Das vorliegende Buch ist aus einer Tagung in Münster 2011 zum Thema des nachpharaonischen Ägypten hervorgegangen.
In der Einführung fasst Frank Feder (pp. 3 – 11) das kulturelle Umfeld, in dem sich das Thema der Tagung bewegte, die Ziele sowie die einzelnen Beiträge kurz zusammen.
Der umfangreichste, erste Teil des Bandes, „Ägyptens Situation in der Zeit des Epochenwandels“ wird von László Török, „Aspects of Late Antique Art in Egypt“ (pp. 13 – 58) eingeleitet. Er gibt einen ausführlichen Überblick über den aktuellen Forschungsstand zu spätantiker sog. „Kunst“ in Ägypten. Hier geht er speziell auf die variierenden Klassifizierungen des koptischen Kunstschaffens ein, das wissenschaftsgeschichtlich bedingt lange als primitive Volkskunst galt und gilt. Erst neuerdings kristallisiert sich auch für diesen Bereich eine differenziertere und analytischere Betrachtung des innewohnenden Symbolischen heraus. In einem zweiten Teil erarbeitet er verschiedene Aspekte der christlichen ägyptischen Artefakte, die losgelöst werden von den in zahlreichen Museen vorhandenen sog. „Sheikh Ibada“-Objekten, die inzwischen sämtlich als Fälschungen enttarnt wurden, jedoch jahrzehntelang die Forschungen in dieser Richtung nachhaltig prägten.
Stefan Pfeiffer, „Die religiöse Praxis im thebanischen Raum zwischen hoher Kaiserzeit und Spätantike“ (pp. 59 – 79) beschäftigt sich mit dem Ende der altägyptischen paganen Kultpraxis in der Thebais. Primär von dort sind aussagekräftige Quellen in ausreichender Quantität vorhanden. Er kann herausstellen, dass zwar ab der Mitte des 3. Jahrhunderts die offizielle „Tempelreligion“ und der institutionalisierte Kult nicht mehr aktiv waren, jedoch auf lokaler und semioffizieller Ebene Kulthandlungen in reduzierter Form durchaus noch existierten. Ein Beispiel ist der Kult des Buchis-Stieres, der durch Stelen bis 340 n. Chr. zur Zeit des Kaisers Constantius II. belegt ist. Die Transformation von offizieller zu rein privat ausgeübter Kultpraxis bedeutete einen tiefgreifenden Wandel für die altägyptische Religion. Seit der Ptolemäerzeit gewannen spezielle Kultvereinigungen an Bedeutung, die jenseits einer staatlich subventionierten Priesterschaft religiöse Praxis zugunsten eines Gottes ausübten. Diese dürften Kultpraxis und das spezielle Kultwissen am Leben erhalten und so mittelfristig die reguläre Priesterschicht in Bedeutung und Funktion abgelöst haben, zumal sie sich möglicherweise noch bei oder in den alten Tempeln versammelt haben. Belege für privat zu Hause ausgeübte Kulte gibt es hingegen nicht.
Johannes Hahn, „Schenute von Atripe, die kaiserliche Religionspolitik und der Kampf gegen das Heidentum in Oberägypten“ (pp. 81 – 108) stellt den einflussreichsten Verfechter der neuen christlichen Religion in Oberägypten vor, Schenute, Abt des Weißen Klosters bei Atripe. In zahlreichen Dokumenten ist überliefert, dass dieser religiöse Fanatiker aktiv und auch unter Anwendung von Gewalt gegen pagane Kultausübung und prominente Anhänger der alten Religion vorging. In diesem Zusammenhang beleuchtet Hahn die Mechanismen der spätantiken Religionspolitik des Kaiserhofes in Konstantinopel und die Bedeutung der Gesetze in der abgelegenen Provinz, als welche die Thebais in dieser Zeit charakterisiert werden kann. Die Religionspolitik war zumindest in ihrem Wortlaut stark antipagan geprägt, fokussierte in ihren Straferlassen primär auf die lokalen Statthalter und vergleichbare elitäre Personen. Diese konnten jedoch vor Ort relativ selbständig agieren; ohne sie blieben die Erlasse wirkungslos. Hier nahmen die kirchlichen Vertreter im Laufe der Zeit immer mehr Einfluss, und Schenute konnte seine rechtlich fragwürdigen Aktivitäten ungehindert fortsetzen. Die kaiserliche Verwaltung tat dagegen nichts, blieb andererseits aber auch untätig, was die aktive Umsetzung der kaiserlichen Religionspolitik betraf.
Sofía Torallas Tovar, „What is Greek and what is Coptic? School Texts as a window into the perception of Greek loanwords in Coptic“ (pp. 109 – 119) beschäftigt sich mit einigen koptischen Schulübungen, die Wörter griechischer Herkunft enthalten. Sie stellt heraus, dass koptischsprachige Personen oftmals Schwierigkeiten hatten, bestimmte griechische Wörter zu verstehen, so dass es entweder additionale Erklärungen gab, die bekannten Glossen, oder aber Ersetzungen durch häufiger gebrauchte und somit besser bekannte griechische Synonyme vorgenommen wurden. Die Frage ist jedoch, inwieweit dies auch jenseits der Schultexte, in denen solche Lese- und Verständnishilfen ohnehin am ehesten zu erwarten sind, gängige, nötige oder standardisierte Praxis war. Hinsichtlich der Frage, welche Griechischkenntnisse notwendig waren, um dem sonntäglichen Gottesdienst zu folgen (p. 111), sei auf die lateinischsprachigen Gottesdienste in der Katholischen Kirche bis zum 2. Vatikanischen Konzil verwiesen, die die normale Bevölkerung gar nicht verstand – was dann letztlich auch in Martin Luthers Bemühen resultierte, die Bibel in die „Volkssprache“ zu übersetzen und damit die damals wichtigste Schrift auch inhaltlich weiten Kreisen bekannt zu machen, um nicht mehr nur auf die mündlich vorgetragenen Interpretationen des Klerus angewiesen zu sein.
Tonio Sebastian Richter, „«An unseren Herrn, den allberühmten Korra, den herrlichsten Gouverneur, durch Dich, glorreichster Herr Basilios, Pagarch von Djkow mit seinen Gehöften». Verwaltung und Verwaltungssprachen Ägyptens im 8. Jh. nach den Qurra-Papyri“ (pp. 121 – 138) zeigt anhand von Quellen aus dem Archiv des Pagarchen von Aphrodito auf, dass in der Verwaltung des frühislamischen Ägypten drei Sprachen auf unterschiedlichen gesellschaftlichen Ebenen Verwendung fanden, das Arabische, das Griechische und das Koptische. Dabei interagierten die Sprachen der Machtelite Arabisch und die ursprüngliche Landessprache Koptisch nur mittels des „Zwischenträgers“ des Griechischen, das auch nach der arabischen Eroberung Ägyptens noch eine Weile als Verwaltungssprache in Gebrauch blieb, bis es im Laufe des 8. Jh. durch das Arabische weitgehend verdrängt wurde.
Zwei Arbeiten sind in der Sektion „Ägypten und seine monastische Bewegung“ versammelt. In seinem sehr reichhaltig untergliederten Beitrag „Die Ausstrahlung des Ägyptischen Mönchtums auf den Westen: Zur Vermittlerrolle der Kirchenväter Hieronymus und Johannes Cassianus“ (pp. 139 – 156) bietet Jürgen Horn Informationen über Besucher ägyptischer Mönchsbehausungen, Adepten und Übersetzer mönchischer religiöser Schriften. Daneben werden die Kirchenväter Hieronymus und Johannes Cassianus kurz vorgestellt, die auch Ägypten besuchten. Angeschlossen ist ein ausführliches Literaturverzeichnis zur außerägyptischen Rezeption „ägyptischer monastischer Vorbilder“.
Suzana Hodak, „Die Thebais im Morgen- und Abendland“ (pp. 157 – 191) beschäftigt sich mit der Wahrnehmung des thebanischen Raumes als monastischem Lebensraum im Orient und im christlich geprägten Europa. Neben einem Überblick über mönchische Siedlungen und Wohnstätten in Theben, die im Zuge der frühen Grabungen Anfang des 20. Jahrhunderts weitgehend unbeachtet abgeräumt wurden, fokussiert die Autorin auf Präsentationen Thebens im frühneuzeitlichen Europa. Zunächst als malerische Darstellungen vorhanden, entfernte sich das Bild dieser Region im Laufe der Zeit immer mehr von auf die mönchischen Traditionen bezogenen Reflexionen. Schließlich endete die Rezeptionsgeschichte in der Moderne dann, in völliger Umkehr von den ursprünglichen Intentionen, speziell in England bei teilweise automatisierten Eremitenpuppen oder lebenden -schauspielern als beweglichen Schmuckelementen herrschaftlicher Gartenanlagen zur allgemeinen Belustigung.
Die folgende Sektion ist dem Thema „Ägypten und das Sasanidenreich“ gewidmet. Hier präsentiert zuerst Josef Wiesehöfer, „Mehrfrontenkriege: Ostrom und das Sasanidenreich zu Beginn des 7. Jahrhunderts n.Chr.“ (pp. 193 – 206) einen historischen Überblick über die Entwicklung der Beziehungsgeflechte von Kooperation und Konfrontation zwischen dem oströmischen Reich und demjenigen der Sasaniden, unter Einbeziehung der neuen Mächte der Türken und Muslime im Nahen Osten.
Desmond Durkin-Meisterernst, „Wie persisch war der Manichäismus in Ägypten? Wie ägyptisch ist er geworden? (pp. 207 – 219) untersucht die Religion der Manichäer hinsichtlich ihrer kulturellen Adaptionen. Es kann anhand der manichäischen koptischen Quellen festgestellt werden, dass diese Glaubensvariante in Ägypten lokal bedingte Anpassungen an das ägyptische Christentum vornahm. Neben theologischen Modifikationen ist die Verwendung der koptischen Schrift und Sprache für manichäische Dokumente evident, im Gegensatz zum Osten, wo eine eigene, als „manichäisch“ bezeichnete Schrift für alle genutzten Sprachen Usus war.
Dieter Weber, „Die persische Besetzung Ägyptens 619-629 n.Chr. Fakten und Spekulationen“ (pp. 221 – 246) informiert über das Jahrzehnt der Besetzung des Nillandes durch das Sasanidenreich, speziell bezogen auf die Auswertung der mittelpersischen Pahlavi-Dokumente, die hier in einer für die Antike ungewöhnlichen Dichte vorliegen und über unterschiedlichste Lebensbereiche im Ägypten dieser Zeit berichten.
In der letzten Sektion geht es um „Ägypten, Afrika und Arabien“. Juan Pedro Monferrer Sala, „Christians in the Red Sea area in Late Antiquity – On the Arabic version of the ‘Martyrdom of Athanasius of Clysma’“ (pp. 247 – 274) beschäftigt sich mit der arabischen Übersetzung der Märtyrergeschichte des Athanasius und den Mechanismen des griechisch-arabischen Übersetzungsvorgangs. Angeschlossen ist ein Verzeichnis der in diesem in „christlichem Arabisch“ geschriebenen Text vorkommenden Personen- und Ortsnamen, Lehnwörter und Formeln.
Angelika Lohwasser, Das „Ende von Meroe“. Gedanken zur Regionalität von Ereignissen (pp. 275 – 290) beschäftigt sich mit dem weitgehend noch im Dunkeln liegenden Ende des meroitischen Staates. Sie kann aufzeigen, dass im Norden und im Süden des Reiches die späte Entwicklung different verlief, im Süden wurde schließlich die staatliche Kontrolle durch die Aksumiten übernommen, im Norden durch die Blemmyer. Das dazwischen liegende Gebiet war seit spätestens dem 3. Jh. n. Chr. der Autorität des meroitischen Staates entzogen, als ein neues Machtgefüge entstand, das die Autorin als Prä-Makuria bezeichnet, da es auf dem Gebiet des späteren christlichen Königreiches Makuria lag. Von einem einheitlichen Staatswesen kann jedoch nicht ausgegangen werden, so dass eher von einer Kulturregion denn von einem Staat gesprochen werden sollte. So war das Reich von Meroe war schon länger des einheitlichen Staatsgebietes und damit der Zentralmacht verlustig gegangen, was den Zerfall des Reiches begünstigte.
Francis Breyer, „Die Nennung Meroës in den Inschriften ᶜĒzānās von Aksum“ (pp. 291 – 310) analysiert aus philologischer Sicht Namensnennungen Meroes in aksumitischen Texten. Er kann herausarbeiten, dass in einem Feldzugbericht des aksumitischen Königs ᶜĒzānā ein Toponym tatsächlich den Namen „Meroe“ darstellt, was den bislang einzigen Hinweis auf dessen Eroberung dieser Stadt bietet. Nähere Informationen über das durch die Aksumiten herbeigeführte Ende des (süd)-meroitischen Staates, wie ihn Lohwasser charakterisiert hat, enthält die Inschrift freilich nicht.
Abschließend bietet Jochen Hallof einen Überblick über „Qasr Ibrim in antiker Zeit“ (pp. 311 – 317). Er stellt heraus, dass in Qasr Ibrim die politischen Ereignisse der Spätantike, angefangen von der Rückverlegung der Reichsgrenze unter Diokletian bis hin zur meroitischen Eroberung, nur wenige Spuren hinterlassen haben, die auf umfangreichere Auseinandersetzungen hindeuten würden. Nach dem Verfall des meroitischen Reichs werden die meroitischen Tempel aufgelassen, aber nicht zerstört, ebenso wie später bei der Etablierung des Christentums. Erst dann wurde das Festungsareal umfangreich umgebaut. Qasr Ibrim war mir Abstand die reichhaltigste Fundstätte in der vom neuen Stausee vernichteten Region.
Ein bibliographisches Abkürzungsverzeichnis (pp. 319 – 332) sowie ein Autorenverzeichnis (pp. 323) runden den Band ab, Indices fehlen.
Der Band bietet einen spannenden Einblick in die von Ägyptologen meist nur marginal in den Blick genommene Entwicklung Ägyptens nach der diokletianischen Zeit, sowohl durch innerägyptische Quellen als auch gewissenmaßen durch die Außenperspektive mittels Einbeziehung von Quellen der umliegenden Machtgebilde, um ein umfassendes Bild zu kreieren. Damit wird letztlich nicht nur die politische und kulturelle Situation des spätantiken Ägypten, sondern auch die des gesamten interkulturellen Machtgefüges im östlichen mediterranen Raum beleuchtet. Die teilweise sehr umfangreichen deskriptiven Passagen machen den Tagungsband zudem auch zu einem Nachschlagewerk für an dieser Periode Interessierte.
Das Buch ist stabil gebunden, auch die Photos sind zumeist von guter Qualität. Mit dem Erscheinungstermin 2013 sind die Ergebnisse der Konferenz erfreulicherweise zeitnah publiziert.