, so Behrwald a. O. 126.
5. L.-F. Cassas, Voyage Pittoresque de la Syrie, de la Phénicie, de la Palestine, et de la basse Égypte (Paris 1798).
6. Im Falle des Babylas-Martyriums führt Brands überraschenderweise als Vergleich die konstantinische Apostelkirche an. Immerhin wurde für diesen Bau auch ein runder Grundriss vorgeschlagen: Danach handele es sich bei dem Rundmausoleum, in das Konstantin nach der Restaurierung der Apostelkirche unter Constantius II umgebettet wurde, tatsächlich um den älteren Bau. Die Kirche kreuzförmigen Grundrisses wäre somit ein späterer Anbau im Westen des eigentlichen Mausoleums, so N. Asutay-Effenberger – A. Effenberger, Die Porphyrsarkophage der oströmischen Kaiser. Versuch einer Bestandserfassung, Zeitbestimmung und Zuordnung, Spätantike – Frühes Christentum – Byzanz, Reihe B, Studien und Perspektiven 15 (Wiesbaden 2006) 99−18. Als Vorbild für den 387 vollendeten Bau des Babylas-Martyriums kommt die Apostelkirche somit zwar in Frage, allerdings nicht in ihrer konstantinischen Phase. Wie zwingend derartige Abhängigkeiten im Grundriss letztlich sind, − die Kreuzesform ist zwar speziell, findet sich im späten vierten Jahrhundert aber auch in Norditalien − bleibt zu diskutieren.
7. S. auch die vorgeschlagenen Spätdatierungen bei N. Hannestadt, Tradition in Late Antique Sculpture – Conservation – Modernization – Production, Acta Jutlandica. Humanities Series 69 (Aarhus 1994) 119.