Jonathan Arnolds Buch, dem eine an der University of Michigan entstandene Dissertation zugrunde liegt, bemüht sich um einen innovativen Zugang zur Herrschaft Theoderichs des Großen über das spätantike Italien. Kernthese der Arbeit ist dabei die Annahme, Theoderich sei von den Bewohnern Italiens und Südgalliens nicht als “barbarischer” Fremdherrscher gesehen worden, sondern habe vielmehr als Kaiser in der Tradition des Prinzipats über ein erneuertes Römisches Reich geherrscht.
Auf eine knappe Einleitung (pp. 1-8), in der Arnold erklärt, Ziel der Arbeit — “a study of Romanness and the Roman Empire that fully accepts Theoderic’s reign as a continuation of Roman history” — sei es zu demonstrieren, “how Theoderic and his Goths found acceptance as ‚Romans‘” (p. 6f.), folgen zwei Kapitel über Ennodius (pp. 11-36) und Cassiodor (pp. 37-56). Arnold begreift Ennodius dabei als Repräsentanten der norditalischen Elite, für den es niemals zu einem “Fall Roms” gekommen sei; in diesem Zusammenhang behauptet er, die Unterschiede zwischen Kaisern und Nicht-Kaisern seien bereits in dieser Zeit verwischt worden, da man auch den Kaiser habe als rex bezeichnen können (p. 30): “Odovaker appeared (…) as emperor himself, since emperors from a fifth-century Ligurian perspective were little more than kings” (p. 32) — wobei übrigens zu fragen ist, ob man rex im 5. Jahrhundert wirklich ohne weiteres als “king” übersetzen kann. Erst unter Theoderich habe Ennodius Odoaker rückblickend zum unrechtmäßigen Machthaber erklärt (p. 33). Cassiodor, eine Generation jünger als Ennodius, gilt Arnold sodann als Repräsentant einer bestens vernetzten Reichselite. Er biete eine Dekadenzerzählung, die mit Odoaker den Tiefpunkt erreiche, bevor sich mit Theoderich alles zum Guten wende (p. 52). Arnold betont dabei, dass Cassiodor Odoaker nicht zuletzt vorwirft, sich nicht so gekleidet zu haben, wie es einem römischen Herrscher zukam (p. 53).
Im zweiten Abschnitt (Kapitel 3 und 4), den Arnold programmatisch mit “Emperor Theoderic” überschreibt, entwirft er sodann ein Panorama der herrscherlichen Inszenierung Theoderichs. Er interpretiert dabei, entsprechend der communis opinio, die Übersendung der ornamenta palatii durch Kaiser Anastasius an Theoderich als “visual confirmation of his imperial status” (p. 59). “The very act of returning these items clearly recommended that Theoderic could adopt all of them and with the complete approval of Constantinople” (p. 95). Doch behaupten die Quellen nirgends, die ornamenta palatii seien vom Kaiser dazu gedacht gewesen, dass Theoderich selbst sie anlegen sollte. Vielmehr spricht einiges dafür, diesen Akt stattdessen als eine Aufforderung des östlichen Kaisers an den patricius zu begreifen, wie zu Zeiten Ricimers wieder einen Kaiser seiner Wahl als nominelles Oberhaupt des Westreiches zu erheben – eine Aufforderung, der Theoderich aber nicht nachkam.1
Arnold bietet eine solide Zusammenfassung der Diskussion über Theoderichs Rechtsstatus,2 die über Bekanntes insofern hinausgeht, als er eben postuliert, der Gote sei als “legitimate Roman emperor” anerkannt gewesen (p. 63-71). Nicht überzeugen kann in diesem Zusammenhang Arnolds Argument, die Konfession Theoderichs sei dabei kein Hindernis gewesen, da es bereits früher „arianische” Kaiser gegeben habe (p. 73) — diese Position verkennt, dass die besagten Herrscher über hundert Jahre früher und vor dem Konzil von Konstantinopel von 381 regiert hatten. Um 500 war hingegen ein arianisches Bekenntnis ein nachgerade eindeutiges Kennzeichen für einen “Barbaren”,3 der, wie Prokop ausführt (Hist. 3,6,3), unmöglich Kaiser werden konnte.
Arnold vertritt die Position, Theoderich habe als Kaiser bewusst die Tradition des augusteischen Prinzipats aufgegriffen, denn “this was the kind of emperor, a republican emperor, for which Italians longed” (p. 74). Seine Ausführungen gipfeln in der Kernthese: “Theoderic was unequivocally the Roman emperor in the West, not just some sort of quasi-imperial figure” (p. 89). Theoderich habe dies unterstrichen, indem er sich ein offen kaiserliches Auftreten zugelegt habe (pp. 92-115). Allerdings widerspricht sich Arnold im Grunde selbst, wenn er konstatiert, dass es im Prinzipatsdiskurs gerade darum gegangen sei, die Machtverhältnisse zu verschleiern: “Just as republican principes were in fact reges in disguise, so too were ‘Gothic’ principes imperatores and basileis in disguise” (p. 78).
Im dritten Abschnitt (Kapitel 5 und 6) widmet sich Arnold sodann der Koexistenz von gotischen Kriegern und Italikern in Theoderichs Reich. Indem die foederati zu Verteidigern römischer civilitas geworden seien, hätten sie weitgehend aufgehört, als “Barbaren” zu gelten (p. 126f.). “Goths and Italo-Romans were now the ‘Romans’” (p. 133). Abgesehen davon, dass Arnold Quellenbelege für diese mutige These schuldig bleibt, stellt sich die Frage, ob die eigentliche Konfliktlinie in der Spätantike nicht ohnehin weniger zwischen “Barbaren” und “Römern” als vielmehr zwischen Militärs und Zivilisten verlief und sich ein Krieger, der einen Zivilisten schlecht behandelte, in den Augen des letzteren eben barbarisch verhielt. Stattdessen konstatiert Arnold, Theoderich selbst sei aufgrund seiner Jugend am östlichen Kaiserhof ohnehin derart vertraut mit römischer Kultur gewesen, dass er weniger Gote als vielmehr “authentically Constantinopolitan, authentically east Roman” (p. 147) gewesen sei. Doch folgt Arnold hier unabsichtlich einem überkommenen Verständnis von Ethnizität, denn “römisch” oder “barbarisch” wurde man primär durch Selbst- und Fremdzuschreibung, nicht durch Erziehung. Letztlich bleibt Arnold einen Quellenbeleg schuldig, der explizit zeigen würde, dass sich Theoderich nicht als Gote, sondern als Römer verstand. Gerade das beharrliche Festhalten am Arianismus illustriert vielmehr, dass es dem rex darum ging, zwar keine unüberschreitbare Grenze, wohl aber eine deutliche Distinktion zwischen “Goten” und “Römern” zu bewahren – im Unterschied zu seinem Rivalen Chlodwig. Zuzustimmen ist Arnold hingegen, wenn er betont, dass die Bezugnahme auf die vermeintlich uralte amalische Herrscherfamilie Theoderich gerade in den Augen der Römer zusätzliche Legitimität verleihen sollte (pp. 162-174). Das dynastische Prinzip war in der Spätantike tatsächlich von herausragender Bedeutung für eine rechtmäßige Herrschaft.4
Im vierten Abschnitt (Kapitel 7 und 8) demonstriert Arnold, wie Theoderichs Herrschaft von den Zeitgenossen als neue Blütezeit gefeiert wurde (wobei der Umgang mit panegyrischen Texten allerdings methodisch nicht immer überzeugt). Zweifellos trifft es zu, dass Italien nun, nach dem Ende der Bürgerkriege, die im 5. Jahrhundert zum Untergang des westlichen Kaisertums geführt hatten, eine deutliche Erholungsphase erlebte, wofür man Theoderich feierte (pp. 194-200). Auch die demonstrative Fürsorge und Aufmerksamkeit, die Theoderich — darin durchaus an kaiserliche Vorbilder anknüpfend — der Stadt Rom zuteilwerden ließ, wird von Arnold anschaulich beschrieben (pp. 201-229). Die gilt auch für Theoderichs Außenpolitik (pp. 231-294), der sich Arnold im letzten Abschnitt widmet; klar arbeitet er heraus, wie die Inbesitznahme Südgalliens von der senatorischen Elite als Wiedervereinigung mit dem Römischen Reich gefeiert wurde. Auf einen kurzen Epilog, in dem Arnold die These vertritt, Autoren wie Prokop hätten das legitime Kaisertum Theoderichs im Nachhinein bewusst zu “a barbarous deviation, a kingdom ruled by Gothic tyrants” (p. 302) verzerrt, folgt eine gute Bibliographie, die trotz ihrer relativen Kürze die meisten relevanten Arbeiten zum Thema auflistet.5 Ein Index schließt das Buch ab.
Das Urteil über Arnolds gelehrte und kenntnisreiche Arbeit fällt zwiespältig aus. Zum einen gelangt er durch intensive Quellenarbeit in vielen Punkten zu überzeugenden Einzelbeobachtungen, und seine Grundannahme, das ostgotische Italien sei aus zeitgenössischer Sicht eine römische res publica gewesen und, anders als es A. H. M. Jones einst in einem einflussreichen Aufsatz postuliert hat,6 kein germanisches Königreich, ist plausibel. Der weströmische Senat und der Hof in Ravenna existierten noch bis weit ins 6. Jahrhundert, und mit ihnen bestand auch das Hesperium Imperium fort. Allerdings gilt zugleich, dass Arnold beständig Gefahr läuft, Diskurs und Wirklichkeit zu verwechseln. Es ging Männern wie Cassiodor darum, der Herrschaft des arianischen rex ein für die zivilen Eliten (und den oströmischen Kaiser) akzeptables Antlitz zu verleihen. In diesen Zusammenhang gehören auch die von Arnold überzeugend herausgearbeiteten Bezüge auf die Prinzipatsideologie unter Theoderich: Lägen uns entsprechende Texte aus der Zeit Odoakers vor, klängen sie wirklich so anders?
Aus diesem Grund führt wohl auch Arnolds These, Theoderich habe nicht nur mit kaiserlichen Insignien und Repräsentationsformen gespielt, sondern sei buchstäblich weströmischer Kaiser gewesen, in die Irre. Denn spätestens seit 69 n. Chr. war ausnahmslos jeder römische Kaiser eindeutig durch die Titulatur Imperator Caesar Augustus gekennzeichnet – Titel, die Theoderich niemals geführt hat; die berühmte Inschrift, die ihn als Augustus bezeichnet (ILS 827), ist eine singuläre Ausnahme und wurde nicht im Namen des Goten gesetzt. Auch wenn es in der spätantiken Literatur, wie Arnold zutreffend feststellt, möglich geworden war, das Imperium Romanum als regnum zu bezeichnen, so war dies doch stets ein inoffizieller Ausdruck. Erst über ein Jahrhundert nach Theoderichs Tod sollte Heraclius die alte Kaisertitulatur fallen lassen und sich selbst offiziell als basileus bezeichnen.7 Um das Jahr 500 hingegen war fraglos für jeden Zeitgenossen klar, dass sich der rex und pius princeps Theoderich zwar so weit wie irgend möglich einer kaiserlichen Stellung annäherte — so sehr, dass Prokop ihn rückblickend als Usurpator ( tyrannos) bezeichnen konnte (Hist. 5,1,29) –, den entscheidenden letzten Schritt aber eben vermied: Theoderich war zwar das Haupt der weströmischen Regierung und hatte faktisch kaisergleiche Macht. Aber er war ebenso wenig ein Kaiser, wie Augustus ein König gewesen war, sondern eben doch eine “quasi-imperial figure”; denn wer nicht den Titel Augustus beanspruchte, der war auch kein römischer Kaiser. Theoderich stand damit nicht etwa, wie Arnold annimmt, in der Tradition eine princeps wie Trajan (der sich selbst selbstverständlich als Imperator Caesar Augustus bezeichnet hatte), sondern vielmehr in der von Männern wie Aetius, Ricimer und Odoaker: Spätestens seit Constantius III. war der weströmische patricius et magister militum der eigentliche Machthaber im Hesperium Imperium; aber seit Odoaker residierte der Augustus, dem man sich dabei nominell unterordnete, nicht mehr in Rom oder Ravenna, sondern in Konstantinopel. Und zumindest im Rückblick bezeichnete ein Autor wie Ennodius auch Ricimer als princeps (Vita Epiph. 53).
Zwar war jeder Kaiser ein princeps, doch nicht jeder princeps war ein Kaiser. Genau dies machte den Terminus – “inexact enough to avoid offense” (p. 75) – aber so reizvoll für einen Machthaber, der wie ein Kaiser über Römer herrschen wollte, ohne ein Kaiser zu sein. Den spannendsten Punkt scheint Arnold dabei im Grunde zu übersehen: Die Prinzipatsideologie war 500 Jahre vor Theoderich entwickelt worden, um einer gewaltsam errungenen Alleinherrschaft, die den geltenden Normen eigentlich fundamental widersprach, den Anschein von Legitimität zu verleihen; unter Theoderich diente sie demselben Zweck. So, wie sie einst den Bürgerkriegsgeneral und Machthaber ( potens rerum omnium, r. g. 34,1) Octavian in den akzeptablen princeps Augustus verwandelt hatte, so transformierte sie nun — in modifizierter Form — den gotischen Föderatenführer Theoderich, dessen Invasion Italien in einen jahrelangen Bürgerkrieg gestürzt hatte, in einen akzeptablen pius princeps Theodericus rex. Die Parallelen sind bemerkenswert. Getragen wurde dieser Diskurs in beiden Fällen von der senatorischen Elite. Auf ihre Kooperation war Theoderich kaum weniger angewiesen, als es einst Augustus gewesen war.
Theoderichs Reich verstand sich nicht ohne Grund als Fortsetzung des Weströmischen Reiches. Von einer “imperialen Restauration” kann allerdings insofern dennoch gesprochen werden, als es dem rex und patricius gelang, die Macht der Regierung in Ravenna zu stabilisieren und auszuweiten und Italien zu befrieden. Die große Leistung des Goten und seiner Umgebung bestand dabei darin, seiner Herrschaft in den Augen vieler Senatoren und des populus Legitimität zu verleihen.8 Theoderich konnte darum sogar darauf verzichten, die 498 aus Konstantinopel zurückgesandten ornamenta palatii zu verwenden, um einen Marionettenkaiser zu erheben – etwas, worauf Ricimer noch angewiesen zu sein geglaubt hatte. Ermöglicht wurde Theoderich diese Verständigung mit der zivilen Elite nicht zuletzt durch gebildete Römer wie Cassiodor, die ein ideologisches Konstrukt schufen, das die Herrschaft eines arianischen rex über ein faktisch unabhängiges Groß-Italien in eine äußerlich mit spätrömischen Normen vereinbare Form brachte. In diesem Zusammenhang ist auch verständlich, dass man sich bemühte, die Unterschiede zwischen den foederati und der römischen Zivilbevölkerung kleinzureden. Natürlich hätte man die arianischen Krieger Theoderichs als “Barbaren” bezeichnen können – aber dies zu tun lag ebenso wenig im Interesse von Männern wie Cassiodor wie es einst im Interesse Plinius des Jüngeren gelegen hatte, den optimus princeps Trajan einen Tyrannen zu nennen.
Arnold hat daher weniger eine Arbeit über die Realitäten im spätantiken Italien und Gallien vorgelegt als vielmehr eine Studie zum weströmischen Elitendiskurs unter den Ostgoten. Auch wenn man seine Kernthese vom “Emperor Theoderic” für unhaltbar halten mag, besitzt sein Buch dennoch aufgrund zahlreicher wichtiger Einzelbeobachtungen und der gründlichen Aufarbeitung des Quellenmaterials einen hohen Wert. Arnolds Arbeit stellt damit einen problematischen, aber wichtigen Beitrag zur Diskussion dar, dem eine breite Rezeption zu wünschen ist.
Notes
1. Vgl. H. Börm: “Das weströmische Kaisertum nach 476”, in: J. Wiesehöfer etc. (eds.), Monumentum et instrumentum inscriptum, Stuttgart: Franz Steiner Verlag 2008, pp. 47–69.
2. Siehe zuletzt H.-U. Wiemer: “Odovakar und Theoderich. Herrschaftskonzepte nach dem Ende des Kaisertums im Westen”, in: M. Meier – S. Patzold (eds.), Chlodwigs Welt. Organisation von Herrschaft um 500, Stuttgart: Franz Steiner Verlag 2014, pp. 293–338.
3. Vgl. nun die Beiträge in G. M. Berndt – R. Steinacher (eds.): Arianism. Roman Heresy and Barbarian Creed, Farnham: Ashgate 2014.
4. Vgl. H. Börm: “Born to be Emperor. The Principle of succession and the Roman monarchy”, in: J. Wienand (ed.), Contested Monarchy, Oxford: Oxford University Press 2015, pp. 239–264.
5. Profitiert hätte Arnolds Arbeit allerdings von C. Schäfer: Der weströmische Senat als Träger antiker Kontinuität unter den Ostgotenkönigen, St. Katharinen: Scripta Mercaturae 1991.
6. Vgl. A.H.M. Jones: “The constitutional Position of Odoacer and Theoderic”, JRS 52 (1962), pp. 126–130: “Odoacer and Theoderic were kings pure and simple, in the same position as the other barbarian kings” (p. 126). Jones wandte sich damit vor allem gegen Th. Mommsen: “Ostgothische Studien”, NA 14 (1889), 223–249 und 451–544.
7. Vgl. G. Rösch: Onoma Basileias. Studien zum offiziellen Gebrauch der Kaisertitel in spätantiker und frühbyzantinischer Zeit, Wien: Verlag der Österreichischen Akademie der Wissenschaften 1978, pp. 106f.
8. Zur spätrömischen Monarchie als „Akzeptanzsystem“ vgl. R. Pfeilschifter: Der Kaiser und Konstantinopel, Berlin: De Gruyter 2013, pp. 1–40.