BMCR 2017.02.54

Une antiquité tardive noire ou heureuse? Actes du colloque international de Besançon (12 et 13 novembre 2014). Institut des Sciences et Techniques de l’Antiquité

, Une antiquité tardive noire ou heureuse? Actes du colloque international de Besançon (12 et 13 novembre 2014). Institut des Sciences et Techniques de l'Antiquité. Besançon: Presses Universitaires de Franche-Comté, 2015. 270. ISBN 9782848675282. €23.00 (pb).

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Der Tagungsband, der die Referate eines im November 2014 in Besançon veranstalteten Kolloquiums zusammenführt, ordnet sich in die Debatten ein, die seit einigen Jahren verstärkt um die Frage nach der Eigenständigkeit der Spätantike als Epoche sowie ihrer (insbesondere zeitlichen) Grenzen geführt werden. Es nimmt daher nicht Wunder, dass die Einleitung des Herausgebers unmittelbar mit einem Hinweis auf die Arbeiten Peter Browns und die von ihnen ausgehenden Impulse (bis hin zu den Gegenreaktionen, für die u.a. der Name Bryan Ward-Perkins steht) einsetzt, um von dort aus insbesondere das 4. (und partiell auch das 5.) Jahrhundert als Phase der Auseinandersetzung zwischen Christen und Altgläubigen zu charakterisieren und diesen Faden mit der Diskussion um das Ende der Antike als Untergang der römischen Zivilisation zu verweben. Ratti kommt zu dem Schluss, dass beide Diskussionskomplexe sich über einen Blick auf die Ereignisse der Jahre 376/78 miteinander verknüpfen lassen, insofern diese ausgerechnet von Ammian und Hieronymus und damit von zentralen Repräsentanten der religiösen Gegensätze dokumentiert und kommentiert worden seien (22f.).

Die Beiträge wurden in drei Sektionen angeordnet, die sich von generalisierenden Perspektiven auf die Mikroebene zubewegen. Teil I behandelt „Historiographie et questions de périodisation“ (29-102), Teil II „Païens et chrétiens: violences, polémiques et appropriations“ (103-176), der letzte Abschnitt (177-250) schließlich „La dernière Antiquité tardive: les Ve et VIe siècles“ (dort findet sich allerdings nur ein Beitrag, der dezidiert über das 5. Jh. hinausgreift). Eine systematisierende Klammer schaffen die Schlussbemerkungen von Jean-Michel Carrié, der ein Frageraster vorlegt, unter das die einzelnen Referate gefasst werden können. In Anlehnung an den Titel des Bandes sortiert Carrié die vorgebrachten Argumente für die Spätantike als „une periode noire“ oder „un âge heureux“ und präsentiert größere Fragekomplexe, die zum weiteren Nachdenken herausfordern: die chronologische Ausdehnung der Spätantike, verbunden mit der Frage nach Kontinuitäten und Zäsuren; die Debatten über (religiöse) Toleranz bzw. Intoleranz in dieser Phase; und schließlich die sich mit Blick auf die Forschungsgeschichte ergebende Frage nach der Möglichkeit einer „réhabilitation de l’Antiquité tardive“ (256).

Bereits Giuseppe Zecchinis instruktiver Überblick über Spätantike-Konzeptionen seit dem 18. Jahrhundert, der neben der Eingrenzungsproblematik vor allem die unterschiedlichen Bewertungen der Spätantike zwischen dem Dekadenz-Paradigma und dem Ansatz der Brown-Schule diskutiert, verweist darauf, dass ein größerer Teil der Beiträger erkennbare Probleme mit dem Paradigma der ‚Long Late Antiquity‘ hat. 1 Zecchini möchte die Spätantike weiterhin ganz im antiken Kontext verankern, d.h. als eine Periode definieren, die sich vollständig über eine Analyse typisch antiker Strukturen erfassen lässt (39). Damit gelangt er zu einer Kernphase von Konstantin bis Justinian, auf die eine Phase der „décomposition“ 565-636 gefolgt sei: „L’Antiquité tardive couvre donc, à mon avis, la période 312-636, soit à peu près trois siècles; cette extension exclut en amont le IIIe siècle (Dioclétien compris), mais se prolonge en aval au-delà de Justinien“ (40).

Ausgehend von der Beobachtung, dass die kulturellen Differenzen zwischen dem griechischen Osten und dem lateinischen Westen verstärkt in der Spätantike zutage traten und der Okzident ab dem 5. Jh. einen eigenen, „europäischen“ Weg gegangen sei (67), entwirft Polymnia Athanassiadi ein Gegenkonzept, das allerdings lediglich den Osten in den Blick nimmt (und sich insofern für eine konzeptuelle Erfassung der Spätantike insgesamt nur partiell eignet). Ihr Vorschlag, aufgrund langfristiger orientalischer Traditionen, die sowohl den östlichen Teil des Imperium Romanum als auch das Sāsānidenreich umfasst hätten, von einer longue époque hellénistique zu sprechen, die sich von ca. 300 v. Chr. bis zum frühen Islam erstreckt habe (68), weist enge Berührungen mit dem jüngst von Garth Fowden in die Debatte eingebrachten Konzept eines übergreifenden „First Millennium“ auf (vgl. 65) und wird von der Verfasserin im Folgenden anhand der Person des Damaskios exemplarisch erprobt. 2

Ausgehend von dem wichtigen Hinweis, dass die Geschichte der Christianisierung des Römischen Reiches auf einem seit der Antike im Wesentlichen fortgeschriebenen Narrativ beruhe (44), problematisiert Hervé Ingelbert die literarischen Quellen, die sich seiner Ansicht nach nicht in die bisher vorgestellten Modelle fügen (für deren Extrempositionen Alan Cameron und Polymnia Athanassiadi angeführt werden, vgl. 46). 3 Stattdessen gelte es, ein integratives Modell zu entwickeln, das unterschiedlichen methodischen Schwierigkeiten, insbesondere im Zusammenhang mit dem Quellenmaterial, gerecht werde und davon absehe, literarisch fassbare Intoleranz-Diskurse linear mit einer aggressiven kaiserlichen Politik oder gar staatlichen Gewaltmaßnahmen zusammenzubringen – eine Frage, die jüngst auch von Dirk Rohmann ausführlich thematisiert worden ist. 4

Der Beitrag von Paolo Mastandrea, in dem nach intertextuellen Bezügen zwischen Macrobius und Augustin vor dem Hintergrund der gotischen Eroberung Roms 410 gefahndet und der Verzicht des Macrobius auf antichristliche Polemik hervorgehoben wird, hätte eher in die zweite Sektion gepasst, die anhand von Einzelstudien das Verhältnis von Christen und Altgläubigen im 4. Jh. zu bestimmen sucht. Während Bassir Amiri den Umgang mit paganen Kulten in der Stadt Rom während des 4. Jh. untersucht und einen „compromis Romain“ (108) herausarbeitet, der sich z.B. im Ausbleiben systematischer Tempelzerstörungen zeige und auf eine mehr oder weniger stillschweigende Übereinkunft zwischen den städtischen Eliten und den Kaisern zurückgeführt werden könne (woraus die Konsequenz zu ziehen sei, dass in jedem Einzelfall zunächst die spezifischen lokalen Verhältnisse untersucht werden müssten), verfolgt Aude Busine den traditionsgeschichtlichen Weg des dux Aegypti Artemios vom (hingerichteten) römischen Amtsträger bis hin zu einem seit dem 7. Jh. in Konstantinopel verehrten Heiligen – eine systematische Quellenanalyse, die einen Überblick über die verfügbaren Informationen zu seiner Exekution verschafft, die These einer möglichen Existenz eines ‚arianischen‘ Artemios-Kultes in Antiocheia widerlegt und die spätere Funktion des Artemios als Heiliger auf einen älteren Kult der Artemis Phosphoros zurückführt. Gegen Kritik an seinen Thesen zu Verfasserschaft und Datierung der Collatio legum Mosaicarum et Romanarum sowie neuere Vorschläge argumentiert Robert M. Frakes, der davon ausgeht, „that a Christian Collator familiar with Roman law might have designed his work the way he did in order to reach out to pagans during the dynamic period of the 390s“ (154). Demgegenüber präsentiert Stéphane Ratti ein Kabinettstück, indem er einen Vorschlag unterbreitet, Passagen aus Augustins Gottesstadt, Rutilius’ Gedicht De reditu suo sowie die anonyme Komödie Querolus (die er als antichristliche Parodie aktueller sozialer und politischer Zustände insbesondere in Nordwestgallien deutet) miteinander in Zusammenhang zu bringen.

Detailuntersuchungen zu einzelnen Autoren bzw. Texten stehen im Zentrum des dritten Hauptabschnitts. Auf Jean-Yves Guillaumins Untersuchung zum Gebrauch von felix bei Servius folgen Pierre Jailettes Überlegungen zu Kontext und Entstehung des Codex Theodosianus, bevor Lucie Desbrosses in einer aufschlussreichen Analyse den widersprüchlichen Umgang des Sidonius Apollinaris mit paganen Mythen und Traditionen analysiert. Stellten diese zunächst noch in ganz üblicher Weise einen wichtigen Bestandteil seines literarischen Werkes dar (im Sinne einer „cohabitation“, vgl. 217), so änderte sich dies mit der Bischofswahl. Von nun an, so die Verfasserin, habe sich Sidonius der strengen christlichen Disziplin unterworfen – freilich nicht aus voller Überzeugung (vgl. 225). Im abschließenden Beitrag schließlich präsentiert Bruno Bleckmann den fragmentarisch erhaltenen Historiographen Menander Protektor nicht nur als herausragende Figur zwischen Agathias und Theophylakt, sondern zugleich auch als typischen Vertreter der ‚klassizistischen‘ Profangeschichtsschreibung, der genuin christliche Termini zwar in traditioneller Manier umschreibe, deshalb aber keineswegs als religiös indifferent angesehen werden müsse, sondern – im Gegenteil – dem Christentum sogar eine Überlegenheit gegenüber anderen Religionen und Kulten zuspreche und traditionell antike (Tyche, Nemesis) sowie christliche Geschichtsdeutungen ohne Schwierigkeiten miteinander zu verbinden vermochte.

Mit Ausnahme des letztgenannten Beitrags konzentriert sich der Sammelband im Wesentlichen auf die Geschichte des 4. und 5. Jahrhunderts, und darin liegt seine wesentliche Stärke und Schwäche zugleich: Die einzelnen Studien diskutieren wichtige und interessante Einzelprobleme und bieten vielfach erwägenswerte Lösungen an. In den großen, die Konzeption der Spätantike als eigenständiger Epoche betreffenden Fragen, bietet der Sammelband indes kaum Fortschritte. Hier erweist sich die doppelte Beschränkung auf zwei Jahrhunderte einerseits sowie andererseits die Eingrenzung des Fragehorizontes im Wesentlichen auf die Christen-Heiden-Problematik (die wohl allzu sehr zugespitzt wird, vgl. etwa 18: „Nicomaque Flavien, ce grand païen qui avait pris les armes au Frigidus en 394 pour défendre la paideia classique contre Théodose“) als Hemmnis.

Notes

1. Vgl. dazu Averil Cameron, “The ‚Long‘ Late Antiquity: A Late Twentieth-Century Model”, in: Timothy P. Wiseman (Hg.), Classics in Progress. Essays on Ancient Greece and Rome, Oxford 2002, 165-191.

2. Garth Fowden, Before and after Muḥammad. The First Millennium Refocused, Princeton 2014.

3. Alan Cameron, The Last Pagans of Rome, Oxford 2011; Polymnia Athanassiadi, Vers la pensée unique: la montée de l’intolérance dans l’Antiquité tardive, Paris 2010.

4. Dirk Rohmann, Christianity, Book-Burning and Censorship in Late Antiquity: Studies in Text Transmission, Berlin; Boston 2016.