Die vorliegende Ausgabe füllt eine schmerzliche Lücke; schon dafür ist den beiden Bearbeitern sehr zu danken. Philostorgios (ca. 388 – nach 422) als Historiker war zwar seit Joseph Bidez’ epochemachender Edition von 1913 als Quelle immer präsent, gleichwohl fehlte es für den akademischen Studienbetrieb je länger je mehr an Übersetzungen in moderne Sprachen. Diese Lücke haben nacheinander Philip R. Amidon (englisch, 2007), Édouard Des Places (französisch, 2013) und nun die Autoren der vorliegenden Ausgabe dankenswerter Weise geschlossen. Die Arbeit an dem Band haben sich die beiden Herausgeber aufgeteilt: Die Einleitung stammt überwiegend aus der Feder Bleckmanns, ebenso die Übersetzung, die mitunter Varianten stehen lässt, und die historischen Kommentare, die Texterstellung und die philologischen Kommentare aus der Feder Steins. Die Grundentscheidung, dabei zwei unterschiedliche Orthografien zu wählen (vgl. Bd. I, S. IX und fortlaufend im Text), ist nicht nachvollziehbar und mindert den Wert der an sich lobenswerten Ausgabe.
Philostorgios selbst als Anhänger des Eunomius ereilte das Schicksal vieler nicht im griechisch-orthodoxen Mainstream verorteter Theologen und Historiker: Er wurde nicht, bzw. nur fragmentarisch, überliefert; immerhin hat der byzantinische Historiker Photius in seiner Epitome sowie seiner Bibliotheke (Myriobiblos) ein so ausführliches Exzerpt aus der Kirchengeschichte des 5. Jahrhunderts angefertigt, das zumindest die Grundlinien seines Geschichtswerks erkennbar sind. Daneben finden sich weitere kürzere Exzerpte u.a. im Martyrium des Flavius Artemius, dem mittelbyzantinischen Lexikon Suda sowie der Vita Constantini BHG 365. So werden zumindest die Grundlinien des Werks sichtbar, auch wenn anzunehmen ist, dass nicht mehr als maximal 20% des ursprünglichen Textes erhalten sind (vgl. Bd. I, S. 46) und die erhaltenen Stücke zudem häufig an den Sprachduktus der mittelalterlichen Bearbeiter angepasst wurden, wie sich auch durch Kursivierung der paraphrasierten Passagen am Druckbild ablesen lässt: Fast der gesamte Text ist kursiv gesetzt. Der Interessenlage der Exzerptschreiber geschuldet ist der sehr unterschiedliche Umfang der erhaltenen Auszüge der ursprünglich zwölf Bücher. Demgemäß war die erste Hälfte des Werks (sechs Bücher) der Theologie und den Ereignissen zur Zeit der konstantinischen Dynastie (davon vier Bücher dem Wirken des Aetios und Eunomius unter Kaiser Constantius II.) gewidmet. Der Regierungszeit des Julian „Apostata“ ist das siebte Buch gewidmet. Die Bücher 8-10 legen das Hauptaugenmerk auf die Regierungen von Jovian, Valentinian I, Valens und Theodosius I., während die letzten beiden Bücher Arcadius und Theodosius II. behandeln. Innerhalb der einzelnen Bücher wechselten sich chronologische und exkursartige Passagen ab, wobei Philotorgios großen Wert nicht allein auf die Darstellung kirchengeschichtlicher Ereignisse – insbesondere der eunomianischen Richtung des Christentums – legte, sondern auch auf naturkundliche (hervorzuheben Buch VIII, fr. **8,8b [Bd. I, 364-366] mit einer eindrücklichen Beschreibung eines Tsunamis im Mittelmeer; Buch XII, fr. 12,8 [Bd. I, 430] zu einer Sonnenfinsternis) und medizinische Fragen, z.B. im Blick auf die Krankheiten der Kaiser – Philostorgios war aller Wahrscheinlichkeit nach Arzt (vgl. Buch VIII, fr. 8,10 [Bd. I, 368]).
Die vorliegende Ausgabe nun folgt im Prinzip der bald 100 Jahre alten Edition von Bidez, die in den Nachfolgeauflagen ihrerseits von Friedhelm Winkelmann bearbeitet wurde; allerdings wurden einige Fragmente ergänzt bzw. aus Bidez’ Anhang in den Text integriert. Zudem wurde der Text vollständig an den Überlieferungsträgern überprüft und nötigenfalls korrigiert. Es stellt sich allerdings die Frage, warum die Texterstellung ausschließlich auf der Grundlage von Digitalisaten bzw. PDF-Dateien von älteren Mikrofilmen erfolgt (vgl. Bd. I, S. 103f mit Anm. 6; 111f und öfter) – wer je mit Handschriften gearbeitet hat, weiß, dass eine Autopsie von Handschriften auch im digitalen Zeitalter unumgänglich ist! Die zugehörige Übersetzung ist sehr flüssig zu lesen und gibt das stilistisch hochstehende, mitunter artifizielle Griechisch des Philostorgios adäquat wieder. Allerdings wäre zu fragen, ob threskeia (Buch VII, fr. 7,4b; Bd. I, S. 314) zutreffend mit „Religion“ (S. 315) wiedergegeben ist; mir scheint hier eher „kultischer (oder: religiöser) Brauch“ gemeint zu sein. Hinsichtlich der Religionsthematik könnte zu dem noch stärker gewichtet werden, dass Philostorgios unfreiwilliger Zeuge für die mitunter schwache Identifikationskraft des Christentums im vierten Jahrhundert wird, wenn sogar ein Bischof zur hellenischen „Religion“ wechselte (Buch VII, fr. 7,13; Bd. I, 344) – der zugehörige Kommentar begnügt sich mit einem Verweis auf „lokalantiochenisches Kolorit“ (Bd. II, 398).
Sieht man von solchen Kleinigkeiten ab, ist der Ausgabe trotz des relativ hohen Preises eine breite Leserschaft zu wünschen.