BMCR 2016.02.14

Textile Trade and Distribution in Antiquity. Textilhandel und -distribution in der Antike. Philippika 73

, Textile Trade and Distribution in Antiquity. Textilhandel und -distribution in der Antike. Philippika 73. Wiesbaden: Harassowitz Verlag, 2014. 228. ISBN 9783447102209. €48,00.

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Der anzuzeigende Band versammelt Beiträge, die im April 2013 auf einer Tagung zum antiken Textilhandel an der Universität Marburg gehalten wurden. Die Herausgeberin verspricht, sich eines Desiderats anzunehmen (Kerstin Droß-Krüpe, “Textiles between Trade and Distribution: In Lieu of a Preface”). Anders als Metalle oder Keramik gehören Textilien nicht zu den Stoffen, die in großer Zahl in Gräbern oder Heiligtümern gefunden oder aus Schiffswracks geborgen wurden. Aber es gibt in literarischen und epigraphischen Quellen zahlreiche Hinweise, dass Textilien nicht nur dort in Gebrauch waren, wo sie auch produziert wurden, sondern ähnlich wie Metalle lange Wege zurücklegten, ehe sie beim Verbraucher ankamen. Der Zeitraum, den die zehn Beiträge abdecken, reicht von der Bronzezeit bis zur Spätantike. Das zeitliche Schwergewicht liegt auf dem römischen Reich. Im Blick sind ganz unterschiedliche Materialien: Leinen, Wolle, Seide. Einige der Beiträge verfolgen explizit theoretische Fragestellungen. Deutlich ist eine klare Präferenz für die Neue Institutionen-Ökonomik, von der sich die Autoren einen Königsweg jenseits des Gegensatzes von “primitivistischer” und “modernistischer” Sicht auf die antike Textilökonomie versprechen.

Den Anfang macht Miko Flohr mit seinem konzeptionellen Beitrag “Towards an Economic History of Textile Manufacturing and Trade in the Roman World”. Er wendet sich gegen die Vorstellung einer einheitlichen, statischen antiken Wirtschaft und will unterschiedliche Reichweiten, lokale und globale, berücksichtigt wissen. Er zweifelt nicht daran, dass die Textilwirtschaft in manchen Regionen kleinräumig organisiert war, aber genauso sicher ist er sich, dass die römische Expansion globalen Textilhandel befördert hat. Seine Perspektive ist die des Händlers. Er meint, dass mit der Weltreichsbildung die Möglichkeiten zunahmen, mit Textilien und Wolle profitabel großräumigen Handel zu betreiben. Die verbesserte Infrastruktur habe den Handel vereinfacht; die “Transaktionskosten” seien jedoch hoch geblieben (p. 5). Als Beispiel für die Gleichzeitigkeit von kleinräumiger und großräumig organisierter Textilwirtschaft führt er das Walkergewerbe an, das hohe Investitionskosten gefordert habe. In der Mehrzahl hätten die Werkstätten aber nicht mehr als zwei bis drei Personen umfasst. – Eine Exportorientierung vermag er nicht zu sehen, da Walkereien vorwiegend in der Nähe der Verbraucher entstanden seien. Das spräche eher gegen eine Ausrichtung auf den Export (p. 12).

Einen Überblick über Befunde zu Leinenstoffen und zur Flachsherstellung bietet Marie Louise Nosch in ihrem Artikel “Linen Textiles and Flax in Classical Greece. Provenance and Trade”. Leinen war vor allem für die Schifffahrt von großer Bedeutung (pp. 34-36). Alexander der Große forderte von Zypern nicht nur das allseits bekannte Kupfer, sondern auch Segel für seine Schiffe (Curtius Rufus 10,1,19). Während Flachsanbau und Leinenherstellung in Ägypten und am Schwarzen Meer gut belegt ist, fehlen für das antike Griechenland bis auf die mykenische Zeit eindeutige Belege. Es gelingt Marie Louise Nosch jedoch, plausible Argumente für die Bedeutung von Flachsanbau und Leinenproduktion auch in klassischer Zeit beizubringen. Einen gewichtigen Befund bilden Inschriften aus Zypern, wo aus dem 3. Jahrhundert v. Chr. Kooperativen belegt sind, die mit Flachsbearbeitung und Leinenherstellung befasst waren (pp. 24-30). Bemerkenswert ist die Verknüpfung der Kooperativen mit dem Nymphenkult (die Nymphen erhielten den Zehnten der Leinsaaten und Flachsernte), der aufgrund der Bedeutung des Wassers für die Flachsaufbereitung durchaus plausibel erscheint. Im klassischen Griechenland selbst scheinen vor allem Amorgos und die Elis Flachsanbaugebiete gewesen zu sein. Ein Argument für den verbreiteten Flachsanbau bilden aktuelle Toponyme mit Leinenbezug wie Linará, Linarés, Linarákia, Linári, die sich auf den ionischen Inseln und auf Kreta häufen und möglicherweise auf lang zurückreichende Traditionen verweisen (p. 33). Trotz magerer Befunde muss es sich nach Nosch beim Leinen aufgrund des Bedarfs an Segeln und Seilen um ein Massenprodukt gehandelt haben.

Herbert Graßl beschäftigt sich mit Bleitäfelchen, die bei Grabungen am Magdalensberg im Noricum (heute Österreich) gefunden wurden. Er präsentiert neue Funde und legt neue Lesarten bereits bekannter Funde vor. Neben Personennamen finden sich Materialangaben ( byssos, hispanum vellus), Gewichtsangaben und Kleidertypen (z. B. paenulae), gelegentlich auch ‘Lohnangaben’. Gerade im Fall von byssos, von ihm als Baumwolle gedeutet, schließt er auf Importe aus fernen Regionen. Da byssos auch Leinen bezeichnet (vgl. p. 31), ist diese Schlussfolgerung nicht zwingend; Flachsanbau ist am nördlichen Alpenrand bereits in der Jungsteinzeit nachgewiesen.

Wim Broekaert setzt sich in seinem Beitrag “Modelling the Roman Textile Industry in the Northern Provinces. Conceptions and Comparisons” mit der Deutung der Igeler Säule (bei Trier) durch John F. Drinkwater auseinander. Im Gegensatz zu diesem findet er in den Quellen und aufgrund vergleichender Beobachtungen der mittelalterlichen Textilökonomie keinen Anhaltspunkt für die Zugehörigkeit der Secundiniern zur Elite, aber auch keinen Hinweis darauf, dass die Elite nicht im Textilhandel engagiert war. Insgesamt unterstreicht er die Bedeutung der Textilproduktion für den Militärbedarf. Er warnt davor, nur aufgrund weniger Inschriften allzu schlichte Modelle (vgl. vor allem Moses I. Finleys Sicht auf die antike Wirtschaft) auf eine komplexe Ökonomie anzuwenden. Mehr Aufmerksamkeit fordert er für die Besteuerung, die von Finley und seinen Nachfolgern in ihrer Wirkung auf die Wirtschaft unterschätzt worden sei.

Kai Ruffing diskutiert in seinem Beitrag zum “Seidenhandel in der Römischen Kaiserzeit” inschriftliche Befunde, die aus Palmyra, aus dem römischen Ägypten sowie von der italischen Halbinsel selbst stammen. Er argumentiert, dass der Seidenhandel in der römischen Kaiserzeit nicht nur über Palmyra verlief, wo Seidenfunde gemacht wurden, sondern dass dieser auch über die maritime Gewürzroute entlang des Roten Meeres abgewickelt wurde. Er schließt dies aus inschriftlich belegten Namen von Händlern aus dem Stand der Freigelassenen und Sklaven in Hafenstädten am Roten Meer, die auf eine Zugehörigkeit zu kampanischen Geschlechtern verweisen. Eben aus dieser Region, aus Puteoli und Gabii, sowie aus Tibur stammen so genannte Berufsbezeichnungen, die auf Seidenverarbeitung oder Seidenhandel verweisen: sirikopoios, siricarius/siricaria, negotiator sericarius. Einige sind namentlich bekannt, so etwa Aulus Plutius Epaphroditus, der in Gabii auch als Wohltäter in Erscheinung trat. Aus Palmyra sind hingegen nur die Bezeichnungen von Gruppen, archemporoi und synhodiarchai, bekannt, die in Ehreninschriften genannt werden. Geehrt werden Karawanenführer, die Händler sicher durch die syrische Wüste geleitet hatten. All dies verweist nach Ruffing auf einen regen Seidenhandel, der im Gegensatz zur moralischen Verurteilung des Seidengebrauchs in der frühen Kaiserzeit stand. Diese moralischen Bewertungen sind Gegenstand einer Untersuchung von Berit Hildebrandt (Seide als Prestigegut in der Antike, in: Berit Hildebrandt – Caroline Veit (Hg.), Der Wert der Dinge. Güter im Prestigediskurs, München 2009, pp. 183-239), die im Literaturverzeichnis fehlt.

Eivind Heldaas Seland (“Caravans, Smugglers and Trading Fairs: Organizing Textile Trade on the Syrian Frontier”) plädiert für die Einbeziehung politischer Faktoren in eine Analyse ökonomischer Sachverhalte, wie sie nicht erst die Neue Institutionen-Ökonomik fordert, auf die er sich bezieht. Er fragt nach den Gründen für die Präferenz von bestimmten Handelsrouten. Der Persische Golf war mit dem Mittelmeer über drei Handelsrouten entlang der Flüsse Euphrat und Tigris nach Antiochia sowie über Palmyra quer durch die westsyrische Wüste verbunden. Die Prominenz, die—nach 35 Karawaneninschriften zu urteilen—die Route über Palmyra vom 1. Jahrhundert v. Chr. bis zum 4. Jahrhundert n. Chr. besaß, erklärt er mit der Einsparung von “Transaktionskosten”. Auch wenn in Palmyra Zölle anfielen, so waren sie doch geringer als die in den Flusstälern erhobenen Wegezölle. Eine ähnliche Situation entstand wieder im frühen Osmanischen Reich (16. – 18. Jahrhundert). Nach dem Sieg Diokletians über den Sassanidenherrscher Narses (293-303) lief die nordmesopotamische Stadt Nisibis der Oasenstadt Palmyra den Rang ab; nur hier—so sah es der Vertrag von Nisibis vor—durfte Handel getrieben werden. Ein halbes Jahrhundert später war Batnae, ebenfalls im Norden Mesopotamiens gelegen, der Hauptumschlagplatz von indischen und chinesischen Gütern. Es sind nach Seland die Interessen der politischen Mächte an der Einziehung von Steuern und Zöllen, die sich auf die Wahl der Handelsrouten auswirken und den Fluss der Güter mitbestimmen.

John Peter Wild und Felicity C. Wild versuchen in ihrem Beitrag “Berenike and Textile Trade on the Indian Ocean” über archäologische Funde aus Berenike die Bedeutung von Begriffen für einzelne Textilien aus dem Periplus Maris Erythraei zu ermitteln. Sie konzentrieren sich auf Textilien im Zusammenhang mit Häfen, über die die maritime Seidenstraße verlief: Adulis und Maza am Roten Meer, Barbaricon an der Mündung des Indus sowie Barygaza an der westindischen Küste. Im Juli/August verließen nach Auskunft des Autors des Periplus Schiffe die Häfen am Roten Meer und gelangten auf direktem Wege zur indischen Westküste. Ihr Augenmerk gilt besonders solchen Textilien, die aus dem jeweils anderen Kulturraum stammten. Angeboten wurden in Indien wollene Gewebe aus dem Mittelmeerraum, vor allem polymita, die die Wilds als Kompositgewebe ( taqueté) deuten, die man für Polster genutzt habe. Zu den aus Indien geholten Textilien zählen die Autoren nicht nur Seidenkleidung, sondern auch Baumwollstoffe, die in der Schifffahrt eingesetzt worden seien. Davon zeugt ihrer Meinung nach ein Bodenmosaik aus Ostia, das ein Segel mit einem rostartigen Muster zeigt, das wiederum einem Baumwollfund aus Berenike entspricht.

Wolle steht im Mittelpunkt des Beitrages von Cécile Michel, “The Assyrian Textile Trade in Anatolia (19 th century BCE): From Trade Goods to Prestigious Gifts”. Einer der bemerkenswertesten Befunde stellt das Archiv von Kaneš (heute: Kültepe) nordöstlich der heutigen Stadt Kayseri (Türkei) dar, das Auskunft über den Handel mit assyrischen Textilien und assyrischer Wolle im 2. Jahrtausend v. Chr. bietet. Das Archiv enthält u.a. die Korrespondenz von Händlern mit ihren Ehefrauen, die diese textilen Güter in häuslicher Produktion herstellten. Diese wurden vorwiegend gegen Gold und Silber getauscht. Denn in Kaneš wurde nicht nur mit Textilien gehandelt; über die Stadt verlief auch eine wichtige Metallroute, über die Zinn aus Elam und Gold und Silber aus Anatolien transportiert wurden. Die Studie von Michel zeigt die enge Verwobenheit von Handelsinteressen und Machtinteressen. Die Zulassung zum Handel bildete ein Privileg der örtlichen Machthaber, die fünf Prozent von den Gütern als Steuern einzogen und sich noch einmal das Vorkaufsrecht für weitere zehn Prozent zu einem fest gelegten Preis sicherten. Michel erklärt das Interesse der Machthaber an den Textilien mit deren Bedarf an Textilien als “royal gifts” an Bedienstete, Verwandte und befreundete Machthaber.

Mit der Frage nach der Nachweisbarkeit von Wollhandel jenseits schriftlicher Überlieferungen beschäftigt sich Margarita Gleba (“Sheep to Textiles: Approaches to Investigating Ancient Wool Trade”). Seit dem 4. Jahrtausend v. Chr. ist die Benutzung von Wollkleidung archäologisch belegt. Der älteste Fund, ein Twillgewebe, wurde in Shahr-i-Sokhta im heutigen Iran gemacht. Aus Hallstatt in Österreich stammen bronzezeitliche und eisenzeitliche Textilfunde. Ein spätes Beispiel bildet ein Wollfragment aus dem 4. Jahrhundert v. Chr., das in einem Grab in Cogion-Coste di Manone in Italien gefunden wurde. Untersuchungen von Fasern mit Hilfe der Strontium-Isotopenanalyse legen nahe, dass Wolle bereits in der frühen Eisenzeit über weite Räume hinweg gehandelt wurde.

Sieben Kurzbeiträge fassen die Befunde der Poster zusammen, die auf der Tagung vorgestellt wurden. Sie beschäftigen sich auf unterschiedlichem Reflexionsniveau mit Fragen der geschlechtsspezifischen Arbeitsteilung in Mesopotamien, in der Ägäis und in Rom sowie mit einzelnen Textiltechniken und Gewebetypen bzw. Materialien wie Seide. Ein Quellenverzeichnis und ein Register beschließen den Band.

Die Aufsatzsammlung ist zweifelsohne geeignet, eine Lücke in der antiken Wirtschaftsgeschichte zu schließen. Sie belegt eindrucksvoll die große Bedeutung des Textilhandels über weite Räume hinweg. Bemerkenswert ist das politische Interesse am kontinuierlichen Fluss textiler Güter, das aus vielen Beiträgen hervorgeht. Insofern ist das Postulat der Neuen Institutionen-Ökonomik, wirtschaftliche Prozesse nicht nur aus der Angebot-Nachfrage-Perspektive zu betrachten, sondern die institutionelle Einbindung von Handel zu berücksichtigen, durch die Befunde bestätigt. Aber dieses Konzept bildet nicht den einzigen Weg, um die Rolle des Textilhandels zu ermitteln. Für ihre Textilforschungen hätten die Autoren dieses Bandes auch beim Ahnvater der so genannten ‘primitivistischen Sicht’ auf die antike Wirtschaft fündig werden können, bei Karl Bücher (1847-1930). Dieser hatte zwar die häusliche Produktion als vorherrschend für die Antike betrachtet, aber die Bedeutung des Wollhandels nicht geleugnet, ja diesen sogar selbst untersucht.1 Aus seinen in aller Welt verschickten Fragebögen geht hervor, dass Wolle zu denjenigen Produkten zählt, die auch unter den Bedingungen einer weitgehenden Subsistenzwirtschaft hinzugekauft werden.2 Karl Bücher hätte also bestätigen können, dass der Handel mit Wolle zu den wichtigsten und vielleicht auch frühesten Sparten des Handels überhaupt gehört.

Notes

1. Karl Bücher, Beiträge zur Wirtschaftsgeschichte, Tübingen 1922.

2. In diesen Fragebögen fragt er nach den im Haushalt hergestellten und konsumierten Gütern. Aus einem ausgefüllten Exemplar aus der Stadt Leh in Ladakh (heute: Indien) geht hervor, dass nahezu alle Lebensmittel und Kleidungsstücke im Haus hergestellt werden. Hinzugekauft wird einzig Wolle; verkauft werden allein Textilien. Abgedruckt in: Beate Wagner-Hasel, Die Arbeit des Gelehrten. Der Nationalökonom Karl Bücher (1847-1930), Frankfurt / New York 2011, p. 73.